Anhang 12: Das Land, Handel und Handwerk im Frankenreich

 

Das Land im Reich der Merowinger (Kolonat / Patronat / Neubeginn)

Das Land im Reich der der Karolinger (Grundherrschaft / Produzenten / Neuerungen / Kirche / Italien)

Gewerbe, Handel und Finanzen in Gallien und Germanien zur Merowingerzeit

Handel im Mittelmeerraum der Merowingerzeit

Handwerk der Karolingerzeit

Konsum und Handel der Karolingerzeit (Markt, Zoll / Handelsräume /  Transport / Geld / Händler)

 

 

Das Land im Reich der Merowinger

 

Auf dem Lande verschwindet seit dem Zusammenbruch der pax romana ein Teil der villae (rusticae), der Güter vornehmen römischen Großgrundbesitzes, deren Inhaber aus Gründen der Sicherheit in die Städte fliehen. In Zeiten größerer Sicherheit kehren manche zurück. Dort, wo Gegenden inzwischen nicht entvölkert sind, dominiert weiter Großgrundbesitz, der die unmittelbare Macht auf dem Lande ausübt. Die vielen und großen Fiskalgüter des Römischen Reiches hingegen werden wohl weitgehend vom neuen Königtum übernommen, woraus die Könige ihren Reichtum beziehen und ihre Gefolgschaften beschenken werden.

 

In der Merowingerzeit kommt es auch zu neuem großem Grundbesitz. Dem Testament des Bischofs Bertechramnus von Le Mans von 616 lässt sich entnehmen, dass sein Besitz mehr als 300 000 Hektar Grund und Boden umfasst. Das sind 120 Güter vor allem in der Gegend von Le Mans, aber auch "in 20 civitates in Neustrien, Aquitanien, Burgund und in der Provence, von der Bretagne bis zu den Pyrenäen. (...) Das Testament belegt die Existenz verschiedener Wirtschaftsformen, Einzelgehöfte (villae rusticae), (fundi, massae), Großgüter mit Sklavenwirtschaft und Pachthöfe abhängiger Bauern (colonicae)." (GoetzEuropa, S.183f)

 

In der späteren Kaiserzeit hatte sich das Klima verschlechtert, es gab niedrigere Temperaturen. Statt Weizen wird darum nun Roggen, Dinkel, Emmer und Hirse angebaut, von denen die letzteren nach der Ernte auch noch entspelzt werden müssen. Dabei sinkt insgesamt der Ertrag.

 

Die Germanen lebten wohl einst auf Einzelgehöften mit eigenen Äckern in kleinen Weilern, die Wald und Weide als Gemeinbesitz hatten. Ihr Haupt-Nahrungserwerb war die Viehzucht. Bis sie sich in Teilen des weströmischen Reiches niederlassen, hat zumindest eine Oberschicht bereits Annäherungen an Elemente römischer Zivilisation erreicht.

 

Die Übernahme der römischen villa mit ihren Latifundien durch die neuen weltlichen Herren wird schon im Verlauf der Merowingerzeit ergänzt durch die durch die adelig geprägte Bischofskirche und die von der fränkischen Oberschicht übernommenen Klöster. Im Verlauf der Nachantike bis in die Schwellenzeit hinein werden insbesondere letztere zu den wesentlichen Landbesitzern - durch sich oft fromm gebende Schenkungen und Erbschaften, die spätestens im 10. Jahrhundert dann bei den Kleinbauern des öfteren auch aus der Not geboren sein werden.

 

Im Grunde genommen versuchen Franken, Burgunden, Visigoten und bald auch Osthrogoten, das römische Imperium in ihren Bereichen soweit als möglich weiterzuführen und ihre Könige lassen sich dafür zunächst einmal vom oströmischen Cäsaren legitimieren. Die alte Nobilität bleibt zum Teil bestehen und beruht weiter auf Großgrundbesitz mit dazugehörigen abhängigen Bauern und Sklaven und wird nun durch eine germanische Oberschicht ergänzt. Darunter positionieren sich eingewanderte Freie mit neuem, manchmal größerem Grundbesitz.

 

Wem gehört das Land? Es gibt keine brauchbaren Karten und keine Kataster, aber besonders die Klöster entwickeln eigene Aufzeichnungen (Urbare). Im Grunde geht alle Verfügung über das Land vom König aus, so wie heute vom Staat. Es gibt nicht nur verliehenes Land, sondern auch Eigentum. Manche Bewohner besitzen so Land als allod und haben darüber hinaus Land, welches ihnen verliehen wurde. Besitz von und Verfügung über Land sind extrem ungleich verteilt, wie in allen Zivilisationen, und nicht wenige besitzen davon gar nichts.

 

Voraussetzungen: Das Kolonat

Der colonus ist zunächst der Ackerbauer im Unterschied zum Hirten, dem pastor. Daraus wird in der Kaiserzeit der bäuerliche Kleinpächter auf Großgrundbesitz, insbesondere auf kaiserlichen Domänen. Dazu wird er, wenn er mit einem Grundeigentümer (patronus oder dominus) einen kündbaren Pachtvertrag abschließt. Nun muss er den Boden bebauen und einen Pachtzins erbringen und darf das Land nicht in der vereinbarten Pachtzeit, zunächst meist fünf Jahre, verlassen. 

Der Steuerdruck auf dem Herrenland wächst, und überhaupt ist der Herr an dauerhaften Einnahmen aus seinem Besitz interessiert, weshalb er spätestens im vierten Jahrhundert (n.d.Zt.) immer mehr durchsetzen kann, dass der Kolone an seine Scholle gebunden wird und auch damit seine rechtliche Situation schlechter wird. Zuerst auf kaiserlichen Gütern wird er damals vom Staatsdienst ausgeschlossen und darf nur noch heiraten, wen und wenn dadurch seine bäuerlichen Leistungen nicht eingeschränkt werden. Das wird dann auf die anderen Latifundien übertragen, wobei sie nun nur noch untereinander heiraten dürfen, und auch so die Nachkommenschaft an das Kolonat des Patrons gebunden werden kann. Vom Kolonat freie Bürger/innen dürfen nicht mehr rechtsgültig geheiratet werden, und Kinder aus solchen Beziehungen werden Arbeitskräfte des Herrn.

Das Klagerecht gegen den Herrn wird etwas später eingeschränkt, und sie können nur noch bei grundherrlicher Zustimmung über ihr persönliches Eigentum verfügen. Damit wird das Kolonat am Ende so etwas wie ein mit der Geburt erworbener Stand, bzw. Rechtsstatus, wie er jetzt auch für Soldaten, bestimmte  Handwerker und Händler gilt.

Schließlich wird wenig vor dem Ende des Westreiches die Bindung an den Boden durch die an den Grundherrn ergänzt und zunehmend ersetzt. Man betont zwar weiter, dass Kolonen keine Sklaven seien, sondern Freie, aber sie nähern sich immer mehr deren Status an.

 

Auf dieser Stufe geht das Kolonat in das neue fränkische Reich der Merowinger ein und existiert dann, sich weiter verändernd, bis in die Karolingerzeit. Formen sich weiter entwickelnder Abhängigkeit der bäuerlichen Bevölkerung werden dann bis ins 18./19. Jahrhundert Bestand haben, worauf Bauernbefreiung dann im Rahmen der Industrialisierung und einer neuen Phase des Kapitalismus den Ruin bäuerlicher Landbewirtschaftung einleiten wird.

 

Voraussetzungen: Das Patronat

Eine Art Patriarchat ist durchgehendes Strukturelement der ganzen antiken Welt vom pater familias bis zum princeps. Darin engebettet ist das Patronat (patronatus, patrocinium), welches sich in die offizielleren formalrechtlichen Strukturen in recht unterschiedlicher Ausgestaltung einfügt. Es ist im antiken römischen Recht die Bezeichnung für die Stellung eines Herrn als Patron (patronus) und damit als  Schutzherr und Vertreter gegenüber seinen Freigelassenen und Schutzbefohlenen, der Klientel, zu denen er in einem gegenseitigen Treue-Verhältnis steht und deren Interessen er auch vor Gericht vertritt. Patron kann man auch zum Beispiel für eine Stadt sein, so wie dann auch ein Heiliger Patron einer Kirche oder eines ganzen Ortes sein kann.

 

Der Klient hat einen weitgehenden Gehorsam für seinen Patron zu leisten, ihm gelegentlich seine Aufwartung zu machen, den Patron auf seinem Morgenspaziergang zu begleiten und überhaupt die Größe seines Gefolges öffentlich zu verdeutlichen. Er zollt den öffentlichen Reden seines Patrons Aufmerksamkeit und fleißig Beifall und wählt ihn brav in Ämter.

Der Patron wiederum vertritt ihn nicht nur vor Gericht, sondern versucht ihm auch sonst Vorteile zu verschaffen. Er setzt also seine Macht und seine Beziehungen ein, um für den Klienten Vorteile zu erwirken und seine sonstigen Verpflichtungen zu verringern. Er bezahlt oftmals an die Klienten kleinere Beiträge (sportulae), mit denen sie Teile ihres Lebensunterhaltes finanzieren können oder gibt seltener auch größere Geschenke. Allgemein konnte sich der Klient mit seinen großen und kleinen Problemen an den Patron um Hilfe wenden. Es ist für einen Klienten günstig, einen möglichst mächtigen, wohlhabenden und einflußreichen Patron zu besitzen.

 

Die in der ersten Hälfte der Kaiserzeit noch recht bedeutende Zahl an Sklaven nimmt danach langsam etwas ab. Ein Vorgang in diese Richtung ist die Freilassung, vor der der Unfreie sich mit einem Eid auf zukünftige Leistungen für den Herrn als seinem patronus verpflichtet: Dazu gehört ein Teil seines Besitzes und bei fehlendem Erben im Todesfall dieser insgesamt. Zudem gibt es ein gewisses Recht, bei Heirat mit jemandem, der einem anderen Patron verpflichtet ist, die Zustimmung verweigern zu können oder aber dafür Geld zu verlangen. Indem dann die Erblichkeit der Beziehung von Patron und libertus ausgeweitet wird, leidet die Vorstellung von "Freiheit" immer mehr am Herrenrecht. (Erdres, S.32)

 

Einen Sonderfall stellen im Römerreich seit Konstantin die Freilassungen in der Kirche, d.h. in den Kirchengebäuden dar, die auch an Sonntagen erlaubt werden und der Kirche erlauben, solche rechtskräftige Handlungen ähnlich wie der weltliche Arm vorzunehmen. Und hier beginnt dann die Kirche Patron dieser Bevölkerungsgruppe zu werden.

 

Patronat trifft im Merowingerreich auf germanisches, ebenfalls auf Macht und Gewalt zielendes Gefolgschaftswesen. Dabei verbindet sich beides nach und nach, ähnlich wie römische und volksrechtlich-germanische Vorstellungen in einem langen Prozess zusammen kommen. 

Dabei verbindet sich zudem das spezische Patronat über die Freigelassenen (liberti) mit dem Herrenrecht über freigelassene und andere abhängige Bauern. Dabei geht die römische Kopfsteuer für den Kolonen, deren Verantwortung auf den Grundherrn übertragen wird, zunächst wohl im Merowingerreich in die Pflicht des Grundherrn über, sie für die Krone einzutreiben, woraus sich dann im Laufe der Zeit bis ins 7. Jahrhundert die Verwandlung in den Kopfzins für den Grundherrn selbst entwickelt.

 

In den ehedem römischen Gebieten der frühen Nachantike dürften die überkommenen Rechtsvorstellungen weiter gültig sein, und zwar für romani wie überhaupt für die Kirche. In der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts ist zum Beispiel für das patrimonium Petri Patronatsgewalt sowohl über Freigelassene wie Kolonen belegt (Erdres, S.27ff)

 

Die Kirche gehört zum Ende des Westreiches zu den größten Grund- und Sklavenbesitzern. Sie erklärt die Sklaverei zwar nicht für unchristlich, die Freilassung von Sklaven aber für grundsätzlich frommes Werk. Besonders fromm ist es, Freigelassene dem lokalen Heiligen bzw. seinem Altar zu übergeben. Wenn die Kirche Schenkungen erhält, werden die (einst) Freigelassenen samt ihren Verpflichtungen bald als Inventar mit gegeben. "Hier erscheinen die Freigelassenen bereits vollständig mit den Güterkomplexen verwachsen, die dann an die Kirche übergeben wurden." (Erdres, S.41)

In den ehedem römischen Gebieten geht es dabei immer weniger um persönliche Bindungen, sondern um wirtschaftliche Interessen, aber servi, nunmehr liberi, werden auch von Kirchenherren testamentarisch freigelassen, um nun deren Totengedenken zu dienen. (Erdres, S.46) Zudem wird auch versucht, nicht der Kirche gehörende Sklaven mit der Freilassung in das kirchliche Patronat übergehen zu lassen, wenn diese in der Kirche geschieht. Dagegen wendet sich aber die weltliche Gewalt, anders als im östlichen Reichsteil.

 

Besondere Regelungen enthält das ribuarische Recht des siebten Jahrhunderts für die Rheinfranken, welches ganz im Gegensatz zum römischen Recht seit Konstantin die Freiheit des von der Kirche Freigelassenen nicht mehr als die des römischen Bürgers definiert, sondern als die eines von seinem Herrn aus wirtschaftlichen Gründen immer Abhängigeren. Enthalten ist zudem eine tendenzielle Gleichstellung königlicher Fiskalinen und kirchlich-klösterlicher (ehedem) Freigelassener. Das gilt zumindest auch für Alemannien und seit dem achten Jahrhundert auch für Bayern. Die Verbreitung der Zensualität als allgemeinere Einrichtung wird sich darum vorwiegend auf (spätere) deutsche Lande beschränken.

Esders betont drei Ursachen: Die Bedeutung der Freilassung für die Sündenvergebung, ihre Bedeutung für das Totengedenken und die steigende Bedeutung von Rechtsakten "über dem Altar" mit dem ansteigenden Heiligen- und Reliquienkult. Später wird dann der Kopfzins am Tag des Patronatsfestes des Heiligen erbracht. (Esders, S.61ff)

 

Vom Sklaven über die persönlich von einem Herrn Abhängigen bis zum persönlich freien Produzenten werden sie fast alle in einem mehr als ein halbes Jahrtausend andauernden Vorgang in einen gemeinsamen Stand integriert, der als laboratores bezeichnet wird, also als Arbeiter, darunter die meisten als rustici, also Bauern. Wenn man die Zeit bis noch etwas weiter in die Zukunft überblickt, kann man feststellen, dass das in einen Vorgang zunehmender Kommerzialisierung eingebettet ist, der in die Anfänge von Kapitalismus hinein führt.

 

Kontinuität und Neuanfänge

Gegen Ende des 3. Jahrhunderts beginnt das Schrumpfen der Bevölkerung im römischen Gallien. Es wird vermutet, dass es teilweise bis ins 6. Jahrhundert anhält. Aber irgendwann wächst die Bevölkerung nach Stabilisierung der Machtverhältnisse langsam wieder und soll sich sogar innerhalb von vier Jahrhunderten verdoppeln. In einigen wenigen dichtbesiedelten Gebieten des Karolingerreiches soll am Ende eine ländliche Bevölkerung von 40 Menschen auf einen Quadratkilometer erreicht worden sein, zum Beispiel im Großraum um Paris. Solche Zahlen bleiben allerdings sehr vage Schätzungen.

Während der Merowingerzeit müssen große Teile des Landes neu besiedelt und zugleich von neuen Besitzverhältnissen durchzogen werden. Dabei muss auch neu entstandene (sekundäre) Naturlandschaft wieder zurückgedrängt werden, wodurch nach und nach das potentiell ertragreichere Kulturland wieder in Menschenhand gerät.

 

Der Verfall von Staatlichkeit und der antiken Stadt entlasten das Land und mit dem Untergang eines Teils der antiken Latifundien nimmt wohl zunächst ein freies, von Kleinfamilien gestütztes Kleinbauerntum zu, welches eine wesentliche Voraussetzung für Wachstum auf dem Lande wird. Vorantreiben werden das Wachstum aber vor allem die nachantiken Kleindomänen, deren Herren als neue ländliche Oberschicht nun vor Ort leben und ein direktes Interesse an der Bewirtschaftung des Bodens entwickeln, anders als die antiken stadtsässigen Latifundienbesitzer. Deren direkte Nachfolger, die hohen Herren von Kloster, Kirche und weltlichem Hochadel, tun hingegen oft bis weit in die hier so genannte Schwellenzeit des 10. Jahrhunderts wenig gegen die relative Ineffizienz ihrer weit verstreuten Besitzungen.

 

Die Masse der Bevölkerung lebt auf dem Lande, und zwar als vicini (dem noch heutigen spanischen vecinos) in villae, die man als Weiler (Gehöftgruppen einer Dorfmark) verstehen kann und vielleicht nicht als Dörfer übersetzen sollte. In karolingerzeitlichen Urkunden erkennt Staab am Beispiel von Dienheim einen Weiler aus Grundherren und von ihnen abhängigen bzw. unfreien Arbeitskräften, der bis in die Merowingerzeit zurückgehen soll. (Staab, S.263ff)

 

Im Lauf der Zeit gelingt es in manchen Gegenden wie im Zentrum Neustriens insbesondere klösterlichen Grundherrn, ganze Dörfer in ihren Besitz zu bekommen, anderswo teilen diese sich auf mehrere Grundherrn und eine abnehmende Zahl freier, landbesitzender Bauern auf. Schließlich bleiben insbesondere in Austrien vorläufig auch sich selbst verwaltende Dörfer mit überwiegend freien Bauern übrig.

 

Der merowingische Bauernhof mit seiner Konzentration auf Viehzucht ist klein  und umfasst kaum mehr als 2-4 ha. Die dürftigen Quellen lassen vieleicht vier Pferde und ebenso viele Kühe, 14 Schweine und 28 Schafe als Mittel zu (Klaus Herrmann in Bayerl, S.47). Eine wesentliche Veränderung in karolingischer Zeit wird die Zunahme des Getreideanbaus und damit verbundene Verringerung der Viehzucht sein.

 

Das Leben und Arbeiten der allermeisten findet von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang statt und besteht im wesentlichen aus produktiver Arbeit, die das (Über)Leben sichern muss. Produktion für einen Markt nimmt erheblich ab und vielleicht auch insgesamt die Produktivität. Elementare Selbstversorgung ist für die meisten das Gebot der Stunde, und am besten geht es denen, die dafür möglichst viele Fertigkeiten entwickeln.

Gearbeitet wird sechs Tage die Woche und aus Not wird vor allem auf dem Lande, wo nun fast alle leben, auch schon mal das Gebot der Sonntagsruhe samt Kirchenbesuch gebrochen. Feste wiederum sind an das Kirchenjahr gebunden.

 

Die Menschen leben regulär in Ehe und (Klein)Familie, einer Arbeits- und Versorgungsgemeinschaft vor allem. Geheiratet wird nach den jeweiligen völkischen Traditionen, wobei Unfreie der Genehmigung ihrer Herren bedürfen. Die Kirche hält sich wohl deshalb weitgehend heraus, weil das (lustvolle) Ausleben des Geschlechtstriebes Sünde ist, andererseits aber für die Laien unumgänglich. Entsaprechend gibt es für die Merowingerzeit auch die Scheidung betreffend keine kirchlichen Auflagen.

 

Von der Welt um ihren engen Erfahrungsraum herum erfahren diese Menschen vielleicht sporadisch von Pilgern und reisenden Händlern. Über tradiertes "Wissen" setzt sich die Propagierung von Religion und Herrschaft durch Priester, die aber erst langsam im Verlauf der Nachantike über Pfarrkirchen überhaupt Zugang zur Landbevölkerung bekommen. Über die Geschichten, die sich Leute untereinander erzählen, wölbt sich dann ein Horizont biblischer Geschichten, soweit Priester von solchen überhaupt Kenntnis haben. Dabei wird kaum zwischen jüdischen und christlichen Sagen und Legenden unterschieden.

 

Welt darüber hinaus erleben Freie als Krieger bei oft weit ausgreifenden Kriegszügen, bei denen sie Herrscher aus der Gegend von Paris bis nach Thüringen, Friesland oder Alemannien bringen. Wir erfahren kaum, was sie dann daheim von ihren grausigen Heldentaten erzählen. In den stark geschrumpften Städten erfährt man vermutlich mehr von solcher "großen, weiten, Welt", aber auch davon wissen wir heute kaum etwas.

 

Die Menschen ernähren sich nördlich des Mittelmeerraums in den neuen Reichen vor allem von Viehzucht, Gartenbau und Waldbewirtschaftung, bis dann in der späten Nachantike der von Historikern so genannte Vorgang der "Vergetreidung" einsetzt, in dem nach Dinkel nun Roggen und Weizen einen Teil des Fleisches ersetzen und die Bedeutung des Ackerbaus für die Herstellung von Getreidebrei und Brot zunimmt. Hungersnöte werden regelmäßig durch Naturkatastrophen oder marodierendes Militär hervorgerufen.

Getrunken wird Wasser und Met, der dann oft selbst gebrautem Bier weicht und in manchen Gegenden weiter auch Wein.

 

Was wir erahnen können ist, dass die meisten Menschen damals zumindest auf dem Lande viel mehr Individuen sind und als solche wahrgenommen werden, als das heute im von Massenmedien gesteuerten Konsumismus der Fall ist. Sie sind in ihrem Alltag viel mehr allein gelassen und sich selbst überlassen.

Zwar werden sie nach und nach kirchlicher Propaganda ausgesetzt, aber was sie damit jenseits anfangs seltener öffentlicher Rituale anfangen, bleibt ihnen weitgehend selbst überlassen und interessiert die Herren nicht.

Ähnlich sich selbst überlassen sind sie auch in ihrer Arbeit, deren wesentliche Regulierung bei den abhängig Beschäftigten in gelegentlichen Diensten und Abgaben besteht, Jenseits davon organisieren sie ihre (mühevolle) Arbeit wohl eigenständig.

 

 

An der Mosel treten im 7. Jahrhundert bereits Siedlungen in Dorfgröße auf wie Mehring mit seinen etwa 165 Siedlern und darunter 65 Freien (Anton/Haverkamp, S.55).

In Neustrien und insbesondere im Großraum um Paris geraten früh ganze Dörfer unter die Kontrolle von Grundherrn wie zum Beispiel von Saint-Germain-des-Prés. Um 820 ist dieser Vorgang in einem Dorf wie Palaiseau mit seinen 117 Bauernhöfen und rund 700 Einwohnern abgeschlossen. Anderswo existieren mehrere Grundherren in einem Dorf, und es gibt freie und unfreie Bauern nebeneinander.

Für zwischen 693 und 797 ist die Situation im elsässischen Goersdorf in den Urkunden des Klosters Weißenburg dokumentiert geblieben, welches dort nach und nach durch Überschreibung.und Rückgabe als Prekarie die Kontrolle über immer mehr Bauernstellen gewinnt. Zunächst teilt es sich diese mit dem Herzog des Elsass und einem weiteren großen Herren (Sigibald). Daneben gibt es freie größere und auch kleinere Bauern, aber von den letzteren werden die meisten als mancipia bezeichnet, sind also wohl unfrei. Man baut dort Getreide und Wein an, betreibt Viehzucht und nutzt das Holz des Waldes.(Wickham(3), S.207)

 

Dokumentiert in den Urkunden ist vor allem der Übergang von Bauern in die Grundherrschaft, deshalb wissen wir heute sehr wenig über Dörfer mit überwiegend freien und landbesitzenden Bauern, die es aber in manchen Regionen zunächst wohl überwiegend gegeben haben muss. Sie regeln ihre Angelegenheiten und Konflikte selbst, wobei sie in Landbesitzer und Pächter, Reichere und Ärmere differenziert sind.

Solche freie Bauern müssen zwei Pflichten gegenüber der Machthierarchie genügen: Sie müssen sich an Gerichtssitzungen zumindest durch Anwesenheit beteiligen und sie sind verpflichtet, Heerdienst zu leisten.

 

Kleinere (freie) Bauern, die bei Gregor pauperes oder miseri heißen, besitzen zwar Land, Zugtiere, Karren, sogar Sklaven, sind aber vergleichsweise ohnmächtig gegenüber größeren Herren. Der freie Kleinbauer mit seiner Subsistenzwirtschaft ist darum wie vorher und nachher immer in seiner Existenz gefährdet. Im 14. Kanon der Synode von Mâcon 585 steht dazu:

Durch die Klage einiger haben wir erfahren, dass, indem die Kanones und weltlichen Gesetze mit Füßen getreten werden, diejenigen, die zum Gefolge des Königs gehören und andere, die durch weltliche Macht aufgeblasen werden, nach fremdem Gut streben, und ohne dass von ihnen eine Klage eingeleitet oder ihnen eine gerichtliche Belangung zugestanden wurde, die armen Menschen (miseri) nicht allein von den Feldern, sondern auch aus ihren eigenen Häusern vertreiben. (in: Scholz, S.157)

 

In etwa dieser Zeit schreibt Gregor von Tours über einen Kämmerer König Chilperichs I.:

Denn als er noch in Freiheit war, wurden seine Pferde und sein Vieh in die Saaten und Weinberge der armen Leute getrieben. Wenn das Vieh nun von denen, deren Arbeit es zugrunde richtete, hinausgetrieben wurde, wurden sie sogleich von seinen Leuten niedergemacht. (Gregor VII,22) Manchmal werden Bauern auch ganz vertrieben.

 

Unsere Kenntnisse der Wege freier Bauern in die Abhängigkeit bzw.  Unfreiheit sind gering. Wir besitzen in einem Formelbuch das Vorbild für Texte, in denen sich Bauern einem Herrn übergeben. Darin heißt es, dass soundso seine Verpflichtungen nicht mehr zahlen kann...

... deshalb habe ich beschlossen, dafür den Stand meiner Freiheit Euch unterwürfig zu machen, derart, dass ich mich von diesem Tage an aus Eurem Dienst mich durchaus nicht begeben werd, sondern ich gelobe, auf Euren und Eurer Beamten Befehl alles zu tun, was Eure übrigen Knechte tun. (in: Franz, S.17)

 

 

Die Antike wie auch die Nachantike basierte nicht unwesentlich auf Sklavenarbeit. Der Nachschub kommt bis durch die Nachantike bzw. das frühe Mittelalter aus Kriegen und anderen Überfällen wie auch Piraterie und - wohl in deutlich geringerem Maße - aus Verkauf von Kindern aus Armutsgründen. Mit Sklaven wird ein schwunghafter Handel betrieben, wobei es eine Anzahl zentrale Sklavenmärkte wie in Prag oder Mainz gibt.

 

Schon für das 7./8. Jahrhundert sind Urkunden überliefert, in denen Großgrundbesitzer einzelnen Sklaven die Ehe mit Freien erlauben und deren Kindern in Einzelfällen bereits die "Freiheit" versprochen wird. Solche Befreiung kann dann mit der Übergabe eines Mansus oder eines kleineren mansellus verbunden sein. In einem Urkundenformular des Mönches Marculf von 690 heißt es dann über diese Kinder: ihnen sei an Habe zugestanden, was immer sie erarbeiten mögen, allerdings müssen sie jährlich die auf den Boden bezogenen Abgaben, wie es Brauch ist für Freie, leisten (...in: Kuchenbuch, S.92).

 

Technische Intensivierung entwickelt sich sehr langsam, dafür beginnt schon zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert jene Extensivierung vor allem durch Rodung, in der einzelne große Waldgebiete auf Reste in einer immer agrarischer geprägten Landschaft reduziert werden - und mit ihnen immer mehr Tierarten. In einer ersten Phase werden seit dem Ende des 3. Jahrhunderts verloren gegangene Nutzflächen zurückgewonnen, aber schon in der Karolingerzeit nimmt wohl auch Rodung nie zuvor intensiver genutzter Waldflächen zu. Vermutlich wird sie in Gallien nach dem 11. Jahrhundert nie mehr aus landwirtschaftlichen Gründen in diesem Umfang betrieben werden.

Praktisch gibt es wohl zwei Wege zu dieser Gewinnung neuer Nutzflächen. Entweder lassen Latifundienbesitzer oder Großbauern Sklaven diese Arbeit verrichten, oder aber sie beauftragen Kolonen oder freie Bauern damit und sichern ihnen dafür einen Anteil, wohl oft die Hälfte, als ihr Besitztum zu. Weniger "legaler" Raubbau an Wäldern und Feuchtwiesen wird wohl aus Eigeninitiative kleiner freier Bauern hervorgehen.

 

Vermutlich (wichtigste Qualifizierung von Äußerungen bis ins 10. Jahrhundert) setzt das durch Einführung technischer Neuerungen hervorgerufene Wachstum in der Landbewirtschaftung schon in der Karolingerzeit punktuell ein. Der Ackerbau ist zunächst extensive und knochenharte Zweifelderwirtschaft aus bewirtschafteter Fläche und Brache, wobei Ochsen Hakenpflüge ziehen, die in die Erde gedrückt werden müssen und manchmal vorne auch Räder besitzen (die carrucae). Erste hölzerne Beetpflüge, die die Schollen umwenden und das Pflügen in nur einer Richtung und nicht mehr Querpflügen ermöglichen, kommen wohl lokal seit dem 7. Jahrhundert an wenigen Orten Mitteleuropas auf, bleiben aber lange noch sehr selten.

 

Die einzige, aber enorm wichtige Maschine der Nachantike stellt die Mühle dar, die es als Wassermühle schon im antik-römischen Kaiserreich gibt. Weitere Verbreitung scheint sie erst in der Karolingerzeit zu bekommen, und es gibt sie manchmal auch dort, wo es keinen bedeutenden Großgrundbesitz gibt (Bois, S.141).

 

Ziel sowohl der großen wie der kleinbäuerlichen Betriebe ist eine relativ große Autarkie, also Selbstversorgung. Ausgenommen ist bei den freien Kleinbauern der Mühlenbetrieb, aber vielfach wird hier das Mehl noch im Haushalt selbst gemahlen. Zudem sind Schmiede und Töpfer wohl regulär ausgegliedert. Dafür werden Textilien sowohl auf dem großen Gutshof wie bei den Kleinbauern selbst hergestellt, und zwar oft aus Leinwand, die am stehenden Gewichtswebstuhl gewebt wird, oft in einfachen Gruben-Webhäusern, wie Morrissey für Alemannien beschreibt:

"Die Kettfäden hängen hier senkrecht herunter und sind an ihrem Ende mit Webgewichten beschwert, um die zum Weben nötige Spannung zu erhalten. Der Schussfaden wird manuell eingebracht und mit einem Webschwert nach oben angeschlagen. (...) Das kühlfeuchte Raumklima in den Grubenhäusern sorgte dafür, dass das Leingarn nicht austrocknete und nicht so schnell riss. Vermutlich hatte fast jeder größere Hof eine solche Webhütte, denn Stoffe dürften in Heimarbeit - vorwiegend in der kalten Jahreszeit - hergestellt worden sein." (MorrisseyC, S.72/74)

 

Eingebunden ist die Situation des Bauerntums wie überall seit der Bronzezeit in die Entwicklung der Kriegsführung. Das fränkische Heer ist zunächst im wesentlichen ein Heer freier Bauern. Dabei besteht das merowingische Heer wohl überwiegend aus Fußtruppen, von dem die kleine berittene Oberschicht nicht einmal in den Waffen sehr abweicht. Man steigt wahrscheinlich vom Pferd, wenn es zum Kampf kommt und mischt sich mit Gregors multitudo rustica. (Fleckenstein, S.33)

 

Die Bevölkerung im Pagus ist auf den Schutz des Herren in der Villa angewiesen (Erat enim villa in pago Vabrense, Gregor IX,12) und auf den bischöflichen und gräflichen Schutz. Der König ist in der Regel weit weg. Villen können Königsgut sein, Kirche oder Kloster gehören, königlichen Amtsträgern oder anderen Grundherren.

Die Bevölkerung des Vicus ist für ihren Schutz manchmal auch auf die mehr oder weniger befestigte Stadt bezogen. Zum vicus wird ein Weiler im übrigen durch die Errichtung einer Kirche, einer Pfarrkirche, die bei Gregor ecclesia heißt (Weidemann 2, S.97)

 

 

Das Land im Reich der Karolinger

 

Der Herrschaftsraum der Karolinger ist im wesentlichen ländlich-agrarisch geprägt, wohl rund 95% der Bevölkerung sind Bauern. Ausgenommen ist der Mittelmeerraum, wo es ausgeprägtere Stadtlandschaften gibt, zum Beispiel in der Provence oder der Poebene. Karls Germania, also vorwiegend die von Merowingern und Karolingern unter fränkische Aufsicht gebrachten rechtsheinischen Gebiete, teilt sich in den teilweise romanisierten Süden und Westen und die ganz anderen sächsischen, hessischen und thüringischen Gebiete, die noch zu nicht geringem Teil aus Waldland, Sümpfen und ähnlichem bestehen.

 

Bislang kamen die meisten Menschen im Karolingerreich in diesem Großkapitel kaum vor. Das liegt nicht nur daran, dass sie in den uns heute vorliegenden Text-Quellen, geschrieben von meist höheren geistlichen Herren, nur sehr wenig Beachtung finden, sondern auch, dass sie im Machtspiel der Herrenschicht nur eine rein dienende Rolle einnehmen, und dort, wo sie da (selten) ausbrechen, sofort bestraft werden.

Die wichtigste, ja fundamentale Aufgabe fast aller dieser vielen Menschen ist es, Nahrungsmittel zu produzieren, um damit sich selbst und vom erstrebten Überschuss ihre weltlichen wie geistlichen Herren zu ernähren. Darüber hinaus gibt es eher wenige handwerkliche Spezialisten, die sowohl für die Bauern (die laboratores oder rustici) wie für die Herren Waren herstellen. Schließlich gibt es noch Händler, die zwischen Produktion und Konsum vermitteln und Waren auch von weither, meist Luxusgüter, heranschaffen.

Dies alles geschieht auf einem so niedrigen Niveau, dass sich daraus noch kein Kapitalismus entwickeln kann, ja, es gibt auch nur ganz wenige Kapitaleigner, und diese nur im Bereich des Fernhandels. Das Reich bzw. die Reiche der Karolinger sind ländlich-agrarisch geprägt, Pfalz, Kathedrale und Kloster ragen schon alleine baulich wie Inseln daraus hervor.

 

 

Grundherrschaft

 

Der Verfall von Staatlichkeit und der antiken Stadt hatten zunächst das Land entlastet und mit dem Untergang eines Teils der antiken Latifundien entsteht mehr freies, von Kleinfamilien gestütztes Kleinbauerntum, welches eine wesentliche Voraussetzung für Wachstum auf dem Lande wird. Vorantreiben werden dieses entsprechend vor allem die nachantiken Kleindomänen, deren Herren als neue ländliche Oberschicht nun vor Ort leben und ein direktes Interesse an der Bewirtschaftung des Bodens entwickeln, anders als die antiken stadtsässigen Latifundienbesitzer.

 

Gegen Ende des 3. Jahrhunderts beginnt das Schrumpfen der Bevölkerung im römischen Gallien. Es wird vermutet, dass es teilweise bis ins 6. Jahrhundert anhält. Aber in der Merowingerzeit wächst die Bevölkerung nach Stabilisierung der Machtverhältnisse langsam wieder und soll sich sogar innerhalb von vier Jahrhunderten verdoppeln. In einigen wenigen dichtbesiedelten Gebieten des Karolingerreiches soll am Ende eine ländliche Bevölkerung von 40 Menschen auf einen Quadratkilometer erreicht worden sein, wie im Großraum um Paris.

 

Bisherige Forschung hat ergeben, dass wohl zwischen etwa 500 und 1000 unserer Zeitrechnung eine nicht unerhebliche Erwärmung der Luft stattfindet, die Grönland seinen grünen Namen gibt und England im 8./9.Jahrhundert mit Olivenbäumen versieht. Damit kann bis höher nach Norden Weizen wachsen und bis in größere Höhenlagen Roggen.

 

 

Bis zur ersten Jahrtausendwende verschwinden die Höfe vieler kleiner freier Bauern und geraten unter die Machtvollkommenheiten von Herren der villae. Gemeinhin wird heute angenommen, dass das Überhandnehmen der Getreidewirtschaft gegenüber der Viehzucht seit dem 8. Jahrhundert die Unterwerfung der Bauern unter Herren weiter vorantreibt. Da der Getreideanbau arbeitsintensiver ist, sind Bauern immer unabkömmlicher von ihren Höfen und fallen darum für den Kriegsdienst als bewaffnete Reiter aus (Max Weber, Otto Brunner).

Die freien Bauern sind ursprünglich die Basis des fränkischen Heeres. Das ändert sich langsam, als gepanzerte und schwerer bewaffnete Reiter immer wichtiger werden. 807 bestimmt Karl ("der Große"), dass nur noch selbst Heeresfolge leisten muss, wer mindestens drei Hufen oder ein Lehen besitzt. Die anderen müssen sich miteinander verbinden, um noch einen Mann in den Krieg zu schicken.

Schon in Kapitularen Karls d.Gr. wie von 811 wird beschrieben, dass der Weg in die bäuerliche Abhängigkeit zum Beispiel mit der Vermeidung des Kriegsdienstes beginnt, oder aber der Annektierung bäuerlichen Landes durch den Herrn während des Kriegsdienstes. Dazu kommt das Argument des örtlichen Schutzes durch den Grundherrn vor Räubern und anderem Gesindel, die Hoffnung darauf, bei nicht seltenen Ernteausfällen und anderen Hungersnöten von den größeren Ressourcen des Grundherrn durchgefüttert zu werden und manches mehr.

Die Tendenz von Grundherrn, freie Bauern auch gegen deren Willen in die Abhängigkeit, Hörigkeit (das heißt: den Gehorsam) zu bringen, kann vermutet werden, für die Zeit der Karolinger ist sie dadurch belegt, dass sich sowohl Karl ("der Große") wie auch Ludwig ("der Fromme") in Kapitularien dagegen wenden. Einem Bericht des Kaisers Karl von 811 ist zu entnehmen, dass es auch Druck und Gewalt gibt, mit denen Herren Bauern enteignen:

Die Armen (pauperes) klagen, sie würden aus ihrem Eigentum vertrieben; und diese Klage erheben sie gleichermaßen gegen die Bischöfe, Äbte und deren Vögte wie gegen die Grafen und deren Centenare.

Sie sagen auch: wenn jemand sein Eigen (proprium suum) dem Bischof, Abt, Grafen, Richter oder auch dem Amtmann oder Centenar nicht geben will, suchen sie Gelegenheiten, diesen Armen zu verurteilen und ihn immer wieder gegen den Feind ziehen zu lassen, bis er, verarmt, sein Eigentum wohl oder übel übergibt oder verkauft; andere aber, die es schon übergeben haben, bleiben ohne Belästigung durch irgendjemand zu Hause. ( in: Franz, S.72)

In einem Kapitular Karls desselben Jahres heißt es:

Es ist auch zu fragen, ob der der Welt entsagt, der täglich seinen Besitz auf jede Art und Weise vermehrt und davon nicht ablässt (...) bald durch Androhung der ewigen Strafen der Hölle und im Namen Gottes oder irgend eines Heiligen den Reichen wie den Armen ihrer Güter beraubt und deren Erben um ihr rechtmäßiges Erbe bringt (in: Franz, S.74) Dennoch wird der Edle Ratolf 839 seinen Besitz samt Eigenkirchen und Menschen dem Hochstift Freising übergeben, damit sein Erbe unter die ewigen Himmelsschätze vor Gott, der lebt und herrscht, gerechnet werde. (in: Franz, S.106) Ein gewisser kirchlicher Druck ist dabei zu vermuten.

Das ist alles sehr deutlich, nur besitzt der Kaiser kaum Mittel, die Unterwerfung freier Bauern unter das Joch von Kirche und Kloster zu verhindern. Solche Vorgänge sind aber im Detail erst später in Quellen belegt.

Bauern können zunehmend ihre Freiheit nicht mehr selbst verteidigen und fallen damit unter den "Schutz" von kriegerischen Herren. Wer produktiv arbeitet, tut dies nun auf herrschaftlichem Grund und Boden.

 

Große Grundherrschaft wird nun immer dominanter. Der Form nach ist Grundherrschaft zunächst gegenüber halbfreien Bauern wie die Vasallität eine persönliche Beziehung auf Gegenseitigkeit und zum gegenseitigen Vorteil, allerdings mit einer ausgeprägter vertikalen Machtstruktur. Tatsächlich bedeuten die Verhältnisse innerhalb der familia des Grundherrn jedoch große Vielfalt von Formen der geringeren oder größeren Unfreiheit.

 

Nach und nach bildet sich mancherorts, besonders im fränkischen Kernland der Francia, die heute so genannte Villifikationsverfassung heraus, mit ihrer Trennung in den Herrenhof (villa) und die auf ihren Hufen siedelnden, vom Herrn persönlich abhängigen Bauern. Sie ist vor allem für klösterliche Grundherrschaften überliefert. Für den Adel sind Urbare erst seit dem 13. Jahrhundert überliefert.


Zentrum der Grundherrschaft ist dabei die villa oder curtis des Herrn, der Salhof, mit Wohngebäuden, Scheunen, Ställen und Werkstätten, Backhaus, Brauhaus bzw. Kelter, Spinn- und Webstuben, eventuell einem Fischteich. Wo möglich kommt dazu eine Wassermühle. Dort arbeiten Sklaven und Hörige. In den Werkstätten werden vor allem die Werkzeuge hergestellt und instandgehalten, die die Landwirtschaft braucht. Vermutlich wird dort manchmal auch für einen Markt gearbeitet. Daneben gibt es die rein weiblich besetzten Textilwerkstätten in Frauenarbeitshäusern, geniciae; um 810 sind es beim Hof Staffelsee in Bayern 24 Frauen, die vor allem mit Leinen und Wolle arbeiten: Es gibt daselbst ein genitium, in dem sich 24 Frauen aufhalten. Wir fanden darin 5 wollene Gewänder mit 4 Gürteln und 5 Hemden. (in: Kuchenbuch, S.114) 

Solche häufiger anzutreffenden Frauenhäuser bieten bei großen Anwesen auch schon einmal Überschüsse für den Markt an. Die Hörigen bzw. Sklaven, die ganz dort arbeiten, servi non casati, hausen in einfachen Hütten, oft mit ein wenig Gartenland versehen.

 

Dieser Hof (lat. curtis) mit gelegentlich um die 500 ha ist mit Palisaden oder bei ganz vornehmen einer Steinmauer und Türmen umgeben und befestigt. "Alles in allem gewinnen wir weniger den Eindruck eines Bauernhofes als vielmehr den eines kleinen Dorfes" (Leiverkus in LHL, S.173), allerdings eines, welches streng hierarchisch gegliedert ist.

Überliefert ist das Inventar des königlichen Hofes von Annapes bei Lille von etwa 800 mit der Besonderheit eines Königshauses aus Stein "mit dem >Königssaal< und drei Zimmern, 11 Kammern, einem Keller und zwei Vorhallen. Innerhalb der umzäunten curtis befanden sich 17 weitere, einräumige Holzhäuser, ein Stall, eine Küche, ein Backhaus, zwei Scheuern und drei Geflügelställe. Den Eingang bildete ein Steintor mit Söller, von dem aus die Anweisungen gegeben wurden." (Goetz, S.119)

 

Zur Villa gehört die eigentliche Domäne, die bei Klöstern in den nördlicheren Gegenden riesig sein kann und viel Arbeitsdienste verlangt. Östlich vom Rhein ist sie zunächst kleiner und Italien noch kleinerer und eher fragmentiert, "mit entsprechend geringeren Arbeitsleistungen von vielleicht nur zwei bis drei Wochen im Jahr." (Wickham(3), S.534f)

 

Das übrige Land des Herrn wird unter den Karolingern in Mansen oder Hufen aufgeteilt, die so groß sind, dass sie eine Familie ernähren können, zwischen einem und 10 ha meist. Dort leben die Hufenbauern, die in völlig verschiedenen Verhältnissen von Freiheit oder Unfreiheit für ihre Selbstversorgung arbeiten, zudem zeitweilig Arbeitsleistungen direkt für den Herrn erbringen und dann auch noch einen Teil ihres Ernteertrages abgeben müssen. Für die Grundherrschaft Staffelsee des Bistums Augsburg heißt das zum Beispiel: Es gehören zu derselben curtis 23 besetzte mansi ingenuiles (...) 19 mansi serviles sind besetzt. (in: Kuchenbuch, S.114). Unbesetzte Mansen, also ohne sie bearbeitende Kleinfamilie, gibt es in fast allen großen Grundherrschaften.

 

Ziel der gesamten Grundherrschaft ist insbesondere als Villifikation eine gewisse Selbstversorgung, aber eben darüber hinaus möglichst auch Produktion für einen Markt.

 

Besonders mächtige Grundherren besitzen mehrere, manchmal zwanzig oder mehr solche Herrenhöfe mit Hufenland, die weit verstreut liegen können. Der am Rhein liegende Hof Friemersheim des Klosters Werden (bei Essen) hat Salland, unmittelbares Herrenland bei fünf Ortschaften, gut 122 Hufen in zwanzig Orten, von denen die meisten allerdings nicht allzu weit auseinander liegen. An der Spitze solcher Fronhöfe steht dann ein villicus oder maior, der den Komplex für den Herrn verwaltet. Ein solcher Verwalter ist ein minister, ein selbst abhängiger Dienstmann. Aus solchen Leuten wird sich ländliche Ministerialität entwickeln.

 

"Die Grundherrrschaft des Klosters Prüm war am Ende des 9. Jh. in drei Oberhöfe, Prüm, Münstereifel und St.Goar, eingeteilt, denen insgesamt 42 Herrschaftsgüter mit über 1600 ha Ackerland und 2118 Hufen angeschlossen waren. Das Kloster St.Germain-des-Prés besaß um 820 mindestens 23 Höfe mit über 4700 ha Salland und 1150 Hufen. Das Bistum Augsburg verfügte um 800 über neun Fronhöfe mit 1507 Hufen, von denen 1427 besetzt waren." (Goetz, S.120, andere Zahlen weiter unten)

 

Über den Umfang des Grundbesitzes eines wohlhabenden weltlichen Herren erfahren wir aus der Zeit Karls d.Gr. dadurch, dass ein königlicher fidelis Otakar aus dem Wormsgau mit seiner Gemahlin Hruodswind (vielleicht, weil sie nur eine Tochter haben) nach und nach zumindest große Teile davon verschenken:

An das Kloster Fulda geht 754 ein Wingert bei Wackernheim, 772 erhalten "die Mönche außerdem einen Herrenhof mitsamt einem Haus, das er selbst bewohnte, dazu die Hälfte seines Eigentums, das er in Wackernheim von seinen Eltern geerbt oder zwischenzeitlich hinzuerworben hatte, sowie die Hälfte seines Gutes in Saulheim." Allerdings alles erst nach dem Tode beider und ihrer Tochter. 774 gehen an Fulda unter derselben Bedingung "in Wackernheim eine weitere Hofstelle mitsamt Haus, einem Weingarten, einer Wiese und vier Unfreien". 775 gehen "die Hälfte von zwei Tagwerken Land" an eine zu Fulda gehörende Kirche in Bretzenheim. Dazu besitzen sie noch weitere Ländereien. (alles in und laut Patzold, S.29f). Dazu kommen jene beneficia an vier Orten, die nach dem Tode an den König zurückfallen, der offensichtlich der Bitte entspricht, sie dem Kloster Fulda zu schenken. "Allein in Mainz umfasste das beneficium 25 Hofstellen, 56 Unfreie und 16 Liten ("Halbfreie"), außerdem mehrere Weinberge." (s.o.).

 

 

Mit Karls ("des Großen")  'Capitulare de villis' von etwa 795 ist ein einzigartiges Dokument zum damaligen Großgrundbesitz erhalten.

Darin sind die Aufgaben und Pflichten der Amtmänner (iudices) auf den Pfalzen zugeordneten königlichen (Fron)Höfen (villae) mit ihrer familia der Hofleute in ihren Genizien (Frauen-Arbeitshäusern) und Hufen bis ins kleinste Detail geregelt. Das ist die Aufsicht über "Recht und Ordnung", also vor allem die niedere Gerichtsbarkeit, über die Kirche, die Arbeiten der bäuerlichen und handwerklichen Produzenten und die Erträge und Ausgaben in Rechnungsbüchern (in breve). An Dienstmannen werden der Meier (maior), der Forstmeister, der Gestütsvorsteher, Kellermeister, Vögte und Zolleinnehmer usw. erwähnt (cap.10) Ganz nebenbei wird auch deutlich, dass Alkoholkonsum üblich ist (cap.16)

Deutlich wird, dass die Meierhöfe sich möglichst autark selbst versorgen und für den Besuch des Königs dort oder in seiner Pfalz vorsorgen sollen. Überschüsse zum Beispiel von Wein oder Fischen gehen für Geld (argentum) auf den Markt und dann in die königliche Kasse und in die Kriege, denen auch die Pferdezucht dient. Angedeutet wird die Attraktivität der Märkte (mercata), denn die Hofleute sollen sich nicht müßig dort herumtreiben. (cap.54)

Angebaut wird eine Vielzahl von Feldfrüchten und Gartenprodukten, alle detailliert aufgeführt, gezüchtet werden Kühe, Schafe, Ziegen, Schweine, Hühner und Gänse. Es gibt Fischteiche und Mühlen.

Wenn Vieh für den Verzehr weniger geeignet ist, dient es den Hunden als Nahrung, womit wir bei dem königlichen Jagdvergnügen sind. Zwar soll für Landwirtschaft geeignetes Land gerodet werden, aber ansonsten soll der Wald samt Wildgehegen für die Jagd geschützt und der Wildbestand samt Pfauen, Fasanen und Enten gepflegt werden. Für die Jagd dienen neben Pferden, über die es ausführliche Bestimmungen gibt, und Hunden auch Jagdfalken und Sperber.

Eine Vielzahl von Einrichtungsgegenständen sollen vorhanden sein. Auch für diese sind eine ganze Anzahl an Handwerkern (artifices) zuständig. Welches Handwerk die Genizien betreiben, wird an der Liste ihrer Materialien deutlich. Das sind Flachs, Wolle, Waid, Scharlach, Krapp, Wollkämme, Kardendiesteln, Seife, Fett, Gefäße etc. (cap.43)

Die Genizien bestehen aus Wohnhäusern (casis), Werkstuben und gedeckten Schuppen oder Webkeller(n). Starke Zäune und feste Türen sollen wohl den unerwünschten Besuch von Männern abhalten. (cap.49)

Andere Handwerker sind Grob-, Gold- und Silberschmiede, Schuster, Drechsler, Stellmacher, Schildmacher, Fischer, Falkner, Seifensieder, Brauer (...) Netzmacher usw. (cap.25).

Das Reichsgut Karls ("des Großen") wird laut 'Capitulare de villis' von iudices für jeweils mehrere villae beaufsichtigt, die auch die Rechtsprechung über die Hörigen im Namen des Königs innehaben. Zur munt, dem Schutz der Hörigen, gehört dabei auch deren Gehorsamspflicht, denn der Grundherr übt eine Art Polizeigewalt über sie aus.

 

Ähnlich wie viel später beim Plan des Klosters St.Gallen handelt es sich offenbar um die Idealvorstellung eines Meierhofs mit seinem Frauenarbeitshaus, seinen darauf arbeitenden freien und unfreien Produzenten, zu denen auch Handwerker gehören. Selbstversorgung bedeutet, dass die Menschen dort nicht nur sich selbst, sondern auch ihren hohen Herrn versorgen, dass man auch auf Märkten ein- und verkauft,  und so nach Möglichkeit Überschüsse produziert.

(Alles nach dem Text des Kapitulars in: Franz, S.38ff)

 

 

Nur zufällig ist etwas vom Umfang der kirchlichen Grundherrschaften überliefert. Erhalten ist aus der Zeit Karls d.Gr. (um 810) das Urbar, also Gesamtverzeichnis eines augsburgisch-bischöflichen Hofes in Staffelsee mit der Michaelskirche, wo folgendes zu lesen ist:

es besitzt das Bistum Augsburg insgesamt 1006 ausgegebene und 35 unbesetzte freie Hofstellen (mansos). 421 ausgegebene und 45 unbesetzte hörige Hofstellen, zusammen also 1427 ausgegebene und 80 unbesetzte Hofstellen. (in: Franz, S. 70) Die Kirche selbst ist eine Art Schatzkammer.

Dann finden wir dort den Herrenhof und das Haus mit den übrigen Bauten, die zur Kirche gehören. Dem Hof sind zugeordnet 740 Joch Pflugland, Wiesen, die 610 Fuder Heu einbringen können. Von der Ernte fanden wir bloß die 30 Fuder, die wir an die 72 Pfründner gaben, (...) weiter ein zugerittenes Ross, 26 Ochsen, 20 Kühe, 1 Stier, 61 Stück Kleinvieh, 5 Kälber, 87 Schafe, 14 Lämmer, 17 Hammel, 58 Ziegen, 12 Böcklein, 40 Schweine, 50 Ferkel, 63 Gänse, 50 Küken.

Vorhanden ist ferner ein genitium mit 24 Frauen, die an Webstühlen arbeiten, und Gebäude für andere vom Herrn abhängige Handwerker und die Hütten der den unmittelbaren Bereich des Herrenlandes bestellenden Landarbeiter.

Soweit das Herrenland, dazu kommen 23 Hufe, auf denen freie Bauern sitzen, von denen ein Teil gelegentlich Botendienste zu leisten und die Hälfte Kriegsdienste zu leisten hat. 19 Hufen sind mit mehr oder weniger unfreien Knechten besetzt, die drei der sechs Werktage Frondienste leisten müssen und deren Frauen ein Leinenhemd oder Stoff abzuliefern hatten. Insgesamt umfasst diese Grundherrschaft zwischen 200 und 300 Menschen. (nach Fried, S.220ff und Kuchenbuch, S.112)

 

Kirchengut darf nicht veräußert werden, die Kirche kann allerdings durch Gewalt oder Entfremdung unter der Hand Land verlieren. Aber das verhindert nicht, dass "sich um 700 bereits circa ein Drittel des gesamten bewirtschafteten Bodens im Frankenreich im Besitz der Kirche" befindet. (Ertl, S.48) Etwa ein Viertel des daraus resultierenden Reichtums geht in den Bau von Kirchen als massiven Steinbauten.

 

 

Mehr Informationen gibt es über klösterlichen Großgrundbesitz. Für einen überschaubar großen Fronhof bekommen wir zur Zeit Karls d.Gr. im Urbar, dem (unvollständig erhaltenen) Besitz- und Leistungsverzeichnis des Klosters Saint-Germain-des-Prés bei Paris mit seinen 23 Herrenhöfen um 830 und ca. 1200 Mansen laut dem unvollständigen Polyptichon des Abtes Irmino zum Beispiel folgendes mit: 

Das Kloster hat in Nuviliacus eine Herrenhufe mit reichlichen Nebengebäuden. Es hat dort zehn kleine Felder mit 40 Gewannen, darauf können 200 Scheffel Hafer gesät werden; Wiese neun Joch, von denen an Heu zehn Karren geerntet werden können. Es hat dort an Wald schätzungsweise drei Meilen in der Länge, in der Breite eine Meile, in dem 800 Schweine gemästet werden können. (...) Der Knecht Electeus und seine Frau, die Kolonin Landina, Eigenleute von Saint-Germain, bleiben in Nuviliacus, Er hat eine halbe Hufe, bestehend aus Ackerland sechs Gewann, aus Wiese ein halbes Joch. Er pflügt bei der Winterbestellung vier Ruten, bei der Frühjahrsbestellung 13. Er fährt Mist auf das Herrenfeld und tut und zahlt sonst nichts, wegen des Dienstes, den er dort übernimmt. (...) Es gibt in Nuviliacus sechseinhalb besetzte Hufen, die andere halbe ist unbesetzt. An Feuerstellen sind es 16. Sie erbringen für die Heeressteuer zwölf Hammel, für Kopfzins fünf Schilling vier Pfennig; 48 Hühner, 160 Eier, 600 Bretter und ebenso viele Schindeln, 54 Dauben und ebenso viele Reifen, 72 Fackeln. Sie machen zwei Weinfuhren und zweieinhalb Bretterfuhren im Mai, und einen halben Ochsen. (in: LHL, S.174)

 

Neben Dienst- und Sachleistungen ist also auch Geld zu erbringen, was bedeutet, dass die Hufenbauern Überschüsse auf dem Markt verkaufen müssen. Eine Hufe von vielleicht 14 ha kann so im besten Falle auch einen geringen (relativen) Wohlstand erwirtschaften, wenn der Herr seinem Bauern nicht zu viel abpresst. Die Dienstleistungen können sehr vielfältig sein, und schließen unter anderem auch "Weben, Spanndienste, Holzfällen, Korbmacherei, Bauarbeiten und Eisenarbeiten" ein. (Wickham(3), S.536)

In Nogent L'Artaud gibt es zum Beispiel laut demselben Verzeichnis 24 1/2 mansi ingenuiles, die u.a. 205 Scheffel Wein zinsen, 74 Scheffel für die Schweinemast, dazu 20 1/2 Schweine, 4 Schafe, und Hühner samt Eiern 74. Daneben gibt es 10 mansi serviles. Sie zinsen für die Schweinemast 21 1/2, Scheffel Wein. 8 1/2 Schafe, 650 Schindeln, 30 Hühner mit Eiern. (in: Kuchenbuch, S.125)

Ein Walafred in diesem Urbar ist Hufenbauer sowie Meier eines Herrenhofes und besitzt zwei Hufen, wobei er für die Zweite keine Abgaben leisten muss:

Walafred, Kolonus und Meier, und seine Frau Eudimia, ebenfalls Kolona, sind Eigenleute des Klosters und haben zwei Kinder, deren Namen Walahilde und Leutgarda sind. Sie besitzen zwei freie Mansen und haben 7 bonniers Ackerland, 6 arpents Weingärten und 4 arpents Weiden. Er schuldet von jeder Manse im jährlichen Wechsel einen Ochsen und im nächsten Jahr ein Schwein; 4 Pfennige als Ablösung für Holzabgaben, 2 Scheffeln Wein  zur Schweinemast, ein Schaf mit Lamm. Er pflügt im Winter vier perches sowie zwei weitere perches eines anderen Drittels, und leistet zudem Frondienste, Fuhrdienste, Handarbeiten und Holzarbeiten, wie ihm befohlen wird; vier Hühner, 15 Eier. (in: Ertl, S.247)

 

Ähnliche Größenordnung hat das von Königsboten 787 untersuchte Kloster Fontenelle in der Normandie (St.Wandrille, in den 'Gesta' der heiligen Väter dort aufgehoben), wobei die Mansen für die Hufen stehen:

Dies ist die Summe der Besitzungen dieses Klosters, die auf Befehl des unbesiegbaren Königs Karl dem Abt Landricus von Jumièges und dem Grafen Richard im 20. Jahr seines Königtums, dem Jahr des Todes des Abtes Wido. aufgezählt wurde. Zunächst das, was zum persönlichen Gebrauch der Mönche und zu ihrem Unterhalt zu gehören scheint: 1326 ungeteilte Mansen, 238 halbe Mansen, 18 zu Handdiensten (manuoperarii) verpflichtete Mansen, zusammen 1569, unbewirtschaftet 158 Mansen; sie haben 39 Mühlen.

Zur Versorgung der Mönche dienen knapp zwei Fünftel, der Rest steht dem Abt auch und vor allem für seinen Dienst am König zu. Dazu kommt:

Als Lehen ausgetan (in beneficii relaxati) sind aber 2120 ganze, 40 halbe 235 zu Handdiensten verpflichtete Mansen, die zusammen 2395 ergeben, 156 unbesetzte, die Lehnsträger selbst haben 28 Mühlen. (Kuchenbuch, S.100, Fried, S. 363 etc.)

Das Kloster selbst gibt also Lehen an eigene Vasallen aus, ist dabei selbst Vasall, über dem wiederum Vasallen stehen, die auf oberster Ebene einem Fürsten/König treu zu dienen haben. Sehr große Klöster können rund hundert Vasallen haben. Solche Vasallen als Grundherren besitzen vererbbares Allod, dann oft Gut, welches mit einem Amt oder einer Funktion verbunden sein kann, und Lehnsgut, beneficia. Aus der Verbindung von Grundherrschaft und Vasallität entfaltet sich so sogenanntes feudales Rechtsgefüge.

 

Einer der ganz großen Grundherren der Karolingerzeit ist das Kloster Prüm. Von ihm abhängig sind rund 3000 Höfe, die Mönche und Vasallen zu ernähren haben, besonders konzentriert um die Tochterklöster Münstereifel, St. Goar und Altrip. Viele weitere Höfe erstrecken sich aber "von Südholland bis Oberlothringen, , von der unteren Lahn bis an die mittlere Maas" und anderswo. (Kuchenbuch, S.18). In einem Urbar von 893, also vom Anfang unserer Schwellenzeit, sind sie aufgelistet.

In einer Urkunde von 886 schließt der lothringische Hochadelige und große Grundherr Hartmann einen Vertrag auf Gegenseitigkeit mit dem Abt dieses Klosters zum beiderseitigen Nutzen. Darin übergibt er dem Kloster einige Güter in bestimmten Gegenden, die er allerdings lebenslang weiter nutzen kann, um vom Kloster in anderen Gebieten Güter als beneficium verliehen zu bekommen - zunächst nur auf Lebenszeit.

Zu den Herrenhöfen, verwaltet von maiores bzw. villici, gehört, wie detailliert beschrieben wird, das Herrenhaus, die Scheune und der Speicher. Auf Mansen sitzen mancipia, also Sklaven, die Äcker, Wiesen, Weiden und Wälder bewirtschaften. Andere Familien bewirtschaften Weinberge oder Mühlen. Sie leisten konkret benannte Dienste wie die Flachsverarbeitung und dann solche, für die nur die Zeitdauer angegeben ist (Pflügen, Transporte usw.). Daneben werden die Abgaben aufgelistet, die sie zu festen Terminen zu leisten haben.

Zu einem Hof gehört eine Kirche mit allem Zubehör und ein Priester, der zudem wiederum mit Ackerland von fünf Hufen, besetzt mit zinspflichtigen censualia mancipia, mit Forst für die Mast von 300 Schweinen und etwas Wingert ausgestattet ist. Die mancipia auf diesem Hof haben jährlich Wachs im Wert von sechs Denaren zur Beleuchtung der Kirche abzugeben.

 

 

Grundherrschaft bedeutet über den wirtschaftlichen Aspekt hinaus weitere Rechte. Die mehr oder weniger unfreie Landbevölkerung ist seit der Spätantike (als colonus) an den Boden und an seinen Herrn gebunden, dem er abgaben- und dienstpflichtig ist. Dieser ist nicht nur Grundherr als Herr über die Menschen darauf, sondern kann auch Gerichtsherr sein, ein Recht, welches aber nicht daran gekoppelt sein muss: Grundherr und Gerichtsherr können grundsätzlich auch verschiedene Personen sein. Vermutlich haben in der Regel die Grundherrschaften Immunität, also die Gerichtsgewalt über die Bauern.

Die Privilegierungen des Prümer Klösters umfassen seit der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts auch Marktrechte, Zollfreiheiten und sogar Münzrechte wie in Münstereifel, alles das mit Abgaben an den Grundherrn verbunden. Der Anteil der Geldwirtschaft nimmt dabei langsam zu

 

Es ist grundsätzlich naheliegend, dass Grundherren versuchen, die Leistungen der von ihnen Abhängigen zu erweitern, und dass diese sich weigern, was in der Regel gerichtlich zu klären ist. Zu den ausführlichen Bestimmungen von Karl ("dem Kahlen") auf der Reichsversammlung von Pîtres 864 gehört so auch folgende:

Über jene coloni, königliche oder auch kirchliche, die - wie, was sie nicht abstreiten, in den Polyptychen enthalten - zu Spann- und Handdiensten nach alter Gewohnheit (consuetudine) verpflichtet sind. Sie lehnen es ab, Mergel und anderes, was ihnen nicht gefällt, zu karren, weil man bis jetzt seit alters her wohl keinen Mergel gefahren hat - den man vielerorts seit den Tagen unseres Herrn Großvaters und Vaters zu fahren begonnen hat - und wollen im Rahmen ihrer Handdienste nicht in der Scheune dreschen, wiewohl sie nicht leugnen, Handdienst zu schulden. Was immer zu karren ihnen im Rahmen der Spanndienste befohlen wird, wann sie dies tun sollen, haben sie ohne jeden Unterschied zu karren, und was ihnen im Rahmen der Handdienste befolen wird, haben sie ohne jeden Unterschied zu tun, wann sie es tun sollen. (in: Kuchenbuch, S.152f)

Offenbar haben Herren versucht, neue Dienste ihrer Kolonen durchzusetzen, die als Stückdienste nicht spezifisch festgesetzt sind, aber grundsätzlich in den Zeitdiensten (z.B. zwei Wochen im Jahr oder zwei Tage in der Woche) allgemein verpflichtend sind. und die Produzenten berufen sich darauf, zu diesen spezifischen Leistungen bislang nicht verpflichtet gewesen zu sein. 

 

Überhaupt sind die Verhältnisse zwischen dem Herrn und den Abhängigen wesentlich nach Gewohnheitsrecht und Übereinkunft geordnet. Manchmal mag das solchen Bauern schon seit dem 9. Jahrhundert zu einer gewissen Rechtssicherheit zu verhelfen. Immerhin vererben sie in aller Regel nun ihren Hof mit dem Land, so dass es in der Familie bleibt, und manchmal können sie zudem mit Zustimmung ihres Herrn Land verkaufen oder kaufen.

 

Andererseits ist es für sie schwierig, ihren Rechtstatus vor Gericht zu verteidigen, wo die Entscheidungen zunehmend alleine von Herren getroffen werden.

Bauern vom Valle Trita ganz oben in den Appeninen schaffen es zwischen 779 und 873, in neun Gerichtsverhandlungen sich dagegen zu wehren, vom Kloster San Vincenzo al Volturno für unfrei erklärt und so ihres Landes beraubt zu werden. "Erst vielleicht ein Jahrhundert später werden sie dann verlieren." (Wickham(3), S.534)

 

 

In der ländlichen Grundherrschaft, in der die allermeisten Menschen am Ende leben, steht neben dem Bezug zum Herrn auch der zum Diener des höchsten Herrn, dem Priester. In dem fränkischen Eigenkirchen“system“ war der Stifter und Erbauer der Kirche auch der, der den Priester bestellte. In den Anfängen war das billigerweise oft einer seiner Knechte, dessen Vorbildung und geistlicher Lebenswandel vermutlich sehr zu wünschen übrig ließen. Der große Karl fordert, die Qualität der Priester zu heben, die Erfolge treten aber, wo überhaupt, erst Jahrhunderte später ein.


Die Verbindung von Grundherrschaft und Eigenkirche tendiert dazu, priesterliche Aktivitäten und kirchliches Leben auf den Grundherrn hin zu orientieren. In den vielen kirchlichen Festivitäten entwickelt sich aber ein eigenständiges Gemeindeleben. Dieses verbindet sich später mit gemeinsamen Verabredungen für die Landarbeit und anderes.

 

 

Die Produzenten

 

Seit der Merowingerzeit haben die Produzenten einen vielfältig unterschiedlichen rechtlichen Status, der sich ganz grob in Freie (ingenui/liberi), in mehr oder weniger Halbfreie, z.B. die Lazen (lidi), und die gänzlich Unfreien (servi) aufteilen lässt.

 

Es gibt noch eine größere Anzahl freier Bauern, die Land als Eigentum besitzen, wie aus den Texten Karls ("d.Gr.") deutlich wird. In der Picardie zum Beispiel werden sie bis ins hohe Mittelalter neben großen Fronhofverbänden überleben. (Robert Fossier)

Überhaupt sind große Verbände von Herrenhöfen in der Karolingerzeit womöglich noch nicht so zu verallgemeinern, wie das die dürftige und einseitige Quellenlage vermuten lässt. Die freie Bauernschaft ist nämlich nur wenig schriftlich dokumentiert, ganz im Gegensatz zu jenen großen klösterlichen und kirchlichen, aber auch weltlichen herrschaftlichen Fronhof-Konglomeraten, für die es Urbare und Urkunden gibt.

 

Der freie Produzent ist als Bauer meist selbst ein Herr, der sich das leisten kann, weil er über Eigengut („Allod“) unterschiedlicher Größe und abhängige Leute, Hörige, verfügt. Er ist nicht persönlich an einen Grundherrn gebunden, aber den überpersönlichen Machtstrukturen unterworfen.

Die Freien bekommen das höchste Wergeld, uneingeschränkte Rechtsfähigkeit und Rechtsgleichheit bei unterschiedlichen Vermögensverhältnissen. Dafür müssen sie Kriegsdienst leisten, am Ding, dem Gericht teilnehmen, bestimmte öffentliche Arbeiten verrichten und gewisse Naturalabgaben in einem besonderen Verhältnis zum König leisten. Ähnlich wie Lazen können sie aber auch auf Hufen sitzen und dort Abgaben leisten. Besitzen sie wenig, werden sie von oben  gelegentlich als pauper angesehen. (Staab, S.365ff / Boshof(2), S.114, etc. )

 

Freiheit heißt natürlich wie in jeder Zivilisation, Untertan mindestens der Krone zu sein, - und das streng hierarchisch gegliedert. Wer nicht nur nach oben gehorcht, sondern neben sich Zusammenhalt sucht, ist schnell des Todes, wie die Annalen von St. Bertin für 859 belegen (s.o.).

 

Besser also, das Land den alljährlich eindringenden fremden Mordbrennern zu überlassen, als dass Untertanen durch gemeinsames Handeln womöglich Selbstvertrauen gewinnen. Dabei erweisen sich die Könige meist als unfähig, Wikinger anders als durch hohe Tributzahlungen von tausenden von Pfund Silber  loszuwerden oder Sarazenen und Slawen von Überfällen abzuhalten. Wenn, dann erringen mächtige Familien wie die Robertiner hier Erfolge.

 

Sich wehren gegen die mächtigen Herren vor Ort und der Gegend können sich (auch freie) Bauern nur mit wohl bescheidenem Erfolg vor Gericht. Der Aufstand der Stellinge in Sachsen 841/42 ist wahrscheinlich nur möglich im Kontext der Bruderkriege im Reich und der besonderen sächsischen Situation nach der mühsamen und brutalen Unterwerfung durch "den großen" Karl. In den Xantener Annalen für 841 heißt es dazu wenig aufschlussreich:

In demselben Jahr war durch ganz Sachsen die Macht der Knechte (potestas servorum) weit hinausgewachsen über ihre Herren und sie legten sich den Namen Stellinge bei und begingen viel Unverantwortliches (inrationabilia). Und die Edlen jenes Landes wurden von den Knechten sehr geschädigt und erniedrigt. (in: QuellenkarolReichsgeschichteII, S.345)

 

Es wäre wünschenswert zu wissen, wer mit servi gemeint ist und was sie wollten, aber das interessierte den frommen Autor nicht. König Ludwig macht sich 842 dorthin auf

und die übermütig aufgeblasenen Knechte der Sachsen schlug er auf eine für ihn ehrenvolle Weise und führte sie zu ihrem eigentlichen Stand (ad propriam naturam) zurück. (s.o. S.347)

 

Inwieweit es neben Streusiedlung und Weilern Dörfer gibt, wird nicht ganz klar. Aber es gibt von Hinkmar von Reims bischöfliche Gesetzgebung gegen das, was O.G.Oexle "dörfliche Gilden" nennt, die sich gegen behauptete Trunksucht und Völlerei, Unzucht und Obszönität, Streit und Totschlag dort wenden.

 

 

Unfreiheit als Sklaverei wird aus der römischen Antike übernommen. Sie nimmt langsam ab. Grundsätzlich für den unfreien servus gilt, dass er nicht rechtsfähig ist, sondern rechtlich von seinem Herrn vertreten wird. Die untere Stufe der Unfreien sind die, welche keine eigene Hufe haben und die sich dadurch auszeichnen, dass sie, ob Männer oder Frauen, unverheiratet sind. Solche Männer heißen am Beispiel des Prümer Urbars haistaldi, woraus der spätere Hagestolz wird. Frauen heißen einfach femine, sind unverheiratet und haben oft dennoch Kinder. Der Herr wird ihnen wohl nur ungern die Zustimmung zur Verheiratung geben, da er dann eine ganze Familie ernähren muss.

Sie arbeiten allesamt vermutlich auf der Domäne des Herren, sind wohl alle zu extremer Unterwürfigkeit gegenüber ihm verpflichtet und zudem seinen möglichen spontanen Gewaltausbrüchen ausgesetzt. (Staab, S.332ff) Wohlhabendere Herren besitzen solche Leute auch als Kämmerer, Kanzler,  Hauskaplan, als einen Jäger oder Notar.

 

Die servi casati, ein Begriff, der aber nur selten in den Quellen auftaucht, sitzen auf einer Hufe (mansus) entweder einzeln mit Familie oder aber gleich zu mehreren, wenn die Hufe dafür groß genug ist. Fronen und Abgaben zeichnen sie ebenso aus wie das Recht des Herrn zu Körperstrafen. Ganz arme Leute besitzen kaum Pflug und Pflugvieh und müssen den Acker mit einem Grabscheit (cum suo fossorio) bearbeiten, wie es für einen Hof der Abtei Prüm heißt. (in: Franz, S.90)

 

Als Halbfreie kann man die Lazen ansehen. Aus ihnen werden manchmal auf dem Weg ins Hochmittelalter Ministeriale, Dienstleute mit Benefizien, also milites im Sinne von Ritter. (Staab, S.354)

Unter den Halbfreien, bedingt Freien gibt es zunehmend von einer Kirche freigelassene servi, die weiter in einer Art Patronat von Kirche bzw. Kloster existieren, nicht mehr unmittelbar für ihren Patron arbeiten, aber einen (Kopf)Zins in Geld oder Wachs leisten müssen, der ihre (bedingte) Freiheit auszeichnet, dazu eine Abgabe bei Heirat und Tod, - letztere, weil sie mit ihrem bedingten Eigentum auch ihren rechtlichen Status vererben.

 

Dazu kommt eine weitere Anzahl von Freien, die aus einem Schutzbedürfnis heraus oder weil sie sich auch andere Vorteile erhoffen, sich in denselben Status unter einen kirchlichen oder klösterlichen Patron begeben und dafür dieselben Abgaben leisten müssen.

Eine Beata möchte nach Rom reisen und verkauft 744 gegen 70 Schillinge in Gold und Silber sowie gegen 5 Pferde mit Packsätteln und Fellen und Wolldecken mit ihrem Reitzeug Besitzungen an das Kloster St.Gallen. Sollte sie zurückkommen, erhält sie diese zum Nießbrauch (in praestitum) zurück. (in: Franz, S.28)

Ein kranker Ramuolf übergibt für die Sünden, die ich auf Einflüsterung des Teufels in gesunden Tagen begangen habe, dem Hochstift Freising seinen väterlichen Besitz. Er bekommt sie für die Dauer seines Lebens als Lehen (in beneficium) zurück. (in: Franz, S.33ff)

Ein Perahart übergibt seinen gesamten Besitz an das Domstift zu Freising: Ich, Perahart, habe dies alles getan, damit ich im Domstift Lebensunterhalt und Kleidung erhalte. Und wenn ich weniger bekomme, als ich brauche, dann soll mir erlaubt sein, dies von meinem Eigentum, solange ich lebe, zu erwerben. (in: Franz, S.80)

 

In die Zukunft eines etwas einheitlicheren Bauernstandes verweist die Tatsache, dass sie in Urkunden wie die anderen Abhängigen oft als mancipia (servi und ancillae) bezeichnet werden, mit der Besonderheit der Pflicht zum Kopfzins. Zudem entstehen vor allem im zehnten Jahrhundert regelrechte Zensualenverzeichnisse.

Menschen wie die Freie Rikildis mit ihren Söhnen übertragen sich als Wachszinsige (cere censuales) dem Kloster St.Severin in Köln. Dafür zahlen sie zwei Münzen für Wachs an denselben Altar. (...) Für die Erlaubnis zu heiraten, dem Hüter des Altares sechs Denare (...) Beim Todesfall jedes Mannes und jeder Frau sollen sie ebenfalls 6 Denare nur dem Altarhüter zahlen. (in: Franz, S.61)

Umgekehrt werden bereits im neunten Jahrhundert pro remedium animae Herren Unfreie soweit zu Freien machen, als sie diese in den Schutz eines Klosters als Wachszinsige übergeben.

 

Diese Leute, die erst im 10./11. Jahrhundert einen größeren Anteil der Bevölkerung in großen Teilen der damaligen deutschen Lande zu umfassen beginnen, werden von den modernen Historikern als "Zensualen" zusammengefasst, also von ihren Kopfzins her bestimmt, der üblicherweise bis zu vier Denare umfasst.

Zunehmend häufiger bestehen sie nicht mehr nur aus freigelassenen servi, sondern aus Leuten, die sich selbst unter den Schutz, das patrocinium und die defensio bzw. mundiburdium von Kirche oder Kloster begeben. Langsam beginnen sie, sich als besondere Gruppe innerhalb der von einem Herrn Abhängigen zu verstehen.

 

***Armut***

 

Es sei hier noch einmal wiederholt: Das Wesen jeder Wirklichkeit ist Verschiedenheit, also Ungleichheit, das, was Sprache so nicht wiedergeben kann. Entsprechend gibt es seit den Kulturen der Jungsteinzeit auch Leute, die mehr ihr Eigen nennen und solche, bei denen es weniger ist, solche, die weniger Erträge erzielen und solche, die mehr erreichen. Dort, wo die produktiven Kulturen in Zivilisationen übergehen, bedeutet ein massives Mehr an Eigentum im Bündnis mit institutionellen Kultexperten und einer kriegerischen Gefolgschaft ("Militär") dann die Institutionalisierung von Reichtum als Macht bis hin zur Deklarierung einer Art Obereigentum über alles.

Die antik-römische Zivilisation entwickelt für die, die nicht von Eigentum leben können, sondern für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen, das Wort proletarius, und das ist der, welcher dem Staat (den mehr oder weniger Mächtigen) nicht mehr zu bieten hat als seine Nachkommenschaft (proles). Daneben gibt es das nicht deckungsgleiche Wort pauper für arm, wobei letzteres erst im Mittelalter volkssprachlich belegt ist. Der Proletarier als Wort verschwindet in der Nachantike, aber der Arme bleibt,

 

Das hier benutzte Wort arm bzw. Armut ist per se kein Begriff, sondern wird das erst - wenigstens ansatzweise - wenn definiert wird, an was jemand arm ist. In den für Nachantike und Mittelalter religiös maßgeblichen "biblischen" Texten taucht Armut als große materielle Not wie beim armen Lazarus auf, die mit caritas bzw. Almosen gelindert werden muss, wie auch als vorzuziehender Weg ins "Himmelreich", wie ihn Jesus von seinen Jüngern verlangt. Diese heilige Armut geht über die Vorstellung hinaus, arm an Kleidung und ohne sonstigen Besitz zu sein und keinen Nahrungsluxus zu betreiben, man soll sich hier auch der Familie und Verwandtschaft entledigen. Das Christentum als Kirche wird aber dann nur überleben, indem es diese Armut mehr oder weniger auf Mönche bzw. Nonnen beschränkt. Massive Eigentumsunterschiede und verschiedene materielle Niveaus der Lebensführung können darum bald von den Mächtigen als gottgefällige irdische Ordnung bezeichnet werden.

 

Zum Reich der Merowinger gehören deshalb von Anfang an ganz selbstverständlich die pauperes. Schon auf dem Konzil von Orléans 511 wird von Armen gesprochen, die nicht von ihrer eigenen Hände Arbeit hinreichend an Nahrung und Kleidung gelangen können. Es geht um Alte, Kranke, Schwache, die offenbar schon damals nicht mehr von Familie oder Verwandtschaft aufgefangen werden.  Um sie sollen sich Kirche und Kloster kümmern.

 

Unter Karl ("d.Gr.") und seinen Nachfolgern geht es eher um den Schutz jener freien Kleinbauern, die Mächtigere in der Gegend bedrohen, während sie in den Krieg ziehen oder zum Gerichtstag, und die vor Wucher unter anderem mit Höchstpreisen geschützt werden sollen. Sie sind immer noch Teil des Heeres, und bei stärkerer Verarmung fallen sie nicht nur da heraus, sondern auch überhaupt aus zivilisatorisch geordneten Lebensverhältnissen: Sie werden Vagabunden oder Verbrecher. Eher vorübergehende Verarmung erzeugen Kriege vor Ort oder Naturkatastrophen mit ihren Hungersnöten. Schließlich: Indem die potentes die relativ Ohnmächtigen stärker bedrücken, gewinnen sie Vorteile im Machtkampf mit dem König.

 

 

Neuerungen

 

Zwei Veränderungen sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass Kapital seit dem zehnten Jahrhundert an Bedeutung gewinnen kann. Einmal steigt die Bevölkerung in West- und Ostfranzien wie im Norden und der Mitte Italiens zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert in einigen Gegenden langsam wieder an, ohne dass wir heute Genaueres wissen. Jedenfalls werden neue Ländereien aus Wald, Heide und anderem „Ödland“ für die Landwirtschaft erschlossen. Die Umformung in Agrarland wird mit Rodungen und anderen Formen der Urbarmachung zunächst wesentlich von Klöstern aus und dann auch zunehmend von privaten Grundherren betrieben. Sie greift wohl immer mehr auf Wälder im Mittelgebirge über, die weniger ertragreiches Land bedeuten. Ortsnamen mit -hausen und -felden tauchen hier auf, nicht nur im Hunsrück zudem mit -schied und -scheid. Sie werden bei kühlerem Klima dann wieder wüst liegen.

 

Die Erträge sind für heutige Verhältniss ungeheuer niedrig. Sie werden erst langsam auf ein durchschnittliches Verhältnis zwischen Saatgut und Ernte von 1 zu 3 ansteigen, wobei etwa ein Drittel Abgabe und ein weiteres Saatgut bedeutet. Wir befinden uns am Anfang der Zeit des Übergangs vom Hakenpflug zum Pflug mit Pflugscharen. Die strapaziöse Arbeit mit dem Hakenpflug besteht in der Qual, diesen, wenn er gezogen wird, in das Erdreich zu drücken. Dieses zu wenden gelingt manchmal mit der neuartigen Pflugschar, welche Erde nicht mehr nur anritzt, sondern umpflügt, die sich aber erst im hohen Mittelalter langsam durchsetzt.

In derselben Zeit entwickelt sich auch an ersten Orten die Dreifelderwirtschaft, welche ebenfalls die Produktivität erhöht, so wie man auch in diesen Jahrhunderten nach und nach an einigen Orten beginnt, das Pferd als Zugtier statt des Ochsens einzusetzen.

Der geringe Ertrag liegt auch daran, dass die Düngung im wesentlichen in dem Verteilen des Tierkotes über die Äcker besteht, und die meisten Bauern haben davon zu wenig. Immerhin gibt es wohl erste Anzeichen von Grundherren, die an der Intensivierung der Produktion ihrer Güter interessiert sind.

 

Langsam nimmt die Zahl der Wassermühlen zu, früher Maschineneinsatz, welcher der Hausfrau das Getreidemahlen per Hand abnimmt, welches aber wohl vorläufig noch die Regel ist. Die Prümer Grundherrschaft hat kurz vor 900 rund 50 Mühlen, das Kloster St.Germain-dés-Prés bei Paris in 12 seiner 23 Domänen insgesamt 57 Mühlen. (Goetz, S.120)

 

Überschuss-Produktion von Nahrungsmitteln führt, soweit Grundherren davon profitieren, zu mehr Konsum, zu mehr Handel und Markt, und Handel und Finanziers werden dann in den nächsten Jahrhunderten häufiger und mehr Kapital anhäufen können. 

 

Kirche auf dem Lande

 

Von den Lebensverhältnissen der Produzenten von Nahrungsmitteln ist uns wenig überliefert. Sie leben in einfachsten Holzhäusern fast ohne Inventar, bei Tageslicht wird körperlich hart gearbeitet, und zwar in einer gewissen Arbeitsteilung der Geschlechter und unter Mitarbeit der Kinder. Es gilt, mühsam das eigene Überleben zu sichern, und daneben müssen die zunehmend persönlich Abhängigen Dienste und Abgaben an die Herren leisten.

 

Ihre Weltvorstellung teilt sich in die vor Ort erlebten Naturkräfte, denen die Nahrung abgerungen werden muss, und die weiter recht traditionell ("heidnisch") verstanden werden, und in eine im Grunde naturfeindliche, die mit der zunehmenden Christianisierung auf dem Lande vordringt.

Die königlichen Christianisierungsversuche zielen auf Bischöfe, ihren Kathedralklerus und auf Äbte ab, und die Christianisierung auf dem Lande wird von größeren weltlichen wie geistlichen Grundherren betrieben, die auf ihrem Grund kleine Holzkirchlein bauen und dort eigene Hörige ohne sonderliche religiöse Ausbildung als Geistliche einsetzen. Über diese können insbesondere weltliche Herren nach Belieben verfügen, sie auch als Dienstboten einsetzen, wie überliefert ist und im 9. Jahrhundert von der Kirche lauter beklagt wird.

 

Eine erste Christianisierungswelle schuf weit voneinander entfernte Taufkirchen, und die Taufe ist zunächst ein religiös wenig verstandener Unterwerfungsakt unter die Mächtigen. Noch ein Karl ("der Große") begleitet die sich über Jahrzehnte hinziehende brutale Unterwerfung der Sachsen nicht nur mit Massenmord, sondern auch mit gewaltsam erzwungenen Massentaufen für frisch Unterworfene, denen überhaupt keine religiöse Unterweisung vorausgehen muss, sondern denen nur fürderhin schwerste Strafen für "heidnische" Kulthandlungen und Taufverweigerung angedroht werden.

 

Erst 794 wird in Frankfurt überhaupt offiziell zugelassen, Missionierung in den Volkssprachen durchzuführen: Dennoch bleibt das von kaum jemand mehr verstandene antike Latein weiterhin die Sprache in der Kirche. Die illiterate Landbevölkerung entwickelt dabei einen christlich-heidnischen Synkretismus, der, von weitgehendem Unverständnis geprägt, versucht, entweder vorchristliche Vorstellungen in das Christentum zu übertragen oder aber alte natur“religiöse“ Vorstellungen parallel weiterzupflegen. Da das Christentum längst nicht nur, was das Gottesbild angeht, dem antiken Judentum angenähert worden ist, sind neben den Geschichten der Evangelien die des Alten Testamentes zumindest gleichwertig präsent: Auf diese Geschichten vor allem dürfte sich das „christliche“ Vorstellungsvermögen der Landbevölkerung und der illiteraten Städter konzentriert haben, also auf Mythisches, Legendäres und Sagenhaftes.

 

Grundherrliche Eigenkirchen sind aber immer auch in die Diözesanordnung integriert, wiewohl der weltliche Herr zumindest in der Praxis in allen Fragen eingreifen kann. Daraus entwickelt sich für den Kirchenalltag der Menschen ein engeres System von Pfarreien, die das Land überziehen und neben der Taufe auch Messe und Beerdigung anbieten. Mit Pfarre und Bistum gibt die Kirche so eine klare Territorialisierung vor, wie sie im weltlichen Bereich erst im 11.-13. Jahrhundert langsam angestrebt wird. Dazu verhilft auch der inzwischen wohl überall durchgesetzte Kirchenzehnt, der an die eigene Pfarrei abzuliefern ist, weshalb diese nun genau von einander abgegrenzt werden. (Angenendt(2), S.327)

 

Nach kanonischem Recht entsteht eine Pfarrei nur dort, wo sie so dotiert ist, dass sie sich selbst trägt. Erweitert wird solcher Besitz durch Spenden von Laien, und dazu kommt die decima, der Zehnte, der allerdings spätestens im Karolingerreich nicht direkt an einen Priester, sondern die Diözese fließt, die einen Teil einbehält, und dazu kommen die ersten Früchte an Pflanze und Tier in regelmäßigen Abständen.

Die Kirchensteuer ist ein lateinisch-christliches Spezifikum, Ausdruck der engen Verbindung von weltlicher und geistlicher Macht. Spätestens im 10. Jahrhundert ist sie eine Steuer auf alle Einkünfte, und damit ist die Kirche den späteren Staaten weit voraus in der partiellen Ausplünderung ihrer Untertanen. Schon im sechsten Jahrhundert beschlossen, scheint ihre Durchsetzung doch bis ins neunte Jahrhundert schwierig zu sein, weswegen sie immer wieder neu gefordert werden muss. Im Herstaler Kapitular von 779 heißt es zum Beispiel: Jedermann soll seinen Zehnten geben. Auf Geheiß des Bischofs werde er verwaltet. (in: Franz, S.39)

 

Daran möchten sich allerdings weltliche Herren beteiligen, die aufgrund eigener Stiftung die Pfarre weiter als ihr Eigentum betrachten oder aber wenigstens versuchen, sich die Erträge daraus anzueignen. Im zehnten Jahrhundert beginnt die Kirche zunehmend, dagegen anzukämpfen, was dann auch als Aspekt in die Wurzeln einer Friedensbewegung und der Kirchenreform eingeht.

 

Die Pflicht zur regelmäßigen Teilnahme an der sonn- und feiertäglichen Messe, im 9. Jahrhundert durchgesetzt, ist wesentlich ein Mittel zur Disziplinierung der Menschen vor Ort. Damit das machbar wird, setzt eine Synode in Tribur (erst 895) fest, dass der Abstand zwischen den einzelnen Pfarrkirchen nicht weiter als vier Meilen betragen soll. Erst damit wird das Land nun auch nach und nach ganz einbezogen.

 

Nicht nur verstehen die "Pfarrkinder" allerdings kein Wort von der lateinischen Messe, sie sehen auch nicht das Entscheidende, das bei einem ihnen dabei den Rücken zukehrenden Priester vor sich geht, noch können sie die merkwürdige Theologie von der Dreifaltigkeit Gottes, soweit sie etwas davon mitbekommen, anders als in ihre vorchristlichen Vorstellungen übersetzen.

Immerhin bekommen sie im wohl volkssprachlichen sermo, der Predigt, mit, was Kern der Dinge ist: Unterwerfung unter die Herren und ihre Kirche.

 

Die Pfarrkirche ist ein in seiner Gründung extra konsakrierter sakraler Raum zusammen mit dem Friedhof, meist durch eine symbolische Mauer "eingefriedet". In diesem Raum erhält sich darum ein vorchristlich gegründetes Asylrecht. Sie gehört zu einer Gemeinschaft, die dort ihr erstes Zentrum hat. Pfarrei ist so Vorform von Gemeindebildung, mit dem gemeinsamen Recht kirchlicher Versorgung, allerdings unter der Bedingung vollständiger Unterordnung. Und die Priester haben ein durchaus materielles Interesse, dass es eher Zu- als Abwanderung bei ihrer "Herde" gibt, kommen doch zu den allgemeinen Abgaben zunehmend noch die bei kirchlichen Dienstleistungen wie der Taufe dazu.

 

Während Juden mehr oder weniger in rechtlicher Sonderstellung ein Dasein in der lateinischen Christenheit erlaubt wird, kann ein Nichtjude jetzt nur noch im Rahmen einer Pfarrei überhaupt existieren ("Pfarrzwang"). Und ohne die Hilfe des Priesters ist es nicht einfach nur unmöglich, dereinst "durch die Pforten des Paradieses" zu schreiten, sondern man landet, wie einem ständig vorgehalten wird, in jenen ewig währenden Folterkellern, die Hölle heißen.

Deshalb gibt es dort, wo keine Pfarrkirche ist, wenigstens eine einfache Kapelle, zu der der Priester mit einem tragbaren Altar regelmäßig hinreisen kann.

 

Manche Pfarrer stehen dem Populus bzw. der Plebs näher, wie das "Volk" damals manchmal genannt wird, auch wenn die Pfarrei neben der sich weiter ausweitenden Grundherrschaft die Basis des herrschaftlichen Disziplinierungs- und Unterdrückungsapparates zu sein hat. Sie strukturiert den Lebensalltag der meisten Menschen so wie die Pflichten gegenüber den weltlichen Herren, ist aber als feiertäglicher Raum von den Mühen produktiver Arbeit abgehoben.

 

Wieviel und was für ein Christentum den Menschen abverlangt wird, wird in einem Brieftext des Erzbischofs von Lyon an den Bischof von Langres um 853 deutlich:

Auf dass die Plebs ruhig in ihren Pfarreien und den Kirchen, zu denen sie gehört, lebe, wo sie die heilige Taufe empfängt, wo sie Körper und Blut des Herrn empfängt, wo sie die Gewohnheit pflegt, die Feierlichkeiten der Messe anzuhören, wo sie vom Priester die Strafen für ihre Verbrechen/Sünden empfängt, den Besuch bei Krankheit, wo man außerdem von ihnen die Zehnten und die ersten Früchte abverlangt. (in Audebert/Treffort, S.84, m.Ü.) 

Zu ergänzen wäre noch die Beteiligung des Priesters beim Tod des Menschen.

 

 

Das Land in Italien

 

Die Landwirtschaft verharrt wie im Merowingerreich vor allem bei Spaten, Hacke und Sichel, auch wenn es vereinzelte Pflüge gibt. Angebaut werden weiter Getreide, Wein und Oliven, wozu Bohnen und Obst kommen. Ergänzt wird das vielleicht durch ein Schwein, eine Kuh und ein paar Hühner, aber zu vermuten ist, dass nur die langobardischen Einwanderer etwas mehr Viehzucht betreiben und Hirten in den Gebirgen. Getreide ist Grundnahrungsmittel, in der Poebene eher Roggen und in der Toskana Weizen, und die Erträge traditioneller Zweifelder-Wirtschaft sind wie im fränkischen Reich sehr gering.

 

Offenbar gibt es einen beträchtlichen Anteil kleiner freier Bauern, die ihr Land besitzen und sich im wesentlichen selbst versorgen. Soweit sie auf den nahen kleinen Markt kommen, versorgen sie sich dort wohl mit Waren.

Manche kleine landbesitzende Bauern pachten dazu, und viele andere sind zur Gänze Pächter. Die Pachten dürften in Anteilen von dem bestehen, was die Bauern für sich selbst anbauen (Wickham, S.95).

Bischöfen, anderen Kirchen und Klöstern gelingt es ebenso wie einzelnen weltlichen Herren, langsam immer mehr Großgrundbesitz anzuhäufen.

 

Unter langobardischer Herrschaft bilden sich Dörfer, in denen freie Besitzbauern, freie und unfreie Pächter und Sklaven zusammen hausen. Der Anteil an Sklaven begann schon im späten West-Imperium zurückzugehen und nimmt weiter ab. Der Besitz größerer Herren wird zumindest im Norden von Herrenhöfen aus organisiert, die in durch Dienste bewirtschaftetes direktes Herrenland und die Pachthöfe geteilt sind. Im Süden und insbesondere in Sizilien fehlen solche Dienste wohl, und es gibt nur die geldwerten Abgaben der Pächter.

 

 

Gewerbe, Handel und Finanzen in Gallien und Germanien

 

Die anderthalb-tausendjährige griechisch-lateinische Zivilisation zerbricht zweimal, einmal in der Lösung des griechischen Teils vom lateinisch-römischen spätestens ab dem 4. Jahrhundert, und dann ab dem 7. Jahrhundert im rasanten Aufstieg islamischer Reiche, die dem lateinischen und dem griechischen Abendland schnell dauerhaft einen großen Teil ihres Raumes nehmen, bis der rest-griechische am Ende mit Folgen bis heute in hohem Maße orientalisiert wird, während im lateinischen Raum zur gleichen Zeit immerhin Spanien zurückgewonnen werden kann.

 

Archäologische Untersuchungen deuten darauf hin, dass "um 600 die wirtschaftliche Kraft der Küstenregionen des zentralen und westlichen Mittelmeers weithin erschöpft" ist (Hodges, S.43, m.Ü.) Dasselbe gilt dann im 7. Jahrhundert auch für Byzanz jenseits seiner Hauptstadt. Die schnelle arabische Expansion trifft damit wohl auf bereits geschwächte Regionen.

Spätestens im vierten Jahrhundert beginnt der Rückgang von Bevölkerung, Produktion und Warenverkehr im weströmischen Reich. Er hält je nach Gegend möglicherweise bis ins 7./8. Jahrhundert an. Für ein Quantifizieren fehlen allerdings die Daten.

 

Baugewerbe mit Stein findet nur selten noch Arbeit und muss vermutlich über größere Entfernungen von Ort zu Ort ziehen. Bauhandwerker und herausragende Goldschmiede werden auch von weither herbeigerufen. Töpfermanufakturen entstehen in der späten Merowingerzeit neu, aber nun auf dem Lande, genauso wie die seltenere Herstellung gläserner Waren. Eisen- und Bleiabbau wird mit wohl kurzer Unterbrechung ein wenig weitergeführt.

Motor der wirtschaftlichen Entwicklung werden auch die Waffen- und Rüstungsproduktion aus Eisen, die den erneuten Aufstieg des Schmiedehandwerks befördern, wobei auch das Metallgewerbe erst einmal sich oft auf dem Lande befindet. Aber in den Städten mit einer gewissen Kontinuität bleibt ein Rest bald in die Grundherrschaft eingegliedertes Handwerk bestehen, und insbesondere ganz im Norden entstehen bald auch kleine Handelsorte, an denen sich dann wohl auch freies Handwerk ansiedelt. Aber über all das weiß man sehr wenig.

Gregor von Tours berichtet in den Virtutes Martini von einem Schneider aus Paris, ingenuus genere, der nach Tours wandert.

 

 

Die fränkische Oberschicht als wohlhabendster Konsument im lateinischen Abendland stellt noch ein wenig einen Markt her. Der Handel geht also massiv zurück, aber er verschwindet nicht völlig. Im nun fränkischen Gallien gibt es weiterhin etwas regionalen Handel. In der Merowingerzeit mit ihren geringen Quellen werden weiter einzelne Kaufleute (negotiatores) erwähnt. Solche mercatores bzw. negotiatores sind Leute, die Waren einkaufen, um sie zu verkaufen. Ziel ist der Gewinn. Aber auch Ladenbesitzer heißen manchmal so. (ClaudeHandel, S.169)

 

Das Christentum verurteilt zwar den (gewinnbringenden) Handel, aber Kirche und Kloster haben zugleich daran teil. Augustinus hält negotiatores für besondere Sünder und Betrüger, die periuria betreiben. Ähnlich äußern sich Salvian von Marseilles und andere Geistliche. Caesarius von Arles hebt auf die unmoralische Lebensweise reisender Händler ab. Tatsächlich nutzt der wohlhabendere Klerus die Dienste der Händler und beteiligt sich manchmal am Handel. (ClaudeHandel, S.203)

 

Gregor von Tours erzählt von der Bitte des (mittellosen) Bischofs von Verdun an seinen König Theudebert um 540, ihm für die Bürger seiner Stadt Geld zu leihen, auf dass wir damit unsere Bürger zu unterstützen (cives nostros relevare) vermögen; und wenn sie durch ihre Geschäfte den Handel in unserer Stadt auf dieselbe Höhe gebracht haben, wie ihn andere Städte haben, werden wir dir dein Geld mit den genehmigten Zinsen (cum usuris legitimis) zurückgeben. (Historien X,34)

Der König gibt 7000 Goldmünzen, die der Bischof an die Bürger weitergibt. Doch diese wurden Handel treibend dadurch reich gemacht und gelten bis heute als vermögende Leute. Unabhängig davon, was an dieser Geschichte den Tatsachen entspricht, lobt ein Kirchenmann hier das Spiel von Investition und Gewinn und man erfährt nebenbei, dass es in Verdun eine ganze Anzahl handeltreibender Bürger gibt. Dass die Geschichte ansonsten wahr ist, bleibt dahingestellt (siehe Vercauteren in: Verhulst, S.100)

 

Es gibt weiter Münzstätten im Frankenreich, insgesamt lassen sich rund 700 bis 800 vor allem für Goldmünzen  nachweisen, von denen viele aber nur kurzlebig sind. Goldmünzen werden unter der Aufsicht von Vertretern der Oberschicht (Monetaren) geschlagen. Schon Theudebert I. lässt in der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts in antiker Tradition Münzen mit Bild und Namen des Ausstellers prägen. Es gibt zunächst genug Münzen in Gold, weniger in Silber und zunehmend seltener in Kupfer.

Im 7. Jahrhundert nehmen Silbermünzen zu, auch weil im lateinischen Abendland die Goldvorkommen fehlen und der Handel eher überschaubar bleibt

Insgesamt tendieren aber Münzen durch die Nachantike und das Mittelalter dazu, knapp zu bleiben, da sie auf Edelmetall basieren, an das man erst einmal kommen muss.

 

Anlässlich der Pest in Marseille 588 schreibt Gregor von Tours:

Inzwischen war ein Schiff aus Spanien mit den üblichen Handelswaren im Hafen von Marseille angelandet worden, das den Keim dieser Krankheit fahrlässig mit sich gebracht hatte. Weil so viele Menschen von diesem Schiff Verschiedenes kauften, brach sofort in einem Haus, das von acht Menschen bewohnt war, die Krankheit aus (... Gregor IX,22)

 

Ein Julianus ist auf seinem Epitaph dokumentiert: Er häufte sehr viel Gold an, aber er verteilte es an die Armen. Er schickte viele Schätze voraus, denen er dann folgte. (in: Scholz, S. 219) Während sich hier die Gier in Frömmigkeit auflöst, wird sie anderswo durchgehalten, wie Gregor von Tours beschreibt (wenn es denn so stimmt):

Ein gewisser Mann in Lyon trachtete mit Mühe danach, eine Goldmünze zu bekommen, doch entflammt durch den verfluchten Hunger nach Gold wollte er mit diesem einen Goldstück seinen Geldbeutel füllen (...) Also kaufte er von dieser einen Goldmünze Wein und nachdem er ihn mit Wasser vermischt hatte, verkaufte er ihn wieder für Silbergeld und verdoppelte sein Geld. Dies machte er wieder und wieder und so ist er lange ein Anhänger des schändlichen Gewinns geworden, bis er 100 Goldmünzen (Solidi) aus dieser einen erworben hatte. (Liber in gloria confessorum, 10) Vielleicht beschreibt Gregor hier auch nur schematisch die Karriere eines Selfmade-Kapitalisten.

 

Solche Kaufleute scheinen sehr selbständig zu operieren und über ein Netzwerk von Informanten zu verfügen. Bezahlt wird in der Regel mit Geld.

 

Neben den in die familia des Grundherren eingereihten Händlern in dessen unmittelbaren Diensten, die allerdings wohl auch nebenbei eigene Geschäfte betreiben, gibt es eben auch reisende Fernhändler, die mehr Freiheit(en) genießen. Unter ihnen sind viele Friesen, so dass der Volksbegriff oft als Synonym für (freier) Händler auftaucht. In Mainz gibt es ein ganzes Friesenviertel, belegt sind sie auch in Straßburg, Worms, Köln und Duisburg. Neben ihnen treten besonders für den Fernhandel in südliche Richtung und über das Mittelmeer hinweg Juden und Syrer auf. Es mag bezeichnend sein, dass Händler in den fränkischen Volksrechten (leges) nicht auftauchen. (Siems in: Jankuhn/Ebel, S.125) Sie haben wohl ihr eigenes Gewohnheitsrecht ausgebildet.

 

Für die erste Hälfte des 7.Jahrhunderts wird ein waffentüchtiger fränkischer Kaufmann Samo von Fredegar erwähnt, der mit seiner Handelskarawane gerade dann im Slawengebiet unterwegs ist, als man sich dort zum Aufstand gegen die Awaren rüstet, und der zum Anführer dieser Slawen wird, die dann auch noch in Kriege mit Franken und Alemannen geraten.

 

 

Römerstraßen werden im Auftrag von Königen und Grundherren von abhängigen Bauern als Dienstpflicht gepflegt. Verpflichtet werden zumindest im Osten die vielleicht aus den Laeten hervorgegangenen halbfreien Lazen. (Staab, S.32ff) Das Straßenwesen dient neben dem Handel auch den Botendiensten und den Heerzügen. Die zwei Rheinbrücken bei Köln und Mainz werden offenbar immer wieder repariert.

 

Im zentraleuropäischen Binnenland sind die wichtigsten Handelswege Flüsse, vor allem Rhein (mit Main und Mosel), Maas und Seine, etwas auch die Loire.  In den Historien des Gregor von Tours heißt es:

In diesen Tagen begab sich der Kaufmann Christophorus nach Orléans. Er hatte nämlich gehört, dass dorthin viel Wein gebracht worden war. Er ging also hin, und nachdem er den Wein eingekauft hatte und dieser auf Kähnen verschifft worden war, begab er sich mit viel Geld, das er von seinem Schwiegervater empfangen hatte, mit zwei sächsischen Knechten zu Pferd auf den Heimweg. (Gregor, VII,46)

 

Über Rhône und Saône gibt es eine Nord-Südverbindung mit dem Mittelmeerhafen Marseille, über den (wohl nur sporadisch) arabische und byzantinische Luxusgüter wie Gewürze und Textilien gehandelt werden. Geliefert werden dorthin u.a. Holz, Waffen und Sklaven. Die Rhone und Marseille verlieren aber spätestens im 8. Jahrhundert erst einmal an Bedeutung.

Antike Flusshäfen werden, auch als Zollstellen, weiter benutzt und gepflegt, brauchen jetzt aber nur kleineren Schiffen zum Anlanden zu dienen. (Staab, S.108 für den Mittelrhein)

 

Der Fernhandel im Merowingerreich nimmt dann langsam wieder zu und verlagert sich vom Mittelmeer weg stärker nach Norden. Selbst im nördlichen Gallien zwischen Boulogne und dem Rhein- und Maasland dürften Handel und Handwerk, auch Fernhandel nicht völlig abgebrochen sein und erleben im siebten Jahrhundert einen gewissen Aufschwung. In diesem wird Maastricht gegründet und entwickelt sich zu einem gewerblichen Zentrum mit Metallarbeiten, Keramik und Glassproduktion. Friesen beherrschen den Nordseehandel wie Skandinavier den der Ostsee. Zudem reisen friesische Händler auch den Rhein bis Straßburg hinauf und verkaufen dort unter anderem ihre Wolltuche. In dieser Zeit entstehen auf beiden Seiten des Ärmelkanals Handelsorte, an denen sich Gewerbe ansiedelt: Quentovic und Dorestad auf der fränkischen Seite, Hamvic (Southhampton) in Wessex, dann an der Nordsee Lundenvic (London) in Mercia, Ipswich in East Anglia und York in Northumbria. Im späteren Dänemark entsteht Ribe und im noch späteren Schweden Birka. (s.w.u.)

 

Im fränkischen Binnenhandel werden nun unter anderem Wein, Öl, Wachs, Salz und Getreide sowie Tuche aus Friesland, Leder, Papyrus, Waffen, Keramik und Schmuck gehandelt. (GoetzEuropa, S.201)

 

Wichtige Abnehmer sind neben den Herrschern und reichen Bischöfen die großen Klöster wie Saint Denis oder Corbie, die selbst eigene Händler beschäftigen. Bei Saint Denis in der Nähe von Paris entsteht daraus Mitte des siebten Jahrhunderts der große Jahrmarkt, eine Frühform der Messe, von König Dagobert I. gegründet, in dem bald neben Syrern und Juden auch Westfranken, Friesen und Angelsachsen (z.B. 709) als Händler auftreten. Sie verkaufen dort vor allem Wein und Textilien.

 

Es gibt überhaupt auch weiter Märkte. Zölle und andere Abgaben z.B. von Märkten werden eingenommen. Zölle an Häfen, Flüssen, Brücken und Straßen fließen in den Königsschatz (Scholz, S.216).

 

 

Handel im Mittelmeerraum

 

Das Maß der Nutzung der üblichen Handelswege ist nicht einmal mehr abzuschätzen. Es gibt (gelegentlichen) Schiffsverkehr zwischen Rom und Sizilien, zwischen Italien und Karthago, Marseille, Nizza. Um 700 verschwindet der Handel mit Afrika. Der Schiffsverkehr zwischen Gallien und Italien nimmt gegen Ende des 7. Jahrhunderts erheblich ab

Es setzt kaum größerer Handel über die Alpen ein. (ClaudeHandel, S.136f)

Schiffsverkehr zwischen Spanien und Italien ist selten und verschwindet um 600 zunächst fast ganz, zwischen Gallien und Nordafrika ist er selten und verschwindet um 700, zwischen Gallien und Spanien ist er vielleicht etwas häufiger, es gibt möglicherweise mehrere Schiffe pro Jahr. Zwischen dem Westgotenreich und Nordafrika mag es ähnlich sein.

 

Einzelne Fahrten zwischen Gallien bzw. Italien und Konstantinopel finden als Küstenfahrt mit Zwischenstationen statt. Im Mittelmeer bleibt als Haupthandelsroute noch die von Rom um Süditalien und durch die Ägäis nach Konstantinopel/Byzanz. Überhaupt bleibt Rom zentraler Umschlagplatz für Waren. Selten sind Schiffe zwischen Italien und Alexandria dokumentiert, aber es muss sie beim Reichtum Ägyptens häufiger gegeben haben. Andere fahren in Karthago los.

 

Umgeschlagen werden die über die See transportierten Waren in Häfen. In der Regel sind das die noch existierenden der Antike, von denen einige aber in der Nachantike versanden. Die Ankunft der Schiffe ist damals nicht genau im voraus berechenbar. Verkauft werden die Waren an den Anlegestellen, nur für Rom werden sie in Porto auf kleinere Schiffe verladen. Was nicht gleich verkauft wird, muss in Häfen gelagert werden.

 

Die Goldbestände als Zahlungsmittel sinken seit dem 5. Jahrhundert erheblich. Aber die hohen Herren betreiben Schatzbildung in Gold und nutzen byzantinische Goldmünzen. Im 7. Jahrhundert geht das Frankenreich zur Silberwährung über. Wahrscheinlich nimmt im letzten Jahrhundert des Westgotenreiches auch dort die Geldzirkulation ab.

 

 

Gegen Ende des westlich-antiken Imperiums nimmt der Anteil syrischer (levantinischer) Händler in Italien und Südspanien zu, auch in Südgallien, wo sie ebenfalls ansässig werden (Salvian). Es scheinen Armutsflüchtlinge aus ihrer Heimat zu sein. (ClaudeHandel, S.171) Sie sind aber nur zum Teil Fernhändler, und verschwinden im 7./8. Jahrhundert, inzwischen wohl integriert, aus den Quellen. Vor allem in Rom scheint es viele griechische Händler zu geben. Bis tief ins 9. Jahrhundert sind zudem griechische Händler von Byzanz aus unterwegs.

Die religiöse und sich quasi-ethnisch abschließende Gruppe der Juden ist seit der Antike im Mittelmeerraum aktiv. Sie sind in Quellen für Spanien und Gallien zunächst vor allem als Käufer an Anlegestellen erwähnt. Es gibt unter ihnen aber auch einzelne Fernhändler, zum Beispiel in Neapel. Aufgrund ihrer starken Unduldsamkeit integrieren sich nur wenige von ihnen.

Im lateinischen Mittelmeerraum sind Hinweise auf christliche heimische Kaufleute, die Mittelmeerhandel betreiben, eher selten. (ClaudeHandel, S.190) Das Frankenreich besitzt kaum Schiffe, im Unterschied zu Italien (Neapel, Sizilien)

 

Die antiken Reeder verschwinden, und in vielen Fällen sind Eigner eines einzelnen Schiffes auch Fernhändler, die mit ihrem Schiff reisen. Bei teuren Luxuswaren werden wohl mehrere Kaufleute ein Schiff bzw. Frachtraum gemeinsam mieten, wenn diese nicht zusätzlich zu Massenware transportiert werden.

Fernhändler nehmen schriftkundige Lohnarbeiter als Gehilfen mit. Wie die Händler an nötige Marktinformationen (Nachfrage, Preise etc.) gelangen, ist unklar. Bezahlt wird in Goldmünzen und Waren. Bewohner der venezianischen Lagune verwenden offenbar auch Salz als Zahlungsmittel.

Wenig Kapital braucht man, wenn man Auftragshandel betreibt. Östliche Händler dagegen scheinen manchmal erhebliche Kapitalien besessen zu haben (ClaudeHandel, S.219) Manche westliche See-Fernhändler beginnen ihren Handel mit einem Kredit. Es gibt aber kaum professionelle Finanziers, nicht selten sind Kreditgeber im Osten Bischöfe, die manchmal auch selbst Handel treiben.

 

Man kann grundsätzlich von Korruption bei Grafen und ihren Beauftragten ausgehen, was Handel behindert haben dürfte, wobei diese aber nicht als solche angesehen wird. Sie pressen den Kaufleuten zusätzliche Abgaben ab und lassen sich, fast dasselbe, wohl auch gerne bestechen. In diesem Zusammenhang sind auch die oft nötigen Pässe für Ein- und Durchreise zu erwähnen, die sicher mit "Geschenken" verbunden sind. Das gilt für Franken, Ostgoten und Langobarden-Reiche wie für Byzanz.

Es gibt auch Ausfuhrverbote, vor allem von Byzanz verhängt; bekannt sie die von Eisen und manchmal von Getreide, insbesondere spätestens seit dem 8. Jahrhundert gegen die "Araber", die sich ähnlich verhalten. Entsprechend gibt es regional auch Exportgenehmigungen, aber keine Handelsverträge zwischen den Reichen. Handelsverbote gibt es zudem in Kriegszeiten. Behindert wird Handel auch durch Plünderungen von Hafenstädten durch Vandalen, Awaren, Slawen zwischen dem sechsten und achten Jahrhundert. Vermutlich gibt es zeitweilig Behinderungen des Handels durch den kriegerischen Islam im 7. und frühen 8. Jahrhundert. Aber schon bald werden dann Sklavenschiffe von Italien in islamische Gebiete erwähnt.

In der Krise von Byzanz sinkt die private Nachfrage seit dem siebten Jahrhundert massiv und es bleibt fast nur die des Staates. Die gewerbliche Produktion verringert sich massiv und wird qualitativ immer schlechter. Die Geldwirtschaft verliert erheblich an Bedeutung.

 

 

Seefahrt im Mittelmeer ist nur von April/Mai bis Oktober möglich, ansonsten wegen der Stürme zu gefährlich. Im Winter gibt es eher seltene Küstenfahrten. Bei Flauten oder widrigen Winden leiden die Mannschaften Durst und Hunger. Manchmal muss dann die Ladung über Bord geworfen werden. In Stürmen auch in der Schiffahrts-Saison gehen Schiffe wohl nicht selten unter.

 

Schiffsbau benötigt lange Bretter und große Balken, Eisen, Pech und Leinen und natürlich Schiffszimmerleute. Das bedeutet also für sich wieder Nachfrage auf dem Markt. Seit dem 7. Jahrhundert wird eine Skelettbauweise mit Lateinsegel eingeführt. Beiboote sind notwendig, wo kein entsprechender Hafen vorhanden ist.

Handels-Schiffe, allgemein navis, sind Segelschiffe, teilweise auch zusätzlich mit Ruderern. Sie sind seit dem 5.Jahrhundert deutlich kleiner als zuvor, vielleicht auch wegen des geringeren Handelsvolumens.  Das betrifft selbst Venedig bis ins 11. Jahrhundert, und sie bleiben nur in Byzanz größer. Solche kleinere Schiffe fahren seit dem 5. Jahrhundert zur Sicherheit tendenziell eher Küstenstrecken.

Die Orientierung gelingt über Landmarken und nachts über die Sterne. Unter günstigen Bedingungen sind Tagesleistungen von um die 100 km möglich, meist aber eher weniger. Die Strecke Ravenna-Konstantinopel braucht bis zu 3 Monate, Agrigent-Karthago im besten Fall 3 Tage.

Die Transportkosten für Getreide werden auf 10-15% des Warenwertes geschätzt, sie sind aber je nach Gewicht und Volumen unterschiedlich, und sie sind für Luxuswaren am geringsten.

 

 

Massenwaren wie Getreide oder Öl werden von lateinischen Potentaten wie den Päpsten und Bischöfen mit ihren Einnahmen aus der produktiv arbeitenden Bevölkerung zur Versorgung städtischer Massen eingekauft. Ohne diese Versorgung kann es in Rom oder Konstantinopel zu Hunger-Unruhen kommen. Sie werden aber auch häufiger auf einem freien Markt verhandelt.

Getreide kommt aus Sizilien und im 6. Jahrhundert aus Italien. Es wird rein kommerziell exportiert, wenn Mangelsituationen irgendwo bekannt werden, was informationstechnisch aber oft schwierig ist.

Öl und Oliven aus Spanien oder Nordafrika gehen im 6./7. Jahrhundert über Marseille nach Gallien.  Italienisches Öl geht nach Byzanz, unter den Langobarden kommt es auch von dort.

Wein ist ebenfalls Massengut in Amphoren, was den Transport verteuert wie den von Öl. Im 7. Jahrhundert wird dann auf Fässer umgestiegen.

Salz aus der venezianischen Lagune wird vor allem über den Po in Norditalien verkauft.

 

Ansonsten handelt es sich ohnehin fast nur um Luxusgüter für wenige Reiche und Mächtige. Importe von Garum (Fischsauce) und ähnlichem Liquamen werden zum Beispiel im 7.Jh. an reiche Klöster wie Corbie verkauft, welches sich auch mit Datteln, Pfeffer und Kümmel eindeckt, bzw. vom König damit beschenkt wird, so wie mit anderen exotischen Gewürzen aus dem Raum des Indischen Ozeans.

Laut einer Urkunde von 716 erhält das Kloster Corbie damals im Hafen von Fos-sur-Mer bei Marseille u.a.: 10 000 Pfund Olivenöl, 30 Pfund wertvollstes Garum, 30 Pfund Pfeffer, 150 Pfund Kümmel, 2 Pfund Gewürznelken, 1 Pfund Zimt, 2 Pfund Lavendel, 50 Pfund Datteln, 100 Pfund Feigen, 100 Pfund Mandeln, 30 Pfund Pistazien, 100 Pfund Oliven, 150 Pfund Erbsen, 20 Pfund Reis, 10 Pfund Talg und 50 Rollen Papayrus. (Scholz, S.220)

 

Einzelne fränkische Händler sollen selbst bis nach Indien gelangt sein. (ClaudeHandel, S.84f) Seltene Seidenstoffe für hohe Würdenträger kommen aus Byzanz, ebenfalls aus dem Osten seltene Luxusstoffe mit Purpur und aus Baumwolle. Leder wird aus Spanien (Cordouan) importiert. Teures Papyrus aus Ägypten gelangt in größerer Menge bis ins späte 7. Jahrhundert an Klöster. Es wird dann in den nächsten Jahrhunderten langsam durch Pergament abgelöst

Zum Luxus aus Osten gehören auch silberne Gegenstände und Edelsteine.

 

Langobarden verkaufen laut Gregor d.Gr. Massen versklavter und gefesselter Römer ins Frankenreich (ClaudeHandel, S.95f) Auf dem Sklavenmarkt von Marseille tauchen ebenfalls italienische Händler auf, maurische Sklaven werden nach Gallien verkauft. In der Provence kann man junge Angelsachsen kaufen.

 

 

Handwerk

 

Die Kunst (ars) des "Handwerks" wird erst viel später im Mittelhochdeutschen von den übrigen artes mechanicae getrennt, zu denen auch die agricultura gehört und die von den freien Künsten getrennt sind.

Vermutlich freieres Handwerk entsteht neben freiem Handel in den nördlichen Emporien (s.u.), die damit ihren Charakter ändern und zunehmend unter die Kontrolle größerer Herren und dann auch Könige gelangen. All das verschwindet nach der Karolingerzeit.

Ansonsten ist das Handwerk weithin in die auch die Stadtansätze umfassenden Grundherrschaften eingegliedert und zum guten Teil weiter auf dem Lande angesiedelt. Weberinnen in etwa im Status von Sklaven stellen mit Spinnen und Weben die Tuche auf den Gynecäen, Frauenhäusern des Gutshofes her, die mit Woll- und Flachsabgaben der Herrenhöfe der weiteren Umgebung beliefert werden. Vermutlich dient ein Teil der Produktion dem Handel. Nur in Nordgallien gibt es noch städtische Zentren für die Erzeugung hochwertiger Stoffe.

In einer Aufzählung Karls d. Gr. für seine Krongüter (Capitulare de Villis) heißt es dann:

Jeder Amtmann soll in seinem Bezirk tüchtige Handwerker zur Hand haben: Grob-, Gold- und Silberschmiede, Schuster, Drechsler, Stellmacher, Schildmacher, Fischer, Falkner, Seifensieder, Brauer – Leute, die Bier-Apfel- und Birnmost oder andere gute Getränke zu bereiten verstehen -, Bäcker, die Semmeln für unseren Hofhalt backen, Netzmacher, die Netze für die Jagd, für Fisch- und Vogelfang zu fertigen wissen, und sonstige Dienstleute, deren Aufzählung zu umständlich wäre. (Schulz, S. 24) Nur große Güter können natürlich eine solche Vielfalt aufweisen.

Zum Kloster Corbie gehören 822 zahlreiche Handwerker, Schuster, Tuchwalker, Schmiede, Schildmacher, Pergamenter, Schleifer, Gießer, Stellmacher. Zu welchem Herrengut die Handwerker auch gehören, sie arbeiten in persönlicher Abhängigkeit von ihren Herren.

 

In die familia eingeordnete Handwerker werden von hohen Herren für deren Luxusbedürfnisse gefördert. Sie werden zum Beispiel zur Ausbildung in der Goldschmiedekunst zu Meistern anderer Herren geschickt; der Erzbischof Ebo von Reims (gest.851) bietet zum Beispiel „einigen artifices Wohnungen an, um sie in seine Stadt zu ziehen; und Ludwig der Fromme offeriert ihm aus der Schar seiner Hörigen einen Goldschmied als Geschenk.“ (Nonn, S.60)

 

Unter den Handwerkern, die manchmal Produkte auf dem Markt verkaufen, gibt es die vielen mehr oder weniger Unfreien, die auf Herrenhöfen arbeiten, dann persönlich Unfreie, aber in ihrem Gewerbe Freie, die auch auf eigene Rechnung arbeiten und verkaufen können, und eine wohl kleine Minderheit persönlich freier und wirtschaftlich unabhängiger Leute. Genaueres ist nicht bekannt.

 

Wichtige Branche ist sicherlich weiterhin die Keramikproduktion, wobei neben Schüsseln und Bechern die Vorratsbehältnisse eine große Rolle spielen. Hier scheint es inzwischen in Gegenden wie dem Nordosten der Eifel wieder eine gewisse Massenproduktion zu geben.

 

 

Grundherrschaften kontrollieren mit den Vorkommen auf ihrem Land einen großen Teil der gewerblichen Rohstoffe. Im Churer Reichsgut-Urbar ist in Vorarlberg ein ganzes ministerium, "ein Domänenbezirk, ausschließlich mit der Eisenproduktion beschäftigt. Acht Schmelzhütten werden genannt, die Eisenabgaben sind vergleichsweise hoch. Außer dem König erhält der Schultheiß Eisenabgaben." (Sprandel in: Schwineköper, S.21) In die Eisenproduktion ist dann, wie besonders für Italien dokumentiert, auch Lohnarbeit von servi integriert.

 

Ein für jeden notwendiger Rohstoff ist das Salz, dessen Gewinnung aus dem Meer oder aus Steinsalz ebenfalls von Grundherren  betrieben wird. So besitzt das Kloster Prüm z.B. Salzpfannen in Vic-sur-Seille, die seit 864 im Metzer Hafen umgeschlagen werden.

"Den Transport auf der Mosel besorgten die Mitglieder der centena zu Mehring unter der Leitung eines grundhörigen gubernator navis, dem auch Weintransporte für das Kloster oblagen und der mit seinem festen Personal, das wir neben der centena annehmen müssen, wahrscheinlich schon Salz,- Wein- und andere Transporte auf eigene Rechnung durchführte. Er kann auch am Salzverkauf in den Hafenrastplätzen an der Mosel zwischen Metz und Mehring beteiligt gewesen sein; die Hauptlast des Salzabsatzes trugen aber zwei andere Gruppen, die in Vic selbst oder auf den nahen Märkten in Marsal, Moyenvic und vor allem Metz, ein Viertel des Salzertrags zu verkaufen und aus dem Erlös 16 Denare monatlich (= ca.27g Silber!) als Zins zu bezahlen hatten, sowie die Prümer Hufenbauern im Caros- und Bidgau, die auf dem Markt von Rommersheim (...) wahrscheinlich aber auch im zeitweisen Hausierhandel von Dorf zu Dorf und Hof zu Hof Verkaufsdienst für das Kloster leisten mussten, und zwar für Wein und Salz." (Irsigler in: Flink/Janssen, S.60f)

 

 

Aus den steigenden Einnahmen aus der Landwirtschaft, den Märkten, aus Münzen und Zöllen leisten sich reiche und mächtige Herren größere Palastbauten samt deren Einrichtungen. Inspiriert von der Begegnung mit dem antiken und nachantiken Italien geht Karl ("der Große") voran. Er beginnt mit einem neuen großen Palast in Paderborn 777, ab etwa 780 entsteht die mit Bädern gesegnete große Pfalz zu Aachen mit Königshalle, Pfalzkapelle, einem Wohnturm, einer Garnison und Gerichtssälen samt einer Thermenanlage nach antikem Vorbild. wobei Vorbilder und Bauteile aus der italienischen Antike (Ravenna) genutzt werden. Handwerker und Händler siedeln sich an, ein größerer Markt entsteht. Etwa in derselben Zeit beginnt der Bau der Pfalz von Ingelheim und der von Nimwegen. Viele andere folgen. Derweil beginnen Bischöfe und Äbte mit eigenen Palastbauten und Klöster werden prächtiger ausgebaut. Mehr zentrale Kirchen werden wieder aus Stein gebaut. Bedrohte Städte versuchen, Befestigungen zu reparieren oder neu zu errichten.

So entstehen in der sogenannten "karolingischen Renaissance" vor allem zwischen Seine und Rhein 27 neue Kathedralen, 417 Klöster und 100 Königspfalzen (Heitz in: Hodges, S.66)

 

Damit lässt sich seit dem 9. Jahrhundert zunehmendes Bauhandwerk in Stein und Holz an Baustellen nieder, die Jahre oder Jahrzehnte überdauern.Solche Baustellen brauchen viel Geld, auch wenn viel Arbeit als Dienst am Grundherrn verrichtet wird. Werkstätten für die Versorgung der Insassen kommen dazu und Wohnstätten für Händler.

 

 

 

Wurzeln II: Konsum und Handel

 

Die allermeisten Menschen, die Nahrungsproduzenten, konsumieren kaum mehr als ihre eigenen Erzeugnisse. Wenn dann über ihre Abgaben hinaus schon mal ein kleiner Überschuss bleibt, der auf einem nahen Markt verkauft werden kann, geht der für notwendige Gerätschaften drauf, soweit sie sie nicht selbst herstellen können. Handwerker in der Grundherrschaft haben wohl oft eigene Landwirtschaft, oder sie müssen Nahrungsmittel für ihren Konsum zukaufen. 

 

Größere Grundherren versorgen sich mit ihren Lebensmitteln aus ihrem Land, haben aber von diesem auch die Möglichkeit, Einkünfte zu erzielen, mit denen sie anders als fast alle anderen Konsumgüter eintauschen bzw. einkaufen können, was für sie hörige Händler erledigen, die auch Transporteure sind.

Vor allem weltliche Herren demonstrieren ihren Rang nach außen weiter mit möglichst viel Luxus an Kleidern, Schmuck, Nahrungsmitteln, Gebäuden und Pferden. Dasselbe betrifft auch Bischöfe und ihre Höfe bzw. Paläste, die zudem ihre Kathedral-Kirche vor allem innen auch mit Gold, Silber und Edelsteinen sowie feinen Tuchen und Malereien ausschmücken. Ähnliches gilt für Äbte.

 

Was nicht irgendwo in der eigenen Grundherrschaft hergestellt wird, muss auf einem Markt erworben werden. Dieser beruht zunächst darauf, dass Grundherrschaften gelegentlich und wohl zunehmend größere Überschüsse für den Verkauf auf Wochen- und bald auch Jahrmärkten erzielen. Zwar ist weiterhin möglichst breite Selbstversorgung erstes Ziel, aber es ist anzunehmen, dass für Luxus vor allem auch Handelsware produziert wird: Getreide, Wein, Salz, Leinen, Holz, Steine, und manchmal sogar Metallwaren. Luxuswaren wie Seide, Gewürze, Elfenbein werden im Fernhandel importiert, der weiter aufwendig bleibt.

 

Nicht vergessen darf man die ökonomische Bedeutung von Fehden und Kriegen. Bei ihnen werden zwar regelmäßig einerseits das Land und die Höfe der Bauern zerstört und beraubt, während die andere Seite Beute macht. Aber die Nachfrage nach Waffen und Rüstung versorgt regelmäßig einen ganzen Zweig von Produzenten und Händlern mit Aufträgen. Zudem zieht ein ganzer Tross von Händlern (und Huren) mit den Heeren mit, was so selbstverständlich ist, dass es nur selten erwähnt wird.

Als König Karl ("der Kahle") nach dem Tod seines Bruders Ludwig ("des Deutschen") die Chance sieht, sich des ganzen Lothringens zu bemächtigen, erleidet er bei Andernach 876 eine vernichtende Niederlage, und bei der Flucht wird das Heer durch  die Krämer (mercatores) und Waffenverkäufer (scuta vendentes) (behindert, die) dem Kaiser und seinem Heer folgten und der ganze Tross und alles, was die Kaufleute mitführten, fiel dem Heere Ludwigs in die Hände. (Annalen von St.Bertin, in: Quellen karolReichsgeschichteII, S. 249)

 

 

Könige, Markt, Zoll

Insgesamt kann man feststellen, dass unter den Karolingern die Bedeutung des Handels zunimmt und das auch so wahrgenommen wird. Er wird vom karolingischen König und von den Großen unter ihm mit Abgabenerleichterungen und Schutzerklärungen privilegiert, und zwar für den Aufenthalt am Markt und die Wege dorthin und wieder von dort weg.

Für die fränkischen Könige wird der Handel nicht nur aus ihrem Konsumenteninteresse und zur Förderung der Macht getreuer Vasallen wichtig, sondern auch dadurch, dass sie in etwa 10 Prozent als Zoll abschöpfen. Dokumentiert ist der vor allem für die Ostgrenzen zum Slawenland. Wie wichtig Handel für Könige und Große ist, zeigt der auch da herrührende Sonderstatus der Juden als einzigen akzeptierten Nichtchristen im Reich.

 

Unter Markt verstand man zunächst einen Markttag, der zu bestimmtem Datum an bestimmtem Ort stattfand, und zwar vor allem auf dem Lande und in der Nähe der Orte der Nahrungsmittelproduktion. In dem Maße, indem solche Märkte wichtiger werden, werden sie mit einer Abgabe belegt, zugleich aber weiter privilegiert.

Markt konnte natürlich kein germanisches Wort sein. Es stammt von merx ab, der Ware, und vom mercatus, dem Ort, an dem Handel getrieben wird (mercari).

Marktwirtschaft verlangt Geldwirtschaft, und dem dienen die Münzreformen Karls d. Großen. Sie verlangt aber vor allem zumindest einen zentralen Impuls, um in Gang zu kommen. Und den bietet der Wunsch einer Oberschicht, die die wirtschaftlichen Möglichkeiten hat, an jenes Geld zu kommen, welches gegen Luxus eingetauscht werden kann.

 

Wenig überliefert, aber sicherlich vorhanden, sind Fronhöfe, an denen Produkte einer Villifikation verkauft werden. An lokalen kleineren Märkten sind auch freie Bauern und darüber hinaus alle, die - wenn auch wenige - Waren zum Überleben  brauchen. Dazu gehört insbesondere Salz, selten vor Ort vorhanden, ein überall begehrtes Gut. Es kommt für die deutschen Lande vor allem aus Reichenhall, Hallein, Schwäbisch-Hall und Lüneburg.

 

Der Handel läuft vorwiegend über Wochenmärkte und über wenige zentrale Jahresmärkte. Zentrale Märkte sind der Ort, an dem Grundherren ihre Überschüsse verkaufen und dafür Luxusgüter nicht zuletzt aus Fernhandel einkaufen. Sie liegen "in den Mauern ehemaliger Römerstädte, an Königspfalzen und Bischofssitzen, nicht selten auch vor den Pforten bedeutender Klöster und Stifter." (H.K.Schulze in: Flink/Janssen, S.15)

 

Das Wort "Messe" hat damals drei Bedeutungen: Einmal meint es den Gottesdienst, zum zweiten eine Mahlzeitengemeinschaft (die Offiziersmesse ist davon zum Beispiel erhalten geblieben), zum dritten meint das Wort aber auch die Feste des Kirchenkalenders und der lokal verehrten Heiligen, und von daher rührt das Wort Messe für Jahrmarkt.

Die Messen, vor allem noch an großen Klöstern angesiedelt, vermarkten im Unterschied zu häufigeren Märkten zunächst vor allem Luxusgüter für die Oberschicht.

 

Bis in die Zeit der Karolinger wird das alte Recht der urbanen Kerne der civitates tradiert, weiter Märkte abzuhalten. Andererseits wird es ein grundherrliches Recht, überall landwirtschaftliche Märkte abzuhalten. Im Laufe der Zeit entwickelt sich bei zunehmender Marktdichte die Vorstellung, dass die Könige das Recht der Konzessionierung solcher Märkte hätten, da vor ihren Gerichten geklagt wird, wenn die Konkurrenz solcher Orte und Tage überhand nimmt. (Pitz, S. 132)

 

Geistlichen Herren wird von den fränkischen Königen zunehmend ein Marktrecht verliehen. Ziel mächtigerer Herren wird es nun, den eigenen Markt vom Zoll zu befreien, ihn insofern immun zu machen. Dann genießen sie zum Beispiel das Recht auf Standgebühren, ohne dafür Abgaben zahlen zu müssen und indirekt auf die Transit-Zölle eines aufstrebenden Handels.

 

Einen Schritt weiter sind wir mit den Vorschriften Karls des Kahlen von 864 über die Marktaufsicht der Bischöfe und Grafen im Edikt von Pîtres (Edictum Pistense). Die betreffen die Märkte und ihre Besucher, die Kontrolle von Maß und Gewicht, Geldwesen und Preisbestimmung, Warenprüfung und Beaufsichtigung der Handwerker. (Pitz, S. 134 / Bleiber) Dabei wird zwischen alten Marktorten, wohl den civitates (und vici) und neueren aus der Zeit seines Vaters unterschieden, der an eine villa gebundene, grundherrschaftliche Märkte genehmigte. (Irsigler in: Flink/Janssen, S.53).

 

Markt-Wirtschaft entsteht so neu unter der strengen Aufsicht und aus den Interessen von Herrschern und Machthabern heraus, welches sich hier mit dem von Handel und Handwerk trifft. Etwa um 900 ist das königliche Marktregal im ostfränkischen Reich voll ausgebildet. Dies wird an den Grundherrn vergeben. Grundsätzlich gilt: „Die Ordnung des Marktes ist herrschaftlich.“ (Ennen, S.66) Marktordnungen entstehen andererseits und zugleich aus Bräuchen, die dann rechtlich tradiert werden.

 

 

Handelsräume

Mit der endgültigen Eroberung und Zivilisierung germanischer Räume vor allem nordöstlich des Rheins entstehen an Domburgen, Pfalzen und Klöstern zu Handwerkersiedlungen auch solche von Händlern, die zunehmend privilegiert werden.

 

Kirchliche Doktrin entwickelt, je mehr Tauschwirtschaft aufkommt, für christlichen Handel die Forderung nach dem "gerechten Preis", der sich allerdings nicht ernstlich definieren lässt, und über den hinaus alles Wucher sein soll. Etwas handfester wird es im Kapitular Karls ("des Großen") von 806:

Alle die, welche zur Zeit der (Getreide)Ernte und der Weinlese ohne Not, aber mit dem Hintergedanken der Gier nach Reichtum, Getreide oder Wein kaufen, zum Beispiel indem sie (eine Einheit) für zwei Denare kaufen und dann solange behalten, bis sie sie für vier oder sechs oder sogar noch mehr verkaufen können, machen sich eines unehrlichen Gewinns schuldig. Wenn sie ganz im Gegenteil kaufen, um es für sich zu behalten oder aber (gleich)  an andere zu verteilen (zu verkaufen), dann nennen wir das Geschäft (negotium). (in: Audebert/Treffort, S.49)

In der Praxis spielt damals wohl weder die geistliche noch die weltliche Ablehnung von "Wucher" alltäglich eine sonderliche Rolle.

 

 

Jüdische Händler des nördlichen Schwarzmeerraumes vermitteln zentralasiatische Seidenstoffe über Kiew bis nach Mainz. (Haussig in: Jankuhn/Ebel, S.27). Dabei hilft der Übertritt der Chasaren zum Judentum um 800, der möglicherweise aus merkantilen Gründen geschieht. Sie spielen eine erhebliche Rolle im Sklavenhandel des 9. Jahrhunderts. In Haithabu liegt auch ein chasarischer Kaufmann begraben.

 

Der Aufstieg der Karolinger fällt mit dem islamischer Despotien zusammen, welche nach 711 fast ganz Hispanien bis auf den äußersten Norden umfasst,  und mit deren Abwehr im Zentrum des Frankenreiches und dann in Nordspanien und schließlich an den Küsten Südgalliens und Italiens. Im neunten Jahrhundert fällt Sizilien an nordafrikanische Heerführer. Im ganzen lateinisch gebliebenen Mittelmeerraum findet muslimische Piraterie statt, die sich an Küstenorten festsetzt und durch das ganze 9. Jahrhundert das Rhônetal und die Provence wie auch die italienischen Küsten bedroht.

Zugleich verliert Ostrom, das Reich von Byzanz, einen Großteil seines Territoriums und muss dulden, dass sich ein fränkischer Herrscher zum zweiten Kaiser (Imperator) machen lässt, auch wenn dieser Titel dann bald an Bedeutung verliert.

 

Mit dem Islam und seiner Ausdehnung von Spanien bis nach Mesopotamien und bald dann darüber hinaus nach Osten entsteht ein viel größerer Wirtschaftsraum als der immer kleinere oströmische mit seinen schrumpfenden Ablegern in Italien und dem fränkischen mit seinen bescheidenen Ausläufern nach England und in den Nordosten.  

Ein weiteres bedeutendes Reich, viel älter als das fränkische und viel dauerhafter, ist längst mit dem chinesischen Kaiserreich entstanden, wo es viele Male größere Städte gibt als das abbasidische Samarra oder Konstantinopel. 792 öffnet sich der Hafen des chinesischen Kanton für arabische Händler, die dorthin Glas exportieren und Seide und anderes mitbringen. (Hodges, S.36)

797, 802 und 807 gehen Botschafter Karls ("des Großen") an den Hof des Abbassiden-Herrschers, und 800 reisen Botschafter von Harun Al-Rashid über Pisa nach Aachen und liefern einen Elefanten als Geschenk ab, den ein indischer Rajah besaß und den Haruns Vorgänger Al-Mahdi erworben hatte. Den technischen Vorsprung belegt ein anderes Geschenk des Kalifen: Eine mechanische Uhr auf der Basis einer Wasseruhr, die jede Stunde erklingen lässt. Jede von zwölf Stunden treten zwölf Reiter aus zwölf Fenstern und schließen dann die zuvor offenen Fenster. (siehe: Hodges, S.96)

 

In der Karolingerzeit gewinnt überhaupt islamischer Handel an Bedeutung, der allerdings vorwiegend innerislamisch stattfindet, und in dem Juden ebenfalls eine Rolle spielen. Schon Mohammed betrieb Handel und der erste Kalif ebenso. Es gibt Formen von Handelsgesellschaften, die auch Fernhandel betreiben. Vergleichbares zu Kaufmannsgilden kann aber nicht entstehen, da sie die Willkür islamischer Herrscher einschränken würden, die sich auch gelegentlich gerne aus der Kasse von Kaufleuten bedienen möchten. Dafür fehlen auch Rechtsvorstellungen jenseits der religiös begründeten Scharia, die sich dann in mehrere "Schulen" aufteilt..

 

Nach etwa 820, so wird vermutet, nimmt der Handel in der Nordsee etwas ab, und langsam erscheinen mehr italienische Münzen nördlich der Alpen. 849 "berichtet Abt Lupus von Ferrières, dass die ärmlicher gewordene westfränkische Währung in Italien nicht mehr akzeptiert werde, nur noch Italica moneta argento." (Coupland in: Hodges, S. 1990, m.Ü.)

Mehr Handel über die Alpen kommt Ende des 8. Jahrhunderts auf, als der Po in größerem Umfang Handelsweg wird. Im 8./9. Jahrhundert gelangen so zum Beispiel exotische Gewürze über Venedig, Po, Alpen und Rhein nach Mainz, von dort auch, wohl noch seltener, nach England. Das wird im 10. Jahrhundert dann häufiger werden.

 

Im westslawischen Raum entstehen nach der slawischen Besiedlung Herrschaften, die in Burgen hausen, an die sich Siedlungen anschließen, die bis über 1000 Häuser umfassen können (wie Lublin im 8. Jahrhundert). Diese im 9. Jahrhundert mit einem Wall umgebenen Orte besitzen Handwerker und Händler.

 

Transport

Die Flüsse bleiben weiterhin besonders für Massenwaren wichtigste Handelswege. Schon Einhard erwähnt für die Zeit Karls ("des Großen"), dass Mainzer Händler in Süddeutschland Getreide einkaufen und mit Schiffen über Rhein und Main nach Mainz transportieren. Daneben findet Zivilisierung über Handelsinteressen in Nordgallien über die Flüsse statt, die Maas und die Schelde vor allem, denn Zivilisierung und Handelsniederlassungen gehören zusammen. Dabei ist für beide Flüsse auf ihrem schiffbaren Verlauf bekannt, dass die Tagespensen von etwa 30 Kilometern keine Entsprechung im Abstand der portus als Handelsstationen finden. Von daher wird vermutet, das solche mit dem Kreuzen von Handels - mit Flusswegen verbunden sind. (Despy in: Verhulst, S.354)

 

Geld

Handelsförderung bedeutet auch Förderung der Geldwirtschaft. Nachdem das Gold zunehmend in den wirtschaftlich stärkeren byzantinischen Raum abgeflossen ist oder als Schatz gehortet wird, führen die späten Merowinger eine neue Silberwährung ein. Der etwas einheitlichere Wirtschaftsraum des großen Frankenreiches wird dann von Karl ("den Großen") auch durch den Silberdenar mit erhöhtem Gewicht hergestellt, den die Angelsachsen übernehmen und der volkssprachlich im Osten zum "Pfennig" wird. Das wird zur Leitwährung, die für Jahrhunderte das europäische Geldwesen prägen wird, während in Byzanz der Goldsolidus weiter besteht.

 

Zunächst setzt die Reform den modius publicus als eine Art Königsscheffel für die Getreidearten fest, und setzt diesen dann jeweils mit Anzahlen von Broten und Denaren in Beziehung. "Die glatten Relationen zwischen den Preisen und der Vergleich mit anderen Kapitularien zeigen indessen, dass keine Marktpreise dekretiert, sondern Getreidepreisrelationen festgelegt und über sie Hohlmaß und Gewicht für frisches und ausgebackenes Getreide in Beziehung zueinander gebracht wurden." (Joh. Fried in: 794, S.32)

 

"Für die Zähleinheiten des neuen Währungssystems wurden römische Begriffe verwendet: 240 Pfennige (denarii) = 20 Schillinge (solidi) = 1 Pfund (librum/talentum). Pfund und Solidus bildeten nur Rechenwerte, keine real geprägten Münzen. Wenn also beispielsweise der Preis für ein Pferd 20 Pfund betrug, dann musste der Käufer 4800 Pfennigmünzen bezahlen. Um das umständliche Zählen so vieler Münzen zu umgehen, wurde das Geld gewogen." (Ertl, S.137)

 

Im Mittelmeerraum gilt weiterhin die nun von den Byzantinern durchgesetzte Goldwährung.

Aber selbst beim Denar ist der Wert zu hoch für den alltäglichen Gebrauch. „Im Alltag herrschte der Tauschhandel.“ (Groten, S. 34) Tributzahlungen in Kriegszügen unterworfener Völker werden oft in Vieh bezahlt, wie zeitweilig laut Fredegar die Sachsen an die Merowinger jährlich 500 Kühe abgeben müssen.

Überhaupt wird Münzgeld östlich des Rheins in der ganzen Karolingerzeit selten, und "das reiche Kloster Fulda bezahlte im Jahre 827 urbar gemachtes Land mit 8 Schwertern, 5 Stücken Tuch, 4 Stück Vieh, einem Pferd und zwei paar Ohrringen" (Michael North in: Römer und Barbaren, S.303)

 

Dennoch nimmt wahrscheinlich spätestens unter dem "großen" Karl der Geldumlauf wieder etwas zu. Grundherrn erwirtschaften mit ihren abhängigen Bauern und Handwerkern gelegentliche Überschüsse, die auf Märkte an Bischofssitzen und Klöstern gelangen und manchmal gegen Geld getauscht werden. Das betrifft Lebensmittel, aber auch Tuche vor allem.

 

Die Ausweitung der Geldwirtschaft führt dann unter Kaiser Ludwig zu besserer Kontrolle über das Zollwesen und den Erhalt von Straßen sowie zu Münzprivilegien.

Indem die Karolinger ein königliches Münzmonopol für etwa 70 Münzstätten des Reiches durchzusetzen versuchen, beabsichtigen sie eine gewisse Währungssicherheit herzustellen: Der aufgeprägte Wert soll dem Edelmetallgehalt entsprechen. Das gelingt allerdings erst später. Und noch etwas: Der "neue Pfennig lehnte sich an die damalige >Leitwährung< der Mittelmeerwelt an, den arabischen Dinâr. Der König band durch die Reform sein Reich in die Welt jenes Fernhandels ein, der über das Mittelmeer, Russland und die Ostsee den lateinischen Westen erreichte." (Joh. Fried in: 794, S.32)

 

Während Grund und Boden, selbst Ernteerträge und die handwerkliche Produktion soweit nachzuvollziehen sind, dass daraus Abgaben errechnet werden können, lässt sich das Geld des Kaufmannes zumindest zu einem guten Teil vor solchen Nachforschungen verstecken. Ludwig der Fromme ist möglicherweise der erste, der darauf kommt, durch Münzverrufung dabei Abgaben wenigstens indirekt zu erreichen: Dabei werden alle Pfennigmünzen für ungültig erklärt und durch neue ersetzt. Wer immer sie bei den Münzstätten umtauschen möchte, muss den „Schlagschatz“ bezahlen, eine willkürlich erhobene Gebühr für die Münzprägung. Natürlich ist bekannt, wer über beträchtliche Summen Geldes verfügt, und gelegentlich wird auch so versucht, zumindest an einen kleinen Teil davon heranzukommen.

 

Händler

Zum Wiederaufschwung des Handels nördlich des Mittelmeerraumes in der zweiten Hälfte des 8. und durch das 9. Jahrhundert tragen im 8. Jahrhundert die Friesen bei. Friesen beherrschen den Nordseehandel wie Skandinavier den der Ostsee. Zudem reisen friesische Händler auch den Rhein bis Straßburg hinauf. Innerhalb des Frankenreiches handeln fränkische Händler mit Getreide, Wein, Eisen und Salz vor allem. Salz, selten vor Ort vorhanden, ist ein überall begehrtes Gut. Es kommt in deutschen Landen aus Reichenhall, Hallein, Schwäbisch-Hall und Lüneburg. Friesen haben aber außerhalb ihres Kern-Siedlungsgebietes kein Monopol auf Handelsaktivitäten.

Neben den Friesen, die sich im fränkischen Reich schon vor der endgültigen Eroberung und fränkischer Zivilisierung nach und nach zu integrieren beginnen, sind, wie schon angedeutet, Juden von Grundherrschaft freiere Händler auch aufgrund ihrer ebenfalls andersartigen Religion. Da Christen damals offiziell nicht am äußerst lukrativen Sklavenhandel teilnehmen können, den Juden ihre Religion nicht verbietet, werden sie als Händler geradezu gefördert. Wichtige Sklavenmärkte der Karolingerzeit sind offenbar Verdun und Mainz, zwei damals besonders mächtige Bischofsstädte. Es gibt ihn allerdings vielerorts.

 

Die orientalischen ("syrischen") und griechischen Händler, die zuvor die gallorömischen ersetzt hatten, verschwinden aus den Quellen der Nordhälfte Franziens mit der Orientierung des dortigen Handels nach Norden. Selbst die Messe von St.Denis ist nun auf den Handel mit Orten wie Rouen, Amiens und Quentovic ausgerichtet. Die Bedeutung von Gent an der Schelde und Mastricht mit Zoll und Münze steigt, wie die der Maasorte Dinant, Huy und Namen (Namur).

 

Der Übergang vom Händler als Teil der herrschaftlichen familia mit Beauftragung durch den Herrn über den, der nebenbei auch auf eigene Rechnung Handel treibt, zum ganz selbständigen Händler ist im Einzelfall kaum nachvollziehbar. Ein Zwischenschritt ist der Einkauf am Zielort nach Verkauf vorgegebener Waren, wobei Händler wohl zusätzlich auf eigene Rechnung einkaufen. Wenn der Herr vom Händler beispielsweise eine bestimmte Menge Salz erwartet, kann dieser auf eigene Rechnung und für eigenen Handel zukaufen. 

Andererseits tritt zum Beispiel der Friese und homo ecclesiae Ibbo in der 'Vita Maximini' schon zur Merowingerzeit auf, der für das Trierer Kloster "selbständig zwischen England und dem Kontinent Handel treibt. Wir beobachten bei ihm eine Teilnahme an einer Gruppenbildung außerhalb der Grundherrschaft. Er schließt sich einer Flotte von sechs Schiffen an. Er war Kirchenabhängiger geworden, ohne die freiheitlichen Formen seiner Betätigung aufzugeben, Wahrscheinlich hat die Aufnahme solcher Freier in die Herrschaft über die Assimilation auch den Freiraum der Altabhängigen vergrößert." (Sprandel in: Schwineköper, S.24)

Auch Verpachtungen wie die von Landungsstegen oder Marktständen an Händler kann ein Weg in ihre Verselbständigung sein.

 

 

Ähnlich wie bei den Handwerkern treten neben den meist unfreien Kaufleuten, die Handel im Auftrag ihrer Herren betreiben, nach und nach immer mehr einheimische freie auf, so mancher ein wohlhabender Handwerker, der von der eigenen Handarbeit, die er selbst auf den Markt bringt, dazu übergeht, Rohstoffe und Produkte anderer auf dem Markt zu verkaufen. Im frühen Mittelalter gelangen solche Leute zuerst in Italien zu Reichtum. Anderen gelingt es, durch Handel außerhalb der dem Herrn zustehenden Zeit wohlhabend zu werden. Handel ist also für Unfreie ein guter Weg zu einem Wohlstand, der dann auch in die Freiheit führen kann.

 

In den Annalen von St.Bertin werden immer wieder Kaufleute erwähnt, allerdings ohne dass wir Näheres über sie erfahren. Immerhin lesen wir im Kapitular von Herstal (Capitulare Haristalense) von 779 vom Verbot des sich Verschwörens in (Kaufmanns)Gilden (geldae). Dort heißt es: Über die Eide der in Gilden gegenseitig Schwörenden (de sacramentis per gildonia invicem coniurantium): niemand darf es tun (ut nemo facere praesumat). Erlaubt bleiben die Almosenkasse, Brandhilfe und Schiffbruchshilfe, aber ohne Eid. (Alio vero modo de illorum elemosinis aut de incendio aut de naufragio, quamvis convenentias faciant, nemo in hoc iurare praesumat). (Staab, S.371 / Jankuhn/Ebel, S.173). Solche gildonia oder confratria bzw. coniurationes mit ihren convenientiae (Übereinkünften) tauchen auch im weiteren 9. Jahrhundert im fränkischen Raum auf und werden immer wieder von den Königen verboten, die hierarchische statt genossenschaftliche Formen durchsetzen wollen.

Genauso geht die Kirche seit der Merowingerzeit vor, die jede horizontale Vereinigung von Klerikern verbietet zugunsten der innerkirchlichen Hierarchie.

 

In der Karolingerzeit verbietet Hinkmar von Reims dann auch 852 collectis, quas geldonias vel confratrias vocant, (Oexle in: Schwineköper, S.155) und knüpft dabei an kirchliche Bestimmungen gegen Kleriker-Vereinigungen (coniurationes clericorum) mit dem Ziel gegenseitiger caritas in der Merowingerzeit an. Erlaubt sind für ihn nur Vereinigungen rein religiösen Inhalts. Selbsthilfe darüber hinaus erscheint offenbar gefährlich.

Im 8. und 9. Jahrhundert taucht auch im deutschen Raum zunft in verschiedenen Versionen als Vereinigung von Personen auf.
Solche Gilden enthalten Männer wie Frauen, die sich unter einem Eid vereinigen. Ein besonderer Dorn im Auge der Kirche sind dabei die Mähler (comessationes), die mit Völlerei, Obszönitäten, Streitereien und Schlimmerem verbunden sein sollen.

 

Es gibt für die Frühzeit dieser sich entfaltenden Handelswelt kaum Texte über einzelne der wagemutigen Fernhändler. Eine Ausnahme ist der Kaufmann Ottar aus der nördlichen Fjordlandschaft Norwegens. Er war mehrmals mit einer Schiffsladung Tierhäute und Rentiergeweihe in See gestochen, und hatte Handelsplätze in Südnorwegen, Dänemark und England besucht. (Kümper, S.36)

 

890 trifft er auf einer Reise auf den englischen König Alfred ("den Großen"). Der lässt gerade die 'Historiae adversum Paganos' des Orosius in das Englische der Zeit übersetzen. Da in der einleitenden Beschreibung der damalig bekannten Welt (des 5. Jahrhunderts) Nordeuropa fehlt, bittet der König ihn offenbar, ihm davon zu erzählen.

 

Ottar beschreibt sich als reichen Mann im nördlichsten Norden. Er besitzt wenig Ackerland, welches mit einem Pferd gepflügt wird. Darüber hinaus gehört ihm eine große Herde halbwilder Rentiere von über 600 Tieren, darunter überaus wertvolle zahme Tiere, mit denen wilde und halbwilde Rentiere angelockt werden, dazu zwanzig Schafe und zwanzig Schweine. Sein Reichtum besteht aber eher aus den Luxuswaren Pelz und Walrosszahn, nach welchen er auf seinen Reisen aktiv Ausschau hält, und die er von Samen einhandelt.

 

"Nach seiner Beschreibung ist Norðmanna land ein langes schmales Gebiet am Meer. Alle besiedelten Landteile lägen an der Küste. Weiter im Osten sei das Gebiet der Samen (finnas). Je weiter man nach Norden komme, desto schmaler werde das besiedelte Land. Im Südosten sei es etwa 60 alte englische Meilen, ca. 90 km, tief, in der Mitte 30 Meilen, im Norden an manchen Stellen nur bis 3 Meilen schmal, bevor man ins Gebirge kommt.

Die Samen gingen im Winter auf die Jagd und fischten im Sommer und seien Ottar tributpflichtig. Der Tribut wiederum richtete sich nach der sozialen Stellung. So hatte der Vornehmste fünfzehn Marderfelle, fünf Rentierfelle, ein Bärenfell, zehn Bütten Vogelfedern, eine Jacke aus Bären- oder Otterfell und zwei 60 Ellen lange Schiffstaue aus Walross- oder Seehundhaut zu erbringen.

Weiterhin berichtete er über seine Expedition um die Halbinsel Kola ins Weiße Meer vermutlich bis in die Gegend des heutigen Archangelsk. Dort wohnte ein Volk, das er Bjarmer nannte und von dem er sagte, dass sie eine den Samen ähnliche Sprache sprächen.

Am südlichen Ende Norwegens beschrieb er eine Handelsstadt, hier als Sciringesheal bezeichnet (Skiringssal). Ottar brauchte einen Monat, um dorthin zu kommen, wenn der Wind gut war und er nicht bei Nacht segelte. Dabei hatte er immer den Norðvegen an Backbord." (https://de.wikipedia.org/wiki/Ottar)