Produktion: Ackerbau und Grundherrschaft
Bäuerliche Produzenten
Das Dorf: Kirche, Arbeiten und Leben
Ehe, Familie, Verwandtschaft (Liebe /Körperlichkeit)
Modernisierung
Handwerk
Bergbau
Das Land in England und Irland
Das Land in Galizien und Asturien-León
Produktion: Ackerbau und Grundherrschaft
Alle Menschen waren ursprünglich auf Nahrungssuche, dann wurde Nahrungsproduktion verbunden mit Handwerk von aufsteigenden Machthabern dazu genutzt, sich über diese Menschen zu setzen, und ihnen einen Teil ihrer Produkte abzunehmen. Zunächst in ihren Diensten entsteht dann auch Handel und zugleich auch der Krieg.
In unserer Schwellenzeit ist diese Entwicklung bereits weit gediehen. Könige, Fürsten, höherer und kleiner Adel verfügen immer mehr über fast alles Land mit den darauf arbeitenden Menschen, von ihrem Gott so gewollt, der gnädig mit einem etwas milderen Klima dazu beiträgt.
Der freie germanische Bauer war wohl vor allem Viehzüchter. Das ändert sich nach und nach manchmal schon in der Karolingerzeit. Der langsam vonstatten gehende Übergang von Viehzucht zu dominantem Ackerbau und dabei vor allem von Getreide verbessert die Möglichkeit einer Kriegerschicht, sich Überschüsse von den Produzenten anzueignen. Dies geschieht in großen Teilen des lateinischen Abendlandes auch über die Aneignung von Land freier Bauern. (Moore, S.81ff). Aus ihnen werden bis durch das 11. Jahrhundert hindurch servi, als Produzenten nun auch häufiger agricolae genannt.
„Man musste die Menschen nicht alleine zwingen, ihr Land und sich selbst den Grundherren auszuliefern, sondern auch dazu, ihren ganzen Lebensrhythmus den Erfordernissen der neuen Produktionsweise anzupassen. Man weitete die Ackerfläche aus, und zugleich schnitt man den Zugang zu anderen Nahrungsquellen ab.“ (Moore, S.91) Damit schneidet man ihnen dann auch den Zugang zu großen Teilen des öffentlichen Lebens ab.
Die Mühen des Ackerbaus, verbunden mit den Abgaben und Diensten für Herren, trennt diese immer deutlicher als Krieger, Priester oder Mönch von denen, die sie zu versorgen haben, und die immer einheitlicher gesehen werden. Immer mehr Land gerät unter größere Grundherren, sowohl "auf dem Lande" wie innerhalb der sich langsam stärker entwickelnden Städte. Es gibt insofern keine Unterschiede, Bauern wie Handwerker und Händler stehen meist unter grundherrlicher Gewalt, wobei städtische Bevölkerung oft auch, manchmal nebenbei, Landbewirtschaftung betreibt.
Für das Heer verlieren ohnehin weniger werdende freie Bauern weiter an Bedeutung. Wenn dann im 10./11. Jahrhundert nur noch Vasallen neben Soldtruppen in den Krieg ziehen, werden sie militärisch überflüssig.
Man muss inzwischen etwas unterscheiden zwischen der sich weiter entwickelnden Grundherrschaft der alten Latifundien von Kloster, Kirche und Grafen, Herzögen und Königen einerseits, wobei es im Mâconnais zum Beispiel nur vier, fünf solche "alte Adelige" neben dem Großgrundbesitz der Klöster und des Bischofs gibt, und der neuen, die aus großbäuerlichen Gütern entsteht, die mit der Ausbreitung und Ausweitung von Märkten und der Geldwirtschaft, dem Zukauf von Land und dem Abhängig-Werden verarmender Bauern zu Kleinadeligen aufsteigen. Solchen Großbauern, manchmal in den Urkunden schon nobiles genannt (Bois, S.74), gelingt es dann auch, consuetudines, Gewohnheitsrechte für ihre herausragende Stellung zu beanspruchen. In diesen Zusammenhang gehört dann der Zugriff auf die lokale Pfarrkirche und ihren Zehnten, manchmal im Zusammenspiel mit dem zuständigen Bischof. Später geborene Söhne werden dazu immer häufiger in die geistliche Laufbahn geschickt, die schon lange eng mit weltlichen Karrieren verbunden ist.
Solche frühen Großbauern als werdende edle Grundherren machen wohl höchstens 5-10% der Familien einer ländlichen Region aus, und ein stattlicher Teil von ihnen wird dann durch Erbteilung und Verschuldung wieder selbst in Abhängigkeit geraten. Nur ein kleiner Teil wird zum neuen Adel aufsteigen, der sich im Mâconnais kurz vor dem Millennium mit den Begriffen nobilis und miles zu schmücken beginnt, Vorläufer des späteren Ritter-Titels (Bois, S.76). Dafür bedarf es dann schon der Verfügung über acht bis zehn Höfe mit Sklaven und seltener Kolonen, und höchstens an die 40 ha Fläche. Dazu gehören große Teile des Waldes und bei Cluny z.B. des Weidelandes und der Herden von Schweinen, Rindern und Pferden.
Für die abhängigeren Bauern kommen seit dem zehnten Jahrhundert, wohl in Nachahmung der Zensualität, Abgaben zum Beispiel im Todesfall, wo man sein „Beststück“ an Vieh und Gewand abgeben muss, oder es werden im Falle des Todes eines solchen Mannes zwei Drittel seines Besitzes vom Herrn eingezogen.
Abgaben gibt es auch für die manchmal mögliche Erlaubnis einer Heirat mit jemandem außerhalb der familia der Grundherrschaft. Diese Leistungen sind aber zunächst wohl gering im Vergleich mit den bisherigen verheerenden Auswirkungen des Kriegsdienstes freier Bauern: lange Abwesenheit von Haus und Hof, Verletzungen und Verstümmelungen, Tod.
Erfolgreiche Großbauern suchen die Nähe zu Graf und Bischof, um Aufstiegschancen abzusichern. Solche Leute arbeiten nicht selbst produktiv, vergnügen sich mit der Jagd und dem Kriegertum. Man heiratet nun möglichst nur noch untereinander, gibt den Kindern familienspezifische Namen, und wird im nächsten Jahrhundert dann agnatische Linien ausbilden, in denen zunehmend der älteste Sohn den Hauptteil des Erbes übernimmt. (Georges Duby) Nach und nach bildet sich so ein Geschlechterbewusstsein heraus, charakteristisch für einen neuen Adel.
Bischöfe und Äbte als Grundherren sind besser dokumentiert als weltliche Grundherrschaften, die wohl ähnlich sind. Bedeutende Klöster gehören in unserer Schwellenzeit zu den größten Grundherren und sind spätestens seit der Karolingerzeit ausgesprochen wohlhabend. Das Kloster St. Gallen verfügt um 900 über fast 2000 Zinsbauern. St.Emmeran in Regensburg besitzt um 1030 dreiunddreißig Herrenhöfe mit ihren Bauern, die jeweils ein Mönch für einige Zeit verwaltet. (Goetz, S.83, siehe Großkapitel 'Land'.) Angeschlossen sind oft diverse Handwerksbetriebe.
Dabei hängt die Größe der Klöster weiterhin an der Zahl der Mönche, die es mit seinen Besitzungen ernähren und versorgen kann. Um 900 hat St.Gallen 101 Mönche und St.Germain bei Paris 213, St.Denis 132 Mönche, 928 besitzt Fulda 142 Mönche, die dann im Verlauf des Jahrhunderts erheblich weniger werden. (Goetz, S.94f)
Dabei kommen nicht immer vom ganzen Besitz Einnahmen herein: Große Teile, ja manchmal der größte Teil des Besitzes (oft ganze Villifikationen), werden auch an Vasallen zu Lehen ausgegeben.
Die Villifikation, also die Aufteilung in Salhof und die Hufen/Mansen abhängiger Kolonen und Sklaven, entwickelt sich offenbar an einigen Stellen erst, während sie an anderen Stellen bereits wieder durch Aufteilung des Sallandes in Mansen und Ausgabe an Hufenbauern abgebaut wird. Dazu verändert sie sich durch (Erb)Teilung der Hufen, wobei etwas mehr Produktivität Subsistenz auf weniger Land ermöglicht (Kuchenbuch, S.50). Teilweise bestehen aber Villifikationen wie in Bayern bis mindestens ins 12. Jahrhundert weiter. Prüm ist noch 1222 so organisiert (Hägermann)
Neben den Villifikationen entwickelt sich jene Gutsverfassung, bei der sich der Herrenhof auf das Eintreiben von Abgaben mehr oder weniger Unfreier vorwiegend wohl in Form von Naturalien, aber vielleicht zum kleinen Teil auch schon in barer Münze beschränkt. Solche Hof-Ordnungen entstehen bis in das 11. Jahrhundert. Wenn es dann kaum unmittelbares Herrenland gibt, fallen auch die Frondienste weg, stattdessen werden im Süden Westfranziens und in Italien rund 10% der Ernte als taxa abgegeben. Der Eigentümer wird so zum Grundrentner von der Sorte, die dazu neigt, diese Abgaben auf den Markt zu werfen und zu Geld zu machen. Der Anteil der Geldwirtschaft nimmt auch dabei langsam zu.
Das Kloster Werden an der Ruhr besitzt zum Beispiel in seinem friesischen und westfälischen Bereich vorwiegend Streubesitz, so dass sich ein Eigenbetrieb nicht lohnt; entsprechend gibt es dort keine Fronhöfe, sondern Hebeämter zum Einziehen der Abgaben.
In Burgund wiederum sollen Höfe bis ins 10. Jahrhundert noch vorwiegend "von zentral wohnenden" Sklaven bewirtschaftet worden sein. (Gilomen, S. 35) Auf solchen auch anderswo existierenden Gutsherrschaften "ist alles in herrschaftlicher Hand und Arbeitsregie" (Kuchenbuch, S.33).
In den größeren Rahmen der Grundherrschaft gehören auch freie Bauern, die zur Pfarrei der grundherrlichen Eigenkirche gehören und dem Pfarrer für seine "Leistungen" den Zehnten schuldig sind. Andere freie Bauern, die sich in eine Grundherrschaft begeben und dort auch ihr Land einbringen, bleiben rechtlich in gewissem Sinne Freie, im Unterschied zu den mancipia des Herrenhofes. "... sie bleiben dem jeweiligen Grafen und natürlich dem König untergeordnet. Sie sind rechtlich frei, vom Grundherrn jedoch abhängig, denn er hat die niedere Gerichtsbarkeit und die Polizeigewalt über alle Angehörigen seiner Grundherrschaft." (Leiverkus in LHL, S.176)
Grundherren können auch Bergwerks- oder Salinenbesitzer sein. Im baskischen Álava zum Beispiel kontrollieren die Mönche von San Millian de Cogolla und San Pedro de Cardena die Salinen. Das Kloster Cluny erhält Salzpfannen in Salins im Jura geschenkt, und der Betrieb wird von einem monachus salnerius beaufsichtigt.
Aber der Kern grundherrschaftlichen Reichtums ist meist die Bearbeitung des Bodens, die Viehzucht und die Nutzung des Waldes. Indem sie dann auf ihrem Grund Mühlen bauen lassen, später Backstuben und Braustuben, wird jeder, der sie benutzen will, abgabenpflichtig.
Die Müller, Aufseher von Salinen, Schmiede, Hirten und Förster fallen aus dem bäuerlich-grundherrlichen Zusammenhang insofern heraus, als sie je ein spezifisches ministerium betreiben, so wie der Meier oder Villicus. Auf sie entfallen darum kaum Abgaben oder Dienste, aber sie verfügen oft dennoch über eigene Hufen. (*16)
Es entwickeln sich darüber hinaus im 10./11. Jahrhundert grundherrliche Bannbezirke. "Die Bannrechte ermöglichten den Grundherren eine Ertragssteigerung ihrer Monopolbetriebe, zu denen besonders die Mühlen, Schenken, Weinpressen und Backöfen zählten. Ausschlaggebend aber war der Gerichtsbann, der bei der Bannbezirksbildung die größte Bedeutung hatte und die umliegenden Bauern vor das Gericht des Grundherrn zwang. Der Gerichtsbann kam vor allem in denjenigen Grundherrschaften voll zur Wirkung, die über eine Immunität verfügten, d.h. über einen Bezirk, in dem der König und seine Vertreter keine Gewalt ausübten und stattdessen die Grundherren herrschaftliche Funktionen wahrnahmen." (Rösener, S.27)
Zentrum einer adeligen oder vogtlichen Bannherrschaft wird nach und nach die Burg.
Mit den Bannrechten verwachsen die abhängigen Produzenten eines Herrn noch stärker zu einer Schicht. In der Île de France, wo einzelnen Grundherren bereits früh ganze Dörfer gehören, können darum schon in der früheren Karolingerzeit Freie und Unfreie ganz selbstverständlich miteinander heiraten, womit alleine schon die Unterschiede vermischen. (Wickham(3), S.538) Alte Freiheit und alte Unfreiheit kommen in neuartiger Unfreiheit zusammen.
Nun geraten auch freie Bauern unter die Banngewalt der Herren, das, was für Teile Westfranziens dann von französischen Historikern die seigneurie banale genannt wird. In Westfranzien wird das verstärkt durch den Burgenbau schon im 10. Jahrhundert, und teilweise hat encastellamento in Nord- und Mittelitalien dieselbe Funktion. Nur wenigen größeren Bauern gelingt es, daraus zu entkommen.
Grundherrschaft und von ihr abhängige Bauernschaft tragen so zur Entwicklung eines Adelsstandes bei, wie er im 11./12. Jahrhundert dann deutlich wird, und dem das weitgehende Verschwinden freier Bauern korrespondiert.
Einen Sonderfall stellen die Friesen dar, auf deren Gebiet sich keine Villifikationen ausbilden. Sie betreiben Weidewirtschaft, während Getreide eingeführt werden muss. Anstelle von Grundherrschaft bilden sich vielerorts Verbände von Landgemeinden aus.
Nahrungs-Produzenten
Die weitgehende Einebnung der produktiven ländlichen Bevölkerung auf ein gemeinsames Niveau der Untertänigkeit wird eine Voraussetzung für erste Ansätze von Staatlichkeit nach der Jahrtausendwende schaffen. Dies ist beides aber verbunden mit den ersten Ansätzen erweiterter Marktwirtschaft zunächst unter grundherrlicher Aufsicht, dem langsamen Neu-Aufstieg von Städten und früher Einwurzelung von Kapital an wenigen Orten.
Über die rechtliche Situation der Unterschicht im 10. Jahrhundert, also fast aller, wissen wir in den deutschen Landen wegen der Dürftigkeit der Quellen sehr wenig. Widukind sagt für Sachsen: Bis heute ist das Sachsenvolk (gens Saxonica) dreigeteilt in bezug auf Abstammung und Recht (genere ac lege), von dem Knechtsstatus abgesehen (preter condicitonem servilem. I,14). Der servus kann aber im Mittellateinischen ein Sklave sein oder ein anderer Status der (mehr oder weniger) Unfreiheit bzw. Abhängigkeit. Widukind setzt ihn wohl gleich mit einem vile mancipium (II,11). Ihm gilt im 10. Jahrhundert oft Verachtung bei denen, die uns Texte hinterlassen haben.
Solche mehr oder weniger unfreie Familien können verkauft oder verschenkt werden (Widukind, Thietmar), allerdings oft nur mit dem Land, auf dem sie wohnen und arbeiten. Sie haben zumindest soweit noch Sklavenstatus (T. Reuter), wobei es allerdings nicht einmal regional einheitliche Rechtsformen gibt. So können die Benennungen mancipia und servi zum Beispiel auch nebeneinander bestehen bleiben, bis erstere aus der (mittellateinischen) Sprache verschwinden.
Sklaven
Slawe ist eine Selbstbezeichnung, und das nachantike Ostrom übernimmt das Wort im 6. Jahrhundert. Da bald ein Großteil der gehandelten Sklaven Slawen sind, bürgert sich dann im Westen der lateinische sclavus für die Handelsware ein und taucht so im späten 10. Jahrhundert in Mitteleuropa bedeutungsgleich für das antike servus auf. Um alles noch schwieriger zu machen, taucht bedeutend später insbesondere in Westfalen noch die Hörigkeit auf und anderswo im 17. Jahrhundert der Leibeigene, zwei Bezeichnungen, die hier nicht für frühere Verhältnisse benutzt werden sollen.
Der Sklave, wie der etwas freiere Abhängige als Mann servus, als Frau ancilla, beide zusammen frühe mancipia, bleibt persönliches Eigentum seines Herrn. Er besitzt selbst kein Eigentum, ist zu jeder vom Herrn geforderten Arbeit verpflichtet, für ihn werden nicht wie für Hörige spezielle Dienstleistungen und Abgaben festgelegt und auch keine Gegenleistungen für seine Arbeit. Er darf nicht an Gerichtsverhandlungen oder solchen der waffenfähigen Freien teilnehmen und hat keinen Zugang zu den Allmenden. (Bois, S.28) Zudem heiraten Sklaven in der Regel nur Sklavinnen, was die Herren fördern, soweit sie des entsprechenden Nachwuchses bedürfen. (*17)
Über die Sklaven des 10. Jahrhunderts, welche direkt dem Herrenhof zugehörig sind, geben die Quellen kaum etwas her. Zu ihnen gehören wohl auch die Frauen der Gynecäen (genitium), die Textilien herstellen. Sie sind vielleicht inzwischen in der Regel verheiratet, können manchmal sogar ein Stück Vieh haben. Zu ihnen stoßen vermutlich überzählige Kinder der Hufenbauern, die das Land nicht mehr ernähren kann (Fichtenau, S.174).
Im 10. Jahrhundert erweisen sich aber rundum zu versorgende Sklaven immer unrentabler als abhängige Bauern auf ihren Hufen. Sklaven wachsen so erste "Menschenrechte" zu, sie beginnen sich ganz langsam und in begrenztem Umfang in Rechtspersonen zu verwandeln, die aber weiter als servus bezeichnet werden.
Vom Sklaven des weltlichen freien Mannes unterscheidet sich der servus eines geistlichen Grundherren. Dieser ist schon in den Volksrechten der Alemannen und Bayern des 8. Jahrhunderts ansatzweise als Rechtsperson ausgezeichnet, was sich darin ausdrückt, dass ihm nun spezifische Leistungen auferlegt werden können. Diese vielleicht auch religiös bedingte Aufwertung des Sklaven in einen besonderen Status hat vielleicht Modellcharakter für eine solche Aufwertung auch bei weltlichen Herren bis ins 11. Jahrhundert hinein.
Den Übergang in eine solche Aufwertung stellt am Ende die "Unterbringung einer Sklavenfamilie auf einer Parzelle (dar), aus der sie ihren Lebensunterhalt zog und die ihr eine gewisse Selbständigkeit verlieh" (Bois, S.32). Dort wird sich die Position eines solchen servus casatus nach einer längeren Entwicklung in Richtung Gleichstellung mit dem einst freien Hufenbauern bewegen. Die ländliche Sklaverei verschwindet dabei durch Schritte der Aufwertung ihrer Familien aus ökonomischen Gründen. Gefördert wird das, sobald persönlich freie Kolonen und Sklaven nebeneinander in derselben Grundherrschaft auf Mansen/Hufen hausen und in etwa dieselben Arbeiten verrichten.
Das Schwinden der Sklaverei auf dem Lande zugunsten von Zwischenstufen zwischen Unfreiheit und Freiheit ist im 10. Jahrhundert ein wesentlicher Aspekt, durch den die Nachantike in das Mittelalter übergeht.
Während die Sklaverei in der Landbewirtschaftung langsam zurückgeht, ist der Handel mit Sklaven im 10. Jahrhundert allerdings ein Hauptzweig des (Fern)Handels überhaupt.
Freie Bauern
Es gibt weiter freie Bauern, die Land als Eigentum besitzen. Die meisten von ihnen müssen selbst produktiv arbeiten und sind in den Krisen vor dem Millenium von Verarmung bedroht. Die freie Bauernschaft ist allerdings wenig schriftlich dokumentiert, ganz im Gegensatz zu jenen großen klösterlichen und kirchlichen, aber auch weltlichen herrschaftlichen Fronhof-Konglomeraten, für die es Urbare und Urkunden gibt.
In der Picardie zum Beispiel werden sie bis ins 12. Jahrhundert neben großen Fronhofverbänden überleben (Robert Fossier).
Für Weiler beim Kloster Cluny im 10. Jahrhundert stellt Guy Bois fest, dass bis auf Wald und anderes Allmendeland zwei Drittel der bewirtschafteten Fläche noch Allodialbesitz freier Bauern ist. Über das dritte Drittel verfügt bereits das Kloster, und einige wenige Bauerngüter gehören dem Grafen von Mâcon, über eines davon verfügt eine Familie in beneficio, was man wohl mit Lehen übersetzen kann.
Mit dem Abstieg von Kleinbauern geht der Aufstieg von Großbauern einher. Ein wohl kleinerer Teil bildet mit Glück und unternehmerischem Geschick selbst Grundherrschaften aus und steigt damit in den sich neu bildenden Adel auf. Zu Glück und Geschick kommt die Orientierung weg von der germanischen Erbteilung hin zur agnatischen Geschlechterbildung und dem Vererben des größten Teil des Besitzes an einen Erstgeborenen. Diese Richtung Graf und Bischof orientierten Großbauern mit mehreren, zunächst eher von Sklaven bewirtschafteten Arealen sind teils mit der Grafenfamilie, teils mit den Vogteien, vor allem aber mit der Kirche verbunden, in deren Geistlichkeit sie vor allem nun nachgeborene Söhne hineinschicken, die manchmal bis zu Bischöfen aufsteigen, während die Äbte der mächtigeren Klöster wie Cluny oft dem Hochadel entstammen.
Abstieg aus der Freiheit
Zunächst ganz allgemein: Freiheit kann die von etwas und/oder für etwas sein, und es gibt sie spätestens in Zivilisationen fast nur als relative, denn sie wird nicht mehr kulturell, sondern von den Mächtigeren bestimmt, die den Rahmen setzen für das, was das untergebene Individuum bzw. die (Kern)Familie noch selbst entscheiden kann. Am Beginn des Mittelalters sind die Produzenten von Nahrungsmitteln und Waren längst in religiösen Dingen völlig unfrei, sie besitzen nur sehr geringe Bewegungsfreiheit und ihre Handlungsfreiheit ist meist auf ihre Funktion für ihre Herren reduziert. Das wird sich langsam dahin gehend ändern, dass mehr Marktwirtschaft und Warenverkehr, soweit ihre Herren das für sich als nützlich erkennen, den Kapitaleignern diesbezüglich neue Freiheiten zugestehen, während die Produzenten immer stärker auf einen Markt orientiert werden: Die Wahlfreiheit wenigstens im Bereich des Konsums wird langsam für viele zunehmen.
Zugleich wird im Verlauf des Mittelalters nicht nur Eigentum als Kapital konzentriert werden, sondern auch mit seiner Hilfe die letztendliche Entscheidungsmacht in immer weniger Hände gelangen, die auf dem Lande wie in den Städten immer detaillierter in den Alltag der Menschen eingreifen, was dann in der Neuzeit zwischen dem 18. und 21. Jahrhundert den absoluten, d.h. totalitären Staat hervorbringen wird, der sich nun nicht mehr auf Religion, sondern ersatz-religiöse Politideologien beruft. Niemand hat nun mehr handfeste Rechte, die nicht vom Staat verliehene Gnadenrechte sind, welche jederzeit eingeschränkt werden können (siehe BRD-Verfassung).
Zurück in das beginnende Mittelalter: Während die Sklaven in rechtlichere Formen von Abhängigkeit aufsteigen, steigen immer mehr freie Bauern in solche ab. Beide gehen mit abgestuften und zunächst auch individuell bemessenen Rechten in die Grundherrschaft ein, in der sie dann als früher Keim zukünftiger Bannherrschaft unter die direkte Gerichtsbarkeit des Herrn und zugleich unter seine Verfügung über die ländlichen Kirchen geraten. (*18)
Erfolgreiche Bauern haben Sklaven und Ochsengespanne, die ärmeren bearbeiten ihre Felder mit Hacke und Spaten. Wo das nicht reicht, wird im Nebenverdienst ländliches Handwerk betrieben, oder aber man muss sich saisonal zusätzlich bei einem Großbauern verdingen.
Solche Kleinbauern gelangen als Kolonen oder Rodungsbeauftrage in eine Art "Klientel" der Großbauern, suchen Schutz und Hilfe bei ihnen in gewalttätigen Zeiten und Hungersnöten, und sie nutzen gegen Entgelt deren Mühlen.
In Odos 'Leben des heiligen Gerald' lautet das dann so:
Die Reichsten versuchen ihren Reichtum übermäßig zu vergrößern, um ihre tägliche Verschwendungssucht zu befriedigen. Sie unterjochen die Armen und reihen sie in ihre Klientel ein, und die unterwerfen sich aus freien Stücken, weil sie dann von den Reichen versorgt werden und nun ihrerseits mit Gewalt und mit Unterstützung ihrer Beschützer diejenigen unterjochen, die sich niemandem unterwerfen können. (so in: Bois, S.174)
Die Reichsten, das sind adelig werdende Großbauern, Vögte, Grafen, Bischöfe, Äbte. Sie alle werden nun Konkurrenten um Land und Leute.
Zu den schon für die Karolingerzeit beschriebenen Abstiegsgründen kommt ein weiterer. Guy Bois, der vor allem Verhältnisse Westfranziens beschreibt, beobachtet für Weiler in der Nähe von Cluny folgendes: Die Tauschgeschäfte an Grund und Boden gehen erheblich zurück, und in demselben Maße steigen sowohl Schenkungen an das Kloster und Grundstücksverkäufe. Dabei steigen zum Beispiel die Preise für Weinbergsareale zwischen 970 und 1010 um ein Vielfaches.
Meist werden bäuerliche Kleinbetriebe verkauft. Guy Bois schätzt, dass um Cluny herum im 10. Jahrhundert etwa 60% Kleinbauern etwa 40% des Bodens bearbeiten, und sie werden sich nicht mehr lange davon ernähren können.
Ein wesentlicher Grund dürfte Verschuldung sein, in die offensichtlich manchmal auch Großbauern hineingeraten. (*19)
Schenkungen an Klöster haben mehr oder weniger auch fromme Beweggründe, aber sie sind oft als Prekarien mit der Nutznießung bis zum Tod verbunden und gewähren so Schutz und eine gewisse Sicherheit. Manchmal wird auch nur ein Teil des freien Bodens als Prekarie an das Kloster abgegeben, - vielleicht mit der vagen Hoffnung, dass diese als erblich erhalten bleiben wird
Was mit der Masse der freien Bauern und der nun noch deutlich kleineren Gruppe der Sklaven jeweils passiert, betrifft aber am Ende auch manche der Großbauern mit ihrem Herrenhof und mehreren weiteren, zunächst noch von Sklaven bearbeiteten Hofstellen, mit ihren oft höchstens 40 ha und oft dem besseren Land im Kontext eines Weilers. Sie, die am ehesten bereits mit Geld umgehen und gewisse Kontakte zur nächsten (oft entfernten) Stadt, ihrem Markt und und ihren Mächtigen haben, geraten zwischen die sich ausweitenden Fronhofsverbände und das zunehmende Marodieren kleiner Burgherrschaften. Um sich zu behaupten, verschuldet sich ein nicht geringer Teil, oft genug bei mächtigen Klöstern als Kreditgebern, und muss sich dann in deren Grundherrschaften einreihen.
Das Ergebnis: Abhängige Bauernschaft
Mit der Tendenz Freier, in Formen der Abhängigkeit von Herren zu gelangen, verschwinden ihre Rechte der Beteiligung an allgemeinen Versammlungen Freier und an den Gerichtsterminen: Die produktive Landbevölkerung verschwindet aus dem öffentlichen Raum, in dem sich nunmehr der entstehende neuartige Adel vor allem bewegt.
Aus "freien Franken" werden weithin vielfältig halbfreie Bauern. Groß-Grundbesitzer verfügen nun über servi, die zunehmend als casati auf Mansen (Hufen) sitzen, oder aber auf dem Herrenhof (Salhof) weiter sehr bescheiden in Hütten hausen wie auch die Frauen, die noch in den Gynecäen Textilien für den Herrn produzieren. Neben den servi casati sitzen die Kolonen auf Hufen, und beide leisten bestimmte Dienste und Abgaben. Dabei geht es denen, die ins klösterliche Prekariat gelangen, offenbar in der Regel etwas besser als denen, die in die Abhängigkeit von Großbauern geraten, in der sie kaum besser behandelt werden als die servi casati.
Neben dem servus des Grundbesitzers breitet sich in den kirchlichen und klösterlichen Latifundien, die inzwischen längst den größeren Teil des Grundbesitzes ausmachen, langsam eine Zensualenschaft, Zins-Abhängigkeit aus, die (siehe Anhang 12) sich ursprünglich vor allem aus ins Patronat eines Herrn befreiten Sklaven sowie nun zunehmend als sich selbst in die Zensualität übertragenden Freien zusammensetzt. Neben dem Kopfzins taucht seit dem späten neunten Jahrhundert in den Quellen immer häufiger die Heirats- und die Todfall-Abgabe auf, die dann im 10./11. Jahrhunderts zunehmend auf alle Abhängigen übertragen werden.
Wer besondere und wohl extra dotierte Dienste für den Grundherrn verrichtet, wie Schmiedearbeiten oder Mühlendienst, hat dazu noch seine Hufe. Die Meier, die eine villa verwalten und die Abgaben einsammeln, können dabei vom ihnen zugeteilten Land mit ihrer Familie ordentlich leben.
Wünsche nach mehr Freiheit werden noch von Thietmar als presumptio bezeichnet, als Anmaßung, und vermutlich besteht ein beträchtliches Konfliktpotential. Für Thietmar von Merseburg jedenfalls bedeutet der plebeius furor, das Wüten der kleinen Leute, eine beachtlichte Bedrohung. Für das 10. Jahrhundert fehlen aber im Unterschied zum 9. weithin die Güterverzeichnisse, Urbare, die uns die Strukturen auf dem Lande näherbringen könnten.
Immerhin gibt es in einem Gedicht des Bischofs Adalbero von Laon an König Rotbert (Robert) irgendwann um das Jahr 1000 eine kurze Passage, in der die arbeitenden Leute vorkommen:
Dieses gebeugte Geschlecht von Menschen hat nichts als seine Arbeit. Wer kann ihre Pflichten beschreiben, ihre Mühsal, ihren Einsatz, ihre überaus schweren Arbeiten? Für alle müssen sie die Kleidung und die Verpflegung schaffen, und kein Adeliger kann ohne die Arbeiter leben.
Das heißt allerdings nicht, dass der Autor etwas an diesen gottgewollten Verhältnissen ändern will, auch nicht auf seinen eigenen Gütern. Er genügt hier nur rethorisch jener christlichen Pflicht der misericordia, später eingedeutscht als Barmherzigkeit. Sie verpflichtet wie in ihrer säkularisierten heutigen Form zu nichts als zum Almosengeben.
Das Dorf, Kirche, Arbeiten und Leben
Dorf
Je stärker irgendwo übergeordnete Ordnungsmacht verblasst, desto wichtiger wird das Zusammensiedeln freier Bauern in wohl meist kleinen Dörfern, die bald einem oder mehreren Herren gehören können. Solche Dörfer können aus 5-50 Hofstätten bestehen, und haben dann maximal 200-400 Einwohner, meist aber eher nur 50-100.
In ihnen ist kann in geringem Umfang ländliches Handwerk angesiedelt sein, mal ist es ein Schuster, mal ein Schmied. Eine de-facto-Oberschicht stellen nach Adel strebende Großbauern dar, in denen zu einem Herrenhof noch mehrere kleine, in der Regel von Sklaven bewirtschaftete Hofstellen gehören können.
Die Hufenbauern eines Herrn können sich ein Stück weit als Gemeinschaft fühlen, wenn sie alle auf denselben Herrn und seine Kirche fixiert sind. Das können dann 50 oder 200 Menschen sein. Ein Vorläufer des Dorfes kann aber auch aus Abhängigen mehrerer Herren bestehen. Dann schafft immerhin noch die gemeinsame Nutzung der Allmende von Wald und Weideland Vergesellschaftung. Stärker verflochten wird das (Arbeits)Leben seit der Karolingerzeit durch die Einführung der Dreifelderwirtschaft, die allerdings bis ins 12. Jahrhundert und manchmal darüber hinaus nicht überall auftritt. Dabei wird das gesamte (nun auf jeden Fall dörfliche) Feld in der Regel wohl durch Gebot eines großen Grundherrn in drei Fluren aufgeteilt, von denen eine Wintergetreide, eine Sommergetreide enthält und eine brachliegt. Entsprechend erhalten die Hufenbauern dann von jeder Flur ihren Anteil. Absprachen werden damit nötig. Bauernhöfe siedeln enger zusammen.
Es kommt dann, vor allem aber seit dem 11. Jahrhundert, durch Zunahme der Bevölkerung zum Anwachsen von Dörfern, und gleichzeitig durch Erbteilung oft zu immer kleineren Einzelhöfen.
Nun war einerseits in der Nachantike das Land zum Teil unter große Herren aufgeteilt gewesen, aber der größte Teil davon war entweder verwildert, oder er war schon immer Wüste, Ödland gewesen, also Urwald, Sumpf, Talaue oder Marschland, ungenutztes Herrenland also. Solange diese Herren es nun nicht selbst nutzen, steht es der Landbevölkerung zur Nutzung offen, und zwar mit der Entstehung von Dörfern auch als Allmende auf der Basis gemeinsamer Vereinbarungen.
Wiesen als Weiden gehören dazu, aber am wichtigsten ist der Wald, immer noch großer Teil der Gebiete nördlich des Mittelmeerraumes. Schon in der Jungsteinzeit begannen aber massive Eingriffe in die Naturlandschaft. In Mitteleuropa werden Ulmen, Haseln und Eichen gerodet, und nach dem Weiterwandern der Menschen kamen dann zunehmend Buchen auf. (Bayerl, S.59) In Südeuropa holzen schon die antiken Zivilisationen großflächig und ersatzlos ab. Mit dem Zusammenbruch der Westhälfte des Imperiums nimmt Bewaldung wieder zu, um dann mit den Rodungsanstrengungen der Merowinger- und Karolingerzeit wieder zurückzugehen, diesmal oft dauerhaft und bis heute.
Aus dem Wald kommen Bau- und Brennholz (Eiche und Buche), Beeren, Pilze und Kräuter. In ihn werden Schweine zur Mast mit Eicheln und Bucheckern getrieben. In ihm wird das Laub als Streu für die Stallungen der Tiere gesammelt und findet sehr lange die Imkerei mit Waldbienenvölkern statt, die Honig als einzigen Süßstoff und das Wachs für die Kerzen liefern. In ihm wird gejagt, solange das keinen Herrn stört, und bis die Jagd fast ganz zum Herrenrecht wird. Bis zum großflächigeren Getreideanbau seit der Karolingerzeit ist der Wald fast so wichtig für die Menschen wie das Kulturland. Er ist lebensnotwendig, aber zugleich auch für manche bedrohliche Wildnis: Es gibt Wölfe, Bären und wilde Gesellen wie Köhler und Pechbrenner, die dauerhaft darin arbeiten.
Holzkohle ist wichtige gewerbliche Energiequelle, und es wird bei der Verhüttung zur Verbesserung des Eisens eingesetzt. Teer und Pech sind Schmiermittel und dienen der Abdichtung von Booten und Schiffen. Die Herstellung von Pottasche wird bald große Waldstücke für die Glasproduktion und die Bleichung von Textilien vernichten.
Eine wichtige Nutzung des Waldes, in Mitteleuropa zunächst der größte Teil des Landes, besteht für die Herren darin, dass es sich für sie um Jagdgebiete handelt. Die Jagd ist das elementare Freizeitvergnügen der Herren, dem Krieg verwandt und in manchem diesen einübend. Schon früh reservieren sich Herren und insbesondere Könige und Fürsten Wälder aufgrund ihres Wildreichtums als ihre privaten Jagdgebiete. Wer sonst dort einfach so Hochwild jagt, als ob er sich in Gottes freier Natur befände, wird zum Wilderer, also zum Verbrecher. De facto werden so am Ende große Gebiete (nicht nur von Wald) zu Bannbezirken für die Landbevölkerung, der überhaupt die Jagd bald zunehmend eingeschränkt wird.
Kirche
Zentrale Punkte bäuerlichen Lebens sind der Herrenhof und die ebenfalls aus Holz gebaute (Dorf)Kirche, meist Eigenkirche des Grundherrn mit einem von diesem eingesetzen "Geistlichen". Dorfbildung im Norden findet nun um die Dorfkirche und den Friedhof und bald manchmal im Schatten der Burg statt. Hier wird man getauft, verheiratet, beichtet man, geht zum Gottesdienst und wird man begraben. In Italien bei viel kleineren Diözesen übernehmen von Erzpriestern geleitete zentrale pievi (Kollegiatskirchen) die pfarrkirchliche Funktion.
Der Sakramente spendende und predigende Priester seiner Pfarre spielt eine zentrale Rolle zwischen Grundherren und Pfarr-Volk.
„Im frühen 10. Jahrhundert wurden (in Redon in der Bretagne) die Pfarrstellen samt dem dazugehörenden Land vom Vater auf den Sohn vererbt; wir finden verheiratete Priester, die in weltlichen Gemeindeangelegenheiten aktiv sind, als Zeugen und Vermittler geschäftlicher Transaktionen fungieren und auch bei Gericht auftreten, die Bürgschaft leisten und Geld verleihen und allerlei Geschäfte beurkunden und so gewissermaßen als Notare wirken.“ (Moore, S.106)
Der Grad der „Christianisierung“, also der förmlichen Unterwerfung unter die Kirche, bleibt umso geringer, je weiter man sich von den dauerhaft in der Antike romanisierten Gebieten und den Städten entfernt. Christianisierung bedeutet dabei zugleich Zivilisierung als domestizierende Unterwerfung unter die weltlichen Mächte, die Hand in Hand mit der geistlichen Macht einher kommen.
Die Menschen auf dem Lande können weder lesen noch schreiben und haben so keinen Zugang zu den heiligen Schriften einer an sich auf Schriftlichkeit basierenden Religion. Die evangelikalen Ideale von Armut und Friedfertigkeit übersetzen sich für sie in bedingungslose Unterwerfung unter ihre Herren, deren Position gottgewollt ist, wie ihnen beigebracht wird, und in erzwungene Armut. Religion ist so vor allem von oben indoktrinierte Moral. Die von den wenigen beleseneren Mönchen und Weltgeistlichen vertretenen religiösen Positionen dringen nicht zu ihnen vor. Verständlich werden ihnen einmal die magischen Kräfte der Priesterschaft, jener Zauber, mit dem man versuchen kann, die Natur gnädig zu stimmen oder Feinde abzuhalten.
Unglaube wird bestraft und scheint dennoch in den germanischen Gegenden verbreitet.
"In der Diözese Utrecht ermahnte ein Priester die Leute eines Dorfes zum österlichen Sakramentenempfang und erhielt durch einen von ihnen die Antwort, ein Krug voll Bier sei ihm lieber als der Kelch des Herrn. Er sprach dabei als Dorfschulze für die Gesamtheit. (Fürstenau, S.402)
Noch Anfang des nächsten Jahrhunderts beschreibt Bischof Burchard von Worms, wie Leute bei Bäumen, Quellen und Steinen beten, Lichter oder Fackeln, Brot und andere Gaben opfern. (Decretum XIX,5)
Ansonsten vermischen sich weiter vorchristlicher Volksglaube und der in den Evangelien schon für den vorderen Orient anklingende Glaube an Geister, Dämonen, Teufel usw. Tote stehen nachts aus den Gräbern auf und wandeln durch die Nacht. Man hört Geschichten von Begegnungen mit ihnen, von Ungeheuern in den Wäldern und überhaupt der noch vorhandenen Wildnis, aber auch von guten Geistern, Feen usw.. Am Himmel und auf Erden gibt es Vorzeichen, die Unheil ankündigen, wie sie selbst Thietmar, der Bischof von Merseburg, noch aufzählt.
Zauberer, Wahrsager und sogar Frauen vollbringen gelegentlich heimlich weiter kultische Handlungen an Bäumen, Quellen und anderen magischen Orten, nutzen dabei alte Beschwörungsformeln. Man versucht, solch alte magische Praktiken umzudeuten.(*20)
Daneben besteht Christentum aus biblischen Geschichten: Adam und Eva, Kain und Abel, Noah, Abraham usw., dazu gehören aber auch die Taten tapferer (jüdischer) Helden, die als Herrscher zu Vorbildern der meist weit entfernten neuartigen Fürsten und Könige umgedichtet werden.
Der dreifaltige Kriegs-Gott, ein drohender und strafender, aber auch belohnender Gott, ist weit weg und nicht wirklich verständlich. Wichtiger wird die Heerschar der Heiligen, die immer mehr an seine Stelle treten, und die man sich in Menschengestalt vorstellen kann und darf. Irgendwie gelangen diese Heiligen flugs zur Engelsschar in der Umgebung des Herrscher- und Kriegergottes, haben an seiner Macht teil und können Wunderbares bewirken.
Für die ländlichen Produzenten werden sie wichtig, da es mit ihrer Hilfe wieder möglich wird, die elementaren Naturkräfte zu beschwören, zu denen ihnen die Kirche den direkten Zugang als dämonisiert zu nehmen versucht.
Größere Kirchen sammeln Reliquien, die in Altären und manchmal auch Kapitellen eingeschlossen werden. Portable Reliquiare werden auf Prozessionen mitgeführt. Reliquienhandel tritt zunehmend neben den Raub von solchen, an dem auch hohe kirchliche Herren beteiligt sind.
Immerhin beschert das Christentum arbeitsfreie Tage, allerdings mit der Pflicht zum Kirchgang und zu Abgaben. Neben den allgemeinen Kirchenfesten des legendär-jesuanischen Jahres zwischen Geburt, Himmelfahrt und Pfingsten, die ergänzt werden durch das marianische Jahr, in das zahlreiche eigentlich von der Kirche nicht anerkannte Marienlegenden eingehen, daneben also ist jeder Tag wenigstens einem oder einer Heiligen gewidmet, denen eben auch die jeweilige Kirche geweiht ist. Die kirchlich bestimmten Feste haben neben dem zeremoniellen und rituellen Teil einen sehr weltlichen: Man trifft sich, feiert miteinander und vergisst dabei vermutlich des öfteren schnell den religiösen Anlass.
Arbeiten und Leben
Die Bauernhäuser der Nachantike und des frühen Mittelalters sind oft zunächst einfache, dann mehrgliedrige hölzerne Gehöfte mit dem Wohnhaus in der Mitte. Dieses besteht wohl meist aus einem Raum zum Wohnen, Arbeiten und Schlafen mit einer Feuerstelle und einem Abzug unter dem Dach. Geschlafen wird auf Stroh. Unter demselben Dach ist oft auch das wenige Vieh untergebracht. Dies Haus, dessen Grundgerüst hölzerne Pfosten sind, hält in der Regel höchstens eine Generation lang, dann muss es neu gebaut werden.
Das Nutzungsrecht an der Hufe, die nicht in einem Stück direkt an das Gehöft angeschlossen sein muss, scheint im 10. Jahrhundert weithin vererbt zu werden. Dort, wo die Bevölkerung zunimmt, teilen sich dann zunehmend mehr Menschen eine Hufe, bevor sie in die Urbarmachung und später in die Städte abwandern. Zudem gehören des öfteren auch Knechte zu der Hufe.
Zu vermuten ist, dass die meisten Menschen dieser abhängigen bis unfreien Landbevölkerung am absoluten Existenzminimum leben. Und so lässt denn schon Karl ("der Große") verkünden:
Wer ein Lehen von uns innehat, soll eindringlich mit Gottes Hilfe dafür Sorge tragen, dass kein dem Lehen zugeordneter Knecht Hungers sterbe; was den Eigenbedarf für seine Leute übersteigt, soll er wie geboten verkaufen. (in Fried, S.230. Knecht sind hier die abhängigen Bauern)
Die einfache Feldwechsel-Bewirtschaftung, die Ackerland zur Erholung der Böden für Jahre in Brache liegen lässt, also sehr extensiv ist, genügt oft bestenfalls für die Subsistenz, das Überleben, wobei jede Naturkatastrophe selbst das in Frage stellt. Beim Getreide liegt das Verhältnis von Saatgut zu Ernte bei guten Bedingungen zwischen 1:2 und 1:5, etwa ein Zehntel heutiger Ausbeute.
Alle paar Jahre droht darum Hungersnot. Dazu kommen Epidemien, Dürren, Überschwemmungen und die wiederkehrenden Fehden und Kriege. Subsistenz beinhaltet das täglich Brot des Vaterunsers, sehr wenig Fisch und Fleisch, zur Eigennutzung angebaute Salate, Gemüsesorten und Obst.
Das bäuerliche Leben ist meist Arbeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Auf dem Acker beginnt sie bis ins 11. Jahrhundert mit der Vorbereitung des (schweren) Bodens mit dem Spaten, der aus Holz und an den Rändern manchmal mit Eisen beschlagen ist. Das gilt vor allem, wenn wenigstens vor dem elften Jahrhundert noch kein Wendepflug, sondern ein einfacher Hakenpflug verwendet wird, mit dem mehrmals (kreuz und quer) gepflügt werden muss. Metalle Geräte sind selten und teuer. Nutztiere sind grundsätzlich deutlich kleiner als heute und Rinder werden primär als Zugtiere und nicht zur Fleischerzeugung gehalten.
Es folgt das Säen und dann das Eineggen mit Strauchwerk oder der hölzernen Egge. Zwischendrin muss manchmal auch wenigstens grobes Unkraut gejätet werden. Geerntet wird Getreide bis mindestens ins 12. Jahrhundert mit der Sichel, die den Halm auf halber Höhe schneidet, dann kommt das Einfahren der Ernte, das Dreschen und dann das Mahlen des Getreides. In unserer Schwellenzeit werden Mehl, Brot und Bier noch oft auf dem Bauernhof hergestellt.
Arbeit gibt es also nicht nur auf den Feldern und bei der Heuernte sowie im Garten. Bauern sind bis tief ins frühe Mittelalter Selbstversorger mit fast allem. Sie backen ihr Brot aus ihrem Getreide, sie brauen ihr Bier daraus. Das Zugvieh muss versorgt werden, das nicht immer vorhandene Milchvieh, die Hühner. Die Frauen sind für die Kleiderproduktion von der Wolle, dem Hanf bzw. Flachs an zuständig, und natürlich fürs Kochen, Waschen und Putzen - und für die Kleinkinder, die noch nicht mitarbeiten können.
Neben der Selbstversorgung mit Getreide, aus dem unter anderem Breis gemacht werden, und insbesondere des Roggens als Brotgetreide gibt es auch den Anbau von Gemüse und Salaten, die schneller verderblich sind und darum vermutlich zunächst weniger auf Märkte gelangen. Für diese wichtiger wird der Weinbau, den vor allem die Kirchen vorantreiben. (*21) Es gibt Schätzungen, nach denen sich der Anbau von Wein in Mitteleuropa in den Jahrhunderten bis ins 10. etwa verzehnfacht.
Wein ist auf Grund seiner relativen Haltbarkeit ein wichtiges Handelsgut, auch für den Fernhandel geeignet. Viele Wingerte werden zwecks Delegierung der saisonalen Arbeiten und ihrer Organisation an Bauern verpachtet, und die Pacht wird dann in Wein bezahlt.
Für die Ernährung der Unterschichten spielt Fleisch offenbar eine immer geringere Rolle, und Jagd und Fischfang werden von der Herrenschicht zunehmend monopolisiert. Rinder sind vor allem Zugtiere und Lieferanten von Milch und Dünger, Schafe werden mindestens zur Hälfte zur Woll- und Milchproduktion gehalten. Vieh liefert darüber hinaus Leder, Pelze und den Rohstoff für das Pergament.
Die Bauern eines Herren haben neben der Arbeit für die Selbstversorgung sowohl reguläre wie außerordentliche Dienste zu absolvieren, die wir manchmal aus Urbaren kennen, sogenannte Hand- und Spanndienste. Dabei arbeiten Hufenbauern mit Dienstpflichten und unfreies Hofgesinde eng zusammen.
"Die Pflugarbeit auf den Äckern wurde größtenteils von den Hufnern mit eigenem Spannvieh und Arbeitsgerät geleistet. Auch halfen sie in ausgedehntem Maße bei der Heu- und Getreideernte, ferner beim Einzäunen von Hof und Feld, beim Hüten des Viehs und bei der Schweinemast in den Wäldern. (...) Ferner halfen die Hufner bei der baulichen Instandsetzung des Herrenhauses und seiner Wirtschaftsanlagen, beim Dreschen des Korns und bei der Herstellung von Arbeitsgeräten, beim Brotbacken und Bierbrauen. Dazu kamen zeitaufwendige Fuhr- und Botendienste, Quartier- und Herbergspflichten und für die Frauen eine Reihe von häuslichen Arbeiten wie Spinnen und Weben." (Rösener, S.218)
Dazu kommen zu oft festgesetzten Terminen Abgaben von dem auf der Hufe Erwirtschafteten (Getreide, Wein, Bier, Brot usw.). Wenn Bauern das Dreifache des Saatgutes erwirtschaften, geht ein Drittel für das Saatgut ab und ein Drittel an den Herrn. Nur den Rest kann die bäuerliche Familie selbst konsumieren. Frauen müssen öfter Leinentücher herstellen und davon abgeben, Bauern zum Beispiel Zaunpfähle herstellen und abliefern. Eventuelle Waldnutzung wie für die Mast im herrschaftlichen Wald wird mit einer Abgabe versehen, ebenso wie die Nutzung von Mühle und Backhaus.
Im Todesfall des zum Herrn gehörenden Hufenbauern kann dieser zunächst dessen ganzen Besitz einziehen, begnügt sich aber bald mit einem Buteil oder einen guten Stück Vieh (besthaupt) oder beim Tod der Frau mit ihrem besten Gewand.
In der Villifikation Friemersheim des Reichsklosters Werden zum Beispiel mit seinen 121 Bauernhufen, die dreimal soviel Fläche einnehmen wie das Salland des Herrenhofes, bildet das Hofgesinde ohne Land um 900 etwa ein Viertel und muss jede Arbeit ausführen, die ihm anbefohlen wird. Eine zweite Gruppe sind die Zinsbauern, die nur Geld- und Naturalabgaben zu leisten haben. Die größte Gruppe sind die Hufenbauern. "An Ackerfronen werden zur Saatbestellung im Frühjahr und Herbst je zwei Wochen verlangt, und zwar gilt es, fünf Morgen Land zu pflügen und für die Einsaat vorzubereiten. Im Juni sind zwei weitere Fronwochen auf dem Herrenhof abzuleisten. Ferner sind die Hufner verpflichtet, bei der Heu- und Getreideernte zu helfen, im herrschaftlichen Garten Beete von vorgeschriebener Größe zu bestellen und umschichtig die Schweine des Hofes zu hüten. Jeder Hörige muss außerdem beim Brotbacken und Bierbrauen anteilsmäßig helfen, Flachs zur Gebrauchsreife verarbeiten und noch etliche andere Arbeiten in Hof und Feld erledigen. Die Fronarbeit der Hufenbauern nimmt alles in allem zehn volle Wochen in Anspruch, also den fünften Teil des ganzen Jahres. Außer diesen schweren Frondiensten hat jeder Bauer an Abgaben noch 56 Pfennig Geldzinsen, drei Hühner, zehn Eier und zwölf Scheffel Getreide zu leisten. (Rösener, S.222)
Für die Unterschicht der übrigbleibenden freien Bauern und die "Knechte" ihrer Herren bedeutet das Mangelwirtschaft, Abhängigkeit von der Qualität der Ernten, vom Wetter und vom Erfolg von Nahrungskonkurrenten. Periodische Hungersnöte auf regionaler Ebene und manchmal sogar in einem großen Teil Europas sind die Folge.
Bevor sich im 11. Jahrhundert Herren mehr dafür zu interessieren beginnen, wie effizient und rentabel ihre Grundherrschaften sind, bedeutet es ihnen eher wenig, was ihre servi und colones insgesamt erwirtschaften. Wichtig ist, dass sie ihre vorgegebenen Abgaben und Dienste leisten, das, was als redditus, Einnahmen bezeichnet wird.
Ehe, Familie, Verwandtschaft
Die Kirche erklärt den handgreiflichen Körper zum Gefängnis einer „Seele“, die durch mancherlei Aktivitäten dieses Körpers Schaden nimmt. Solche als Sünde bezeichnete Taten sind im Jüdischen Übertretungen kultisch-religiöser "Gesetze", im Christentum sind sie dem Menschen bald als Erbsünde angeboren. In der christlichen Interpretation der jüdischen Version der Paradiesgeschichte ist die zentrale Sünde das Ausleben jener Sexualität, die zugleich als Strafe für das Übertreten von Gottes Gebot den Menschen auferlegt ist. Darüber hinaus ist jeder nicht notwendige Konsum Sünde, da er den Menschen vom Erstreben des Himmelreiches ablenkt. Werden Sünden nicht gesühnt bzw. abgebüßt, landet man für immer und ewig in einer Hölle ewiger Folterqualen
In der Praxis sieht alles recht anders aus. Eindeutig sündig ist ausgelebtes sexuelles Begehren nur für Mönche und Nonnen, und nur für sie gilt auch wenigstens theoretisch gottgewollte Armut als Bescheiden auf das Lebensnotwendige. Priester und überhaupt höherer Klerus sollen zwar zölibatär leben, aber daran halten sich nur wenige, und bis ins 11. Jahrhundert scheint das auch keine sonderliche Rolle zu spielen.
Besonders merkwürdig ist die Situation der Laien, für die ein Ausleben des Geschlechtstriebes zwar einerseits "eigentlich" Sünde bleibt, von denen andererseits aber erwartet wird, das sie in der Regel heiraten und Kinder bekommen. Als eigenartigen "Kompromiss" erlaubt die Kirche dann grundsätzlich der Zeugung und nicht der Lust dienenden Geschlechtsverkehr und verbietet ihn nur an Fasten- und Feiertagen. Zum Glück für die Menschen schaut die Kirche ihnen nicht in ihre Schlafstätten hinein.
Aber: Solch ambivalentes Verhalten der Kirche gegenüber dem Geschlechtsleben der Laien gibt ihr die Möglichkeit, fast jeden von ihnen als Sünder einzuordnen, und damit an sich zu binden. Entsprechend sind Heilige keusch, was ursprünglich fromm, religiös sein bedeutete, und dann zwischen den Bedeutungen des Verzichtes auf das Ausleben des Geschlechtstriebes und einem Ausleben nur in den erlaubten Bahnen der Ehe oszilliert.
In der alltäglichen Lebenspraxis ist Keuschheit vor allem auf Jungfrauen beschränkt, weswegen Virginität nicht nur eine Altersstufe, sondern auch geschlechtliche Unberührtheit dieser Mädchen meint, und weshalb es auch keinen entsprechenden Ausdruck für Knaben und junge Männer gibt, was jenseits aller Religion eben daran hängt, dass Mädchen/Frauen Kinder bekommen, was außerhalb der Ehe für die meisten damals ein erhebliches ökonomisches Problem darstellt, und darum zunehmend mit Ansehensverlust bestraft wird.
Wir erfahren wenig und sehr Unterschiedliches über das Sexualverhalten der produktiven Masse der Menschen. Im 10./11. Jahrhundert tauchen mehr Erwähnungen von sexueller Verwahrlosung auf, was aber auch daran liegen kann, dass die geistlichen Autoren sie nun stärker wahrnehmen. Thietmar von Merseburg beklagt, dass sie inzwischen zu wenig hart bestraft wird:
Heute (...) herrscht überall (...) Freiheit zur Sünde, und so treiben nicht nur viele verführte Mädchen, sondern auch manche verheiratete Frauen schon zu Lebzeiten ihres Mannes Ehebruch (...) Heute gibt es keine harte Strafe mehr dafür, und so kommt die neue Mode, wie ich fürchte, bei vielen immer mehr in Übung. (Chronicon, VIII,3)
Vermutlich ist die Bezähmung des Geschlechtstriebes in dieser Zivilisation besonders schwierig, da ihre christlichen Meister ihn diabolisieren und so jede pflegliche Auseinandersetzung mit ihm erschweren.
Es lassen sich sinnvollerweise zwei Formen von Vergesellschaftung erkennen und so auch definieren: eine sexuell vermittelte und eine von solcher Vermittlung freie. Auf der Schwelle zum Kapitalismus gehört die erstere einerseits für die meisten Menschen noch in den privaten Raum, wird aber andererseits von ihren Herren beaufsichtigt, und dann auch zunehmend von der Kirche definiert.
Das (deutsche) Wort Ehe wird seine noch heutige Bedeutung erst Jahrhunderte später bekommen, das Wort Verwandtschaft erst auf dem Weg in die sogenannte Neuzeit. Familie wiederum als lateinische familia behält durch das Mittelalter in etwa seine antik-römische Bedeutung, wird aber zugleich gelegentlich auch auf die eingeschränkt, die wir noch heute darunter verstehen.
Neben der familia der Grundherrschaft gibt es, dokumentiert für die spätere Karolingerzeit, die Familie des Hufenbauern. In ihrem Zentrum steht das Ehepaar, deren Eltern und Enkel fehlen meist. Familie bedeutet Hausgemeinschaft auf der Hufe.
Daneben existiert ein „bilaterales Verwandtschaftssystem“ nach männlicher und weiblicher Seite, wie es heute gelegentlich heißt. Dazu kommt die geistliche Verwandtschaft über die Paten. Auf beiden Seiten solcher Verwandtschaft herrschen seit dem 4. Jahrhundert Heiratsverbote, die bis ins 11. Jahrhundert ausgeweitet werden. (*22)
Söhne müssen heiraten, um den Hof des Vaters oder eine andere freie Hufe zu übernehmen. Andererseits macht es für sie keinen Sinn, vorher zu heiraten, weswegen sie oft erst spät eine Ehe eingehen. Deshalb gibt es eine für Kerneuropa typische lange Jugendzeit. Eltern sind dann manchmal bei Eheschließung nicht mehr am Leben.
Wohl eher seltener bleiben Alte nach Abgabe des Hofes auf diesem wohnen, wodurch der Sohn dann früher heiraten kann. Grundsätzlich kann der Hof aber auch an eine Tochter weitergegeben werden (Mitterauer(2), S.78) Es gibt auf der Hufe keine zwingende Patrilinearität.
Witwen versuchen, sich bald wieder zu verheiraten, weswegen es in den Quellen oft Ehefrauen gibt, die älter als ihre Gatten sind.
Zur Familie gehört manchmal Gesinde, welches oft die Jugendzeit im Dienst überbrückt und danach nicht mehr ins Elternhaus zurückkehrt. Jugend tendiert
dann zu Abgrenzung von Eltern, Individualisierung (Mitterauer(2), S.105).
Da die meisten Menschen einen Herren haben, unterliegt ihre Eheschließung in unterschiedlicher Weise der Genehmigung durch diesen, insbesondere, wenn einer der beiden einem anderen Herrn untersteht. Dabei sind mehr oder weniger auch Abgaben fällig. Die Eheschließung selbst ist dann ein privater Akt zwischen zwei Familien, an dem die Kirche, die das Ausleben von Sexualität auch in der Ehe längst zu einem (notwendigen) Übel erklärt hat, nicht beteiligt ist, auch wenn die Ehe von ihr längst bejaht und immer unauflöslicher wird. Gelegentlich lässt man sich aber bei der Heirat den Segen eines Geistlichen geben. Immerhin sind es nun langsam weniger Jungfrauen, sondern zunehmend auch Ehefrauen, die als weibliche Heilige angesehen werden.
Die wesentlichen Kulthandlungen Eucharistie und Taufe finden nicht in der Familie, sondern in der Gemeinde statt. Damit wird die Bedeutung von Familie bereits etwas relativiert. In den Städten wird das seit dem 10. Jahrhundert noch etwas durch Bruderschaften und andere genossenschaftliche Elemente verstärkt werden.
Zur Verheiratung gehört die Mitgift, welche der Braut von ihren engsten Verwandten mitgegeben wird, und welche zu ihrer materiellen Absicherung auch im Falle der Verwitwung gehört. Ihre Höhe trägt dort, wo es größeres Eigentum gibt, viel zur Attraktivität der Braut bei.
Für Katalonien beschreibt Bonnassie (La Catalogne) nicht nur, das Frauen damit über uneingeschränkten Eigenbesitz verfügen, sondern auch ein Mitspracherecht bei Verfügungen über das Eigentum des Gatten haben, was sich in ihrer Mit-Unterzeichnung von Urkunden dokumentiert. Solche Rechtsvorstellungen sind aber nach Gegend sehr verschieden. (*23)
Mit der Eheschließung und dem Nachwuchs bildet sich Verwandtschaft, die aber noch nicht in dieser Abstraktion, sondern als anschaulich-konkretes Beziehungsgeflecht gesehen und benannt wird. Dieses ist im Vergleich zu heute ausgesprochen stabil, sobald Ehescheidung nur noch ausnahmsweise möglich ist.
Definierte Weiblichkeit der Freien verbindet sexuelle Momente mit ökonomischen und rechtlichen. Die rechtliche Bindung an den Mann als Unterordnung hat wenigstens einen doppelten Aspekt: Damit kontrolliert er einmal die Fortpflanzung als seine eigene und die Verfügbarkeit (s)eines Objektes des Begehrens. Zum anderen steht die Frau als Eigentümerin eines beachtlichen Teils des Familienbesitzes unter seiner Aufsicht. Die ansonsten noch erhebliche Eigentumsfähigkeit der Frau zeichnet sie als „Freie“ im germanischen Sinn aus, und als aus einem solchen Haushalt kommend.
Die religiöse Abwertung der Frau und ihre rechtliche Minderstellung besagt wenig über ihre tatsächliche Situation im Alltag. Königinnen regieren mit und manchmal als Witwen alleine, sowohl im ottonischen Königshaus wie im Westen, wo Hadwig als Witwe von Hugo ("dem Großen") 956-60 kräftig mitmischt, und wo ihre Tochter Beatrix nach dem Tod ihres Gemahls 978 zehn Jahre lang Oberlothringen regiert. Aus den meisten Quellen lässt sich keine Ablehnung dieser Machtstellung von Frauen ablesen (Wickham).
Im bäuerlichen und bald auch im noch sehr seltenen bürgerlichen Haushalt erledigen sie eigenverantwortlich wesentliche Teile der Arbeit. In der hochadeligen Familie sind sie für die innere Haushaltung zuständig und haben damit einen durchaus wichtigen Aufgabenbereich. Die Vorstellung von einem Emanzipationsdefizit wird von einigen wenigen erst seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert formuliert und zwar im Zusammenhang jener "bürgerlichen" Haushalte, in denen einige Damen des Hauses dank Dienerschaft nach neuartiger Beschäftigung suchen und diese ideologisierend in Konkurrenz zu Männern finden.
Ausgehandelt werden Ehen oft von den Eltern, insbesondere den Vätern, deren Kinder unter ihrer Munt stehen, latinisiert dem mundium. Das betrifft aber vor allem die, die etwas besitzen. Im Mittelpunkt steht so zunächst der Konsens der Väter, aber mit Papst Nikolaus I. wird seit dem 9. Jahrhundert auch stärker der der Brautleute betont.
Ausgehandelt werden dabei sowohl erhebliche Gaben von seiten der Familie des Bräutigams vor und nach dem ersten "Beilager" (letztere die Morgengabe oder das osculum, also die Gabe nach dem Hochzeitskuss). Andererseits gibt es oft auch eine geringere Gabe des Brautvaters. Nach germanischem Recht bleibt die Verfügung über das ihr mit der Hochzeit Gegebene bei der Braut, nun Ehefrau.
Die Entwicklung von Ehe und Familie hat im weiteren einen "weltlich"-pragmatischen Aspekt und einen kirchlichen. Die kirchliche Seite ist von dem Widerspruch geprägt, dass sie einerseits die Fleischeslust scharf ablehnt, andererseits aber die Fortpflanzung bejaht, was praktisch den lustlosen Koitus erzwingen soll. 829 formulierte ein fränkisches Konzil, was bis ins nächste Jahrtausend gültig bleiben wird:
Laien sollen wissen, dass die Ehe von Gott eingerichtet ist, und dass sie nicht zur Befriedigung der Lust, sondern vielmehr der Nachkommenschaft wegen eingegangen werden soll (...) Die fleischliche Verbindung mit Frauen muss um der Nachkommenschaft und nicht um des Vergnügens willen aufgenommen werden und ein Mann soll sich des Geschlechtsverkehrs mit seiner schwangeren Frau enthalten. (MGH LL,1)
Da es tatsächlich der Geschlechtstrieb ist, der zum Kopulieren führt, und nichts anderes, wird eine lange und nicht sehr konsistente Entwicklung dazu führen, dass aus dem zunächst gerade so Hingenommenen im 12./13. Jahrhundert das Sakrament der Ehe wird, was die Sünde des Auslebens des Geschlechtstriebes zwar nicht beseitigt, aber in der Ehe doch sehr in den Hintergrund drängt. Aber es wird noch zu untersuchen sein, wie die Inkonsistenz auch der katholischen Sexuallehre in Zusammenhängen von Widersprüchen mit dazu beiträgt, dass Kapitalismus entstehen kann.
Im Verlauf der Nachantike schwindet die öffentliche Akzeptanz für die gelegentlich so genannte Friedelehe, eine feste Liebesbeziehung, die anstelle oder neben der regulär werdenden (monogamen) Ehe öffentlich nachvollziehbar eingegangen wird. Die Friedel (Geliebte) sinkt dabei auf den Stand des Konkubinats und verliert alle ihr nicht individuell geschenkten Rechte. Schließlich gibt es noch das Kebs-Verhältnis mit einer unfreien Frau. In solchen patriarchalen Strukturen wird der Frau aber nur ein Mann zugestanden.
Traditionell fanden bislang Scheidungen in der Form statt, dass der Mann die Frau verstößt und ihre Mitgift an ihre Familie zurückgibt. Mit der de-facto-Aufwertung der Ehe durch die Kirche in der Karolingerzeit und der Forderung nach Monogamie wird spätestens seit dem neunten Jahrhundert die Ehescheidung immer mehr erschwert, und das geht bis dahin, dass als Scheidungsgründe nur noch die gelten, die eine Eheschließung ungültig machen, besonders zu enge Verwandtschaft. (*24)
In dem Verband aus Eheleuten und Kindern ist der Mann und Vater die durch seine Verantwortung für alle ausgezeichnete dominante Person, so wie auch in der weiter gefassten familia. Väterliche Gewalt heißt, dass er für Frau und Kinder haftet, die unter seinem Schutz (munt) stehen, und dass er in letzter Instanz über Besitz, Einkünfte und Ausgaben verfügt, extra beschlossenes Sondervermögen der Frau ausgenommen. Tatsächlich besitzen die meisten Menschen im frühen Mittelalter allerdings nur geringes Eigentum.
Vermutet wird für beide Franzien, dass der weibliche Teil in dem Umbau von Familie und Verwandtschaft bei grundsätzlicher Patrilinearität seit der Nachantike langsam zurück geht, aber die Informationen bleiben widersprüchlich. (*25)
***Liebe***
Die spätkapitalistisch forcierte sexuelle Verwahrlosung großer Teile der Bevölkerung in Europa, inzwischen als politisch korrekt propagiert, macht es längst unmöglich, über "Liebe" zu sprechen, ohne vorher zu erklären, was man damit meint. Wer sich heute ins Nachtleben stürzt, um "Liebe zu machen", wie es im Denglischen heißt, oder um Triebabfuhr im Bordell zu suchen, der verwechselt sprachlich aus extremer Prüderie den Geschlechtsverkehr mit Liebe. Tatsächlich aber ist das aber wohl bereits früh das Problem von Zivilisationen wie der städtischen des antiken Mittelmeerraumes, die ohnehin dieses Wort nicht kennen, sondern die Ambivalenzen von amor und eros pflegen.
Die germanischen Wurzeln von Liebe sind mit Konnotationen von Freundschaft und Zuneigung verbunden. Damit finden sie Platz im Raum von Ehe und Familie, den kleinsten Einheiten vergesellschafteter Menschen, zugleich den elementaren wirtschaftlichen Einheiten, dem "Haus" des deutschsprachigen "Mittelalters".
Problematisch werden sie über das Bindeglied der Produktion von Nachwuchs, also ausgelebte Geschlechtlichkeit - und damit über den Geschlechtstrieb, dessen Ausleben originär massiven Egoismus bedeutet, derart von der Natur alles Lebendigen angetrieben. Wie Liebe im ursprünglichen Sinne und in der noch funktionierenden Familie idealiter Geben meint, so tendiert der Geschlechtstrieb zum fordernden Nehmen in der Triebabfuhr. Geglücktes Leben von Ehe und Familie versucht immer wieder neu das schwer Zusammenzubringende miteinander zu verbinden.
Auch Historiker der letzten Jahrhunderte tendieren dazu, Liebe und begehrlicher Verliebtheit zu verwechseln, eine Unterscheidung, die insbesondere vornehmen antiken Römern der Kaiserzeit zu fehlen scheint. Gemeinhin wird der hormonelle Überschwang, diese Verwirrung von Egoismus und Altruismus, als Liebe bezeichnet, obwohl nur kurzzeitige Verliebtheit mit ihrem offensichtlichen Begehren gemeint ist. Aus diesem Grunde gibt es im zwanzigsten Jahrhundert nicht wenige, die den Menschen vor dem sogenannten hohen Mittelalter absprechen, zu lieben, und davon ausgehen, dass erst die Troubadoure und Minnesänger "die Liebe erfunden" hätten, ein offensichtlicher Unsinn, da sie nur die Verliebtheit, also das sehr überschaubare sexuelle Begehren, in Leid wie Freud propagieren.
Die wenigen Quellen für die Nachantike und bis ins frühere Mitttelalter hinein schweigen zu dem Thema, nicht zuletzt auch, weil sie fast alle auf Latein verfasst sind und die Reichen und Mächtigen abhandeln. Dort ist dann auch nicht von Liebe und nicht von amor die Rede, soweit nicht von Liebe zu Gott und den Heiligen die Rede ist. Wir sind also auf wenige quasi anekdotisch zu fassende Ausnahmen angewiesen, und die berichten nicht von den Mächtigen, bei denen Liebe in dynastischen Ehen eher die Ausnahme ist und verliebtes Begehren wohl oft auf Konkubinen und kurze außereheliche Ausfüge beschränkt wird.
Eine solche Geschichte unter kleinen Leuten vermittelt Gregor von Tours, der sie zugleich dafür benutzt, den dort vorkommenden reichen und mächtigen Herrn abzuwerten:
Er habe unter seinem Gesinde (famulis) damals einen Mann und ein Mädchen gehabt, die, wie es oft geschieht, sich ineinander verliebt hatten (mutuo se amore dilixisse). Solche Beziehungen bedurften aber der Genehmigung durch den Herrn. Und als sich ihre Liebesbeziehung schon zwei Jahre oder noch länger hingezogen hatte, verbanden sie sich (coniuncti) und flüchteten beide in eine Kirche. (Gregor V,3. Siehe .... für die ganze Geschichte, die an der Grausamkeit des Herrn schlimm endet.)
Um 880 überträgt ein (wohl freier) Mann eine ancilla samt ihren drei Söhnen an das Regensburger Kloster St.Emmeran und gewinnt damit seiner wohl aufgrund ihrer Unfreiheit nicht geheirateten Frau samt seinen Kindern für sein Ende etwas mehr Sicherheit. Die Zahl solcher illegaler und zugleich wohl aus liebevoller Verbundenheit eingegangener Beziehungen bleibt notgedrungen unbekannt. (in: Esders, S.74)
In anderen Fällen äußert sich Liebe daran, dass sie rechtliche Restriktionen überwindet:
In oder bei Piacenza hat ein (freier) landbesitzender Bauer namens Authari eine junge Tochter namens Anstruda, die sich offensichtlich in einen (unfreien) servus verliebt, der zwei Brüdern gehört. Sie verkauft ihre Freiheit für drei solidi an die beiden, um ihn heiraten zu können. Dabei macht sie mit den beiden Herren aus, dass ihre möglichen Söhne in Unfreiheit bleiben sollten, die Töchter aber das Recht hätten, sich für die selbe Summe freizukaufen. (Wickham(3), S.203 mit Quellenangabe)
Was im 10. Jahrhundert in Texten weithin fehlt, ist das antike Hochstilisieren von Verliebtheit mit dem Drang zur schnellen Triebbefriedigung, und was noch nicht stattfindet, ist die neue Kultivierung von Verliebtheit in höheren adeligen Kreisen, die mit Beziehungslosigkeit und letztlich Lieblosigkeit verbunden werden. Zu befürchten ist allerdings eine Tendenz sexueller Aggressivität von Herren gegenüber von ihnen abhängigen Mädchen und Frauen, die natürlich in den Quellen damals kaum auftaucht.
***Ganz unterschiedliche Körperlichkeit***
Während die Jagd und vielleicht auch noch das Sammeln von Früchten und selbst eine naturnahe Viehzucht bei guter Ernährung gesunde Körper hervorbringen, lässt sich das weder von den Ackerbauern noch für viele Formen von Handwerk sagen. Einseitiges Training bestimmter Muskeln zu ungunsten anderer, vielfach gebückte Haltung und für Bauern zumindest saisonal harte Arbeit und lange Arbeitszeiten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang treffen dann für das frühe Mittelalter unserer Schwellenzeit auf immer wieder mengenmäßig und qualitativ unzulängliche Ernährung.
Was die Hygiene in Land und Stadt angeht, sind wir auf Vermutungen angewiesen, auch was Körper-Reinigung angeht, da oft das Wasser herangeschleppt werden muss, und man für ausgiebige Ganzkörper-Säuberung auf größere Fließgewässer oder Seen angewiesen ist. Bei aller diesbezüglichen Quellenarmut tauchen einzelne Textstellen dazu auf. In Liutprands langobardischer Gesetzgebung gibt es die Verfügung darüber, wieviel Strafe ein Mann bezahlen soll, der einer Frau die Kleider stiehlt, während sie badet, was wohl heißt, an offenem Gewässer. (Wickham(3), S.143)
Ganz im Gegensatz zur arbeitenden Bevölkerung lässt sich bei den höheren Herren eine in der Jagd und der Einübung des Reitens und Kämpfens trainierte geradezu sportive Körperlichkeit annehmen, die in den wenigen Texten auch hervorgehoben wird. Für diese Leute, die nicht produktiv arbeiten müssen, sondern dafür andere ausnutzen, lässt sich eine Art Schönheitsideal vermuten, welches bei Männern auch im nordwestlichen Mittelmeerraum hohen Wuchs, helles Haar und helle Augen sowie Kraft und Stärke beinhaltet. Das gilt auch für "edle" Frauen, Herrinnen also, die im wesentlichen ebenso von produktiver Arbeit ausgespart bleiben, wo sie nicht schiere Beschäftigung im textilen Bereich bedeutet. Frauen sollen dabei vor allem kräftig sein, um viele Kinder zu bekommen.
Aussehen wird weder bei der Geistlichkeit noch den Klosterleuten ignoriert, wie denn auch, aber eigentlich ist ihr Körper ja nur der lästige Leib der Seele, dem man eher wenig Beachtung schenken sollte. Während die Kirche von produktiver Arbeit so befreit ist wie die Kriegerschicht, mit der sie oberhalb der Gruppe der vielen kleinen Pfarrei-Priester die edle Herkunft gemeinsam hat, sollte sie eigentlich des Körpertrainings auf der Jagd und in der Vorbereitung für den Kampf entsagen, was aber höhere Prälaten wohl zumindest vom Jagdvergnügen oft nicht abhält.
Da Mönche und die geringere Zahl der Nonnen ebenfalls in der Regel aus edleren Kreisen stammen, ist das benediktinische Arbeitsgebot für die meisten auf die weniger beschwerlichen Tätigkeiten reduziert, von wenigen häuslicheren Verrichtungen einmal abgesehen. In ordentlich ausgestatteten Klostern haben Mönche allerdings wie der übrige Adel eine solidere, weniger krisengeschüttelte Ernährung als die, die für sie arbeiten, auch wenn ihnen das edle Schlemmen und Bechern offiziell untersagt ist. Auch ohne sportive Übungen haben Mönche und Nonnen so eine höhere Lebenserwartung als die arbeitende Bevölkerung, was ihnen eine längere Wartezeit hin zu den doch eigentlich angestrebten Gründen des ewigen Chorgesangs im Angesicht ihres obersten Herrn gewährt.
Was wissen die Menschen von den im Körper verborgenen Vorgängen und was von den schambesetzten äußeren?
Die Masse der Bevölkerung dürfte im frühen Mittelalter in Verhältnissen gewohnt haben, die sowohl was das Ausagieren des Geschlechtstriebes, Nacktheit wie auch Urinieren und Defäkieren angeht, nur eingeschränkte Heimlichkeit zulassen. Aber die unsichtbaren Vorgänge im Körper sind weithin unbekannt. Aus der Antike stammt eine bei den Beleseneren vielleicht bekannte Humoraltheorie, die vier Körpersäfte annimmt, Blut, Phlegma, gelbe und schwarze Galle, welche in ihrer Zusammensetzung Persönlichkeit und Gesundheit bestimmen sollen.
Ähnlich dubios sind die Ansichten über die nicht gleich sichtbaren Vorgänge der Fortpflanzung. So wird vielfach angenommen, dass nicht nur der Mann Samen ausstößt, sondern beim fruchtbaren Koitus auch die Frau, und dass die Vermischung beider vonnöten ist. Alternativ folgt man Aristoteles, der erklärt hat, dass das männliche Sperma durch Formung einer entsprechenden weiblichen Substanz den Fötus schaffe.
In den 'Practica secundum Trota' aus Salerno, die im 12. Jahrhundert zum ersten Mal ausführlicher auch Gynäkologisches in der Medizin behandeln, und zwar von Unfruchtbarkeit und Menstruationsproblemen bis zu Kosmetika, wird als Empfängnis verhütendes Mittel folgendes empfohlen:
Nimm ein männliches Wiesel und lass seine Hoden entfernen und setze es anschließend wieder lebend in Freiheit. Lass die Frau diese Hoden, welche in die Haut einer Gans oder eines anderen Tieres gewickelt werden sollen, an ihrer Brust tragen, dann wird sie nicht empfangen. (in: Mazo Karras, S.151)
Ladurie berichtet aus Montaillou, dass der Dorfpriester, wenn er mit Beatrice de Panissoles schläft, zur Empfängnisverhütung ein Amulett mit Kräutern um seinen Hals trägt.
Diese Art von (faulem) Zauber fördert auch das Gewerbe der Zauberer und Hexen, und offensichtlich sind es vor allem Frauen, die sich auch ganz unprofessionell hier versuchen. Das veranlasst Burchard von Worms um 1000, Strafen auf Frauen auszusetzen, die zu magischen Zwecken den Samen ihrer Ehemänner trinken, oder ihnen von ihrem Monatsblut zu trinken geben.
Klima, Modernisierung und Wirtschaftswachstum
Kapitalismus entsteht nicht in Wüsten, Steppen oder tropischen Regenwäldern, sondern in einer gemäßigten Zone zwischen der nordwestlichen Mittelmeerküste und England. Gemäßigt heißt dabei aber dennoch, dass das Leben der Nahrungs-Produzenten äußerst mühsam den nicht menschlich bestimmten Gegebenheiten abgerungen werden muss, und es dabei Rückschläge gibt. Sturmfluten an der Nordsee reißen Städte wie das alte Winchelsea in Südengland in den Untergang und trennen die Nordfriesischen Inseln vom Festland, eröffnen andererseits aber den Aufstieg von Hafenstädten wie Kampen nach dem Aufreißen der Zuidersee oder den von Brügge.
Flüsse sind besonders dort, wo sie nicht eng von Bergen begrenzt sind, flach, weil sie sich in einem breiten Band in viele kleinere Flussläufe verästeln, und machen so Schiff-Fahrt zu einem Problem. Was für das Meer die Sturmfluten, sind bei den Flüssen und Bächen zudem die immer wiederkehrenden erheblichen Überschwemmungen. Dazu kommen Ernteverluste durch zuviel oder zu wenig Regen, durch Heuschreckenschwärme und vieles mehr.
Aber das alles nimmt dem Großraum nicht seine guten Voraussetzungen für die Entstehung von Kapitalismus. Neben dem Klima, dem Boden und dem genügenden Wasser wirkt sich auch der viele Wald als Rohstoff Holz nördlich der Alpen zunächst als Motor aus: Noch vor der Wasserkraft ist Holz die wesentliche Energiequelle des Mittelalters und wird erst im 18. Jahrhundert dann durch Steinkohle abgelöst. Zudem ist sie wichtiger Baustoff.
Das 8.-13. Jahrhundert gilt als relative Warmzeit, insbesondere zwischen 950 und 1200. Passend dazu nimmt die Bevölkerung nach Jahrhunderten der Abnahme wieder zu, zwischen dem späten 8. Jahrhundert und dem Millenium hat sie sich möglicherweise verdoppelt, um dann im 11./12. Jahrhundert weiter zuzunehmen. (GoetzEuropa, S.162)
Modernisierung
Die hohen Herren von Kirche und weltlichem Hochadel tun oft bis weit in die hier so genannte Schwellenzeit eher wenig gegen die tendenziell steigende Ineffizienz ihrer weit verstreuten Domänen, während manche Klöster an vorderster Front beteiligt sind. In technischer Hinsicht sind sie oft Vorreiter in der Organisation ihrer Grundherrschaften, in der Steigerung der Produktivität dort, in der Nutzung des Wassers und der Wasserkraft durch Mühlen, wobei Errichtung und Betrieb Recht des Grundherren ist. Zudem treiben sie die Urbarmachung von "Ödland" voran, also von noch nicht menschlich genutzten Gebieten.
Erst mit dem Ende der antiken Sklaverei und der damit einhergehenden Verwandlung der Grundherrschaften aus servi und colones wird im 11. Jahrhundert ein stärkeres Interesse bei vielen großen Herren erwachen, was sich in einer Zunahme von Urbaren abzeichnet, mit denen sie sich einen Überblick über ihren Reichtum verschaffen, und dann auch mit den neuartigen Hofrechten.
Im wesentlichen ist es nicht Gewalt von Herren, sondern die Macht der wirtschaftlichen Entwicklung, die Sklaven von unten und Bauern von oben auf ein mittleres Niveau von Abhängigkeiten von Herren bringen. Ihr wesentliches Kennzeichen ist das Wachstum der Nahrungsmittelproduktion, die einher geht mit Bevölkerungswachstum, Zunahme der Warenproduktion, Marktwirtschaft und Dezentralisierung der Macht- und Gewaltverhältnisse. Das Wachstum wird anhalten und am Ende bei einer allgemein durchgesetzten ersten Phase von Marktwirtschaft und Kapitalismus dann erneute Zentralisierungsbestrebungen ermöglichen, die Ansätze zu Formen neuartiger Staatlichkeit mit sich bringen werden.
Das Wachstum der Landwirtschaft beruht auf drei Phänomen, dem technischer Entwicklungen im weitesten Sinne, dem der Erweiterung der Nutzflächen und dem allgemeinen Bevölkerungswachstum.
Auf jeden Fall ist aufgrund archäologischer Befunde eine Zunahme des Bevölkerungsanstiegs für das zehnte Jahrhundert zu vermuten. (Bois, S.127ff etc.) Dieses Wachstum fördert an einzelnen Punkten den Druck, technische Neuerungen zu übernehmen und vor allem auch geeignete Ländereien zu roden bzw. trocken zu legen und so intensiverer Bewirtschaftung zugänglich zu machen.
Das Wort Technik ist erst im 18. Jahrhundert aus dem Französischen in die deutsche Sprache gekommen und bis heute von beachtlicher Unklarheit. Der Weg von der altgriechischen techne bis dahin ist durch die mangelnden Griechischkenntnisse im Mittelalter verbaut. Hier soll das Wort die Nutzung menschlicher Artefakte, also von Werkzeugen, Geräten und Maschinen bezeichnen, also Gegenstände samt der Fähigkeit, sie zu benutzen.
Der Nachantike fehlte wie der Antike ein solches Konzept, stattdessen erhielt sich das lateinische ingenium. Auf unseren heutigen Technikbegriff angewandt, wird daraus unter Bedingungen der Anfänge von Kapitalismus im 11. Jahrhundert der ingeniator und im ganz späten Mittelalter der französische ingénieur, der auch erst im 18. Jahrhundert in die deutsche Sprache einwandert.
Gerne wird gelegentlich behauptet, das Christentum sei für die Aufwertung von Handarbeit und für technischen Fortschritt förderlich gewesen, und man belegt das unter anderem mit der kirchlichen Nachfrage nach Bauten und schmückenden Gegenständen (siehe z.B. Bayerl, S.18ff), aber das setzt die Kirche nicht von anderen zivilisierten Religionen und Kulten ab. Es ignoriert auch die technische (und kommerzielle) Überlegenheit der islamischen Welt und Chinas bis etwa ins 12. Jahrhundert.
Technische Intensivierung entwickelt sich sehr langsam, dafür beginnt schon zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert jene Extensivierung vor allem durch Rodung, in der einzelne große Waldgebiete auf vor allem höher gelegene Reste in einer immer agrarischer geprägten Landschaft reduziert werden, Dabei gehen immer mehr Tierarten zurück.
In einer ersten Phase werden seit dem Ende des 3. Jahrhunderts verloren gegangene Nutzflächen zurückgewonnen, aber schon in der Karolingerzeit nimmt wohl auch Rodung niemals zuvor intensiver genutzter Waldflächen zu. Vermutlich wird sie zumindest in Gallien nach dem 11. Jahrhundert nie mehr in diesem Umfang aus landwirtschaftlichen Gründen betrieben werden.
Praktisch gibt es wohl vor allem zwei Wege zu dieser Gewinnung neuer Nutzflächen. Entweder lassen Latifundienbesitzer oder Großbauern Sklaven diese Arbeit verrichten, oder aber sie beauftragen Kolonen oder freie Bauern damit und sichern ihnen dafür einen Anteil, wohl oft die Hälfte, als ihr Besitztum zu. Weniger "legaler" Raubbau an Wäldern und Feuchtwiesen geht wohl aus Eigeninitiative kleiner freier Bauern hervor.
Auch in der Nordhäfte Italiens sind große Landschaften Sümpfe, Wälder und andere Naturlandschaft. Zu den Pflichten der abhängigen Landbevölkerung kann dann die regelmäßige Jagd auf wilde Tiere gehören, um das Kulturland zu schützen. (*26)
Ein Weg, Kulturland zu gewinnen, wird es auch hier, Leute dort anzusiedeln, denen dafür größere Freiheiten gewährt werden. Der Aufstieg des Hauses Canossa beginnt in den wirtschaftlich ungenutzten Marschen des Po und wendet sich dann den nur etwas weniger unwirtlichen Apeninnen zu, wobei man darauf achtet, in geschlossenen Gebieten Herrenrechte anzusammeln. Die Markgräfin Mathilde, mit diesem Titel allerdings nicht belehnt, geht nicht zuletzt über Klostergründungen in der Poebene, ihrem Kernland, dabei voran, indem sie solche Gründungen in unkultivierte Gegenden verlegt, und die Klöster damit zur Schaffung von Kulturland bringt. (Elke Goez).
Weinbau beginnt dabei, eine Tendenz in Richtung Monokultur einzuschlagen. In der Umgebung von Bergamo soll Wein schon etwa ein Drittel der gesamten Anbaufläche einnehmen.
Vermutlich (wichtigste Qualifizierung von Äußerungen noch über das zehnte Jahrhundert) setzt das durch Einführung technischer Neuerungen hervorgerufene Wachstum in der Landbewirtschaftung schon in der Karolingerzeit punktuell ein. Der Ackerbau ist zunächst extensive und knochenharte Zweifelderwirtschaft aus bewirtschafteter Fläche und Brache, wobei Ochsen Hakenpflüge ziehen, die in die Erde gedrückt werden müssen und manchmal vorne auch Räder besitzen (die carrucae).
Von Ochsengespannen gezogene erste hölzerne Beetpflüge mit Rädern, die die Schollen umwenden und das Pflügen in nur einer Richtung anstelle von Querpflügen ermöglichen, kommen wohl lokal seit dem 7. Jahrhundert an wenigen Orten Mitteleuropas auf. Im 10. Jahrhundert kommt, zunächst eher selten, die eiserne Pflugschar dazu, eine Neuerfindung, die vermutlich zunächst auch sehr teuer ist. Der Pflug besteht nun aus der senkrechten Sech, der waagerechten Schar und dem Streichbrett.
"Der Vorgang erforderte mindestens zwei menschliche Arbeitskräfte: Den Treiber, der das Vieh führte, und den Pflüger, der den Pflug in den Boden stemmte. Nach dem Pflügen wurde der Boden mit Strauchwerk oder mit der Egge, die sich noch nicht allgemein durchsetzte, geebnet und von Hand besät. (...) Bei der Ernte, durchweg mit der kurzen Sichel, ließ man die langen Halme als Viehfutter stehen." (GoetzEuropa, S.198)
Ähnlich vereinzelt taucht der Hufeisenbeschlag und das Kummet für Pferde auf, die dann zu effektiveren Zugtieren werden können. Die Hufe der Pferde sind grundsätzlich nicht so belastbar wie die von Ochsen, weswegen die, die es sich leisten können, sie beschlagen. Das neue Handwerk der Hufschmiede beginnt sich zu verbreiten. Die höhere Zugleistung der Pferde wird aber nur erreicht, wenn es nicht wie der Ochse mit dem auf dem Nacken aufliegenden Jochgeschirr versehen wird, sondern mit dem auf der Schulter liegenden, gut gepolsterten Kummet, welches besseres Atmen und freieren Blutkreislauf ermöglicht. Damit nun leistet das Pferd die vier- bis fünffache Zugkraft eines Ochsen. Wie der eiserne Scharpflug verursacht auch der neue Pferde-Einsatz erst einmal erhebliche Kosten, weshalb er sich nur sehr langsam durchsetzt.
Die Sichel wird nun nicht mehr zum Ährenschnitt eingesetzt, sondern der ganze Halm wird geerntet und nach Abtrennen der Ähren als Einstreu und Winterfutter verwendet. Da man sich dafür tiefer bücken muss, beginnt nach und nach der Übergang zur Sense, die sich im 12. Jahrhundert auch für den Getreideschnitt durchsetzt, nachdem sie bereits seit dem 9. Jahrhundert für den Grasschnitt eingesetzt wurde. Die Nachfrage nach immer besseren Klingen fördert die Metallverarbeitung.
Einzelne Fälle von Dreifelderwirtschaft tauchen wohl schon in der Merowingerzeit auf, aber sie wird sich mit ihren Gewannen, Fluren und der Dorfbildung erst nach dem 10. Jahrhundert stärker durchsetzen und dabei die Nahrungsproduktion weiter vergrößern. Im Prinzip geht es darum, in einer Flur zwei Fruchtfolgen mit einem Brachgewann zu kombinieren, in der Regel Wintergetreide mit solchem des Sommers (Hafer, Gerste) und Erbsen, Linsen oder Bohnen, und mit einer dritten Fläche als Brache, teilweise mit Hülsenfrüchten im Feldbau. Die Zeit der Brache erhöht die Boden-Ertragsfähigkeit, die erhöhte Produktivität bringt mehr Nahrung, und die Leguminosen steigern das Maß der erzeugten Proteine und erhöhen die Bodenfruchtbarkeit durch Stickstoffdüngung. Zudem kann auch mehr Futter für Zug-Pferde erzeugt werden, mit denen größere Flächen beackert werden können. Das Brachland wird gelegentlich auch noch als Weideland genutzt, wobei die Tiere mit ihren Exkrementen die Erde düngen.
Mit der Technik bzw. den Techniken sind erhebliche Veränderungen in den Verhältnissen zwischen den Menschen verbunden. Die drei Fluren oder Feldmarken sind in sich geschlossene Gebiete, an denen jeder Bauer seinen Anteil hat. Dafür muss es eine Art "Flurbereinigung" gegeben haben und die Zusammenarbeit der Bauern, die nun nicht mehr in Streusiedlung auf einer Grundherrschaft hausen, sondern in Dörfer zusammensiedeln und ansatzweise genossenschaftlich zusammenarbeiten, was zunächst ihre Stellung gegenüber dem Grundherrn aber nicht verändert. Bis ins 11. Jahrhundert lassen sich bei der geringen Überlieferung nur an wenigen Orten solche Neuerungen feststellen.
Aber im wesentlichen sind wir damit bereits im 11. und 12. Jahrhundert.
Die technischen Veränderungen, Kummet und insbesondere Wendepflug und die langsam zunehmende Verwendung von Eisen und überhaupt Metallen bei den Arbeitsgeräten verlangen mehr Einsatz von Geld für Beschaffungen auf einem Markt.
Das Wort Maschine beginnt seine Entwicklung vom griechischen mechané über die lateinische machina und bedeutet im Mittellateinischen noch nicht unsere moderne "Maschine", die im 17. Jahrhundert, aus dem Französischen entlehnt, zunächst die Belagerungsmaschine meint. Erst mit der beginnenden Industrialisierung des 18. Jahrhunderts setzt sich die allgemeinere Bedeutung durch. In unserem Mittelalter taucht vor allem machinari und machinationes auf, was dann sehr negativ Machenschaften meint.
Die einzige, aber enorm wichtige Maschine des Mittelalters stellt die Mühle dar, die es als Wassermühle schon im antik-römischen Kaiserreich gab, und zwar sowohl solche, die von im Kreis gehenden Sklaven oder Zugtieren betrieben wurden, die als Teil der Maschinerie fungierten, wie auch Wassermühlen. Sie dienten im wesentlichen dem Mahlen von Getreide und wurden dann in die Nachantike und das frühe Mittelalter hinein übernommen, bei erheblichem Rückgang ihrer Anzahl.
Weitere Verbreitung scheinen sie erst in der Karolingerzeit zu bekommen, und sie tauchen auch dort auf, wo es keinen bedeutenden Großgrundbesitz gibt (Bois, S.141). Mit dem zunehmenden Anteil von Getreide an der Landwirtschaft werden Mühlen zum Mahlen des Mehls immer wichtiger.
Für das Kloster Corbie wird dann wieder für die Zeit Karls des Großen von der Anlage von Kanälen für jeweils sechs Mühlräder berichtet, und für das Kloster Prüm in der Eifel für 897 bereits von rund 50 Mühlen.
In den Klöstern ist Belesenheit zuhause und eine Finanzkraft, aus denen Maschinenbaukunst erwachsen kann. Dabei handelt es sich zunächst im wesentlichen um Getreidemühlen, die das zeitaufwendige Mahlen per Hand ablösen, welches der ländlichen Bevölkerung in den Grundherrschaften aber oft durchaus noch sehr lange für seine Selbstversorgung vertraut bleibt.
Im 10. Jahrhundert sind Mühlen bereits weit verbreitet, andererseits verlangen sie erheblichen Aufwand zu ihrer Errichtung und Unterhaltung. Das leisten Grundherren, die sich ihre Nutzung mit Dienstleistungen oder Abgaben bezahlen lassen.
Ihre Funktion ist zum einen, die Arbeit des Getreidemahlens erheblich zu beschleunigen, also Arbeitskraft davon freizusetzen, zum anderen aber bedeutet sie immobiles Kapital, welches die Macht von Grundherren steigert. Verrechtlicht wird sie durch den Mühlenbann, wie er überwiegend dann im 11. Jahrhundert auftaucht, also dem Zwang, gegen Abgaben die Mühlen des Grundherrn zu benutzen.
Die für ihren Bau nötigen technischen Fertigkeiten fördern wiederum spezialisiertes Handwerk, welches zunächst noch vorwiegend auf dem Lande angesiedelt ist.
Handwerk
Die landwirtschaftliche Produktion, in der die meisten Menschen arbeiten, schafft die Basis für die Nachfrage bei Handwerk und Handel. Während das Agrarland und die Landbevölkerung mehr werden, steigt die Produktivität bis ins 11. Jahrhundert allerdings nur geringfügig, und sie wird immer wieder insbesondere durch Wetter-Schwankungen massiv eingeschränkt, aber es können doch offenbar insgesamt damit mehr Menschen ernährt und die Märkte mit mehr Waren beliefert und solche nachgefragt werden.
Handwerker gehören noch immer weitgehend den familiae der Grundherren an, die erst langsam ein eigenes Interesse daran entdecken werden, den Untergebenen Spielräume zu geben, um Märkte zu bedienen. Soweit sie nur Aufträge ihrer Herren ausführen, sind sie nur wenig an einem Marktgeschehen beteiligt. Dies nimmt erst zu, wo sie auch auf den Markt als Ort von Nachfrage hin spekulierend eigenständig produzieren. Förderlich dafür ist, bei noch viel Tauschwirtschaft, dass der Geldumlauf langsam zunimmt. Abgaben an Kirche und Grundherren werden manchmal stärker auch in Geld geleistet. Wo aber mehr Geld zwischen die Menschen tritt, sinkt tendenziell die Macht persönlicher Bindungen.
Was in der Schwellenzeit überall in Kerngebieten des lateinischen Abendlandes stattfindet, ist eine Tendenz zu stärkerer Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land.
Dort, wo für die Herren die Produktion ihrer familia abhängiger Produzenten nicht ausreicht und mehr Geld vorhanden ist, wird auf dem (zunehmend auch städtischen) Markt Kleidung und Nahrung zugekauft. Dafür senden die Klöster weiter vor allem eigene Händler über Land zu wichtigen Marktplätzen. Marktwirtschaft entfaltet sich langsam. Andererseits versuchen Klöster nach Möglichkeit besonders auch Wein über den eigenen Bedarf hinaus zu produzieren, und so wie auch gegebenenfalls Salz zu verkaufen.
Seit dem Ende des 9. Jahrhunderts lösen sich erste grundherrschaftliche Weinbauern aus dem Hufenschema und werden so zu Berufswinzern, die nun Getreide und Fleisch eher eintauschen oder dann auch einkaufen müssen.
In den 'Honorantie civitatis Papiae', überwiegend kurz nach dem Millennium redigiert, tauchen als Handwerke unter königlichem Schutz eine Anzahl ministeria (Dienste) auf: Kaufleute, Finanzleute bzw. Münzer (monetarii), Fischer, Lederhandwerker, Seifen- und Parfumhersteller, Bootsleute, die alle Abgaben an den Kammerherrn zu leisten haben (§12-14, 19).
Überliefert ist vor allem der erhebliche und kunstvolle Schmuck reicher Kirchen. Zur Luxusausstattung gehören Wandteppiche aus Wolle und Leinen, wie sie für Cluny überliefert sind, und Ende des Jahrhunderts stiftet ein Graf bemalte Kirchenfenster für die Abteikirche von Tegernsee statt der Tücher, die bislang die Fenster bedeckten. In Westfranzien gab es da schon über hundert Jahre wenigstens in Blei gefasste Glasfenster. 1003 ist in der Abteikirche Prüm ein großer Radleuchter aus Gold und Edelsteinen über dem Hauptaltar installiert, davor einer mit Glöckchen, dann sieben silberne und 13 kleinere. Dazu gibt es zwei goldene und sieben andere Lampen aus Gold und zwei weitere, und 13 silberne Leuchter, einer mit der Darstellung eines Löwen verziert.
Inwieweit gewerbliche Produktion über Luxusproduktion hinaus zu einer Zunahme des Handels beiträgt, lässt sich ansonsten nicht leicht erkennen. Textilproduktion und Töpferei zum Beispiel werden noch nicht durch technischen Fortschritt verändert.
Aber der Gewaltcharakter von Herrschaft schafft technischen Fortschritt in der Gewaltausübung, der wiederum eng verbunden ist mit jenem Fortschritt, der Gewalt und Wirtschaften so miteinander verbindet, dass daraus im 10./11. Jahrhundert ein neuartiger Adel hervorkommen kann, der sich dann mit dem Begriff vom Ritter verbinden wird.
Solch technischer Fortschritt wie die Nutzung der Trense beim Schlachtross, und besonders die die Erzförderung und Metallverarbeitung vorantreibenden Hufbeschäge, die Steigbügel und die Eisenhüte noch ohne Gesichtsschutz sowie die Kettenpanzerungen deuten bereits an, was als "Rüstungsproduktion" bis heute zu immer neuen Scheußlichkeiten geführt hat, in denen sich Menschen als eine Art Abschaum der Natur erweisen.
Bergbau
In der späten Jungsteinzeit kommt der Gebrauch von Kupfer, Gold und Silber auf, seitdem gibt es Bergbau da, wo solche und dann auch andere Metalle wie Zinn und viel später Eisen vorkommen sowie auch sogenannte Edelsteine. In diesen Zeiten werden zugleich Kulturen von aufsteigenden Machthabern in zum Teil langsamen Prozessen in Zivilisationen verwandelt. Bekannt ist die Gier nach edlen und unedlen Metallen, die die Kriege der antiken "Römer" begleiten und ganze Landschaften wie zum Beispiel in Baetica dafür durch Einsatz von Sklaven zerstören lassen.
Insbesondere Edelsteine, Silber und Gold erwecken in Männern wie Frauen Besitzgier und Eitelkeit, für die sie immer wieder auch über Leichen gehen. Bronze und dann Eisen werden zu Mitteln ihrer Machtgier und grenzenlosen Brutalität.
An alledem ändert sich nichts in den Reichen der Nachantike. Alles was den neuen Herrenmenschen den Einsatz von Gewalt wert ist, und dazu gehören Edelsteine und Metalle, eignen sie sich zunächst genauso an wie die antiken Herren.
Mit dem Ende des weströmischen Imperiums kommt es zum erheblichen Rückgang des Bergbaus als Teil der ländlichen Grundherrschaft, der bis ins 10. Jahrhundert hinein anhält. Mangel an Gold, Silber, Eisen, Blei und Kupfer wird deutlich. Metallverarbeitende Produktion, ebenfalls oft in Grundherrschaft z.B. in Ansiedlungen an Abteien integriert, geht mehr noch als übriges Handwerk zurück. Mitten im 10. Jahrhundert beginnt sich das dann wieder zu ändern. Es gibt nun wieder vielerorts eisenverarbeitende Kleinbetriebe, aber das Erz wird weiter in Rennöfen bei etwas mehr als 1000 Grad verflüssigt, und so das Roheisen getrennt. Propagandisten der Mächtigen wie ein Otfried in seinem Evangelienbuch des 9. Jahrhunderts, welches er Ludwig ("dem Deutschen") widmet, feiern das fränkische Ausplündern der Erde beim Gewinnen von Gold, Silber, Kupfer und Edelsteinen.
Bei der Metallverarbeitung geht es vor allem um Waffen, aber auch um landwirtschaftliche Geräte oder zumindest eiserne Teile davon, wie bei Sensen, Pflügen oder Fassbändern.
Wo es nicht Könige sind, sind es vor allem mächtige und reiche Klöster, die eben nicht nur von Agrarprodukten und handwerklichen Erzeugnissen einer von ihnen unterdrückten Bevölkerung Reichtümer und Macht aufbauen, sondern auch vermittels des Bergbaus. Dazu erwerben sie erzreiche Gebiete, die zum Teil viele hundert Kilometer von ihrem Zentrum entfernt sind. St. Denis bei Paris besorgt sich so erzhaltige Gebiete im Breisgau, ähnlich wie auch Lorsch, St. Gallen und andere vorgehen. An Klöstern angesiedelte Waffen- und Alltagsgüter-Produktion bedient sich dann ihrer Rohstoffe.
Ähnliche Bedeutung hat der Bergbau für Stadtherren. Der Basler Bischof schafft es so, im Zuge der Burgundpolitik deutscher Könige/ Kaiser die Kontrolle über den ganzen Breisgauer Bergbau, die Silberproduktion und die Münze dort zu erlangen. Indem er zugleich den Wildbann dort erhält, kann er die Ausplünderung der Erde mit jener rabiaten Nutzung des Holzes der Wälder als Brennstoff verbinden, die aus Erzen erst Metalle macht.
Das Land in England und Irland
Zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert findet in England, regional etwas unterschiedlich, in etwa eine Entwicklung wie in den Frankenreichen statt: Der Anteil freier Bauern (ceorlas) verringert sich, und sie müssen nun Abgaben in Naturalien und Geld leisten sowie Arbeiten für Herren wie Pflügen und Schafschur. Nach und nach werden diese Herren praktisch Eigentümer ihrer Höfe. Freie und Unfreie gleichen sich langsam an. Die produktiv das Land Bearbeitenden geraten unter immer stärkere Belastungen, der Prozess der Zivilisierung schreitet voran.
Zur englischen Villifikation gehört die hide, die in etwa der Hufe entspricht, dem Areal, auf dem eine Familie Getreideanbau leisten kann. Der Bauer (geburo) hat für seinen Herrn Pflugdienste zu leisten.
Dorf und Landgut eines thegn (kriegerischer Grundherr) fallen nun öfter zusammen, ähnlich wie es die Situation in der Île de France ist. In einigen Gegenden entsteht so eine von Landgütern mit zugehörigen Dörfern geprägte Landschaft. (Wickham(3), S.467f) Der Anteil freier, unbelasteter Bauern ist bald noch geringer als in den Frankenreichen. Größter Grundbesitzer aber wird in dieser Zeit der König, was unter den Dänen und dann den Normannen noch eklatanter wird über ihre Enteignungen englischer Oberschicht. Damit übertrifft er mit seinem Anteil an Landbesitz sogar die kontinentalen Herrscher.
England besteht bereits im 10. Jahrhundert im wesentlichen aus Nutz-Landschaft. Was nicht Acker und Weide geworden ist, ist in vielerlei Form genutztes Waldland. Am Ende des Jahrhunderts sind die Bären ausgerottet und Wölfe und Biber haben sich in sehr entlegene Gegenden zurückgezogen. Die Könige und die Magnaten beginnen, immer mehr Wald- und Weideland für ihre Jagden in Parkland zu verwandeln, woraus dann nach der normannischen Eroberung die königlichen "Forsten" (forests) werden.
Die Landwirtschaft produziert zumindest Überschüsse für Abgaben an den Herrscher wie das geld, den Zehnten für die Kirche und Abgaben an die direkten Herren, darüber hinaus im 11. Jahrhundert auch schon für den Markt, zumindest was tierische Produkte angeht, denn viele der Abgaben werden inzwischen in Bargeld entrichtet (Dyer, S.39). Geld wird wohl auch mit Nebenbeschäftigungen erwirtschaftet, manchmal mit Fischerei, Holzfällen, Holztransport und in Steinbrüchen. Andererseits erwerben Bauern auf dem Markt Handmühlen und eiserne Ackergeräte.
In einem breiten Streifen vom östlichen Schottland, Northumberland, die Midlands und dann bis Dorset und Hampshire beginnt bereits im 10. Jahrhundert das Zusammensiedeln von Bauern (ceorl, gebur) in Dörfern von zwischen zwölf und sechzig Haushalten, welches bis ins 12. Jahrhundert anhält (Dyer, S.19). Die Dörfer wirken geplant mit gleich großen Hofgrundstücken entlang einer Straße.
Grund ist wohl die gemeinsame Organisation von Feldfluren mit ihren Ackerstreifen und von Weide und Wald in gemeinsamer Nutzung, und das weist darauf hin, dass der Kern der Landwirtschaft hier Ackerbau (Getreide, Bohnen, Erbsen) ist. Wenn Bauern eines Dorfes in der Abhängigkeit mehrerer manors mit ihren Herren stehen, bilden die dennoch eine Gemeinschaft zur Regelung vieler interner Angelegenheiten.
Gemeinschaftsbildend wirkt wie auf dem Kontinent die ländliche Pfarrei, denn die Herren lassen nahe der Dörfer und noch näher bei ihrem manor house jeweils eine Kirche bauen, was Handwerk auch auf dem Lande fördert: Steinmetze, Zimmerleute, schmückendes Handwerk. Vornehmere südenglische Herren lassen wertvollen Stein sogar von der Isle of Wight kommen oder aus der Gegend von Caen.
Die Erträge dürften wie auf dem Kontinent gering gewesen sein, selbst die Nutztiere sind auch hier noch viel kleiner als heute, - ein Schaf wiegt nur die Hälfte eines heutigen.
Nachdem bis ins 10. Jahrhundert hin alles Land aufgeteilt ist, kann man sehr große und sehr kleine Grundbesitze (estates aus manors) unterscheiden. Darin arbeitet eine halbe Million bäuerliche Haushalte für einige tausend der edlen Kriegerschaft. An deren Spitze wiederum steht der König, darunter ealdormen wie in Hampshire Aelfheah, in dessen Testament von etwa 970 große Grundbesitzungen in mehr als sechs shires vorhanden sind, die über 700 hides (also kleine Weiler) umfassen. Darunter stehen die, welche gelegentlich auch hier als proceres bezeichnet werden, wohlhabende Vornehme also, die über wenigstens 40 hides verfügen, und von denen es im 11. Jahrhundert fast hundert gibt. (Dyer, S.74) Solche großen Herren besitzen erhebliche Gelder und Schätze, ein Ealdorman vergibt um 980 zum Beispiel in seinem Testament Gold und Geld für mehrere hundert Pfund. Diese Herren haben feudale Häuser mit großen Hallen für festliche Empfänge, Silbergeschirr und kostbare Waffen und Rüstungen. Ihre Gebäude umgeben sie meist mit Wall, Holzpalisaden und Graben, aber eigentliche Burgen bauen sie ähnlich wie in deutschen Landen noch nicht.
Große Herren sind natürlich auch die Bischöfe und die größeren Klöster, die schon mal über 300 hides besitzen. Anders als im Frankenreich entsteht kein Ansatz zur Bannherrschaft.
Die kleineren Herren, mehr als 4000 thegns, haben direkt mit Sklaven und unfreien Bauern bewirtschaftetes Land des Herrenhofes, und daneben solches, welches eher persönliche Freie auf Einheiten, die der ursprünglichen Bedeutung von hides entsprechen, gegen (Natural)Abgaben vor allem bewirtschaften. Wenigstens fünf hides sollte ein solches Anwesen umfassen.
Solche klein"adelige" Güter sollen den Herrn mit einem Schlachtross, Rüstung, Waffen und gutem Tuch ausstatten, welche seinen edlen Status demonstrieren. Solche Herren stehen für Waffendienste, Verwaltung und Gerichte dem König und oft auch größeren Lords zur Verfügung. Früh"feudale" Verpflichtungen im Ereignisfall (Todfall etc.) werden bereits in Geld bezahlt.
Kleinere Herren sind auch die in Minstern zusammenlebenden Geistlichen, die manchmal verheiratet und recht begütert sind, und manchmal sogar mehrere Höfe besitzen.
Urbare geistlicher Herrn und von Klöstern, wie es sie auf dem Kontinent gibt, fehlen. Besonders aus den überlieferten Käufen von Klöstern wissen wir, das es bereits einen Markt für Land gibt, auf dem Ländereien gegen Geld ge- und verkauft werden. Geld spielt auch eine Rolle im Umfeld der noch kleinen Städte. "...the 800 inhabitants of a town of modest size would eat and drink der produce of 1000 acres of arable land, and over a large area would generate demand for livestock and wool." (Dye, S.35)
Die Sklaverei blüht noch bis Anfang des 11. Jahrhunderts, als selbst geringere estates 10 bis 30 Sklaven haben, denen es allerdings besser geht als in früheren Zeiten.
So etwas wie die fränkische Grundherrschaft entsteht in Irland nicht. Höhere Klienten der großen Herren werden mit Vieh belehnt, wofür sie Jungvieh zurück geben müssen. Niedere Klienten, die kaum Zugvieh haben und keine entsprechenden Dienste leisten können, geben "Fleisch, Wurst oder Schinken" ab, manchmal auch Getreide aus dem als niedrig angesehenen Ackerbau. (Mitterauer(2), S.57)
Das Land in Galizien und Asturien-León
Im Kern ähneln sich die Verhältnisse überall im ehemaligen weströmischen Reich: Das Eigentum an nutzbarem Land ist verteilt auf Menschen, die zugleich damit (wehrhafte) Freie sind, aber es gibt größere Gebiete, die der Natur überlassen sind und der Nutzung erst noch harren. Große Teile derer, die das Land bearbeiten, sind Herren untergeordnet bzw. leben und arbeiten in direkter Abhängigkeit von ihnen.
Das christliche Nordspanien stellt ein wenig eine Besonderheit dar, als es Rückzugsgebiet und Front gegenüber dem aus Nordafrika einmarschierten militanten Islam ist. Hin zum Atlantik ist es geteilt in das Gebiet der nördlichen Kordilleren und der Atlantikküste noch nördlich davon, welches abgesehen von gelegentlichen Verwüstungen von islamischer Dominanz verschont bleibt, und jenes seit der Mitte des 10. Jhs. zurückeroberte südlich davon bzw. nördlich des Duero. Dort entsteht viel bäuerliches Eigentum durch Landnahme bzw. Kultivierung von "Ödland".
Städte gibt es zunächst kaum. Ortschaften als Ansammlungen von Gebäuden tauchen ausschließlich als villae auf, die in einen Gebäudekern und dazu gehörige Ländereien aufgeteilt ist, deren Grenze auch die des Ortes (locus) ist. (*27)
Mit den islamischen Eroberungen kommt es zu einem kaum quantifizierbaren Flüchtlingsstrom in den Norden, mit dem neue villae gegründet werden und Naturland kultiviert wird. Daraus nähren sich dann auch größere Orte, die im 10. Jahrhundert als civitates bezeichnet werden. (*28)
Nach dem Ende des Westgotenreiches gibt es dörfliche Gemeinschaften nördlich des Duero, die sich als concilium zusammenfinden und noch nicht als homines eines Herrn, sondern als Leute eines Ortes definiert werden (Godoy, S.57) Das ist anders als wenn Robert Fossier für Westfranzien sagt, dass das Dorf um 1000 aus dem encellulement um Burg, Friedhof und Kirche entsteht oder Toubert und andere für Italien aus dem encastellamento. (*29)
Es gibt ein zunächst schlecht dokumentiertes Gemeineigentum an Wiesen, Weiden, Wäldern (Bergen), Mühlen, Fließgewässer, Quellen. Der Einzelne entwickelt immer definiertere Anteile an Tagen und Stunden daran, was dann besonders bei den Mühlen später auch dokumentiert ist, insbesondere, weil solche Anteile verkauft oder verschenkt werden können. 959 verkauft ein Selano und seine Frau dem Kloster Santiago de Valdávida seine Rechte an den Mühlen am Cea, nämlich die Nutzung an neun Tagen und Nächten. (Godoy, S.61)
Die Villa kann sowohl Ort der Machtausübung eines Herrn sein wie auch ein Dorf freier Bauern, aber auch eine Mischung aus beidem, wo Herren sich einen Teil des Ortes und seiner Ländereien angeeignet haben. Ein Teil des Herren- Eigentums bewirtschaften dann Bauern, ein Teil (die Hälfte?) wird direkt bewirtschaftet.
Die Masse der abhängigen Bauern sind wohl servi casati in erblicher Knechtschaft gegenüber einem dominus, und sie können wie Sachen von einem Herrn auf einen anderen übergehen und leisten ähnliche Dienste und Abgaben.
Zunächst existieren wohl keine formalen Gerichte in den dörflichen Gemeinschaften für offenbar hauptsächlich Eigentumsdelikte, aber auch Ehebruchsfälle und ähnliches. Dabei kann einer der Dorfeigentümer, also Familienoberhäuper, eine Art Richterrolle übernehmen. In einem Beispiel werden omines bonnos zusammengerufen, die eine Übereinkunft (placitum) schaffen. Dann tauchen sayones als visigotische Richter des Königs auf. (*30)
Daneben gibt es in der Gemeinschaft auch Hilfe auf Gegenseitigkeit, die aber selten dokumentiert ist. Man dient gegenseitig als Zeuge bei Verkäufen und Schenkungen, meist dient zudem das concilium bzw. die collatio des Ortes als kollektiver Zeuge. 979 erscheinen so als Zeugen der Schenkung eines Weinbergs, eines Stückes Land und von Vieh eines Julian ans Kloster Sahagún alios plures de concilio de Melgare de Forakasas, von wo her die Schenkung stammt (Godoy, S.58) Das concilium hat wohl keine festen Termine, sondern die Versammlung der Dörfler findet im Bedarfsfall statt.
Reduzierung des Gemeineigentums bedeutet langsam mehr Gewicht auf dem Privateigentum (Carlos Estepa Díez). Darüber kann man hier aber nur Vermutungen anstellen. Auffällig ist das Maß an Kauf und Verkauf von Landstücken und Rechten schon im 10. Jahrhundert, also das Ausmaß von Geldumlauf.
Wie weit das Vermögen großer Bauern sich bereits früh von dem kleinerer unterscheidet, belegt der Fall des Ehepaares Menicio und Abola:
"Im Verlauf der sechzehn Jahre zwischen 898 und 914 kauft das Paar von anderen Einwohnern einen Garten, eine llosa, zwei Häuser und wenigstens fünf Äcker in verschiedenen Teilen des Ortes Villa de Monna, wofür sie soviel mit Geld wie mit Tieren bezahlten. Schließlich überführten sie einen Teil dieses Eigenbesitzes (vielleicht ein fünftel dessen, worüber sie frei verfügen konnten) in die Rettung ihrer Seelen, was aber erst nach ihrem Tod wirksam werden sollte: Einen Weinberg in Villa de Monna ans Kloster San Cosme und San Damián und ein anderes Stück Land in Vega de Orga an das Kloster Santiago de Cellariolo." (Godoy, S.73, m.Ü.)
Andere Reiche besitzen zusätzlich größere Anteile an der Nutzung von Mühlen und größere Rechte an der Nutzung von Fließgewässern. Das bringt ihnen bereits im 10. Jahrhundert Gelder ein, mit denen sie feinere Textilien, Gegenstände aus Silber und militärische Ausrüstung beschaffen können.
Der Herrenhof heißt oft curtis oder palatium im 10. Jahrhundert. Der Herr ist abgabenfrei, übernimmt immer mehr Rechtsprechung, kann sich frei zwischen den comissa, eine Vorform von Grafschaften, bewegen und bei genügend Besitz diesen von Verwaltern beaufsichtigen lassen, so dass er sich vor allem auf den Genuss seiner Einkünfte konzentrieren kann. Im 10. Jahrhundert taucht für diese Herren häufiger der Begriff potestates auf. Die Grenzen zwischen Herrn und Bauern sind aber noch durchlässig wie die zwischen abhängigen und freien Bauern. Entscheidend ist vor allem wirtschaftlicher Erfolg.
Zudem gibt es königliche Besitzungen, die von den Statthaltern in den Bezirken verwaltet werden. Diese arbeiten aber ansonsten mit den concilia der Herren des comisso zum Beispiel bei höheren Gerichtsverhandlungen zusammen.
Für Galizien heißt das, dass es rund dreißig Bezirke als comisso gibt, die etwa den früheren Erzpriester-Bezirken entsprechen. Sie sind entsprechend klein und richten sich an geographischen Gegebenheiten aus: Grenzen sind Flüsse oder Wasserscheiden. In Dokumenten werden sie darum auch als Täler bezeichnet. Der königliche Vertreter im comisso ist militärischer Befehlshaber und hebt so Truppen aus. Er sammelt den Vierzigsten der Freien ein und organisiert die concilios, in denen die Freien sich versammeln, die zunehmend nur noch die filii bene natorum sind.
Bei den Gerichten setzt er für den Einzelfall iudices ein. Daneben treten die Sayonen als Rechtskenner auf, die weniger bedeutende Fälle aburteilen.
Diese Einheiten erlauben einen Tagesritt zu jedem beliebigen Ort. Im 10. Jahrhundert werden comes (Grafen) über mehrere benachbarte comissa eingesetzt, die dem entstammen, was sich nun als höherer Adel versteht. Nicht nur sie, sondern ebenfalls als Adel herausragende Familien beginnen mit Burgenbau oder wenigstens dem eines Turmes. Neben der islamischen Bedrohung gilt das vor allem die der Normannen, die immer wieder Gegenden verwüsten. Die Zentren des comisso werden so zerteilt in einzelne Adelsherrschaften, die auch von Gegenleistungen für Militärdienst profitieren.