Anmerkung *1 Mit etwa dem zehnten Jahrhundert gelangen wir nun an die Schwelle zu einem einigermaßen sinnvoll so zu bezeichnenden "Mittelalter". Über diese "Schwelle" gelangen wir dann hier vor allem in den Entstehungs- und Aufstiegsprozess von Kapitalismus hinein. Dabei ist immer im Auge zu behalten, dass hier betrachtete Geschichte ein Kontinuum mit kleinen und größeren Brüchen bleibt.
Dieser Übergang von einer Nachantike zu einem Mittelalter entfaltet sich in verschiedenen Gegenden des lateinischen Abendlandes an der Oberfläche von Macht und Herrschaft etwas unterschiedlich. In Ostfranzien einigen sich Große der verschiedenen Regionen auf Könige eines zukünftig römisch-deutschen Reiches, welches weder römisch noch wirklich deutsch und ohne starke Macht-Zentrale sein wird.
Der Zerfallsprozess des westfränkischen Reiches in einzelne Fürstentümer wird erst am Ende des 10. Jahrhunderts durch den Aufstieg der Dynastie der Kapetinger etwas abgebremst, aber viele andere strukturelle Veränderungen, die in die Anfänge von Kapitalismus hinein führen, sind ähnlich.
Das angelsächsische Reich von England nimmt über einige Küstenstädte mit Handel und Gewerbe an diesen kapitalistischen Wurzeln teil, bevor es erst 1066 einen größeren Bruch und Neuanfang erlebt. Italien ist in dieser Wendezeit ein Sonderfall, da sowohl die fränkischen wie die Eroberungszüge der sächsischen Kaiser keine stabile Reichsbildung ermöglichen, sondern sich eine Entwicklung hin zu den vielen späteren Stadtstaaten andeutet, wobei Süditalien längst eine Sonderrolle spielt. Solche Stadtstaaten werden dann aber ein Vorreiter auf dem Weg zu frühkapitalistischen Neuerungen sein.
Reichsbildungen im nordgermanischen und slawischen Raum werden erst mit Verspätung auftreten, wobei aber Handel, Handwerk und Christianisierung etwas vorausgehen.
Mit der Schwellenzeit ungefähr des 10. Jahrhunderts im lateinischen Abendland lassen wir als Mittelalter die Geschichte eines noch frühen Kapitalismus beginnen, weil wir hier die Grundlagen und Rahmenbedingungen für das deutlicher entstehen sehen, was ihn dann später zunehmend ausmachen wird. Man könnte auch stattdessen das 11. Jahrhundert dafür einsetzen, wie das Karl Bosl aus anderen Gründen tat.
Damit lassen wir hier dann auch ein langes Mittelalter beginnen, welches erst im 18. Jahrhundert langsam verschwindet. Das von Renaissancegelehrten ausgerufene vorzeitige Ende dürften die meisten Menschen nicht erlebt haben, vielmehr finden die großen Rupturen im 18. und 19. Jahrhundert statt und mit ihnen endet erst eine bis dahin eher kontinuierliche Entwicklung. Hier wird deshalb die "Neuzeit" des 16. bis 18. Jahrhunderts der gängigen Geschichtsbücher als letzte Phase des Mittelalters zu betrachten sein.
Immerhin: "Weder Arbeitstechniken noch Lebensstandards oder soziale Schichtungen änderten sich grundsätzlich zwischen 1000 und 1800." (Ertl, S.16) Dasselbe betrifft bis 1648 in groben Zügen die Grenzen der Herrschaften der großen Potentaten in diesem Raum. Und die Quote der Abgaben an Herrscher bzw. Staat bleiben im ehemals lateinischen Abendland noch länger niedrig, bis sie dann in den immer totalitäreren Staaten der letzten rund 200 Jahren massiv anschwellen. Und erst im späten 18. und oft auch erst im 19. Jahrhundert schwindet die Macht der Kirche über die Köpfe der Menschen deutlicher. Noch kurz vor 1789 besucht König Louis XVI. ein Krankenhaus, um dort Menschen durch diese immer noch beeindruckendes Handauflegen zu heilen. Aber inzwischen hat eine wenn auch winzige Gruppe von Belesenen im nunmehr ehedem lateinischen Abendland einem von der Theologie gelösten Operieren mit Erfahrung und Vernunft zum Durchbruch verholfen, analog zum bald anstehenden Durchbruch des Fabriksystems.
Erst im 18. Jahrhundert findet schließlich jener Verarmungsschub statt, der dann die billige Arbeitskraft für die neuartige Industrialisierung schafft, und erst an seinem Ende (1781) werden in Frankreich die Zünfte abgeschafft und damit das Ende des produktiven Handwerks eingeläutet. Erst seitdem auch werden Bauern "befreit", was wiederum den Ruin der bäuerlichen Landwirtschaft einleitet. Dazu dient dann in den Rheinbundstaaten und in Preußen im 19. Jahrhundert die Gewerbefreiheit als grundsätzliche Entfesselung des Kapitals.
Insbesondere deutsche Historiker haben dann noch ein frühes, hohes und spätes Mittelalter unterschieden, und andere haben sich angeschlossen. Ich werde versuchen, nach und nach diese so gemeinten Begriffe aus meinem Text zu eliminieren, da sie bestenfalls deutsch-zentriert durchzuhalten wären.
Sobald man anerkennt, dass die treibende Kraft des sogenannten Mittelalters die Entstehung und der Aufstieg des Kapitalismus ist, verliert diese an der Entfaltung von Herrschaft, dem üblichen Hauptthema der Geschichtsschreibung, orientierte Epochalisierung ohnehin ihren Sinn. Aber dazu muss Geschichtsschreibung erst einmal die Identifikation mit den Machthabern und ihrer Propaganda aufgeben...
Anmerkung *2 Im 10. Jahrhundert befinden sich Skandinavier und Slawen noch weitgehend außerhalb des seit längerem extrem geschrumpften lateinischen Abendlandes. Das nur in geringem Umfang für Landwirtschaft geeignete Skandinavien verleitete schon länger zu Raubzügen und Handel. Die Masse der Menschen sind aber Bauern wie fast überall in Europa, in der Merowingerzeit bereits in anzivilisierte kleine Herrschaften aufgeteilt, wie ein Häuptling im Süden Jütlands, der den Handelsort Ribe gründet.
Zur Zeit der Karolinger entsteht in Dänemark dann eine Art Königtum, welches aber nach 870 auseinander bricht. Erst die Könige Gorm und Harald ("Blauzahn") errichten es neu und letzterer nutzt ab 865 Konversion und Christianisierung vom Erzbistum Hamburg/Bremen aus für Herrschaftszwecke.
Das Gebiet wird sich dann als eigene Kirchenprovinz Lund verselbständigen. Sein Sohn Svein erobert England und Knut herrscht Anfang des nächsten Jahrhunderts von Norwegen bis England.
Norwegischen Mächtigen gelingt es noch im 10. Jahrhundert nicht, eine zentrale Macht zu etablieren, die sich dann um 1000 mit der Bekehrung von Olaf Trygvasson andeutet. Schwedische Häuptlinge beherrschen die Gegend um (Alt)Uppsala und kontrollieren Birka. Im späten 10. Jahrhundert beginnt dann auch die Christianisierung der Svear, die die Götar besiegen und eine eigene schwedische Reichsbildung versuchen.
Die Leute der großen Sprachfamilie der Slawen sind zunächst in kleine Gruppen unter eher schwachen Häuptlingen aufgeteilt, ähnlich wie die Nordgermanen. Im Süden geraten sie unter die Hoheit der Awaren und des Turkvolkes der Bulgaren.
Die Waräger, byzantinisch Rus, beginnen als skandinavische Besiedler von Handelsstationen, zunächst Staraya Ladoga und dann Nowgorod. Siedlungen entstehen in der dichten Waldlandschaft im wesentlichen entlang von Flüssen. Im Norden kommt es zu einer Reichsbildung von Nowgorod aus und zur Herausbildung kleinerer Fürstentümer, in denen Skandinavier zusammen mit finno-ugrischen Völkern und Slawen in den Städten zu einem Volk verschmelzen werden. In Kiew beginnen Rus mit dem Aufbau eines Fürstentums, wobei das Ziel die Unterwerfung von Völkerschaften soweit geht, dass man ihnen Tribute abzwingen kann. Fürst Igor versucht, in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts ein Großreich der Rus aufzubauen und scheitert. Seine Witwe Olga (Helga) übernimmt diese Aufgabe und tritt zum byzantinischen Christentum über. Sohn Swjatoslaw erweitert das Reich vom Ladogasee bis zum Schwarzen Meer. Halbbruder Wladimir tötet Swjatoslaw und tritt um 988 nun auch zum Christentum oströmischer Machart über. Die Hauptstadt Kiew hat um das Jahr 1000 mehrere tausend Einwohner, große Kirchenbauten, und kann sich mit gleichzeitigen deutschen Städten messen. Die städtischen Rus sind dabei längst in ihrer slawischen Umgebung aufgegangen.
Derweil ist die herrschende Schicht der benachbarten Chasaren jüdisch und etwa um dieselbe Zeit tritt ein Seltschuk am Aralsee mit seinen Oghusen zum Islam über.
Weiter westlich schaffen morawische Fürsten ein großmährisches Reich, welches die Ungarn um 900 zerstören, während ein kroatisches Fürstentum länger überlebt. Im Südosten stabilisiert sich ein Bulgarenreich.
Im westlichen Balkanraum mit seiner Weidewirtschaft halten sich noch lange andere Strukturen. Man ist abstammungs-orientierter und streng patrilinear, in Stämmen organisiert. Darum gibt es auch einen wichtigen patrilinear orientierten Ahnenkult.
Die slawische Einwanderung in Osteuropas große Waldgebiete ist durch Brandrodung- und Wirtschaft gekennzeichnet. Als in den fränkischen Gebieten bereits punktuell der Wendepflug Einzug hält, sind im slawischen Raum zunächst noch einfachere Pflugformen üblich.
Ganz im Westen formiert sich im 10. Jahrhundert unter böhmischen Fürsten von Prag aus ein durch Gebirge abgegrenzter Machtraum, von dem aus dann versucht wird, sich in Richtung des entstehenden Polens und des geschwächten Mährens hin auszudehnen. Die um Gnesen und Posen beheimateten Polen schaffen unter dem Piasten Mieszko eine rapide Expansion Richtung Ostsee, die ohne klare Grenzen bleibt. Aber ähnlich wie slawische Stämme gegen deutsche Herrschaft, so stehen andere auch vorläufig gegen die polnische auf.
Anmerkung *3 Den Emiren von Cordoba gelingt es nicht, ihr Gebiet weiter auszuweiten. Ganz im Gegenteil: Den asturischen Königen gelingt es bis 910, León, Astorga, Zamora und Burgos einzunehmen so dass sie in fünzig Jahren ihr ursprünglich kleines Gebiet verdreifacht haben.
912-61 schafft es Abdalrahman III., den islamischen Zentralstaat El-Andalus wieder herzustellen. 932 fällt Toledo in seine Hand, aber erst 937 gelingt es, mit Zaragoza das letzte Widerstandsnest einzunehmen.
Dieser Abderrahman beginnt nach Unterwerfung von Al-Andalus sehr erfolgreich mit jährlichen Raub- und Zerstörungszügen in die christlichen Reiche hinein. Immer wenn das Getreide hoch steht oder zur Ernte gereift ist, wird es abgefackelt oder niedergeritten. Mit seinen Heeren ziehen beutehungrige Freiwillige des Heiligen Krieges, wie sie sich nennen. Es geht daneben auch darum, Tribute einzutreiben, und es kommt zunächst selten auch zu Beutezügen christlicher Herrscher gegen Al-Andalus.
Asturien-León gelingt es 939, den Emir wenigstens einmal zu besiegen. Es sind eher unruhige Zeiten für die Halbinsel.
Inzwischen besteht das islamische Heer zum großen Teil aus "Slaven", zu denen auch überhaupt Nordeuropäer gezählt werden. Ein großer Teil der Bevölkerung ist arabisiert und auch islamisiert.
Die christlichen Reiche geraten dann unter faktische Oberhoheit und Tributpflichtigkeit von Cordoba, León 959 unter Sancho I. Könige von Leon und Navarra wie auch Grafen von Kastilien reisen nach Madinat Al-Zahrá, um dem Kalifen ihre Aufwartung zu machen, oder schicken wenigstens hochrangige Delegationen.
Derweil bildet sich eine Grafschaft Aragon heraus, die 924 vorübergehend unter Sanchez García in das Königreich von Pamplona integriert wird, welches sich zu der Zeit auch Rioja angliedert. Unter García Sanchez (925-71) ist das künftige Navarra mit der neuen Hauptstadt Nájera genauso mächtig wie León.
Ähnlich wie in Mitteleuropa breitet sich auch im bald so genannten Katalonien wohl unter fränkischem Einfluss Roggen aus so wie in Asturien und Galizien der Roggen den Dinkel verdrängt, und der Haferanbau nimmt zu.
Die Grafschaft Barcelona kann das Bistum Vic (Vich) wiederherstellen und daneben entstehen die Grafschaften von Urgell und der Cerdanya am Rand des Pyrenäen-Hauptkamms. In die drei teilen sich Söhne des Grafen Wifred, ohne dabei noch auf Weisungen des fränkischen Königs zu warten. 965 werden die Markgafen von Barcelona formell von der Markgrafschaft Toulouse getrennt, bleiben aber zunächst noch in engem Kontakt mit Westfranzien.
Während die Abbassiden in Bagdad in interne Konflikte geraten und ihr Einfluss schwindet, steigen neben den Omayaden in Nordafrika die Fatimiden auf, eine Familie, die sich von Alí, dem Vetter von Mohammed, herleitet und von dessen Frau Fatima, der Tochter des Propheten. Sie proklamieren als Machtmittel die Wiederherstellung der Reinheit eines schiitischen Islam als Basis ihrer Herrschaft. 909 nehmen sie Kairouan ein, das heutige Tunis, und begründen dort ihr maghrebinisches Kalifat. Als sie dann in Marokko in gefährliche Nachbarschaft zur Omeya-Herrschaft gelangen, erklärt sich Abdalrahman III. 929 selbst zum Kalifen und wird von nun an als solcher dann in allen Moscheen von Al-Andalus im Freitagsgebet erwähnt.
Kurz darauf lässt der spanische Kalif Melilla und Ceuta erobern und breitet seine Herrschaft über Marokko soweit aus, dass der Import von afrikanischem Gold und Elfenbein und von Berbern zur Besiedlung erheblich zunehmen kann. Gegen die fatimidische Frömmigkeit setzt er seine eigene, die auch härtere Despotie begründet. Dann erklärt er aber ganz unislamisch seinen noch minderjährigen Sohn Al-Hakam von seiner Lieblingsfrau des Harems, einer ursprünglich christlichen Sklavin, zu seinem Nachfolger, der kaum noch den Alcázar und dann Medinat Al-Zahrá verlassen und sich auf keine Frau einlassen darf, während die zahlreichen übrigen Söhne über das Land verstreut werden.
Der unermessliche Reichtum des Kalifen beruht auf den immer größeren Abgaben, die er aus der Bevölkerung eintreibt, wobei eine kleine reiche Oberschicht davon ausgenommen bleibt, zudem aus seinen riesigen Privatbesitzungen, die er ansammelt, und aus den oft erfolgreichen Beutezügen gegen die christlichen Herrschaften, denen er erhebliche Tribute aufbürdet. Einnahmen, die er mit der Oberschicht teilt, resultieren auch aus den christlichen Sklavenmassen, die diese Raubzüge ebenfalls einbringen. Mit dem Bau der großen und ungeheuer prächtigen Palast- und Verwaltungsstadt Madinat Al-Zahrá 940 neben Cordoba, auf dem Höhepunkt seiner Macht, erreicht er eine Pracht, wie sie im übrigen Europa weithin unbekannt ist.
Es floriert vor allem eine Wirtschaft, die Luxusgüter für diese Oberschicht herstellt, Seidenstoffe, golddurchwirkte Tuche, Edelstein- und Elfenbeinschmuck. Die hochprivilegierte kleine Oberschicht wird durch eine mittlere Schicht von Besitzern von Ländereien ergänzt, die diese durch Kleinpächter bewirtschaften lassen, und die Dienste wie Abgaben mit einer gewissen Ähnlichkeit zu fränkischen, asturischen oder aragonesischen Adeligen verlangen.
Die Landwirtschaft produziert wie in christlichen Gegenden Südeuropas weiter Weizen, Gerste, Oliven und Wein, zusätzlich aber bringen die neuen Herren Reis, Apfelsinen, Zuckerrohr, Safran, Wassermelonen, Spinat, Auberginen, Baumwolle und anderes mehr. Große Maulbeerplantagen entstehen für die Seidenproduktion. Zudem entwickeln sie in ihrem teils ariden Andalusien hervorragende Bewässerungssysteme, deren Ansätze sie wohl schon aus Nordafrika und dem Orient kennen. In letzterem kann die Landwirtschaft in den weniger ariden Gebieten mit der Bevölkerung bis ins 11. Jahrhundert expandieren, um dann ab dem 12. eher wieder zurückzugehen.
Die Rinderzucht nimmt ab, stattdessen dienen Kamele nun für Transporte auch anstelle von Wagen. Wassermühlen existieren mit horizontalen Rädern, die später nicht mit Nockenwellen verbunden werden können, von Tieren angetriebene ebenfalls horizontale Mühlen zerquetschen den Zuckerrohr.
Derweil entwickelt sich in den christlichen Reichen eine frühe neuartige Adelsschicht aus aufsteigenden reicheren Bauern und vom König Privilegierten, die versucht, sich über Bauerndörfer zu setzen und Bauern in Abhängigkeit zu bringen. Mit einem Einkommen, welches den Besitz eines kampffähigen Reitpferdes ermöglicht, wird man in Galizien, León und Kastilien dann zum infanzón, aus dem sich in den nächsten Jahrhundert die Schicht der Fidalgos/Hidalgos entwickeln wird, der Söhne (fijos) von denen, die etwas (algo) besitzen.
Immer mehr arme und verschuldete Bauern müssen sich einem Herrn anvertrauen, was in Galizien dann incomunicación heißt. Außerhalb Kataloniens und des östlichen Aragon entwickeln sich so recht unabhängig von den fränkischen Entwicklungen ganz ähnliche Strukturen. Über dem niedrigen Landadel teilt sich das Land in Machtbereiche oft selbsternannter condes auf, von Grafen also.
Während die Grafen von Kastilien im 10. Jahrhundert nach mehr Selbständigkeit streben, werden im Duero-Raum Städte wie Zamora und östlich Burgos ausgebaut. Das Land ist hier in sich teils selbst verwaltende Siedlungen aufgeteilt und in Festungen. In fueros werden bäuerliche Rechte festgeschrieben, für die aber militärische Dienste geleistet werden müssen.
Abderrahman III beginnt nach Unterwerfung von Al-Andalus sehr erfolgreich mit jährlichen Raub- und Zerstörungszügen in die christlichen Reiche hinein. Immer wenn das Getreide hoch steht oder zur Ernte gereift ist, wird es abgefackelt oder niedergeritten. Mit seinen Heeren ziehen beutehungrige Freiwillige des Heiligen Krieges, wie sie sich nennen.
Die christlichen Reiche geraten unter faktische Oberhoheit und Tribut-Pflichtigkeit von Cordoba. Könige von Leon und Navarra wie auch Grafen von Kastilien reisen nach Madinat Al-Zahrá, um dem Kalifen ihre Aufwartung zu machen, oder sie schicken wenigstens hochrangige Delegationen.
Al-Hakam setzt die Maßnahmen seines Vaters fort und nutzt das Machtvakuum, welches die Fatimiden nach ihrem Abzug nach Ägypten hinterlassen haben, für Feldzüge nach Marokko.
Er stirbt 976 und hinterlässt nur einen möglicherweise schwachsinnigen Sohn Hisham, der zum Spielball hoher Funktionäre in Cordoba wird. 981 gelingt es einem in diese Machtkämpfe verwickelten Mohammed ibn Abi Amir, sich mit einer Berbertruppe gegen eine "slavische" militärisch durchzusetzen und seine Gegner umzubringen. Er steckt den jungen Kalifen in komfortablen Hausarrest und herrscht nun ab 981 selbst mit dem Titel hayib und gibt sich den Beinamen "der Siegreiche", Almansor. Mit Madinat al Zahira gründet er eine neue Palastanlage.
Als Heerführer ist er schnell enorm erfolgreich. Selbst Orte wie Pamplona, später Barcelona und Santiago de Compostela werden kurz überfallen, ausgeraubt und zerstört, bevor das Heer sich schnell wieder zurückzieht. Im Chronicon de Sampiro heißt es zu Santiago: Er riss alle Kirchen, Klöster und Paläste ein und verbrannte sie im Feuer. (Quelle in: Manzano, S.812)
Da die Muselmanen das "Grab des Jakobus" in Santiago als Kaaba der Christen ansehen, lassen sie es intakt, während die Stadt komplett zerstört wird. Coimbra wird ebenfalls zerstört, dann aber dauerhaft gehalten und muslimisch neubesiedelt.
Immer mehr Leute in Al-Andalus lösen, wie auch später in geringerem Umfang in den Frankenreichen und noch später in England ihre Militärpflicht mit Zahlungen ab. Das führt dazu, dass zunehmend Berbertruppen aus Nordafrika von Almansor ins Land geholt werden, was die Herrenschicht ethnisch weiter verändert.
Derweil erobern um 970 Fatimiden Ägypten und gründen dort Kairo. Sie nehmen dann Damaskus ein und bringen Mekka und Medina unter ihre Kontrolle. Derweil geraten die Abbassiden in ihrem Palast in Samarra immer mehr unter die Kontrolle von Turk-Truppen.
Anmerkung *4 Für das Jahr 1027, etwas nach unserer Zeit hier, aber diese schon erhellend, verfasst der königliche Kaplan Wipo in seinem Tatenbericht Konrads II. eine Rede von zwei Grafen, die ihre Haltung zum König und dem aufständischen Schwabenherzog Ernst diesem gegenüber begründen:
Wir wollen nicht, dass es verdunkelt würde, dass wir euch unverbrüchlich Treue (fidem) schworen gegen alle außer denjenigen, der uns euch gegeben hat. Wären wir
Unfreie (servi) unseres Königs und Kaisers, und von ihm eurer Rechtsgewalt (iuri vestri mancipati), dann würde es uns nicht erlaubt sein, uns von euch zu trennen. Nun aber, da wir frei (liberi)
sind und als höchsten irdischen Beschützer unserer Freiheit (nostrae libertatis) unseren König und Kaiser haben, verlieren wir, sobald wir jenen verlassen, die Freiheit (libertatem), die, wie
jemand gesagt hat, kein guter Mann verliert, es sei denn mit seinem Leben. (in: Esders, S.102)
Anmerkung *5 Aber in einer Urkunde Konrads II. von 1025 werden als Zensualen bestätigte ehedem Hörige auch als domini ac domine angesprochen werden. (Esders, S.106) Die Benennungen sind nicht normiert.
Anmerkung *6 Wo dabei der Übergang vom Herren zum Adeligen stattfindet, ist eine Frage, die die erhaltenen Quellen nicht zu interessieren scheint. Aber es gibt Andeutungen: Immerhin schimpft schon Thegan in der Zeit Ludwigs ("des Frommen") gegen die Unfreien, welche zu hohen Positionen aufgestiegen seien und dann gleich versuchten, ihre niedrig geborene Verwandtschaft durch Verheiratung mit Adligen gesellschaftsfähig zu machen. (GoetzEuropa, S.318) Der Kaiser hat dich zum Freien gemacht, nicht zum Edlen, was unmöglich wäre. (Vita Ludwigs, cap.44) Geadelt wird man danach nicht, sondern einen adeln Ahnen, Besitz und Macht.
Anmerkung *7 Für den Mönch und Geschichtsschreiber Ademar von Chabannes aus Angoulême sind um das Jahr 1000 in Westfranzien nur duces und comites Adel im Sinne von nobilitas.
Für Fleckenstein spiegelt sich in der Schichtung der Vasallen die Ambivalenz eines entstehenden neuen Adels: Er gehört in der militia zu den Vasallen, "steht aber gleichzeitig über ihnen, da er der Senior seiner Vasallen ist (…)." (S.53)
Anmerkung *8 "Hatte der Verstorbene sich nichts zuschulden kommen lassen und hatte er einen erwachsenen Sohn, dann sprach nichts dagegen, diesem das Lehen oder Amt zu übergeben. Es sprach sogar alles dafür, denn das Lehns- oder das Amtsgut war ja in den Jahrzehnten zuvor zusammen mit den Allodien, den Eigengütern, und anderen Lehen bewirtschaftet und verwaltet worden. Es aus diesen gewachsenen Strukturen herauszulösen, war ein schwieriger Vorgang, weil man zumeist über die genauen Grenzen und Gegebenheiten gar nicht Bescheid wusste." (Althoff(5), S.54) Was zunächst nur praktisch ist, wird dann im Laufe der Zeit zur erwarteten Gewohnheit.
In den Annalen des Lampert von Hersfeld zu 1071 wird das rückblickend für Flandern zusammengefasst:
In der Grafschaft Balduins und in seiner Familie war es schon seit Jahrhunderten ein durch ein ewiges Gesetz geheiligter Brauch, dass einer der Söhne, der dem Vater am besten gefiel, den Namen des Vaters erhielt, und allein die Würde eines Fürsten von ganz Flandern erbte, die übrigen Söhne aber entweder ihm untertan und seinen Befehlen gehorchend, ein ruhmloses Leben führten oder außer Landes gingen und es lieber durch eigene Taten zu etwas zu bringen versuchten, als sich in Müßiggang und Stumpfheit über ihre Dürftigkeit mit eitlem Stolz auf ihre Vorfahren hinwegzutrösten. Das geschah, damit nicht durch Aufteilung der Provinz der Glanz des Geschlechts durch Mangel an Vermögen getrübt würde.
Unübersehbar ist, in welchem Maße ein Mönch hier adelige Wertvorstellungen bedenkenlos übernimmt.
Dabei sah das fränkische Erbrecht bislang die reguläre Erbteilung vor. Diese, und damit die Zersplitterung von Besitz und honores (Titeln) wird vermieden, wenn man "überzählige" Söhne für den geistlichen Stand bestimmt. Oft beginnt das allerdings erst mit dem dritten Sohn, da der erste in gefährlichen Zeiten vorzeitig sterben könnte.
Anmerkung 9 In der Historia Welforum, die allerdings vielleicht erst um 1120 entsteht, wird bis in die Römerzeit zurück gegangen werden. Die Staufer führen sich am Ende bis auf Chlodwig zurück. Inwieweit die Herrschaften solche Geschichten selbst glauben, ist eine andere Sache.
Anmerkung 10 Arno Borst gibt ein Bild vom frühmittelalterlichen Krieger:
...der niedere Adel Frankreichs war eine Horde von Draufgängern, die nur Erfolg und Faustrecht anerkannten. Sie paktierten mit Tod und Teufel und überfielen jeden Schwachen. Rücksichtnahme war Feigheit, der tapferste Gegner wurde ohne jede Ritterlichkeit rabiat niedergehauen. Neben dem Raubkrieg war der Lieblingssport dieser Frischluftfanatiker die Hetzjagd auf Großwild... Das Geraubte und Erjagte gab man mit vollen Händen wieder aus; knausern mochten die Schwächlinge, die selber arbeiteten. Keuschheit und Zucht galten gleichfalls als Geiz; die engen Holztürme, in denen sie wohnten, wimmelten von unehelichen Kindern und niemand schämte sich ihrer. Das Leben im Turm spielte sich in lärmendem Gedränge ab. Man saß dicht nebeneinander auf langen Bänken und griff sich das Fleisch aus der Schüssel mit den Fingern; was übrigblieb, schnappten die Hunde, oder es fiel ins Stroh, das den kalten Boden deckte. Lesen und Schreiben konnten die Herren selten. Höchstens ließ sich einer vorlesen von gewaltigen Recken, die waren, wie er es sich wünschte, muskelstark, tollkühn, von unerschöpflichem Appetit. Man war eher abergläubisch als fromm; die Frauen wurden wenig geachtet und viel geschlagen. (Borst, S.219f)
Das entspringt allerdings dem Vorstellungsvermögen eines akademischen Schreibtischtäters, der hier ein emotional gefärbtes Kontra zu modischen Ritterlichkeitsvorstellungen darlegen möchte.
Anmerkung 11 Der Radius des durch Immunität ausgezeichneten Banngebietes des Klosters Cluny beträgt im 10. Jahrhundert am Ende sieben Kilometer. Außerhalb davon gibt es Burgbezirke mit ihren Vögten. Diese tendieren dazu, sich zu verselbständigen und ihre Eigeninteressen stärker zu vertreten.
Anmerkung 12 Hagen Keller beschreibt anhand eines Diploms Ottos ("d.Gr.") von 969 die Dimensionen des Besitzes eines solchen Hochadeligen namens Ingo. Diesem fidelis bestätigt der Kaiser Besitz in Grafschaften von Bulgaro, Lomello, Pombia, Mailand, Ivrea, Pavia, Piacenza und Parma. Dazu gehören wenigstens 10 Herrenhöfe (curtes, meist mit einem castrum versehen, "darunter eine curtis cum castro in derr Stadt Novara selbst." (Oberitalien, S. 254). In der Urkunde wird Ingo samt Söhnen weitgehende Immunität gewährt, was Abgaben und Gerichtsbarkeit betrifft.
Von einem dieser Herren ist das Privileg erhalten, beim Kastell Jahrmarkt abzuhalten, ohne dafür selbst Abgaben zu zahlen. Wenige Jahre später taucht Ingo dann als miles des Novareser Bischofs auf, wie eine Generation später einer seiner Söhne. Vermutlich hat ihm der Bischof Land verliehen/verpachtet, um sich seiner Treue zu versichern.
Anmerkung 13 Darüber hinaus beginnen befreundete Klöster Gebets-Verbrüderungen einzugehen, in denen sie Namenslisten austauschen, die in die jeweiligen Gebete eingehen sollen.
Schon 762 verpflichteten sich unter der Führung des bedeutenden Bischofs Chrodegang von
Metz in Attigny "44 fränkische Bischöfe und Äbte dazu, im Todesfall eines Verbrüderten je 100 Messen zu lesen oder 100 Psalmen zu singen, und ähnliche
>Vorsorgen< unter Bischöfen durchziehen noch den gesamten Zeitraum." (GoetzEuropa, S.246) 200 Jahre später gilt das dann auch für den Stifteradel.
Besonders hervor tut sich dabei Cluny insbesondere dann im 11. Jahrhundert, wo viele Priester an zahlreichen Altären fast unentwegt Messen für die Toten lesen. Da derartige Memorialstiftungen oft mit Armenspeisungen verbunden werden, kann das Kloster dabei an die Grenzen seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit kommen.
Anmerkung 14 Die Briten, durch die Angelsachsen auf das spätere Wales reduziert, werden von diesen als Grenzbewohner bezeichnet, was sie dann auf Lateinisch zu Wallenses macht. Sie besitzen in groben Zügen eine gemeinsame keltische Sprache und viele "Könige", die man zunächst besser als regionale Häuptlinge bezeichnen sollte. Ihr rudimentäres Christentum erlaubt ihnen das Konkubinat mit mehreren Frauen, die Gleichstellung aller Kinder, die leicht zu erreichende Ehescheidung und manches mehr. Sie werden dann im späten Mittelalter durch weitere Christianisierung und sonstige Überfremdung verändert, schließlich durch Eroberung und Anglisierung unter eine gemeinsame (englische) Verwaltung gebracht, die sie zunächst eher als französisch bezeichnen.
Die gälisch sprechenden Leute von Alba, dem Zentrum des späteren Schottland, die Albanaic, werden von außen und lateinisch als Scotti bezeichnet. Mit der Übernahme anglonormannischer Machtstrukturen durch ihre Könige und immer größere Kreise der zum Teil aus dem Süden einwandernden Oberschicht und die damit verbundene Ausweitung des Reiches wird Scocia zu dem Namen, den sie dann selbst ihrem Land geben.
Anmerkung 15 Der Sachse Widukind ist in seiner Sachsengeschichte ganz auf seinen eigenen Stamm und die daraus hervorgehenden frühen "ostfränkischen" Könige fixiert. Francia wird von ihm wesentlich im Ostreich verortet, das Westreich ist Gallia, wo man "Gallisch" spricht.
Thietmar von Merseburg ist auf sein Bistum und wie Widukind auf sächsische Geschichte und die der sächsischen Kaiser fixiert, insofern eben auch auf Ostfranzien. Westfranzien ignoriert er weitgehend und setzt seine Sachsen vor allem von den ihn umgebenden Slawen ab.
Wenn im 10. Jahrhundert zunächst aus dem damaligen Sachsen und dann auch dem damaligen Franken heraus geherrscht wird, dann auch deshalb, weil Alemannien und Bayern alte Königsherrschaften sind, als deren Erben nun Herzöge auftreten. Das wird sich erst gegen Ende des Jahrhunderts und dann besonders im nächsten ändern. Bis dahin behalten sich beide Herzöge viele königliche Rechte vor. Dabei vertreten sie nicht irgendwelche Stammesrechte, sondern die Interessen ihrer Familien, was besonders dort deutlich wird, wo es weder alemannische noch bayrische Große mehr sind, die dort herrschen, sondern Mitglieder der Königsfamilie, die so versorgt werden.
Aber es gibt ein Gemeinsamkeitsgefühl zum Beispiel der Sachsen, deren Oberschicht deutlich die Fremdheit der Griechin und Kaisergemahlin Theophanu bemerkt. Leider erfahren wir von solchen Gemeinschafts-Bindungen der Masse der produktiven Bevölkerung kaum etwas in Texten, da diese sich für sie kaum interessieren.
Anmerkung 16 Zu einigen Benennungen: Bevölkerung ist eigentlich ein Wort für das Bevölkern einer Gegend, soll aber in Ermangelung eines besseren hier auch für die benutzt werden, die allemal schon da sind.
Das dem soziologischen Kauderwelsch des 19. Jahrhunderts entspringende (Un)Wort Gesellschaft als Untertanenverband dagegen lässt sich leicht wieder auf jene Phänomene beschränken, in denen sich Menschen tatsächlich zueinander gesellen, ob dies nun eine Festgesellschaft ist, oder ob es dann Bruderschaften oder Zünfte sind. Die im selben Zeitraum aufkommende "Demokratie" soll hier ganz auf die attische Polis beschränkt bleiben, danach gibt es bis heute kein "Volk" (demos) mehr, welches herrscht, wie es das Wort behauptet. Schließlich lassen wir auch das ebenfalls in diesem Jahrhundert in Mode kommende Wort "Revolution" in seiner neuen Bedeutung und mit seinen emotionalen Untergründen aus, schon alleine deswegen, weil es wenigstens bis durch das lange Mittelalter nichts derartiges geben wird, - außer in der Sensations-Hascherei heutiger Historiker.
Bislang ist die Schwellenzeit als eine neuer Reichsbildungen und der Weiterentwicklung von Machtstrukturen bestimmt worden. Dabei wurde das Wort Politik ausgeklammert. Der recht unklare Begriff des Politischen ist etwa so jung wie der Staatsbegriff. Über das Französische und Englische ins Deutsche gekommen, ohne dass die Wurzel in der griechischen Polis und dem Politischen der Politeia bewusst war, bezeichnet er sinnvollerweise eher einige nicht gewalttätige oder gar kriegerische Formen der Machtausübung in später entstehender Staatlichkeit. Hier sollen für das frühere Mittelalter Wörter wie "herrschen" oder "regieren" vorgezogen werden.