RITTER, FÜRSTEN, HOF (12. Jh. bis 1250) (derzeit in Arbeit)

 

Ritter

Die Burg

Hof und Fürsten

Hövescheid: Herrschaft und Selbstbeherrschung

Höfe: Eros, Ehe, Verwandtschaft

Mode

Kleidermode

 

 

Mehr Bevölkerung, mehr Produktion, mehr Geld und Marktwirtschaft, Entstehung von mehr Kapital sind Grundlagen für Veränderungen im edlen Kriegerstand bis hinauf zu den Fürsten und Königen. Auf die frühe Militarisierung des Christentums folgt eine neue Christianisierung des Kriegerstandes. Ansätze zeigten sich in den Friedensbewegungen von Katalonien bis Westfranzien, in der Christianisierung der Reconquista und schließlich in der weitergehenden Heiligung des Krieges im ersten Kreuzzug. Aus dem Krieger wird langsam der edle Rittersmann, und von französischen Höfen breiten sich neu-modische Sitten und Bräuche aus.

 

Mit der neuen ständisch-funktionalen Lehre von den Betenden, den Kriegern und der arbeitenden Bevölkerung nehmen sichtbare neue Absetzbewegungen des Adels, der Fürsten und Könige von den für sie Arbeitenden je nach Macht und Reichtum zu. Leitbild wird höfischer Lebenswandel, an dem sich die Krieger darunter nach Möglichkeit orientieren.

 

Ritter, Fürsten und Fürstenhof gehören zusammen, sie bilden eine vertikal abgestufte Lebenswelt mit neuen Machtverhältnissen, Lebensformen und Verhaltensweisen im lateinischen Abendland. Sie basieren auf steigenden Wohlstand, den sie fördern, aber nicht selbst erarbeiten.

 

Ritter

 

Vom König über Fürsten bis zum niederen Adel und immer mehr auch zu den Ministerialen sind alle Krieger, nur durch ihren Status samt Macht und Reichtum unterschieden. Solche Krieger (milites) als Vasallen sind längst beritten, aber erst im Verlauf des 12. Jahrhundert werden sie zu Rittern aufgewertet, zu chevaliers, caballeros oder knights, im sportiven wie im kriegerischen Kampf auf dem geschmückten Pferd, gekleidet mit Kettenhemd und Waffenrock, erst später mit dem Plattenharnisch und einem Helm. Zur Abwehr kommt ein manchmal bemalter Schild dazu.

 

In der Regel braucht der Ritter zunehmend einen Knappen, der ihm die Rüstung an- und auszieht und ihm im Kampf assistiert, und ein Packpferd für das Gepäck. Wichtigste Angriffswaffen sind ein beidseitig scharf geschliffenes Schwert und und eine gut drei Meter lange schwere Lanze aus Eschenholz, dazu können noch Dolch, Streitkolben und Streitaxt kommen.

Zur Ausrüstung gehören dann vor allem ein Marschpferd (palefridus) und ein Streitross (dextrarius), welches ebenfalls gepanzert und darüber mit einer Decke versehen ist. Als destrier von lateinisch dexter, rechts abgeleitet, da der Knappe dies Pferd außerhalb der Schlacht mit der rechten Hand führt. (Tuchman)

 

Je teurer das alles wird, desto exklusiver wird diese hierarchisch gegliederte kleine Minderheit der Bevölkerung, für die es eines hinreichend großen Lehens bedarf. Je aufwendiger die Ausstattung des Ritters wird, desto geringer wird ihre Zahl im 12./13. Jahrhundert werden. Darunter verarmt dann nach und nach ein niederer Adel und sinkt später manchmal in das Bauerntum ab.

 

Das Ideal

Die Kirche stellt seit den Friedensbewegungen um die Jahrtausendwende, seit der bewussteren Christianisierung der spanischen Reconquista und dann auch mit den Kreuzzügen das Ideal des deutlicher christlich inspirierten Kriegers auf, der Kirche, Klöster, Kaufleute, Witwen, Waisen und Arme schonen bzw. schützen  und seine Gewalttätigkeit gegen die Heiden und andere Feinde der Kirche wenden soll. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts beginnen epische Texte das zu einem ritterlichen Ethos zu verdichten.

 

Dieses verbindet sich mit neuen Lebensformen an den Höfen wohlhabender und mächtiger geistlicher wie weltlicher principes, von denen ein Teil nach neuartiger Landesherrschaft in geschlosseneren Territorien zu streben beginnt, und die wir nun Fürsten nennen. In Frankreich sind sie zunächst noch mächtiger als der König, und erst gegen Ende des 12. Jahrhunderts beginnt dieser, sie erfolgreich zu lehnsgebundenen Vasallen zu machen. In deutschen Landen kristallisiert sich in der Zeit Friedrichs I. ("Barbarossa") eine feste Zahl solcher Fürsten heraus, auf deren Unterstützung und Rat der König angewiesen ist.  

 

Über das Lehen sind Ritter als Vasallen mit den Höfen ihrer Herrren verbunden, denen sie entsprechend Mannschaft zu leisten haben. Umgekehrt ist ein vornehmerer Herr darauf angewiesen, ein solches militärisches Gefolge an sich zu ziehen. Wenn man dabei von feudalen Strukturen sprechen möchte, sind das solche des Gebens und Nehmens, die durch die Arbeit von Bauern und zunehmend auch Handwerkern und Händlern zu finanzieren sind.

 

Der Hof ist eine größere Burg bzw. Pfalz (palatia), wie sie Könige und Fürsten besitzen. Der Hof ist aber nicht nur ein Gebäude, sondern auch eine Versammlung von Menschen, die dort entweder dauerhaft und gelegentlich zusammen kommen.

Am Hof treffen vornehmer Adel, Fürsten und Könige mit ihrer Ritterschaft zusammen. Diese orientiert sich an deren modischem Auftritt und dem ritterlicher Kollegen. Mode ist der neueste "Schick", mit dem man zeigt, wo man dazu gehört.

 

Höfische Lebensformen dringen im 12./13. Jahrhundert aus Frankreich nach Osten in die deutschen Lande und nach Norden nach England. Sie entwickeln sich an Fürstenhöfen wie denen Poitous/Aquitaniens, Blois/Champagne, Anjou und Normandie.

 

Das alte Kriegerideal von Kraft und Stärke, Ehre und Tapferkeit, nunmehr zudem von der Kirche mit neuen Idealen versehen, wird durch höfische Ideale wie staete triuwe und Schönheit angereichert, soweit der neue Rittersmann sich das leisten kann. Dazu gehören ungenierte Prachtentfaltung, die großzügige Freigebigkeit (die largitas) als Ausdruck von Reichtum, die Milde (milte), sich in Empathie äußernde Barmherzigkeit (misericordia), mit der ein gewisser Gefühlshaushalt in eine von heftigeren Emotionen zerrissene Welt einziehen kann. All das geht an seit dem späten 12. Jahrhundert in Heldenepen ein, die an den Höfen sehr populär werden, und die das neue Ritterideal propagieren.

 

Einen weiteren Gefühlshorizont entfaltet Literatur an den Höfen, die Liebe über arg zugreifende Geschlechtlichkeit hinaus propagiert, passenderweise in poetischer Form der Troubadoure und dann auch der deutschen Minnesänger. Dazu passend werden nun die Körperformen in Skulpturen und Bekleidung immer deutlicher betont. Dazu beginnen sich bei Hofe zuweilen feinere Manieren durchzusetzen, zum Beispiel bei Tische oder im Umgang mit Frauen.

 

Die Wirklichkeit

Die Ideale, wie sie in Texten und Abbildungen dargestellt werden, färben mehr oder weniger in die alltägliche Wirklichkeit ab, aber eben nur manchmal und nur ein wenig. An französischen, englischen und bald auch ersten deutschen Höfen wie dem von Thüringen oder dem des Kaisers dient ihre Verwirklichung vor allem öffentlicher Selbstdarstellung bei Festen, in Einzelfällen dienen sie auch einer gewissen ritterlichen Regelhaftigkeit, aber im Alltag sind sie eher seltener.  

 

Gewalttätigkeit und Grausamkeit

Jagd

Besitzgier Geiselnahme für Lösegeld

 

Im Krieg kommt es immer wieder vor, dass nicht nur Söldner, sondern auch Ritter Frauen als Freiwild betrachten. Zu den Verheerungs- und Verwüstungsfeldzügen scheinen auch Vergewaltigungen fast als die Regel gehört zu haben, auch wenn oft darüber aus naheliegenden Gründen geschwiegen wird. In der Zeit, in der Richard ("Löwenherz") unter der Oberhoheit seines Vaters versuchte, Aquitanien sehr grausam unter seine Kontrolle zu bekommen, wird berichtet, er habe sich allenthalben Mädchen und Frauen nach Gutdünken "genommen", wie es schon damals hieß, und sie nach Gebrauch an seine Gefolgsleute weitergereicht.

 

Festzuhalten ist auch, dass die angestrebte Disziplin höfischen Verhaltens, die Arbeitsdisziplin von Bauern und Handwerkern und die Perspektivlosigkeit von Armut allesamt oft in nicht unerheblichem Alkoholkonsum münden. Dabei geht es um Prozesse der Enthemmung, einer drogeninduzierten "Fröhlichkeit", die erst die Leitungsfunktion der Vernunft und dann zunehmend die ganze Verstandestätigkeit reduzieren. Vorübergehende Verblödung wird mit Lebensfreude in dem Maße gleichgesetzt, in dem sie ohne Drogenkonsum schwerer fällt.

 

Zwar betonen Historiker immer wieder - und in gewissem Sinne auch zu Recht - dass der Alkoholgehalt dieser Getränke niedriger war als heute, und dass sie auch getrunken werden, weil in Städten reines Quellwasser fehlt, aber Alkohol ist immer wieder auch Genussmittel als Treibstoff von Geselligkeit und Festen.

 

Für 1120 beschreibt Wilhelm von Malmesbury in seinen 'Gesta Regum Anglorum, wie der anglonormannische Thronerbe der Anglonormannen ein rauschendes Fest für seine hochadeligen Kumpane auf dem gerade fertiggestellten 'Weißen Schiff' im Hafen von Barfleur in der Normandie gibt. Der Wein fließt in Strömen, enthemmter Übermut ergreift die 'Jeunesse d'orée' des anglonormannischen Reiches, man pöbelt gegen Geistliche, die das Schiff weihen wollen, und in betrunkenem Zustand beschließt die Horde hochadeliger Nichtsnutze mitten in dunkler Nacht, auszuprobieren, wie schnell man mit dem schicken Schiff nach England übersetzen könne. Man kollidiert gleich mit einem Felsen, das Schiff sinkt und fast alle ertrinken.

 

Anzunehmen ist, dass in solchen Kreisen bei adoleszenten Mannbarkeitsritualen (mit nicht erwähnten Huren oder verführten Mädchen niederer Kreise?) regelmäßig der Alkohol in Strömen fließt. Immerhin lobt Wilhelm von Jumièges in seinen 'Gesta Normannorum Ducum', dass Wilhelm ("der Eroberer") nur moderat (Alkohol) trank und Trunkenheit verabscheute. Das wäre nicht erwähnt worden, wenn sein Verhalten typisch gewesen wäre.

 

Es wird noch dauern, bis Quellen von bäuerlichen Festivitäten berichten, die alkoholgetränkt sind, und von den städtischen Gesellschaften, deren Treffen mit Alkohol angereichert werden bis dahin, dass im späten Mittelalter dann sich Verordnungen mit dem Verhalten alkoholisierter Mitglieder beschäftigen. Erst dann erfahren wir auch mehr von der Tatsache, dass viele Gewalttaten in Stadt und Land auf Alkoholkonsum zurückzuführen sind - wie dann auch bis heute.

 

In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, als der Niedergang des Rittertums bereits eingeläutet ist, verweist der junge Helmbrecht des Wernher ("der Gaertener") auf das, was für ihn zum Beispiel Rittertum ausmacht:

Höfisches Leben sieht heute so aus: "Trinkt, Herr, trinkt und trinkt!" Früher traf man die vornehmen Herren bei den schönen Damen an, heute findet man sie im Wirtshaus. Von früh bis spät sind ihre größten Sorgen, dass ihnen der Wirt, falls der Wein ausgeht, auch ja eine ebenso gute Sorte herbeischafft wie die, die sie so in Hochstimmung versetzt hat. (etc.)

 

 

 

Die Burg

 

Burg im Norden

Turmburg in der Nordhälfte Italiens

 

Hof und Fürsten

Fürsten

Hof

Fest, vreude, Musik, Spielleute, Erotik

 

Hövescheit: Herrschaft und Selbstbeherrschung

 

"Höflichkeit" leitet sich zwar von der curialitas der mittelalterlichen Höfe ab, ist aber ohnehin als sozialverträgliches Verhalten in unterschiedlichen Formen schon Bestandteil aller Kulturen. Es handelt sich hier um Verhaltens- und Umgangsformen, die in erster Linie das Leben bei Hofe erleichtern sollen, dort, wo mehr Menschen als nur die Kernfamilie aufeinandertreffen. Erwünschter Nebeneffekt ist die deutliche Abgrenzung von allen "unhöfischen" Menschen darunter.

Um 1300 erklärt 'De regimine principum' des Aegidius Romanus, für König Philippe IV. geschrieben, das genau so:

Denn dadurch, dass an den Höfen der Adeligen (nobiles) eine sehr große Gesellschaft (societas) zu sein pflegt, schickt es sich für sie, höflich (politicus) und umgänglich (socialis) zu sein, weil sie ja in der Gemeinschaft sehr vieler leben. Bauern leben praktisch alleine und sind darum roh und wild. Bei Hofe wird man in höfisches Verhalten hinein sozialisiert.(in: Laudage/Leiverkus, S.218)

 

Was am Hof eingeübt werden soll, ist in einem größeren Rahmen eingeordnet: "Mit der Territorialisierung setzte eine Monopolisierung und Zentralisierung von Macht und Recht ein, die es vielen kleinen Adeligen nicht mehr gestattete, die eigenen politischen und rechtlichen Händel selbstherrlich mit der Waffe auszutragen. Stattdessen musste man den Rechtsweg über den Landesherrn suchen, wozu erhebliche Geduld und Zeit aufzubringen war. Eben dies aber hatte notwendigerweise eine Bändigung der gewalttätigen Affekte zur Folge. Die Geselligkeitsformen wie Tanz, Jagd, Turnier lassen sich also auch unter dem Aspekt der Domestizierung gewalttätiger Körper an einem Hof sehen." (Rüdiger Schnell in: Heinzle, S.128)

 

Das gilt allerdings auch, dabei des öfteren auf Seneca verweisend, für Monarchen: Et sicut dicit Seneca...Bei Walter von der Vogelweide heißt es: Wer überwindet jenen unt disen? / das tuot jener, der sich selber twinget / und alliu sîniu lit (Glieder) in huote bringt / ûz der wilde in staeter zuht habe. Ausder Feststellung wird dann später die Forderung. Um 1275 schreibt Jacobus de Cessolis: Es ist nicht rechtens, dass du über andere herrschen willst, solange du nicht über dich selbst herrschen kannst. (in: Heinzle, S.119)

 

Es geht um das Verhalten in hierarchisch strukturierten Gesellschaften, weswegen Kernelemente höfischer Regeln zuerst im Kloster und dann in der Kirche eingeübt und dazu formuliert wurden. Wohl um 1130 schreibt der in Paris lehrende Hugo von St.Victor mit 'De institutione novitiorum' einen weitverbreiten Text über die Erziehung von Klosternovizen, wo es neben bonitas und scientia um disciplina geht, also um die mittelhochdeutsche zuht. Zur Zucht aber wird erzogen. Um 1215 schreibt der belesene Thomasin von Zerclaere, ein Ministeriale am Hofe des Patriarchen von Aquileia in 'Der welsche Gast': ir sult wizzen sicherlîchen,/ daz beidiu zuht und höfscheit, / koment von der gewonheit. (in: Heinzle, S.67) Gewohnheit ist die alte askesis, die Einübung, und zwar in die Disziplin der Selbstbeherrschung und die Formen höfischen Umgangs.

 

Nirgendwo ist das wichtiger als in der autoritär strukturierten klösterlichen Gemeinschaft. Bei Hugo von St. Victor heißt das:

Wie nämlich aus der Unbeständigkeit des Geistes die ungeordnete Bewegung des Körpers (corpus) entsteht, so wird der Geist auch an die Beständigkeit (constantia) gebunden, wenn der Körper durch Beherrschung (disciplina) in Zaum gehalten wird. Und: Die Vollkommenheit der Tugend (virtus) ist gegeben, wenn die Glieder des Körpers durch die innere Kontrolle des Verstandes (interna mentis custodia) auf geordnete Weise gelenkt werden. (in: Heinzle, S.71)

 

Was in Kulturen tradiert und durch Integration des Nachwuchses durch Nachahmung gelingt, wird in den Gewaltstrukturen institutionalisierter Macht, und solche sind auch Kirche und Kloster, durch Erziehung beigebracht und oft genug auch eingeprügelt: Das Diktat des Kopfes über den Körper, Selbstbeherrschung, Impulskontrolle bis in die Körperhaltung, die Gebärden, die Mimik und die (bedachte) Redeweise. Es geht um das Wahren einer möglichst umfassenden Fassade in der Öffentlichkeit. Alles spricht dafür, dass ein Teil dieser unterdrückten Impulse in Aggressivität umgeleitet wird, die wiederum anderswo kanalisiert und ausagiert werden muss.

 

Wie weit diese Fassade gehen soll, diese Selbstkontrolle, schreibt Hugo von St.Victor den Klosternovizen direkt ins Gesicht: Das Gesicht ist nämlich ein Spiegel (speculum) der disciplina, ein Spiegel, der um so mehr kontrolliert werden muss, je weniger man verbergen kann, wenn in ihm ein Fehler ist (in ea peccatum fuerit). (in: Heinzle, S.82)

 

Höfische Zucht unter Bezugnahme auf antik-römische Klassiker beginnt bei Werner von Elmendorf schon mit kusche worte und schone gebere (gepflegte Worte und Gebärden bei Keupp in: Laudage/Leiverkus, S.217)

 

Bekannt sind die Tischsitten: Nicht "die Finger in den Becher tauchen, nicht die fettigen Hände am Gewand abwischen und dann wieder ans Essen greifen, nicht (...) die Finger statt des Löffels benutzen" usw. (Bumke in: Heinzle, S.93) Zurückhaltung und Hygiene sollen vorherrschen, jedenfalls keine Fressgier.

 

Laut dem 'Urbanus Magnus' des Daniel of Beccles vom spätem 12. Jahrhundert soll man sich bei Hofe nicht öffentlich die Haare kämmen, "die Nägel putzen, sich nicht kratzen oder in seiner Hose nach Flöhen suchen." Man sollte nicht barfuß sein und möglichst nicht in der großen Halle pinkeln. (Ashbridge, S.75) Auch das Verhalten gegenüber Frauen wird geregelt.

 

Hier soll sicherlich neben der Impulskontrolle auch die Erinnerung an den animalischen Charakter des Körpers getilgt werden: Der Mensch ist als höfisch veredeltes (fast) Ebenbild Gottes nicht mehr einfach nur ein entartetes Sugetier. 

 

Sauberkeit: Im Roman de la Rose heißt es: Lave tes mains, tes denz escure (Zähne putzen), S'en tes ongles pert point de noir, Ne l'i laisse pas remenoir. Cous tes manches (enge Ärmel), tes cheveux pigne. Mais ne te farde ne ne guigne (nicht schminken) (Zeilen 2166-70). Hier geht es um das erfolgversprechende Rezept Amors für den Liebhaber, zu dem auch schöne Kleidung und schöner Schmuck gehören, allerdings nach den Möglichkeiten des Geldbeutels. Der Eros ist Teil des höfischen Ideals, gerne als "Liebe" bezeichnet. Was Guillaume de Lorris hier um 1235 fordert, scheint keine Selbstverständlichkeit zu sein: Hände waschen, Zähne putzen, Fingernägel säubern, Haare kämmen. Aber wenigstens als Vorbereitung auf ein erotisches Abenteuer erscheint es nun erforderlich, um der Geliebten zu gefallen.

 

Das weltliche Ideal der Selbstkontrolle verlangt, wie auch die damaligen Romane immer wieder betonen, die Darbietung einer abgemessenen Heiterkeit und nicht klösterlichen Ernst. Aber auch diese ist eine mühsam anzuerziehende Fassade.

 

Auf dem Weg von Kloster und kirchlichem Hof zu seinem weltlichen Gegenpart, der ja demselben Adel angehört, wird den Frauen eine noch größere Selbstbeherrschung als Fassade auferlegt: Dazu gehören besonders gemessenes Schreiten, das Verbot des übereinander Schlagens der Beine beim Sitzen (ungeachtet der ohnehin bodenlangen Kleider) und das direkte Anblicken eines fremden Mannes. (Thomasin von Zerclaere).

 

Selbstbeherrschung ist ein Ideal, über das wir deutlich mehr zu lesen bekommen als über die Wirklichkeit. Nur extrem impulsives und emotionsgeladenes Verhalten wird dort als das Gegenteil der Erwähnung wert befunden.

 

 

Höfe: Ehe und Eros

 

Das Ideal der Selbstbeherrschung in der höfischen Welt im hohen und späten Mittelalter dürfte vor allem dort, wo diese wie in deutschen Landen erst später einzieht, in häufigem Konflikt mit der Wirklichkeit existiert haben. Wahrscheinlich wird es dort viel häufiger praktiziert, wo im unteradeligen Bereich Kapital angehäuft wird. Auch wenn die entsprechenden Quellen fehlen, ist zumindest klar, dass Kapital solange Konsumverzicht bedeutet, bis erhebliche Gewinne anfallen, also ein erhebliches Maß an Disziplin.

 

Wenn für das 11./12. Jahrhundert eine "Entwicklung der Adelsfamilie von locker verwandtschaftlich gebundenen Adelsgruppen des Frühmittelalters zu eng um die väterliche Linie geschlossenen Adelsgeschlechtern des Hochmittelalters" konstatiert wird (Ursula Peters in: Heinzle, S.146), so dürfte die ganz anders situierte Kernfamilie im bäuerlichen und stadtbürgerlichen Bereich abgesehen vom tradierten Erbrecht, welches für alle gilt, schon lange vorausgegangen sein. Aber während im 11. Jahrhundert Familie (familia) etwas ganz anderes bedeutet, nämlich die Mitglieder eines Hofverbandes (von famulus, der Diener), steht das Wort gesleht nun eingegrenzter für eine Adelsfamilie, die sich auf einen Ahnen zurückführt. Familie im heutigen Wortsinn wird erst im 17. Jahrhundert aus dem Französischen ins Deutsche übernommen. Das Geschlecht als Sexus taucht dann im späten Mittelalter auf, wo Lebewesen und Wörter ein Geschlecht bekommen.

 

Das Adelsgeschlecht der höfischen Zeit ist patrilinear, eine agnatisch konstruierte Familie, die sich immer mehr auf einen Stammsitz (Burg) konzentriert, davon einen Namen ableitet, die Ehefrau insofern aufwertet, als sie dem Herrn den legitimen Sohn gibt, während die außerehelichen Kinder langsam etwas abgewertet werden. Damit verengen sich die Verwandtschaftsbeziehungen, werden andererseits über Eheschließungen mit zunehmendem Zeremoniell unter kirchlicher Beteiligung kalkulierter. Auch zunächst im "französischen" Raum, wo ligne und lignage früh an Bedeutung gewinnen, sind nachgeborene Söhne unter Umständen zu ritterlichem Abenteurertum gezwungen und die sexuelle Treue der Ehefrauen wird noch wichtiger. (Ursula Peters)

 

Höherer männlicher Adel und Fürsten hingegen sind sehr häufig nicht tatsächlich monogam. Es ist fast normal, dass sie sich Geliebte oder Konkubinen halten, wie Heinrich ("der Löwe") mit einer Tochter des Grafen von Blieskastel. Die Tochter daraus, eine Mathilde, wird dann später an den Herren von Mecklenburg verheiratet.

Ein König wie der angevinische zweite Heinrich heiratet die hochattraktive Eleonore von Aquitanien kurz nach deren Scheidung vom siebten französischen Ludwig, hat aber schnell öffentlich bekannte Maitressen, und wohl vorwiegend nacheinander sehr viele davon. Von der Maitresse zur Prostituierten ist es manchmal nur der Schritt, dass Maitressen besser bezahlt werden und länger als nur einen kurzen Fick zu dienen haben. Aber auch veritable (etwas "bessere") Prostituierte halten nach und nach Einzug in den unteren Etagen der vornehmeren Burgen. Nach Turnieren dienen sich im Rahmen der Abschlussfestivitäten nicht selten der ritterlichen sexuellen Notdurft.

 

Das Monopol der Männer auf sexuelle Ausschweifungen hat natürlich etwas mit der Tatsache zu tun, dass Frauen den Nachwuchs bekommen, und damals bis auf Nonnen eben noch fast alle, und dass es zwar adeliger Mannesstolz sein kann, dass man selbst von anderen Frauen Bastarde hat, dass dieser aber massiv gebrochen wird, wenn die eigene Frau einem solche unterschiebt.

 

Auch vom Ehebruch von Frauen wird des öfteren berichtet, obwohl er kaum so geduldet wird. Aber höfisches Leben gibt den Damen dort manchmal neue Freiräume. Deshalb vergibt der zeitgenössische Daniel of Beccles Ratschläge an Höflinge, denen die Dame des Hauses Avancen macht. Dazu gehört, dass man dem Herrn der Dame nichts davon erzählt und sich bei der Dame zugleich krank stellt.

 

Manche literarische Sparten entdecken die Frivolität. In den Pastourellen des 12. Jahrhunderts werden Verführungen oder Vergewaltigungen junger Schäferinnen durch edle Herren geschildert.

 

Wo der pater familias (und vielleicht sogar die Mutter) fehlt, erhalten Kinder beim Adel und insbesondere dem höheren vom König in seienr Schutzfunktion einen Vertreter der munt, die das Kind zum Mündel macht. Solange das Kind (oder die Kinder) noch minderjährig ist, kann der Ersatz"vater" die diesem zustehenden Einkünfte nicht nur verwalten, sondern auch selbst nutzen. Schon soweit ist die Überlassung eines Mündels ein einträgliches Geschäft. Noch einträglicher wird es, wenn die Aufsichtsperson das weibliche Mündel dann heiratet, weil diesem dann erheblicher Besitz zusteht. Aber schon die Verheiratung des Kindes kann als Ehebündnis mit einem anderen Geschlecht Vorteile mit sich bringen.

 

 

Der Adel mit seiner Geschlechterbildung trägt sicher auch dazu bei, dass die Kirche jenen Weg beschreitet, der von der Akzeptanz der Ehe zwecks Produktion von Nachwuchs im 12./13. Jahrhundert zur Aufwertung der Ehe als Sakrament führt. Damit können nun auch Verheiratete als Heilige anerkannt werden und die Teilnahme Jesu an einer Hochzeit zu Kana im Johannes-Evangelium wird jetzt als dessen Akzeptanz der Ehe herangezogen. Dabei geht es hier um die Erfindung von Wundergeschichten, die die Tradition eines Lebens Jesu überformen, um möglichst früh auf seine Verwandlung in einen Christus hinzuweisen.

 

In Beispielen zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert wird deutlich, wie widersprüchlich die Haltung von Kirche und Welt zu Sexualität und Ehe bleibt. Die Ehe ist als Sakrament nun unauflöslich, es sei denn, die Eheleuten seien, wie sich nachträglich herausstellt, zu eng verwandt oder der Koitus könne nicht vollzogen werden. Beim Manne werden dann entweder besonders ehrbare verheiratete Frauen, aber auch schon mal erfahrene Prostituierte herangezogen, um durch u.a. manuelle Untersuchung die Potenz des Mannes festzustellen, und so sie fehlt können diese Frauen den Mann schon mal beschimpfen, dass er geheiratet habe, ohne der Frau die ihr gebürtige Lust zu schenken.

 

 

Mode

 

Die Entfaltung von Kapitalismus bedarf eines sich immer weiter entfaltenden Luxus-Konsums, dessen Motor die Mode als zentrales Mittel zur Steigerung des Warenkonsums wird.

 

Mit dem Aufstieg eines neuartigen (Krieger)Adels und dann der höfischen Lebensformen in deren reicheren Kreisen wird jede Mode, auch die, welche heute "Stil" genannt wird, aus dem aufsteigenden Frankreich übernommen.

Da der lateinische stilus das Schreibgerät war, meint "Stil" im ausgehenden italienischen Mittelalter den Schreibstil, wie er im Ausdruck dolce stil nuovo wohl zum ersten Mal auftritt, als Dante damit die norditalienische Variante der neuen Liebeslyrik bezeichnet. Der im Zentrum Franciens im 12. Jahrhundert entwickelte neue Baustil (der damals nicht so heißt) gilt lange als der "fränkische" bzw. später "französische", und wird erst in der sogenannten Renaissance (von Vasari) verächtlich als "gotisch" abgewertet.

 

Es wird in den Herrenkreisen schick, "französisch" zu sprechen, ebenso beim flämischen Großkapital, so wie die Sprache langsam in der Gascogne und der Bretagne zunimmt. Die englische Herrenschicht spricht ohnehin bis tief in den Hundertjährigen Krieg die langue d'oeil, so wie Marco Polo seinen Reisebericht französisch diktiert. Zu den künste gehört es auch im Parzival, franzeis zu reden. (6,329).

 

Neben originär Deutschem wie dem Nibelungenlied sind die Ritterromane vor allem Anverwandlungen altfranzösischer Literatur, so wie höfische Lebensformen vielfach aus dem Westen stammen und ebenso die neuen "gotischen" Kleidermoden, auf die weiter unten ausführlicher eingegangen wird.

 

Heute noch am sichtbarsten nachvollziehbar ist die allmähliche Übernahme gotischer Bauformen und Skulpturen. Das beginnt um 1130 im Pariser Becken, wo Kirchenfürsten der neuen Mode bei immer größeren Bauten folgen und Architekten miteinander in immer filigraner durchbrochenem Mauerwerk und immer gewagteren Maßwerken miteinander konkurrieren. Während sich so Ästhetik in technischer Errungenschaft abspielt, übernehmen deutsche Kirchenfürsten erst Generationen später die neue Mode, indem sie sie als Detail übernehmen, wie der Erzbischof von Magdeburg den Domchor mit seinem Kapellenkranz oder neuartigen Kapitellen neben romanischen. In deutschen Landen taucht dann vollgültige Gotik erst mit den Neubauten der Trierer Liebfrauenkirche (ab 1227) und der Marburger Elisabethenkirche (ab 1235) auf. Danach ist dann kein Halten mehr, Innovation wird zum Selbstläufer, modern bzw. modisch zu sein wird zu einem erstklassigen Statussymbol, wie die Straßburger Kathedrale dann bald beweist. Italien wird da nicht ganz folgen, da es seine ganz eigene Verlängerung antiker Bauformen hatte.   

 

Innovation in der Musik und bei den Musikinstrumenten wird fürstliches Programm. Innovation im Musikprogramm wird der in den Quellen beschriebene Stolz der besonders Mächtigen. 1240 erhalten Beamte in Palermo und Messina den Auftrag, silberne Trompeten (tubas) bauen zu lassen und „schwarze“ Sklaven im Spiel an diesen Instrumenten auszubilden und dann an den Hof nach Foggia zu schicken.

Dazu kommt auch die Tendenz, in der Musik Moden zu folgen, sowohl in der Entwicklung in die Mehrstimmigkeit wie in dem Erscheinen neuer Instrumente und der Differenzierung in dörfische, städtisch-bürgerliche und adelige Musik. Polyphonie wird zwar von Leuten wie Bernhard von Clairvaux und Petrus Cantor verurteilt, zumindest für den kirchlichen Raum, aber die "Welt" schert sich bald nicht mehr darum, und Bettelorden werden ihr bereits wie selbstverständlich anhängen.

 

 

Kleidermode

 

Das lateinische Hochmittelalter erfindet die Kleidermoden und überhaupt die Mode als Aspekt eines neuartigen Konsumbetriebes. Im nachherein werden solche Moden bis hin zum Rokoko als "Stile" bezeichnet werden.

 

Da der lateinische stilus das Schreibgerät war, meint "Stil" im ausgehenden italienischen Mittelalter den Schreibstil, wie er im Ausdruck dolce stil nuovo wohl zum ersten Mal auftritt, als Dante damit die norditalienische Variante der neuen Liebeslyrik bezeichnet. Der im Zentrum Franciens im 12. Jahrhundert entwickelte neue Baustil (der damals nicht so heißt) gilt lange als der "fränkische" bzw. später "französische", und wird erst in der sogenannten Renaissance (von Vasari) verächtlich als "gotisch" abgewertet.

 

Das französische Wort mode kommt erst am Ende des Mittelalters auf, und à la mode kann jemand erst im 16. Jahrhundert sein, als das Wort auch bald ins Deutsche übernommen wird. (Wir übersehen hier zunächst einmal das schon frühmittelalterliche modernus). Vom lateinischen modus, also der Art und Weise von etwas, abgeleitet, ergänzt es zunächst die hochmittelalterliche manière, vom lateinischen manus, Hand, also die Handhabung von etwas. Vor allem im Plural auch die Verhaltensformen, Manieren bezeichnend., gelangt es mit den "französischen" Schreibmoden der Liebeslyrik und des Heldenliedes, der "französischen" Baumode (der Gotik) und der neuen "französischen" Kleidermode mit einer Verspätung von fünfzig bis hundert Jahren in die deutschen Lande, vor allem in jene, die an das kapetingische und burgundische Königreich sowie die nordöstlichen Grafschaften romanischer Sprache angrenzen.

 

Kleidung war traditionell "Tracht", also das, was "man trägt", und sie ist traditionell bereits mehr als nur Tracht, als sie nicht nur vor der Witterung schützte und das bedeckt, was man sich schämt zu entblößen. Bereits im frühen Mittelalter beginnen die Wohlhabenden und Mächtigen, sich im Rahmen dieser Tracht durch die Qualität der Materialien und die Ausführung von denen zu unterscheiden, die sie unter sich sehen.

 

Der Bauer des frühen Mittelalters trägt drunter naturfarbenes Hemd und Unterhose, darüber einen Umhang, und derbe, einfache Schuhe. Materialien sind Wolle und Leinen. "Der Adelige der Karolingerzeit hingegen trägt einen Rock mit schmalen Ärmeln, der mit kostbaren Edelsteinen geschmückt ist, und einen Gürtel (...) Dazu gehören weiße Handschuhe und ein geschlitzter Umhang, der mit einer Fibel festgehalten wird." Damen sind besonders gekleidet: "Ein Unterkleid mit weiten Ärmeln wird von einem Umhang bedeckt. Die Taille ist eng und wird von einem edelsteinbesetzten Gürtel geziert. Auf dem Haupt befindet sich ein kostbarer Schleier oder eine aufwendig gearbeitete Haube; das Haar ist mit Schleifen und Haarnadeln zurechtgemacht." (Leiverkus in LHL, S. 186f)

Vieles von der hövescheit dringt aus dem im weitesten Sinne französischen Raum nach Osten und Norden. Dazu gehört bald die gotische Baukunst, aber schon vorher die neue Kleidung.

Die Allegorie der Arithmetik der Herrad von Landsberg vom Ende des 12. Jahrhunderts zeigt an einem dem Thema entsprechend relativ keusch angezogenen Exemplar die wesentlichen Neuerungen, die die gotische Frauenmode betreffen und damit zugleich die Mode für Frauen ins Leben rufen.

Dadurch, dass man in (West)Franzien den "Schnitt" in die Kleiderherstellung einführte, konnte man körpernahe, hautnahe Bekleidung herstellen. Hautnah wird das Damenkleid (zunächst) der Oberschicht von den Schultern bis zu den Hüften, oft auch an den Armen. Damit muss der Ritter nicht mehr erahnen, wie der Körper der Dame beschaffen ist, er kann es sehen. Diese Körpernähe ist auch der erste Ausgangspunkt für die Entstehung einer geschlechtsspezifischen Kleidung und für die Herausstellung des Geschlechtlichen. Es beginnt die bewusste Erotisierung der Kleidung.

 

Hautnah wird die Kleidung nicht nur dadurch, dass sie zugeschnitten wird, sondern auch dadurch, dass sie - oft seitlich - geschnürt wird. (Wie man bei der Superbia der Herrad von Landsberg sehen kann). Das Schnüren ist nötig, weil es noch keine Knopflöcher gibt, die sich dann aber auch im 14. Jahrhundert verbreiten, um die hautnahe Kleidung nun etwas bequemer zu schließen. Wo das Kleid nicht ganz hauteng am Oberkörper anliegt, wird es gegürtet und so die Taille definiert. Die lange, schmale gotische Taille der Damen und die Hervorhebung der Brüste durch Einschnürung wird auf diese Weise bewerkstelligt und zur Mode, was der Beweglichkeit Abbruch tut, aber dem sexuellen Machtspiel förderlich ist.

Zugleich werden bei den Vornehmen die Stoffe dünner, so dass einige vermeinen, durch die Kleidung des nackten Körpers ansichtig zu werden. Auf jeden Fall werden die weiblichen Brüste nun wesentlich offenbarer als früher.

 

Rüdigers Leute im Nibelungenlied tragen in Worms Gewänder, vil harte spaehe gesnitten (20,1176) und wol gesniten sind die Kleider von Gahmurets Gefolge im 'Parzival' des Wolfram (2,62). Tristans Kleidung in Gottfrieds Text ist nâch sînem lîbe gesniten (5,3347). Ein Kleid für Obilot sneit man an daz vröuwelîn (Parzival, 7,375) und ein Kleid por son cors estoit taillèe im Erec des Chrétien (1572). Isoldes Kleid ist g'enget, nâhe an ir lîp getwenget (T15,10905f).

Modebewusstsein wird am ausführlichsten an der ansonsten physisch hässlichen Cundry von Wolframs 'Parzival' beschrieben: Sie trägt einen Kapuzenmantel al nâch der Franzoyser siten (...) von Lunders (London) ein pfaewin huot (Pfauenhut), der huot was niuwe (etc., 6,313). Später heißt es: ir cleider tiure und wol gesniten, kostbaere nâch Franzoyser site. (15,778). Hartmann von Aues Enite wird am Artushof in nach fanzösischer Mode geschnittene Kleidung gesteckt. Kleider in dem snite von Franze (T15,10901) sind überall der letzte Schrei...

 

Um 1270 beschreibt Konrad von Würzburg in seinem Minneroman 'Engelhard', wie das Ergebnis bei den Männern ankommt:

dô truoc diu schoene ein hemde von sîden (Seide) an ir lîbe, daz nie deheime wîbe ein kleid so rehte wol gezam (gepasst hatte). ez was sô kleine (fein), als ich vernam, daz man dar durch ir wîze hût (ihre weiße Haut)... sach liuhten (sah leuchten) bî den zîten. mit golde zuo den sîten gebrîset (Mit Goldfäden an der Seite geschnürt) was ir lîp dar în. man sach ir senften brüstelin (zarten Brüstchen) an dem kleide reine storzen harte kleine ( sehr zierlich hervortreten), als ez zwên epfel waeren.

 

Das "Hemd" ist das, was wir heute Kleid nennen. Über das Hemd konnte noch eine Überbekleidung, zum Beispiel eine Art vorne offener Mantel kommen.

daz hemde stuont gelenket nâch einem fremden schrôte (war nach ungewöhnlichem Schnitt geformt) und suochte sô genôte an ir lîp vil ûz erkorn (passte sich so genau ihrem auserkorenen Körper an) daz man des haete wol gesworn daz diu saeldenbaere (Wunderbare) einhalp (oberhalb) des gürtels waere nacket unde enbloezet gar. (Zeilen 3034ff und 3078ff; In:Bumke, Höfische Kultur 1, S.192)

 

Im fünften Teil des 'Willehalm' des Wolfram von Eschenbach trägt die Königin einen kostbaren Mantel: der mantl muos offener snüere Pflegn... ze etlîchen zîten si ein teil ûf swanc: swes ouge denne drunder dranc, der sah den blic von pard

 

Von den Rundungen von Hintern und Hüften fällt das Kleid dann weit, manchmal sehr weit über die Knöchel bis zum Boden. Der sexuelle Reiz des Oberkörpers - you (don`t) get what you see - mit dem die Frau sich als Objekt sexuellen Begehrens anbietet, wird so konterkariert durch das weite Verhüllen der Schenkel, die in die Scham und Scheide münden. Andererseits konnte die Dame durch geschickte Bewegungen das Kleid zwischen den Beinen so fallen lassen, dass diese wieder betont werden. Die Dame bietet sich also als Objekt der neuen Liebeslyrik dar.

 

Die massive Erotisierung der Leiber als weibliches Machtspiel ist eine extreme Gegenposition zur christlichen Kirche und ihrer Ermahnung, das Seelenheil nicht durch weltliche Gelüste zu gefährden. Entsprechend kracht es auch zwischen Geistlichkeit und der Laienwelt der Mächtigen. Dazu Hugo von St. Victor schon um 1130:

Die einen breiten ihre Kleider aus, um sich noch prächtiger aufzuführen, und spannen sie noch weiter auseinander (unten) soviel sie können. Andere ziehen ohne Grund die Falten in eins zusammen, andere umhüllen sich, indem sie die Kleidung herumschwingen und herumschlingen, andere schnüren und schlitzen sie, soviel sie können, und enthüllen alle Formen ihres Körpers, um sie mit schamlosester Unsittlichkeit den Blicken der Betrachter darzubieten. Andere offenbaren die Leichtfertigkeit ihres Geistes durch das Bewegen ihrer Kleidung, indem sie die Gewänder unruhig hin- und herschwingen. Andere fegen beim Gehen die Erde mit bauschigen Schleppen. (in: Heinzle, S.89)

Man sieht, die Strenge höfischer Eleganz bricht sich an sexueller Anmache und wir nähern uns da auch einmal der höfischen Wirklichkeit in einem kleinen Ausschnitt.

 

Im 'Reinfried von Braunschweig' gegen Ende des 13, Jahrhunderts trifft sich dann die geistliche mit der weltlichen Kritik im Heldenroman von der Orientfahrt Heinrichs des Löwen:

des muoz mich nemen wunder grôz, daz sî mê denn halber blôz gânt on des gürtels lenge (oberhalb des Gürtels). ir kleit sint alsô enge daz ez mich lasters vil ermant, wan ir in dem rocke spant der lîp mit lasterlîcher pfliht (mit lasterhafter Bereitwilligkeit). (in: Bumke, Höfische Kultur 1, S.208)

 

Zunächst allerdings bleibt die Dame allerdings noch vom Halsansatz bis zum Fuß bekleidet, bedeckt. Die eigentliche Entblößung wird eine Sache des Spätmittelalters und der Neuzeit. Wenn Riwalîn im Prozess des sich Verliebens in Blanscheflur an sie denkt, fällt ihm folgendes ein:

. do er dô sîn âventiure / von sîner Blanschefliure / von ende her betrahtete / und allez sunder ahtete: / ir hâr, ir stirne, ir tinne, / ir wange, ir munt, ir kinne, / den vröuderîchen ôstertac, / der lachende in ir ougen lac. (Zeilen 921ff)

 

Was er also unmittelbar sieht, ist ihr Gesicht. Was auf dem Markt weiblicher Machtspiele dann als erstes entblößt wird, ist ein immer größerer Halsausschnitt, das Décolleté.

 

Mit dieser Kleidung wird die Dame im Unterschied zur Frau "aus dem Volk" unbeweglicher. Da das Kleid über den Boden schleppt, ist es nur noch für Innenräume und zu Pferde (im Damensitz) brauchbar. Zudem wird es gelegentlich mit immer längeren Schleppen besetzt, die beim Gehen gerafft oder von Mägden hinter der Dame hergetragen werden müssen. Kriemhild trägt im Nibelungenlied bei feierlichem Anlass eine solche Schleppe, die von zweien getragen wird.

 

"Der Franziskaner Salimbene von Parma berichtet zum Jahr 1240, dass ein päpstlicher Legat alle Frauen verschreckte mit der Verordnung, dass die Frauen kurze Kleider tragen sollten, die nur bis zur Erde und eine Handbreit darüber gingen:  die Frauen bevorzugten damals Kleider mit Schleppen, die anderthalb Armlängen auf dem Boden lagen. Der Legat ließ die neue Verordnung von den Kanzeln verkünden und drohte, den Frauen die Absolution zu verweigern, wenn sie dagegen verstießen. Das war den Frauen bitterer als der Tod, weil ihnen die Schleppe wichtiger war als jedes andere Kleidungsstück." (Bumke in: Heinzle, S.86)

 

Ähnlich funktionslos und dekorativ sind die immer längeren angenähten Endstücke der Ärmel. Die höfische Dame dekoriert sich zum Luxusgegenstand, der seine Zeit mit textilem Arbeiten verbringt und tatsächlich hauptsächlich zur Fortpflanzung in dynastischer Absicht dient.

 

Kostbare und farbenprächtige Stoffe gehören dazu, ebenso wie bei den Herren, die jetzt ebenso den Moden des Kleiderluxus verfallen wie die Damen.

 

Ausgehend von im Kern derselben frühmittelalterlichen Bekleidung wie die Frauen verengt sich das Hemd jetzt auch bei den Männern am Oberkörper und den Armen. und wird nach unten weiter oder aber aufgeschlitzt. So wie die Damen nun Taille und Brüste betonen, so die Herren die Beine. Diese sind entweder nackt oder von eng anliegenden Beinkleidern, den (beiden) Hosen bedeckt. Um Hintern und Genitalien trug der Mann nun, da sein Rock immer kürzer wurde oder vorne hochgeschlitzt, eine eng anliegende Art Unterhose, die bruoch im Mittelhochdeutschen, welche den Punkt benennen, wo aus dem Leib die beiden Schenkel aufbrechen. Die wurde immer häufiger an die Hosen angeknüpft (zum Beispiel durch Hosenbänder), woraus die englischen breeches am Ende zu trousers (mit keltischer Wurzel) werden und die neuzeitlichen deutschen "Hosen" im 16. Jahrhundert entstehen.

 

Im Kern zeigt der Herr damit fast mehr von seiner sexuellen Attraktivität (?) als die Dame, und je höher oben der männliche "Rock" aufhörte, desto näher kam man der spätmittelalterlichen Situation, wo der Mann seinen "Bruch" darbot, und damit das, was sich zeitgleich in der immer mächtiger werdenden Wölbung der Ritterrüstung über dem Penis manifestierte. Zudem entwickelte die Gotik mehr noch bei den Männern als bei den Frauen die kunstvolle Schlitzung am Gewand, bei den Herren besonders an den Beinkleidern, die nun entweder die nackte Haut oder aber eine feine Leinenunterlegung darboten. Was bei den Damen der Leib und die Brust, werden bei den Herren recht intensiv die Beine. Beim Reiterspiel, dem Buhurt der Ritter auf Tintajoêl in Gottfrieds 'Tristan' schaut die Damenwelt zu und spricht über Riwalîns Darbietung:

der ist ein saeliger man: / wie saeleclîche stêt im an / allez daz, daz er begât! / wie gâr sîn lîp ze wunsche stât! / wie gânt im sô gelîche in ein / diu sîniu keiserlîchen bein! (Zeile 705ff)

 

Und als Jung-Tristan zum ersten Mal am Hof von König Marke erscheint, heißt es nach Beschreibung seiner übrigen Schönheit: sîne vüeze und sîniu bein, / dar an sîne schoene almeistic schein, / diu stuonden sô ze prîse wol, / als man'z an manne prisen sol. (Zeilen 3341ff). Dieser Blick findet statt, wiewohl sein Gewand nâch sînem lîbe gesniten ist und heute der Leib also die Aufmerksamkeit (neben dem Gesicht) auf sich ziehen würde. Die höfischen Füße stecken in schmalen, engen Schuhen, die sich nach vor immer mehr über die Zehen hinaus verlängern.

 

In Frankreich kam schon im 11. Jahrhundert die Mode auf, sich die Barthaare abzurasieren, was bislang nur dem Klerus (wie die Tonsur) zustand. Die Haarpracht wurde länger und mit der Brennschere wurden künstliche Locken hergestellt. Am Ende kommen noch die höfischen Schnabelschuhe dazu, und der Modegeck ist komplett (Geck war das mittelalterliche Wort für den Narren).

 

Also: Das Reformchristentum in Kloster und Kirche, Minnesang und Heldenepik, höfische Pracht und Geselligkeit, Erotisierung der Bekleidung, zunehmende Bedeutung des Geldes (Dreifelderwirtschaft, neuer Pflug, Entstehung der Dörfer und Gemeindebildung in den Städten, Aufstieg des Fernhandels etc) finden alle in etwa gleichzeitig statt.

 

Der Kern all unserer Betrachtungen ist der beseelte, d.h. lebendige Körper der Menschen, und in der Bekleidung macht sich nun ein Trend zur vorgetragenen Schamlosigkeit breit, der als Erotisierung allerdings mit der Scham kalkuliert. Ohne die vorherige Verhüllung wären die neuen Enthüllungen keine Erotisierung, sondern schiere Nacktheit. Wenn Kulturen in südlichen Breiten vielleicht nur den Genitalbereich und den Analbereich bedeckten, war dies schließlich keine Schamlosigkeit, keine Erotisierung, sondern vermutlich besonders disziplinierte Schamhaftigkeit, wie Duerr in seinen fünf Bänden insgesamt überzeugend dargelegt hat.