Kirche, Macht und Frauen
Staatlichkeit
Kirche, Macht und Frauen (in Arbeit)
Der achte Heinrich ist ein Bilderbuch-Fürst, ein würdiger Zeitgenosse des ersten französischen Franz, mit dem er 1520 auf dem Güldenen Feld persönlich zusammentrifft, um seine kontinentalen Ambitionen zu demonstrieren. Er ist gutaussehend, wohlgebaut, kräftig und allem mit Talent zugetan, was damals als “Sport” gilt: Reiten, Jagen, Bogenschießen, Tennis. Er ist hochgebildet, sprachbegabt, beherrscht Latein, Französisch und etwas Italienisch, spielt Laute und Virginal, kann vom Blatt singen. (vgl. Suerbaum, S.73ff). Zudem ist er auf seine Art ein frommer Christ und ein theologisch gebildeter Gegner Luthers, - auch die übrigen Reformatoren mag er nicht.
Heinrich liebt die Macht und das Gepränge, die Details der Regierungsgeschäfte gibt er an seine Kanzler ab. Deren erster ist Wolsey, Sohn eines Schlachters mit steiler Karriere, der zweimal versucht, als Papst gewählt zu werden. Zunächst ist er der passende Partner des ambitionierten Herrschers, der in den Club der Großen seiner Zeit aufsteigen will. Er kandidiert vor den deutschen Kurfüsten als Kaiser, unterliegt aber dem allerkatholischsten Habsburger, dessen Wahl die Fugger höher finanzieren. Der spanische Thron ist ebenfalls in der Hand des Hauses Habsburg, und Spanien ist seit der Reconquista, der Vertreibung der maurischen Herrscher, eine allerkatholischste Weltmacht. Schließlich war da Frankreich, einerseits zunehmend protestantisch infiziert, andererseits mit einer ganz und gar katholischen Krone ausgestattet. Der achte Heinrich empfindet sich in diesem päpstlich beäugten und lizensierten Szenarium als ein zu kurz Gekommener.
Wolsey muß aber nicht nur abtreten, weil Heinrichs Machtträume scheitern, sondern wegen eines zentralen Dilemmas im Hause Tudor – des König Schwierigkeiten, sich von seiner von Bruder Arthur geerbten Frau Katharina von Aragon scheiden, bzw. genauer die Ehe annullieren zu lassen. Diese war älter als er, kränkelte und hatte ihm “nur” eine Tochter geschenkt, jene Maria, die später Königin werden wird. Inzwischen hat sich der König in die vornehme Anne Boleyn verliebt, nachdem er vorher schon ein Verhältnis mit einer ihrer älteren Schwestern hatte. Anne wird nun schwanger vom König, und die einflußreichen Astrologen lesen in den Sternen, dass es ein Sohn werden soll, der erwünschte männliche Thronfolger.
Aber aller Druck auf die römische Curia nützt nichts, Papst Clemens VII. ist inzwischen nicht mehr frei in seinen Entscheidungen: Als Antwort auf des ersten Franz Versuche, sich Italien einzuverleiben, hatte Kaiser Karl V. Truppen gen Süden geschickt, die Rom eingenommen und mehr noch als damals üblich im Sacco di Roma geplündert hatten. Auch der fünfte Karl ist ein sehr frommer Mann, - er wird seine Tage in einem spanischen Kloster beschließen - er beschützt seinen Papst nicht nur, er diktiert ihm auch seine Beschlüsse. Der spanisch-habsburgische Karl ist nun aber Neffe besagter Katharina von Aragon; er ist machtpolitischer Konkurrent Heinrichs VIII. wie Franz I. und lässt nicht zu, dass seine mit riesiger Mitgift von der spanischen Krone auf den englischen Thron gehievte Tante nun von demselben gestoßen werden soll.
Erst heiratet Heinrich Lady Anne nun heimlich, dann lässt er die Ehe per Gesetzesänderung legitimieren, indem der Erzbischof von Canterbury die erste Ehe annulliert. Kurz darauf wird ungeachtet aller Sternenguckerei ein Mädchen geboren, Elizabeth, die am Ende bekanntlich auch Königin wird. So hat unser Monarch eine eheliche Tochter verloren (Mary ist plötzlich ein Bastard) und eine gewonnen.
Der Papst dreht das um, erklärt die neue Ehe für nichtig und Elisabeth zum Bastard. Darauf wird die englische Kirche in der Suprematsakte der päpstlichen Kontrolle entzogen und entsprechend der des Königs unterstellt , - alles durch Beschlüsse des Parlaments. Von nun an ernennt der König die Bischöfe, die Abgaben an Rom bleiben im Land, und er behandelt ihr Eigentum als das seine. Die geistliche Laufbahn wird zum Staatsdienst schlechthin, wie Suerbaum formuliert (S.87). Paläste widerspenstiger Bischöfe werden zu Steinbrüchen und ihr Besitz wandert in die königliche und andere staatstragende Schatullen.
Wenige Jahre später löst Heinrich alle Klöster auf und eignet sich deren Grundbesitz und Einnahmen an, - ähnlich wie die protestantischen Fürsten in Deutschland, ähnlich wie später die französische Revolution. Die moderne vernunftgemäße Macht kennt keine menschlichen Rücksichten mehr, sie wird schrankenlos, ihr Ziel wird der totalitäre Staat, den allerdings erst sogenannte bürgerliche Revolutionen zur Gänze durchsetzen werden.
Mit den diversen Reformationen verschärft sich das Klima der Unduldsamkeit im Abendland, das mit der Verwandlung des Christentums in eine und die einzige Staatsreligion unter Kaiser Konstantin begonnen hatte. In Nord-England kommt es zu einem Aufstand derer, die ihre hergebrachte Religion behalten wollten, der mit einigem Aufwand niedergeschlagen wird. Es kommt zu knapp 50 Hinrichtungen aus religiös verbrämter Staatsraison, das berühmteste Opfer ist des Königs zweiter Kanzler, Thomas Morus, der wegen Hochverrat hingerichtet wird, weil er den Suprematseid nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann.
Das Konzept der Staatskirche wird auch in den kleinen protestantischen Fürstentümern Deutschlands durchgesetzt, aber deren Bevölkerung hatte sich vorher weitgehend schon selbst reformiert. In der englischen Bevölkerung hingegen findet die Reformation erst statt, als schon fast alle samt ihrem Herrscher insofern protestantisch als von Rom getrennt sind. Darüber hinaus findet die englische Reformation weitgehend im Rahmen der zu reformierenden Kirche statt, deren großer Vorsitzender der König ist. Das wird nicht gut gehen.
Die anglikanische Theologie bleibt katholisch, aber für viele Gläubige, ohnehin mit Theologie überfordert, werden die Veränderungen bedeutsam, die den reformatorischen auf dem Kontinent entsprechen: Die Umstellung von Latein auf die Volkssprache im Gottesdienst macht diesen für fast alle Gläubigen zum ersten Mal sprachlich mitvollziehbar und etabliert die zentrale Bedeutung der Predigt, des sermon. Das magische Moment von Ritus und Sakrament verblaßt und schwindet im 18. Jahrhundert ganz. Die Bibel wird übersetzt und dann alleine in englischer Sprache zugelassen. Die Minderheit der Bevölkerung, die sie nun lesen kann und mag, wird das Neue Testament, welches ja erst die römische Theologie genießbar gemacht hatte, weithin beiseite lassen und sich auf das orthodox-jüdische Alte Testament stürzen, welches Glauben und Leben als praktikable Einheit sah. Volksreligiöse Elemente wie Wallfahrten und Heiligenverehrung werden verboten, das Christentum der Frommen wird karg und weniger heiter, das der Mehrheit säkular und konformistisch-desinteressiert.
Mit dem Verlust der Mittlerfunktion der Kirche entsteht ganz schnell ein Kult der Unmittelbarkeit. Die unmittelbare
Konfrontation mit Gott macht den Menschen unmittelbar vor ihm, und das heißt, vor seinem Gewissen verantwortlich. Die ganze Welt der gläubigen Fiktionen mit ihren so vielfältigen Vermittlungen
wird nun suspekt: Rousseau beschreibt in seiner Lebensbeichte seine erste Erweckung als den Verlust von Kindlichkeit, seine zweite als Entscheidung für die Rückgewinnung derselben. Nur
vorpubertäre Kinder sind Menschen, denen die Gnade der Unmittelbarkeit tatsächlich gegeben ist. Der abendländische Totalitarismus, der sich langsam entwickelt,
wird morgenländische Heilserwartung mit abendländischem Infantilismus verbinden. Man strebt einen Kommunismus an und landet beim Sozialismus. Man strebt einen Sozialismus an und landet bei einem
effektiver reformierten Kapitalismus.
Heinrichs durch keine päpstlichen Einsprüche mehr behinderter Verschleiß an Ehefrauen führt dazu, daß Anne Boleyn, die ihm keine männlichen Nachkommen schenkt, in einem fingierten Prozeß wegen Ehebruchs mit fünf Männern, darunter ihrem Bruder, zum Tode verurteilt wird. Sie ist erst einen Tag tot, da heiratet er schon Jane Seymour, die ihm den erhofften Thronfolger Edward schenkt und dann stirbt. Während der Vater, der ihre Mutter hinrichten ließ, drei weitere Male heiratet, wird Eliabeth, selbst nunmehr Bastard wie ihre ältere Schwester, mit der Abfolge von vier Stiefmüttern konfrontiert.
Edward
Der neunjährige Edward kommt auf den Thron und nähert in sechsjähriger Herrschaft die englische Kirche weiter Positionen kontinentaler Reformation an.
Maria
Es folgt die (katholische) Maria, die erst Edwards Maßnahmen rückgängig macht und dann alle inzwischen verheirateten Geistlichen aus ihren Ämtern wirft. Fast dreihundert Gegner, darunter mehrere Bischöfe, werden auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Viele “Protestanten” fliehen, und zwar dorthin, wo die Reformation besonders erfolgreich war und vor allem in calvinistische Kernlande.
Elizabeth I. und ihr Staat (1533-1603)
Als Elisabeth 1558 ihrer Schwester, welche sie zu ihren Lebzeiten praktisch eingesperrt hielt, folgt, macht sie die Änderungen Marias rückgängig. Spätestens unter ihr wird England dann zum Global Player, der sich mit Frankreich und Spanien wird messen können. Unter ihr kommen aber die von Maria verfolgten Protetanten zurück, deren religiöse Botschaft inzwischen calvinistisch aufgepeppt worden ist. Elisabeth, für die Religion letztendlich Privatsache ist, wird sie mit Kompromißformeln noch in Schach halten können. Tatsächlich aber werden Katholiken einerseits, und “Puritaner” andererseits mit der Konstruktion einer Staatsreligion langfristig in mentale Ghettos und die Heimlichkeit gedrängt.
Der Staat ist der status, état, state, der Zustand (Hier: der institutionalisierten Macht) also. Am weitesten gediehen ist er im 16. Jahrhundert in den nord-und mittelitalienischen Stadtstaaten, die alle inzwischen dazu tendieren, regionale Fürstentümer zu werden. Es ist der Zustand einer Gesellschaft, die nicht länger (fiktiver) traditioneller Verwandtschaftsverband ist, den persönliche und sei es feudal mediatisierte Beziehungen strukturieren. Das neue Medium ist das Gesetz, jene moderne Form der regulierten Willkür, deren höchste und aufgeklärteste Form die der Tyrannei jenes Fürsten (principe) ist, den Macchiavelli auslobt.
Solch aufgeklärte Staatlichkeit führt die erste Elisabeth in England ein. Sie benutzt dabei die zwei legitimatorischen Eckpfeiler jeden modernen Staates: die Sozialstaatlichkeit und den Mythos Nation.
Bis zu des achten Heinrich Bruch mit Rom hatten vor allem Kirchen und Klöster sich um die Notleidenden gekümmert. Mit ihrer Verstaatlichung und Zerschlagung entstand ein Vakuum. Der Sozialstaat nun greift akute Übelstände auf und reguliert sie staatlich so, dass sie einerseits als Staatsaufgaben permanent werden und so Staatlichkeit legitimieren, andererseits aber das Ordnungsgefüge nur bedrohen, nicht aber zerstören. Aus der Hilfsbedürftigkeit einzelner wird so über die stete Neu-Erfindung der Armut, später auch der Arbeitslosigkeit eine staatliche Aufgabe.
Solange Gemeinden als Gemeinschaften konzipiert sind, wirkt die Caritas, die Mildtätigkeit. Mit ihrer Armengesetzgebung (poor law) regelt Elisabeth nun die Armenfürsorge als eine staatliche (bis ins englische 19. Jahrhundert kommunale) Aufgabe: Die Besitzenden der Gemeinden müssen nun nach Einkommen eine Art Armensteuer zahlen, die die Armut kommunal, wenn auch notdürftig, finanziert. Wer nicht arbeiten kann, wird (schlecht) alimentiert, wer dazu imstande ist, dem wird dazu verholfen bzw. er wird dazu gezwungen. Geduldete Bettler werden nun lizeniert. Armut heißt damals, der Gefahr ausgesetzt zu sein, zu verhungern oder zu erfrieren. In Erscheinung treten diese Armen als Vagabunden oder ortsansässige Bettler und in den Augen moderner Aufgeklärtheit wirken sie als Störenfriede bürgerlicher Ordentlichkeit.
Zweiter grundlegender Aspekt der Sozialstaatlichkeit wird die staatliche Modernisierung der Ständeordnung. Das früher in zünftiger und gildemäßiger Selbstorganisation strukturierte Gewerbe wird gesetzlich geregelt (statute of artificers). Staatliche Luxusgesetze versuchen, den Aufwand der einzelnen Stände zu regulieren (Kleidung, Schmuck, Haushaltung).
Der zentrale Grundsatz der Durchsetzung von Staatlichkeit bis in den bislang privaten Raum hinein ist die Aufhebung von Selbstregulierung durch Gesetzlichkeit, die Ablösung von Tradition durch Willkür. Ein Prozeß von Enteignung (überAbgaben) und Entrechtung (über Gesetze) schafft jene Untertänigkeit, die nach staatlichen Eingriffen ruft, die zu jenem Phänomen führen, das in Zukunft “Reform” heißen wird und Machterhalt durch Anpassung an ökonmischen Wandel bedeutet. Im religiösen Raum heißt das ganze gleichzeitig Re-Formation (Umformung unter dem Vorwand der Wiederherstellung).
Wir wissen nicht, warum die Virgin Queen niemals heiratet, und natürlich auch nicht, wie jungfräulich sie war. Hätte sie geheiratet, wäre sie den Entscheidungen eines Ehemanns unterworfen gewesen. 1566 will das Parlament sie wieder mal zur Heirat drängen und sie antwortet: I am your anointed Queen. I will never be by violence constrained to do anything. Mit der Salbung aber ist ihr Königtum mit Gottes Segen versehen. Schon 1559 hatte sie dem Parlament in derselben Sache erklärt:
...I was sent into this world by God to think and do those things chiefly which may tend to his glory. Das klingt wie das Bekenntnis einer Nonne, einer Braut Gottes. In derselben Rede formuliert sie aber weiter: I have already joined myelf in marriage to a husband, namely the Kingdom of England. And behold (and therewith she drew the ring from her finger and showed it, wherewith at her coronation she had in a set form of words, solemnly given herself in marriage to her Kingdom).
Das klingt sehr wie der tradierte jungfräuliche Nationalismus der Johanna von Orléans. Aber nun kommt noch hinzu, was später der fortschrittliche Fénelon predigen wird:
And do not upbraid me with miserable lack of children; for every one of you, and as many as are Englishmen, are children and kinsmen to me: Of whom if God deprive me not (which God forbid) I can not without injury be accounted barren...
Die höfischen Dichter werden Elisabeth als Diana, Astraea und Gloriana in Nachfolge der hohen Minne anhimmeln, Edmund Spenser wird mit 'The Faerie Queen' daraus ein großes Gedicht machen, welches Purcell hundert Jahre später unter den letzten Stuarts in wunderschöne Musik fassen wird.
Jenseits davon aber wird auch mit dem Untergang der Armada Spaniens Niedergang besiedelt, staatlich lizensierte englische Seeräuber werden ihm den zu Rest zu geben versuchen, Lord Mountjoy wird Irland in die Knie zwingen, Frankreich wird auf Abstand gehalten und zerfleischt sich in Religionskriegen.