STADT 1:  (1000-1125) (Anmerkungen in Anhang 26)

 

 

Ausgangspunkt: Die Macht in der Stadt

Kirche in der Stadt

Bürger und Stadt

Von den Gesellschaften zur Gemeinde

Reform und Gemeindebildung in Italien (Mailand / Reform / Pataria und Partizipation / Florenz)

Der Weg ins Mailänder Konsulat

Der Sonderfall Venedig

Übriges Italien

Deutsche Städte im Investiturstreit (Köln / Mainz / Worms / Augsburg)

Kommunale Bewegung in Westfranzien (Laon)

 

 

Der Ausgangspunkt: Die Macht in der Stadt

 

Eine übergeordnete Macht teilen sich im lateinischen Abendland Könige und Fürsten, aber die Könige sind bis auf den anglonormannischen Herrscher vor Ort  nur wenig präsent. Darunter gibt es eine breitere Herrenschicht von geistlichen und kriegerischen Grundherren, die teils in den Orten und teils außerhalb residieren. Diese Grundherren verfügen über Leute, die in unterschiedlicher Rechtsstellung das Land bearbeiten und solche, die für sie handwerklich arbeiten und Handel betreiben. Sie unterstehen dem jeweiligen Hofrecht ihres Herrn, welches im 11. Jahrhundert manchmal schriftlich fixiert wird.

 

Stadtherren sind bald fast überall (Erz)Bischöfe, außer in den mehr oder weniger noch an Byzanz gebundenen Orten, wo sie lateinisch duces heißen.

Die Verwaltung für die Herren in den Städten leisten vor Ort Dienstmannen mit der deutschen Besonderheit der Ministerialen. Vögte sind in den geistlichen Herrschaften für die Blutsgerichtsbarkeit und das Militär zuständig. Darunter gibt es Schöffengerichte, wobei diese mit Rittern und herausragenden Bürgern besetzt werden. Wo Herren mit dem Recht für einen Markt, eine Münze oder Zölle privilegiert sind, die sie zu Einnahmen berechtigen, setzen sie Münzer, Zöllner und eine Marktaufsicht ein. Dabei wird dann Grundherrschaft ein Stück weit zu Stadtherrschaft, allerdings werden Stadt und Land erst langsam zu klar getrennten Rechtsräumen.

 

Deutsche Lande

Da Bischofssitze seit der Spätantike (Synode von Serdica) in dem urbanen Zentrum von civitates zu liegen haben, kontrolliert der Bischof  von einer stadtähnlichen Siedlung aus ein geschlossenes geistliches Territorium, die Diözese, und daneben in dieser und außerhalb von ihr einen oft gewaltigen Flickenteppich an Besitztümern, Grund und Boden und Gebäuden, was Historiker „Hochstift“ nennen. Sein Ziel wird „Territorialisierung“ werden, also das geistliche mit einem möglichst ebenso geschlossenen weltlichen Gebiet in Übereinstimmung zu bringen.

 

Seit die Ottonen Bischofssitze als Pfeiler ihrer Herrschaft unterstützen, gewinnen mit ihnen die Städte an Bedeutung. Unter den Saliern nimmt die Bedeutung von Städten als Instrumenten von Herrschaft noch zu. Indem Bischöfe ihre Herrschaft in Stadt und Diözese ausbauen, beginnen ihre Eigeninteressen sich aber im Verlauf des 11. Jahrhunderts zu verselbständigen, und zunehmend wie die weltlicher Fürsten auch schon mal gegen den König zu richten. Inzwischen werden Bischöfe, Vasallen des Königs mit allen Verpflichtungen weltlicher Vasallen, immer mehr Herren in ihrem Bistum, was Voraussetzung ist für den Ausbau ihrer Städte. Nicht nur die Münze, sondern auch Zölle und Bergwerke, Forste und Wildbann kommen unter ihre Kontrolle, dabei immer mehr Grafschaftsrechte. Daraus, und nicht nur aus den geistlichen Einnahmen, entstehen jene Städte, in denen sich dann nach und nach Kapitalismus einnisten kann.

 

Das 11. Jahrhundert wird die große Zeit der Erbauung von Bischofspalästen. In Bamberg übernimmt der Bischof direkt die Königspfalz, in Freising und vielleicht auch Würzburg wird auf demselben Standort gebaut. Ansonsten entstehen die Bischofspfalzen meist an der Westfront des Domes. Schon vor 1000 entsteht die Residenz des Bischofs von Lüttich, einige Jahrzehnte später entstehen die von Eichstätt und Halberstadt. Allerdings ist von diesen Bauten heute kaum mehr etwas zu entdecken.

 

Nach dem Wormser Konkordat (1122) hat das Domkapitel das Wahlrecht für den Bischof, und es setzt dieses im 12. Jahrhundert auch in der Praxis durch. Dabei kommen immer mehr Adelige aus den eigenen Reihen auf den Bischofsstuhl. Bis tief ins 13. Jahrhundert werden Bischöfe in der Stadt und in ihrem Viertel residieren. Erst mit den dann zunehmenden Konflikten mit der Bürgergemeinde suchen sie sich dann Residenzen außerhalb, wie der Würzburger mit der zur Befestigung ausgebauten Marienburg.

 

Über die Hofhaltung im Inneren der Pfalzen erfahren wir um 1040 für Freising, dass es hier wie bei weltlichen Herren einen Marschalken, einen Kämmerer, den Mundschenk und Truchsess gibt.

 

Neben der Kathedrale und dem Bischofspalast steht das Gebäude des Domkapitels, also jenes Kollegiums, welches schon in fränkischer Zeit für den Bischof die geistlichen und weltlichen Angelegenheiten verwaltete und regelte. Immer wieder seit den Institutiones Aquisgranenses (Aachener Regeln) von 816 wird für das Kapitel mönchisches Leben inklusive Armut gefordert.

 

Domherren haben spezifische Aufgaben. Den Vorsitz hat jetzt der Propst als Vermögensverwalter, der für das Domkapitel die Aufgaben des Archidiakons übernimmt. Dann kommt der Dekan fürs Geistliche und für die Gerichtsbarkeit, der Scholaster für die Domschule, der Kantor für Musik und Gottesdienst, der Custos für den Domschatz usw.

Erzbischöfe haben zudem Archidiakone für die Verwaltung der großen Bezirke des erzbischöflichen Machtbereichs. Schon seit dem mittleren achten Jahrhundert sieht die regula canonicorum des Bischofs Chrodegang von Metz vor, dass der Archidiakon bischöfliche Aufgaben für die Diözese übernimmt.

 

Mit ihren Aufgaben beginnt nun die Ausgrenzung eines selbständigen Kapitelgutes, der mensa capitularis, aus dem Gesamtvermögen des Bistums. Die Verwaltung übernimmt in der Regel der Propst. Unter ihm kann das Kapitel ohne Zustimmung des Bischofs über Eigentum verfügen, über Schenkungen zum Beispiel, und Tauschgeschäfte und Veräußerungen durchführen. Das beginnt bereits im 10. Jahrhundert.

Den meist der Oberschicht entspringenden Domherren wurde bei Chrodegang erlaubt, die Nutznießung ihres eingebrachten Vermögens zu behalten. Das wird nun zunehmend wieder eingefordert.

 

Ursprünglich wohnten und lebten Chorherren zusammen nach einem Kanon aus Regeln (als Kanoniker), aber da ein immer größerer Teil von ihnen aus dem Adel kommt, und sie eine adelige Lebensweise vorziehen, erwerben bzw. bauen sie bald große Höfe aus Stein (curiae) im oder beim Dombezirk und leben dort vornehm und mit Dienerschaft. Die neuen Kurien bestehen aus Wohn- und Wirtschaftsgebäuden um einen Hof. Dazu gehören Wohnungen für das Gesinde, Stallungen und Scheunen.

Um 1113 essen sie in Würzburg immerhin noch zusammen, aber sie leben nun getrennt in ihrem Stadtteil im Dombezirk. (Leng, S.58 – Bild S.35)

 

Nach und nach wird der gesonderte Besitz des Kapitels als praebenda (deutsch: Pfründe) auf die Domherren aufgeteilt. Damit wird das Amt hochgradig lukrativ.

Entsprechend wächst die Bedeutung des meist vorhandenen Rechtes, beim Tod eines Mitgliedes des Kapitels einen Nachfolger zu kooptieren, und so schieben die Kanoniker Kinder aus ihrer Verwandtschaft in die Ausbildung am Dom, um sie dann in ihr eigenes Kapitel aufzunehmen.

 

In Trier lässt sich teilweise noch verfolgen, wie groß die neun Hektar umfassende Domimmunität ist, die um 1000 ummauert wird. Sie ist ein eigener Rechtsbezirk und auch ansonsten eine Stadt in der Stadt, und sie hat zudem mit der Liebfrauenkirche ihre eigene Pfarrkirche. Im 11. Jahrhundert gehören dazu neben Dom, Pfarrkirche und Bischofspalast auch die bis zu  20m hohen Wohntürme des hohen Domklerus, um den Domfreihof angesiedelt. Das sind Adelige und Ministeriale, ab dem 13. Jahrhundert praktisch nur noch Vertreter des Landadels. Dazu kommt ein Hospital, eine Mühle und Wingerte. Die Verwaltung findet im sogenannten Bruderhof beim Dom statt, hier kommen die Abgaben der Grundherrschaften an, und hier finden die Gerichtstage statt. 

Im Dombezirk wohnen neben den erzbischöflichen Ministerialen auch die niederen Dienerschaften der Herren, zudem Bäcker, Müller, Fuhrleute und andere.

 

Wo der Platz im ummauerten Dombezirk nicht reicht, siedeln Domherren bald außerhalb, aber in einem geschlossenen eigenen Viertel. Das geschieht zum Beispiel in Würzburg, und in Osnabrück kommt es dabei sogar zu einer gemeinsamen Ummauerung mit der bürgerlichen Marktsiedlung. Anderswo werden die Domherrenbezirke in der alten Domburg zu eigenen Rechtsbezirken. In den nächsten Jahrhunderten werden dann die Domherren-Kurien manchmal wie in Paderborn soviel Platz einnehmen, dass sie den Bischof mehr oder weniger aus dem Dombezirk verdängen. In Münster siedelt der Bischof seine Ministerialien in seinen festungsartig ausgebauten Wirtschaftshof in der Stadt, den Bispinghof um.

 

Ähnliche geistlich geprägte Stadtviertel entstehen bei anderen Stiften mit ihren Stifts- bzw. Kapitelherren und im Umfeld von Klöstern mit ihren familiae. Regensburg wird so von seinem Dom St.Peter, drei Benediktinerabteien und vier Stiftskirchen dominiert, neben denen es auch zwei Pfalzen gibt.

 

Einigermaßen vornehme Steinhäuser (Höfe) mit Nebengebäuden bauen sich bald auch die wohlhabenderen Ministerialen, bischöfliche, königliche und manchmal auch andere. Sie sind zunächst noch unfrei, leisten als Ämter bezeichnete Dienste, also Aufgaben der Verwaltung von Machtbefugnissen: Sie regulieren den Markt, betreiben die Münze, die immer deutlicher hier zu einer bischöflichen wird, wirken bei der Rechtsprechung mit und verwalten die bischöflichen Güter. Zudem übernehmen sie militärische Aufgaben, werden also zu (rechtlich noch unfreien) Kriegern neben dem Adel. Mit Pferd und Waffen werden sie bald zu denen gehören, die man später im deutschen Raum als Ritter bezeichnen wird, und sie werden so in zunehmende Freiheit aufsteigen. Entsprechend legen sie sich befestigte Häuser zu, Türme, werden in Burgen der Bischöfe eingesetzt und errichten sich dann auch eigene.

Die Spitze der Verwaltung und Gerichtsbarkeit bleibt allerdings vorläufig direkt in der Hand der Bischofskirche, wobei die Vogtei beim Übergang zum 12. Jahrhundert zunehmend durch einen Domherrn als camerarius urbis (Kämmerer) ersetzt wird, der die tatsächliche Arbeit dann an einen ministerialischen Kämmerer delegiert.

 

Ministeriale bekommen für ihre Dienste Grundbesitz und andere Einnahmequellen verliehen, die an Person und Amt gebunden sind, aber nach und nach erblich werden, zum Beispiel, indem die Söhne zur Schule geschickt und dann als Nachfolger durchgesetzt werden. Solche Ministeriale können im Laufe der Zeit in den Adel aufsteigen, sie können aber auch als Unternehmer mit dem Großbürgertum verschmelzen und so später einen Teil des Patriziates des späten Mittelalters bilden, nachdem sie schon im 12. Jahrhundert des öfteren den alten Adel an Reichtum übertreffen.

 

Zunehmend zusammen mit den Spitzen der Kaufmannschaft betreiben Ministeriale die Verwaltung der Städte im Auftrag des Stadtherren und steigen oft im Zuge der Kommunalisierung an die Spitze eines neuen Bürgertums auf, welche sich schnell von den übrigen, zusammen mit den reichsten unter ihnen, als Meliorat und später Patriziat abzusetzen versucht.

 

Der Einsatz von Ministerialen schiebt eine ganze Schicht zwischen Herren und „einfachem Volk“, mediatisiert so gewissermaßen Herrschaft. In den Bistümern bedeutet das, dass Geistliche (und Mönche) von der Verwaltung des weltlichen Machtbereiches abgezogen werden können. Und bei Ausübung zunehmender Zwangsgewalt können Ministeriale nun auf ihre Auftraggeber verweisen.

 

Adam von Bremen kann denn auch recht polemisch über Bischof Adalbert von Hamburg-Bremen schreiben:

Daher ließ er bei jeder Gelegenheit, wenn sich einer von ihnen vergangen hatte, den Schuldigen sofort einsperren oder seinen gesamten Besitz einziehen, und lachend versicherte er, leibliches Elend sei heilsam für die Seele, Güterverlust reinige von Vergehen. So kam es, dass auch seine obersten Verwalter, denen er selbst seine Stellvertretung anvertraut hatte, maßlos rafften und plagten.

 

Immer wieder wird erwähnt, dass sowohl adelige Vögte wie Ministeriale von den von ihnen kontrollierten Bauern erhöhte Abgaben und Dienstleistungen erlangen, worauf dann manchmal die eigentlichen Herren dieser Landleute einschreiten müssen, um den Frieden zu wahren. Oft waren wohl (wenn auch selten dokumentiert) der Willkür Tür und Tor geöffnet.

 

Ein spezifisches Phänomen nördlich der Alpen ist nicht nur das langsame Verschwinden des Adels aus der bischöflichen Verwaltung, wo er durch Ministerialen ersetzt wird, so wie in Norditalien durch die untere Vavassoren-Schicht, sondern überhaupt seine Tendenz, sich aus den Städten zurückzuziehen.

 

Italienische Besonderheiten

In Italien kann sich königliche Macht trotz aller Interventionsversuche von west- und ostfränkischer Seite nicht sehr solide etablieren, und die Städte geraten somit in ihrer weiteren Entwicklung weniger in das komplexe Netzwerk neuer zentraler (nationenbildender) Staatlichkeit.  Die Welt wird hier früher städtegebundener, auch wenn Herrscher versuchen, darauf Einfluss zu nehmen.

 

Veränderungen haben, im Verbund mit ihren wirtschaftlichen Wurzeln, sehr viel mit den kirchlichen Reformen und den an die Kirche gerichteten Reformforderungen zu tun. Kritik an einer zu weltlich orientierten Kirche und eine stärkere Absonderung des geistlichen Raumes vom Weltlichen in der Theorie fördern im städtischen Raum den Aufstieg laikaler Machthaber. Die Öffentlichkeit der Diskussionen über eine akzeptable Kirche bewegt Gemüter und das setzt wiederum anderes in Bewegung, denn die Kirche ist auch wirtschaftliche Großmacht und weltliche Macht in den Städten.

 

Mit dem Schwinden der großen alten Einheiten verändert sich Norditalien. In den Markgrafschaften wie Canossa/Toskana, wo das etwas länger dauert, bleibt die Bindung der Vasallenschichten an die dortigen Höfe noch bis Anfang des 12. Jahrhunderts bestehen, worauf sie sich dann auch für die Kurie eines Bischofs entscheiden müssen. Beim Ausbleiben markgräflichen Einflusses  verselbständigen sich schon jetzt die Städte, zunächst noch unter ihren geistlichen Herren, und sie bilden die herausragenden Zentren der Einheiten, in die das Land geteilt ist.

 

Städte sind seit der Langobardenzeit das gegliederte Kollektiv ihrer Einwohner, die sich zum Beispiel zum hohen Gerichtstag des placitum an zentraler Stelle, zum Beispiel wie in Mailand am Platz vor der Kathedrale versammeln. Maßgeblich konzentriert sich aber Macht auf wenige, über viel Land verfügende Herren, die im Zuge einer sich verändernden Kirche immer weniger Möglichkeiten bekommen, sich gegenüber Valvassoren Amtsgewalt im kirchlichen Bereich zu sichern, und die nach neuen Möglichkeiten in der Stadt suchen. Zusammen ist ihre Verfügung über Land und damit die Summe ihrer Reichtümer wesentlich größer als die des Bischofs.

 

Unterhalb des kirchlichen Machthabers und der großen weltlichen Grundbesitzer sind zwei Gruppen angesiedelt, die ebenfalls nach Grundbesitz streben und zunehmend an Bedeutung gewinnen: Die bedeutenderen Händler und die lesende und schreibende Gruppe der Juristen, Richter, Notare. Beide sind meist keine Krieger, und ihnen fällt auch immer deutlicher die Bezeichnung cives im Unterschied zu den milites zu. Neben den juristischen übernehmen letztere auch Verwaltungsaufgaben. Jedoch besitzen auch die cives wohl Waffen und sind in ihrem Gebrauch geübt, wie ansatzweise schon im 10. Jahrhundert deutlich wurde. (Wickham, S.190)

 

Mit dem Verfall der gräflichen Gewalt teilen sich im 11. Jahrhundert der Bischof und sein Domkapitel einerseits und seine direkten Vasallen, milites, als seine Beauftragten andererseits die Stadtherrschaft in militärischer, richterlicher und in Hinsicht auf die Verwaltung. Darunter stehen die Valvassoren als Lehnsnehmer ohne Burgen, deren Familien früher Händler, Metall-Handwerker oder Münzer und Geldverleiher waren, die durch die Lehen statusmäßig aufsteigen.

 

Nach dem Valvassorenaufstand werden zunehmend mehr Valvassoren des geringeren ordo nun iudices, oder als Notare, Münzer usw. in diese Anteilnahme am Stadtregiment einbezogen. Das große Kapitel und die hohen milites, die vavassores maiores, entstammen dabei derselben Schicht wie die Bischöfe, jener, die am Ende des Jahrhunderts allgemein als Kapitane bezeichnet wird. Auf dem Lande wiederum entwickeln solche Kapitane Ortsherrschaften, und zwar mit Hilfe ihrer Vasallen wiederum, die zunächst noch vavassores minores sind, bald aber einfach nur noch Valvassoren heißen.

 

Auf dem Lande stehen sich also lokale Herrschaften ausbauende hohe Adelige mit ihrem ritterlichen Anhang und rustici gegenüber, jene Bauern, die bald nicht mehr in die untere Valvassorenschicht aufsteigen können. In den Städten lösen in diesem Jahrhundert aber die Valvassoren die Kapitanenfamilien in den hohen Ämtern ab, ständisch abgetrennt von einer städtischen Schicht aus Handel, Finanzen und Handwerk, die offenbar in manchen italienischen Städten deutlich weiter entwickelt sind als nördlich der Alpen.

 

 

Kirche in der Stadt

 

Das Leben Jesu findet seine Religion stiftende Vollendung in einer antiken Stadt: Jerusalem. Die Wiederkehr des Herrn würde wiederum eine Art Stadt hervorbringen, das himmlische Jerusalem. Ein wenig soll eine Bischofsstadt eine Ahnung davon bieten. Neben Kathedrale und Klöstern dominieren Kirchen das Stadtbild. Auf diese Weise wird das heilige Köln (sancta Colonia) „als ein von der Umwelt abgehobener Sakralraum verstanden, der durch die in den Kirchen der Stadt angesammelten 'Heilmittel' aufgebaut wurde. Vor allem den Reliquien der Heiligen schrieb man eine solche Heilskraft zu.“ (Groten, S.56)

 

Das biblische Gegenbild war die „große Hure Babylon“. Gemeint waren damit Lustbarkeit, Sinnenfreude, vor allem Ehe und Familie überschreitende sexuelle Lust. Während dafür die "Bürger" einen Tugendkanon der Ehrbarkeit entwickeln, entsteht bei der sich ausbreitenden Armut eine kirchlicherseits als bedrohlich angesehene Randständigkeit.

 

Kirchtürme überragen die Städte, oft auch die Kirchengebäude. Sie überragen Bürgerhäuser und Pfalzen. Die Kirche ist eine ganz wesentliche Macht, geistlich wie weltlich.

Zu einer Stadt gehört in dieser Zeit neben dem oder den Zentren der Herren zumindest eine Handwerker- und Händlersiedlung, und die ist im christlichen Raum undenkbar ohne wenigstens eine Kirche. Diese ist zunächst in der Regel noch recht klein, muss aber möglichst viele Leute fassen, da regelmäßiger Kirchgang Christenpflicht ist. Ab einer gewissen Bevölkerungszahl und dann mit der Entstehung mehrerer Stadtteile müssen mehrere Pfarrkirchen gebaut werden. Wie es auf dem Land feste Einzugsbereiche für Pfarrkirchen gibt, so auch in den Städten. Die Menschen sind für Abgaben, Dienste und kultische Pflichten jeweils auf eine Pfarrkirche bzw. Pfarrei verpflichtet, und solche können wie schon unter Bischof Burchard in Worms sich zu vier Pfarrbezirken auswachsen, die auch Verwaltungsfunktionen einnehmen können. Im Rahmen von Pfarreien findet der Alltag der Menschen, insbesondere der der reinen Fußgänger statt. Man trifft sich ständig im Gottesdienst, "Taufen und Totengedenken, Feiern und kirchliches Gericht im Send (für Köln) werden gemeinsam erlebt." (Erkens in: Frühgeschichte, S.179)

Stadtteile sind darum konzentriert auf ihre Pfarrkirche, oft ist die Pfarrei mit ihrer Nachbarschaft und ihren Geburen (Nachbarn) auch für einen Abschnitt der Stadtmauer zuständig. Vermutlich ist für die Einteilung in Pfarreien wie zum Beispiel später in Soest der Erzbischof zuständig.

In der Freiburger Gründungsurkunde von 1120 wird den Bürgern die Wahl der Pfarrer und bald darauf auch die Einsetzung des Küsters zugesagt. Für das 13. Jahrhundert ist in Köln die Pfarrerwahl durch "die Gemeinde" dokumentiert.

 

Einordnung in die Kirche ist Pflicht für alle außer den Juden, die deshalb anders ihren Tribut zahlen müssen.

Die vor Ort verkündete Glaubenslehre ist verpflichtend, wer sich abweichend äußert, wird von nun an, wenn er nicht widerruft, stärker verfolgt werden. Die regelmäßige Indoktrination beim Kirchgang ist ebenfalls Pflicht, obwohl nicht ganz so kontrollierbar. Da hilft dann sogenannte soziale Kontrolle. Ansonsten tauchen nun und in den kommenden Jahrhunderten immer mehr Bestimmungen gegen das Fernbleiben vom Kirchgang auf, gegen das Schwatzen oder Einschlafen während der Messe.

Tatsächlich kommen aber in der Regel nur wenige Inhalte kirchlicher Lehre überhaupt beim Volk an - die Messe ist lateinisch und weithin unverständlich, so wie auch die magischen Inhalte und Zeremonien sich jedem Verständnis entziehen. Christentum ist vor allem identisch mit Bravheit, Unterordnung und dem, was jeweils als Ehrbarkeit aufgefasst wird.

 

Vermutlich sind es vor allem die mit wirtschaftlichen und Machtinteressen verbundenen Gelegenheiten, in denen praktisches Christentum vertreten wird, in den Bruderschaften, bei Festivitäten und Prozessionen. Fast der ganze Festkalender der Städte ist kirchlich bestimmt, und der Feste gibt es einige.

Intensivere Gläubigkeit entfalten Häretiker, die im Norden schon mal von braven Mitmenschen gesteinigt werden. Glaubenseifer taucht in italienischen Städten dort auf, wo er sich mit Unruhe über komplexer werdende städtische Strukturen verbindet.  

 

 

Bürger und Stadt

 

Bürger

Was ein Bürger sei oder gar, was man als bürgerlich bezeichnen könnte, ist durch die Zeiten und die Räume des lateinischen Abendlandes immer reichlich unklar geblieben. (*32) Das hat auch damit zu tun, dass das Wort nicht dem lateinischen Vokabular entstammt, mit dem die Gebildeteren miteinander verkehrten, sondern germanischen Volkssprachen, unter anderem dem Fränkischen. Das Wort „Bürger“ schlich sich dabei langsam ein, um dann sogar in lateinischen Texten aufzutreten, im germanischen Skandinavien, England, den deutschen Landen, aber auch in den „französischen“ Sprachräumen und in Italien.

 

1075 erneuert der Abt der Reichenau ein Privileg Ottos III. für Markt und Münze in der villa Alospach (Allensbach). aber es ist noch von Einwohnern, oppidi villanis, die Rede, die das Recht haben, mercatores, also Kaufleute zu sein, soweit sie nicht im Wein- und Ackerbau beschäftigt sind (in: Hergemöller, S.106).

 

Das deutsche Wort Burg bezeichnet im frühen Mittelalter jeden befestigten Ort (statt) und damit auch die Reste urbaner Zentren einer civitas. Noch um 1100 heißt Köln im Annolied die sconistir burge, also die schönste Stadt.

Darin leben altenglisch burgware, die Verteidiger der Burg, althochdeutsch burgari. Das Wort Burg (oder Berg wie in Nürnberg) geht dem Wort Stadt voraus, (im Westfrankenreich bourg, in Italien borgo) irgendwann im späten Mittelalter werden darin steter leben, aber lange vorher heißen sie überwiegend bereits Bürger (mittellateinisch: burgenses).

 

Als dann zunehmend steinerne Burgen auf Anhöhen oder als Wasserburgen auf dem flachen Lande errichtet werden, konzentriert sich der Wortsinn von Burg auf diese. In den Vorstädten (burgi) der Handwerker und Händler bürgert sich dann im westfränkischen Raum nach 1000 für diese der Begriff burgensis ein, der zukünftige bourgeois. 1066 unterscheidet der Bischof von Lüttich die burgenses ville von uns sers / son sierf, also den Hörigen. Im deutschen Sprachraum, wo im 11. Jahrhundert die „Stadt“ als Ortsbezeichnung die „Burg“ abzulösen beginnt, wird dieser westfränkisch-lateinische Ausdruck übernommen, zum ersten bekannten Mal in Mainz 1099.

Als solche sind sie aber bald nicht mehr einfache Stadtbewohner, sondern Leute mit bestimmten Rechten. Diese sind zunächst untereinander und vor allem von Stadt zu Stadt verschieden.

Solche Rechte sind aber zunächst beschränkt auf Leute, die immobiles Eigentum besitzen, meist ein Haus, in dem sie wohnen. Die Bürgergemeinde ist dann analog zum Adel eine Grundbesitzergemeinschaft in der Stadt von denen, die zudem wenigstens ein Haus dort besitzt.

 

Es entstehen Stadtrechte, in denen Bürgerrechte enthalten sind, die nun für alle Bürger gelten, und vor allem auch Bürgerpflichten, aus denen ja überhaupt erst die Rechte hervorgehen.

 

Aber das Wort behält wie so viele im früheren Mittelalter eine starke Unklarheit, soweit es nicht lokal und zeitlich konkret definiert ist. Sicher ist nur, dass der Adel und die Geistlichkeit nicht bürgerlich sind. Das wird bald ständisch definiert, der Adelige ist ein Krieger, der seinen Wohlstand auf der Verfügung über Land und Leute, also auf die Landbewirtschaftung von ihm persönlich Abhängiger gründet und möglichst Gefolgsleute hat. Das hindert Adelige nicht, selbst in Geschäfte zu investieren, die vornehmlich Bürgerliche betreiben, aber damit sind sie noch keine Geschäftsleute, jedenfalls noch nicht im früheren Mittelalter nördlich Italiens. Seitdem Adelige sich nach ihrer zentralen Burg benennen, kann man am Geschlechter-Namen ihren Adel ablesen, und das wird Bürgerlichen erst einmal nicht zugestanden. Deren Familien-Namen erst später im Mittelalter werden eher mit ihrem Handwerk, Geschäftszweig, ihrem Herkunftsort oder ähnlichem zu tun haben.

 

Zwischen Adel und Bürger oder eher neben beiden stehen vor allem in deutschen Landen jene servientes, herausgehobene Dienstleute des Adels und der Herrscher, die bald auch Ministeriale heißen werden, zunächst noch unfrei, aber sich dann entweder in den Adel aufschwingend oder aber ins Bürgertum übergehend. Wenn sie bürgerlich werden, dann begeben sie sich in das inzwischen herausgebildete obere Bürgertum hinein, welches sich von den meisten Handwerkern absetzt und von den kleinen Ladenbesitzern.

 

Man ist versucht, Bürger nach ihrem immobilen Besitz (Haus, Betrieb/Firma) und ihrem festen Einkommen zu definieren, welches nicht aus eigener abhängiger Arbeit herkommt, so wie irgendwann im 12. Jahrhundert für Freiburg/Breisgau festgelegt wird, dass es derjenige ist, welcher allgemein Eigentum im Wert von wenigstens einer Mark und bald darauf ein Grundstück und Haus darauf besitzt. Der Bürger ist dann meist ein kleinerer oder größerer Geschäftsmann, ob nun Schuhmachermeister oder Münzer. Alle anderen sind eher unbürgerlich oder sogar völlig unterständisch wie die Henker und Huren.

 

Es sind das Leute mit bestimmten Rechten (als Freiheiten), aber die "bürgerliche" Verfasstheit der Stadt bedeutet dann bald die Herrschaft von Vertretern des Großkapitals alter Geschlechter unter Ausschluss all der „Bürger“ mit gering kapitalisierten Firmen.

Im Verlaufe des früheren Mittelalters trennt sich also „Bürgertum“ in das kleine der meisten Handwerker und Besitzer kleiner Läden ohne politisches Mitspracherecht und das große des Kapitals der größeren und ganz großen Investitionen auf. Letzteres sorgt dafür, dass es die „politische“ Kontrolle über die Stadt bekommt und deren wichtigste Ämter besetzt. Zugleich hat es die Mittel, den Adel nicht nur machtmäßig, sondern auch von der Lebensform her zu imitieren, und ihn im Konsumniveau sogar manchmal zu übertreffen.

 

Der römische Begriff des cives wiederum wird als städtische Oberschicht bis ins Mittelalter tradiert, wobei er allerdings immer unklarer wird. Das ändert sich dann erst mit Vorgängen der Verrechtlichung in der Stadt, die von Seiten der Herrschaft vorangetrieben werden. Im 11. Jahrhundert tauchen in Würzburg zum ersten Mal in einer Urkunde sieben cives urbani auf, die von Bischof, Domherren und Minsterialen unterschieden sind (Leng, S.47)

 

Im Hofrecht des Bischofs Burchard von Worms (etwa 1025) sind laut Schulz alle jene Stadtbewohner gemeint, „sofern sie als Gerichtsgemeinde an der selbständigen städtischen Hochgerichtsbarkeit teilhaben und über erblichen Grundbesitz innerhalb der Stadt verfügen. Vor allem findet sich der Begriff der cives oder concives im Zusammenhang mit der Sicherung des Marktfriedens (in macello publico) durch die städtische Marktgemeinde (in conventu concivium).“ (Schulz, S.35)

 

Der Weg in die Gemeinde fasst also einmal alle nicht geistlichen und nicht adeligen Einwohner als concives unter einer Hochgerichtsbarkeit zusammen, und wird dann immer mehr Unfreie einmal in die Zensualität entlassen, eine halbe Freiheit, und zum anderen stattsässige Ministeriale über ihre Ämter und Geschäfte in Formen von städtischer Selbstverwaltung führen, ebenfalls ein Weg in zunehmende Freiheit.

 

1084 wird Gebhard (III.), Bruder des Zähringer-Herzogs Berthold (II.), von der papstfreundlichen Partei auf die Konstanzer cathedra gehievt. Heinrich IV. setzt im Frühjahr 1092 den St-Gallener Mönch Arnold dagegen, den der St.Gallener Abt Ulrich dann mit Gewalt in die Stadt einzuführen versucht. Das scheitert zunächst an der Gegenwehr der "Bürger" (cives). (*33) War bislang in den Quellen zu Konstanz nur von mercatores die Rede, so entsteht in der Situation der gemeinsamen Verteidigung der Stadt bei den geistlichen Autoren die Wahrnehmung einer soweit einheitlichen untertänigen Einwohnerschaft als cives. Diese sind offensichtlich (begrenzt) waffenfähig und zudem nicht nur als produktiv und distributiv Arbeitende und Abgaben Leistende für den Bischof wichtig, sondern auch als Teil seines militärischen Potentials.

1105 nennt der Bischof von Halberstadt die Bewohner seines locus, Ortes, cives forenses, Marktbürger, die bereits seit längerer Zeit mit Rechten ausgestattet worden seien (in:Hergemöller, S.117)

 

Erst langsam wird das Wort Bürger im deutschen Raum häufiger. Aber der „Bürger“ bleibt hier erst einmal Untertan des meist bischöflichen Stadtherrn, der in einer Würzburger Urkunde von 1181 noch von einem burgensis noster spricht (Leng, S.47). Cives und Bürger sind dabei in vielen Urkunden weiterhin nicht klar umrissene Begriffe, und es gibt oft kaum Möglichkeiten, heute definitiv festzustellen, wer dazugehörte.

 

Bürger bleibt im lateinischen burgenses meist im Plural, und ist in deutschen Landen mehr nur als die Ersetzung eines lateinischen durch ein germanisch verwurzeltes Wort. „Die Entscheidung von Stadtbewohnern des 11. Jahrhunderts für die Selbstbezeichnung 'Bürger' signalisiert einen fundamentalen Bewusstseinswandel, ein neues Selbstverständnis, das an die Stelle der Benennung nach der Gruppenzugehörigkeit (z.B. zu einer familia) die Identifizierung mit der Stadt gesetzt hat. Aus der Einzigartigkeit seiner Stadt leitete der Bürger Stolz und Ehre ab.“ (Groten, S.70)

 

 

Zensuale und Ministeriale in deutschen Landen

Wer waren die cives bzw. burgenses, die ihre Stadt zunehmend gestalteten und verwalteten? Darüber sind aus zwei Gründen zum Teil nur Vermutungen anzustellen. Zum einen liegt das an der Dürftigkeit der Quellen, zum anderen an der damals rechtlich kaum fixierten und überhaupt noch nicht standardisierten Begrifflichkeit. Die Anfänge sind bei Handwerk und Handel zu suchen, wo persönliche Bindungen in geldliche verwandelt werden. Immer mehr servi gehen dabei in Zensualität über, die nicht mehr an eine Hufe gebunden ist und selbst örtliche Mobilität ermöglicht, sofern die Abgaben gezahlt werden.

 

Kaufleute entdeckt man wohl dort, wo es einen städtischen Markt gibt, und wo diese dann dort ihre Kirche gründen. Eine solche Kaufleutekirche entsteht zum Beispiel mit St.Lamberti im 11. Jahrhundert am Markt in Münster, welches nun bald Monasterium heißt. Sie hat noch keinen Pfarrsprengel, welcher erst mit der Eingliederung einer Kaufmannssiedlung in eine Stadt entsteht.

 

Zwischen Adel und Bürger stehen vor allem in deutschen Landen jene servientes, herausgehobene Dienstleute des Adels und der Herrscher, die bald auch Ministeriale heißen werden, zunächst noch unfrei, aber sich dann manchmal entweder in den niederen Adel aufschwingend oder aber in Städten als cives ins Bürgertum eingehen. Sie besitzen eines oder mehrere Stadthäuser, sind Münzer oder Zöllner.

Wenn sie bürgerlich werden, dann begeben sie sich in das inzwischen herausgebildete obere Bürgertum hinein, welches sich von den meisten Handwerkern absetzt und von den kleinen Buden- und Ladenbesitzern. Dieses obere Bürgertum zieht seinen Reichtum aus Geldwirtschaft und größerem Handel vor allem, wobei dann Gewinne auch in jene Produktionszweige gesteckt werden, die sich für größere Investitionen lohnen. Es ist dies die Unternehmerschicht des größeren und großen Kapitals, welches wirtschaftliche Entwicklung vor allem vorantreibt.

 

Im 11. Jahrhundert beruht das steigende Selbstbewusstsein von Ministerialen noch stark darauf, dass sie die bewaffneten Reiterkrieger der Bischöfe sind. 1066 hindern sie den Zutritt von Bischof Konrad von Trier in "seine" Stadt, weil er gerade ohne ihr Zutun gewählt worden war, und ermorden ihn schließlich, was zahlreiche Quellen wie am Ende noch Lampert von Hersfeld berichten.

 

Einen solchen Mainzer Ministerialen mit Namen Wignand (cives et serviens), der Ende des 11. Jahrhunderts in manchem bürgerliches Unternehmertum ähnlich wie wohl viele Valvassoren in Norditalien betreibt, erwähnt Büttner: "Er verfügt über Grundbesitz im Rheingau und über Rheinmühlen vor Mainz; er gibt an das Hirsauer Reformkloster Komburg 120 Hufen, die er zuvor mit eigenen Mitteln aufgekauft hatte; er errichtet in Hirsau Wirtschaftsgebäude und Werkstätten unter Abt Gebhard von 1092 an; er besitzt enge Verbindung zu der Stadtmainzer Abtei St.Alban; er ist befreundet mit dem Kämmerer Embricho und dem iudex Hartwin.  (in: Investiturstreit, S.358)

 

In Köln sind burgenses oder cives im 11./12. Jahrhundert oft Ministeriale, die ihren Einfluss oder ihr Vermögen "weit weniger ihrer ehemals dienstlichen Stellung als vielmehr ihrer Tätigkeit im Waren-und Geldhandel verdanken. (...) Diese Bürger haben Kirchen gebaut und Klöster reich dotiert, aber sie erwarten auch, dass ihnen die Pfarrwahl und die kirchliche Vermögensverwaltung weitgehend überlassen bleibt; die Plätze in den stadtkölnischen Klöstern beanspruchen sie für ihre Kinder." (U.Lewald in: Investiturstreit, S.393)

 

Die sich entwickelnde Ministerialität wird sich aufgrund ihrer Doppelrolle teilen: Sie sind miles, also schwer bewaffnete Reiter, zugleich versehen sie Aufgaben in der Spitze der Verwaltung. Sie sind rechtlich unfrei wie fast alle Nichtadelige, aber als Inhaber von Lehen, von lukrativen Ämtern wie dem des Münzers führende Geschäftsleute. Im Laufe der nächsten Jahrhunderte werden sie sich in den Städten in Bürger verwandeln und Kern der Gruppe der Meliores und noch später eines Patriziats werden. Diejenigen, die sich aus der Stadt entfernen, werden sich mit dem Landadel verheiraten und in dem Ritterstand aufgehen.

Spätestens im 13. Jahrhundert kann dann jemand ausdrücklich auch selbst als bischöflicher Ministerialer Bürger im rechtlichen Sinne sein, nachdem zuvor Ministerialität zwingend Unfreiheit bedeutete.

 

Zensuale, Zinser, lösen ihre leibrechtliche Bindung durch Zahlung eine Kopfzinses (census) an ihren Leibherrn ab. Gegenüber geistlichen Institutionen wird der Zins oft in Form von Wachs oder Kerzen entrichtet. Dieser halbfreie Status ist eingebunden in die Vorgänge der Ausweitung allgemeiner Geld- und Marktwirtschaft.

Im Regelfall können Zensuale ihren Aufenthalt und ihre Tätigkeit frei wählen und verfügen über deren Erträge, Voraussetzung dafür, dass sie Bürger in der Stadt werden können.

 

Wohl vor 1025 hat zum Beispiel der Bischof von Speyer 11 mancipia, also Hörige, "die aus zwischen unfreien Männer und freien Frauen geschlossenen Ehen hervorgegangen und nach dem Prinzip der ärgeren Hand unfreien Standes waren, zu Zensualen erhoben und ihnen dabei zugesichert, dass sie für die Zahlung eines Zinses von jährlich zwei Denaren den Freigeborenenstatus der übrigen dem Altar der hl.Maria unterstellten Zensualen haben." (Esders, S.103) Der König bestätigt das in einer Urkunde und unterstreicht als rechtens, dass an ihre Stelle elf andere mancipia traten, da Kirchengut unveräußerlich sei.

 

Ein Zinspflichtiger kann ein jeweiliges Bürgerrecht erlangen und Bürger beiderlei Geschlechts können sich in Zinspflicht begeben. Man konnte aber auch Teil der familia zum Beispiel des Regensburger Klosters St. Emmeran bleiben und zugleich völlig selbständig Handel in Kiew treiben. Verbürgerlichung kennt viele Wege.

 

 

Stadt

Zum Begriff „Bürger“ kommt in deutschen Landen der der Stadt. 1080/1120 taucht an einer Stelle des Annoliedes für Köln zum ersten Mal statt „Burg“ das Wort stat auf. In der Gründungsurkunde des Zähringerherzogs Konrad für Freiburg taucht dieses allerdings noch als Markt (forum) auf, um erst einige Jahrzehnte später in den (durchweg lateinischen) Dokumenten zur civitas zu werden. Allerdings tauchen hier auch nur Kaufleute (mercatores) als burgenses der Gründung auf (in: Hergemöller, S.124ff).

Im 12. Jahrhundert verbreitet sich diese Bezeichnung über den ganzen deutschsprachigen Raum. Anders als im westfränkisch/französischen Raum, wo ville aus villa hervorgeht, wird hier ein ganz eigener Begriff für das neue Gebilde geschaffen, und zwar offenbar aus der Bürgerschaft heraus. „Das nachrückende Wort muss in besonderer Weise geeignet gewesen sein, eine neue Stadtidee auszudrücken. Kern dieser neuen Idee wäre die Stadt als privilegiertes Wirtschaftszentrum gewesen, die Anreicherung der Bischofsstadt als religiöses Zentrum und Ort der Heilsvermittlung mit ihrer großen bis in die Antike zurückreichenden Tradition mit dem Aspekt der Wirtschaftsmetropole.“ (Groten, S.89)

 

Die Stadt bleibt allerdings eine Burg und wird es immer mehr im Sinne einer Festung. Die neue Bezeichnung verweist aber darauf, dass es mit dem entstehenden Bürgertum eine Art neue Trägerschaft für den Festungsbau gibt.

 

Bürger in Italien

Während die ständische Abgrenzung der Bauernschaft auf dem Lande mit dem Begriff des rusticus eindeutig ist, interferieren die Begriffe cives und populus in der Stadt im 11. Jahrhundert und unterliegen dabei einem Bedeutungswandel. Ursprünglich war cives der mit römischem Bürgerrecht begabte Städter und populus der dem senatus gegenübergestellte Teil der Römer. Mit der Überfremdung durch Osthrogoten, Langobarden und Franken und von diesen unterworfenen Völkerschaften schwindet die Klarheit der Begrifflichkeit.

 

Zu dem, was die besonderen italienischen Entwicklungen ausmacht, gehört die Tatsache, dass „im Gegensatz zu Deutschland die Mehrheit der Bevölkerung freien Standes" ist. (KellerBegrenzung, S.334) Zudem ist Stadtherrschaft dort unter einem Bischof gemeinsame Adelsherrschaft mit einem stadtsässigen Adel aus altem (Kapitanen) und neuerem Adel (Valvassoren) und einer Verknüpfung von Ämtern und frühem Unternehmertum (Handel, Finanzen, Mühlen etc) bei den Valvassoren. Die ständische Trennung zu den Nichtadeligen wird so ergänzt durch das Ineinandergehen von Erwerb bei den wohlhabend "bürgerlichen" und den "adeligen" Kreisen. 

 

Das alles entwickelt sich in einer Zeit der Steigerung landwirtschaftlicher Produktion und Produktivität und einem entsprechenden Bevölkerungswachstum. Zusammen mit einem Wachstum von Handel, städtischer Produktion (Textilien und Waffen vor allem) und Geldwirtschaft findet eine Modernisierungswelle im landwirtschaftlichen Raum statt, die dort stärker Warenwirtschaft bis hin zur Kapitalisierung von Grund und Boden einführt: In dem Maße, in dem Nahrungsmittelproduktion und agrarische Produktion von Rohstoffen zum Beispiel für die Textilproduktion profitabler werden, öffnet sich das Land für den Markt.

 

Alte Formen von Leibeigenschaft schwinden langsam oder werden später in Italien beim Aufstieg der Popolanen in der Stadt gesetzlich verboten, wodurch die ländliche Arbeitskraft auch für den städtischen Markt verfügbar wird. Billigste Arbeitskraft werden die vor allem weiblichen häuslichen Dienstboten: Auch die Frauen des zunächst sehr kleinen wohlhabenderen Bürgertums sollen wie ihre Männer insoweit zu adeliger Lebensweise aufsteigen, als sie von körperlicher Arbeit Abstand nehmen können.

Martines schreibt: „The expense of leisure in the Italian city-state was in large measure the labor of the country.“ Der Verachtung der neuen städtischen Oberschicht für körperliche Arbeit entspricht die für die Menschen, die das Land bearbeiten. Sie gelten als dumm und bösartig, unfähig zum vivere civilmente, kein Teil der neuen städtischen civiltà.

 

Die frühe Entfaltung von Handel, Finanzen und städtischer Produktion wird spätestens im nächsten Jahrhundert immer mehr dazu führen, dass vornehmerer älterer Adel an Reichtum und darauf fußender Macht übertroffen wird von Leuten aus geringeren Schichten bzw. ordines.

Im 11./12. Jahrhundert wird es üblicher, dass nichtadelige Städter Lehen kaufen, ohne dadurch in den Adel aufzusteigen - aber sie können an Wohlstand und Lebensstil dann zunehmend mit ihnen gleichziehen.

 

Der cives-Begriff wie der des populus kann bis ins späte 11. Jahrhundert die gesamte freie Einwohnerschaft der Stadt meinen, wie er sich in der Volksversammlung darstellt. Nach 1100 wird daraus jene Gruppe, die sich von den miles unterscheidet. Aber civis ist daneben immer auch der Stadtbürger aller Stände. In den Machtkämpfen zwischen niederer und höherer Vasallenschaft, durch Konrads II. Konstitutionen beruhigt, zwischen Bischöfen und Adel und dann später in Mailand zwischen "Volk" und Adel (1042-44) taucht dann auch ein Populus-Begriff auf, der "Volk" vom Adel scheidet, so wie die Bauern von ihm auf dem Lande.

 

1067 trennt eine Mailänder Urkunde die negotiatores, also Kaufleute, von den "übrigen" als ärmeren unter ihnen (KellerOberitalien, S.25). In Pavia werden 1084 cives maiores et minores vom Adel unterschieden. Aber 1130 heißt es in Mailand, dass an einem Gerichtstag capitanii, valvassores et alii cives teilnehmen (s.o.S.30).

 

Plebs ist in Italien einmal die allen fest zugeteilte Taufkirche (pieve), und bis ins 11. Jahrhundert bezeichnet es alles Volk unterhalb des Adels. Danach wird das Wort zunehmend durch populus ersetzt, was allerdings vor allem vor 1000 ähnlich wie Volk im Altdeutschen die versammelte kriegerische Oberschicht meint und dann auch später sowohl die Einwohnerschaft wie in der Folge immer mehr das unteradelige Volk bedeuten kann.

 

Ritter (miles) gibt es also nach etwa 1100 als civis et eques auch nichtadeliger Art, und Macht wie Amt lassen Standesgrenzen zwar bestehen, aber eher als Form der Vornehmheit denn als reale potestas, wobei die heftige (deutsche und französische) Verachtung des hochadeligen geistlichen Herrn für Handel, Finanzen und Handwerk sich in Norditalien nicht so ausgebildet zu haben scheint.

 

Die innerstädtische Harmonie, von der Otto von Freising sagen wird, sie habe die italienischen Städte so herausragend mächtig werden lassen, hindert aber nicht, dass ständische Gruppen zu gegeneinander kämpfenden politischen Parteien werden. In Mailand sich der Adel als eine Gruppe organisieren, die einfachen Ritter und Kaufleute in einer zweiten, der Motta, und die Handwerker in der Credenza, die beiden letzteren Teile des populus bzw. der Popularen.

Als politischer Kampfbegriff bewusst unscharf gehalten, grenzt er die Kaufmannschaft nichtadeliger Provenienz und bald auch die Spitzen des produktiven Gewerbes gegen den Adel ab, ohne aber in der Regel die Masse der darunter gehaltenen Stadtbevölkerung einzuschließen.

 

 

Von den Gesellschaften zur Gemeinde

 

Frühe mittelalterliche Städte sind sich deutlicher vom Land abtrennende Siedlungsverdichtungen aus Grundherrschaften, Handwerk und Handel, rechtlich privilegiert und wirtschaftlich aus dem Umland herausragend. Mit ihren divergierenden Interessen bilden die Einwohner nur ausnahmsweise eine Gemeinschaft, mal gegen den Stadtherrn, mal gegen Feinde von außen, im wesentlichen herrschen zivilisatorische Strukturen von Befehl und Gehorsam vor. Stattdessen entwickeln sie Gesellschaften, solche des Domklerus, der Klöster, der Münzer, der übrigen Handwerker, der Händler. Wichtigstes Ziel der mittelalterlichen Stadt wird die Generierung von Geld und insbesondere von Kapital in "bürgerlicher" und Reichtum in Herrenhand.

 

Über die Anfänge von Bruderschaften, Schwur-Einungen und Berufsvereinigungen weiß man nördlich der Alpen vor dem hohen Mittelalter wenig. Bekannt sind Kaufmannsgilden in Tiel, in Valenciennes und St.Omer, wobei von den beiden letzteren Statuten überliefert sind. Manches dürfte verloren sein, anderes wurde damals nicht schriftlich fixiert.

 

Frühe Kaufleute-Vereinigungen übernehmen Aufgaben der gegenseitigen Hilfe bei Raub oder Unfall, am Beispiel St.Omer auch der Bevorzugung von Gildegenossen auf dem heimischen Markt, des gegenseitigen Schutzes auch vor Gericht, der Friedensherstellung durch rechtliche Konfliktlösung, und das alles durch Verschwörung (coniuratio). Damit leisten sie das, was Könige und Stadtherren nicht zustande bekommen. Den Zusammenhalt festigen festliche Gelage und Mahlzeiten, gemeinsamer (christlicher) Kult und das Totengedächtnis.

 

Um 1020 wird berichtet, dass Tieler Kaufleute bei Schuldklagen nicht mehr Gottesurteilen unterworfen werden, sondern sich mit einem Eid reinigen können. 1066 wird dieser Grundsatz auf die Bürgerschaft von Huy übertragen, wo der Reinigungseid von zwei Eideshelfern dazu kommt. Das bedeutet eine erhebliche Erleichterung für den Handel, wobei allerdings zu bedenken ist, dass Meineide schwer bestraft werden. Die Bedeutung von Eiden wird auch von daher zunehmen und dann auf andere Vereinigungen bzw. Einungen übertragen werden.

Nach und nach wird Kaufleuten auch ein freies Erbrecht zugestanden.

In die Gemeindebildung werden dann genossenschaftliche Elemente der Kaufleute aufgenommen, was diese verändert. (Dilcher)

 

Gemeinschaftlichkeit üben nicht nur Händler in Zusammenschlüssen für ihre Interessen, sondern zunehmend auch produzierendes Gewerbe. Bei Pitz ist ein Auszug aus den Vereinbarungen der Schuhmacher von Ferrara von 1112 abgedruckt, der für viele andere hier stehen kann:

Und wir alle, die wir hier hier versammelt sind im Namen des Herrn, versprechen, jeden einzelnen von unseren Brüdern zu besuchen, wenn er krank ist … Und am Tage, da ein Mann oder eine Frau gestorben wäre, wollen wir sie zur Kirche geleiten und ehrenvoll bestatten, und jeder von uns Brüdern soll des Toten Seele bei der Messe einen Veroneser Pfennig opfern und … zwei Veroneser Pfennige für die Kirchenlichter beisteuern. Und wenn einer von den Brüdern wegen irgendeiner Unachtsamkeit das Lichtergeld nicht gäbe oder kranke Brüder nicht besuchte oder am Sterbetage die Gabe für die Seele eines Bruders nicht entrichtete, gebe er sechs Veroneser Pfennige zur Buße.

(…) Und wenn einer einen Schuster hat und einer von den Brüdern ihn abwerben will, soll er 20 Schilling bezahlen, und wegen Lehrjungen, die mit einem Meister verbunden sind, soll er 20 Schillinge von Verona zur Buße geben. Und wenn jemand sein Grundstück einem von den Brüdern bis zu einer bestimmten Zeit übergeben und er den Preis nicht bezahlen will, soll er in der Gewalt der anderen Brüder sein. Und wenn er es unter den Brüdern nicht bessern will, sollen sie mit ihm bis zu Gerichte gehen... Und wenn ein Bruder gestorben ist, und eine Tochter bleibt zurück und nimmt einen Schuhmacher zum Mann, so soll er dessen Werkbank haben, wenn er in unserem Verbande ist, Und wenn er nicht in unserem Verbande ist, soll es im Ermessen des Vorstehers liegen. (Pitz, S.328f)

 

Gemeinschaft übt auch der Adel auf ganz andere Weise. 1015 taucht in den Beneventer Annalen eine communia pacis des Adels auf, die sich um 1050 als die zwanzig nobiles et boni homines institutionalisiert, wobei letztere wohl großbürgerliche Kapitaleigner sind wie auch anderswo. Eine ähnliche städtische Elite wird auch für Gaeta, Amalfi, Bari oder Neapel dokumentiert (Stoob in: Frühgeschichte, S.8)

 

In Konsorterien (Geschlechterverbindungen) trägt Adel zunächst in Italien sein Konzept persönlicher Bindungen gegen das neue der Vereinigungen von Geschäft und Gewerbe in die Städte hinein. Zugleich ist der Adel aber traditionell als Kriegerkaste der gewalttätigen Konkurrenz untereinander verpflichtet, dem, was im deutschen Sprachraum als Fehde vertraut ist. Zu den Stadtwohnungen des Adels kommen so rechteckige Turmbauten, Wehrtürme, die wohl meist nicht dauerhaft bewohnt werden, vielmehr als Festungen der Geschlechter und ihrer Verbindungen dienen. Von ihnen aus tragen sie ihre Konflikte gewaltsam auf Straßen und Plätzen aus, nicht immer ohne nichtadeligen Anhang. Von ihnen aus kontrollieren sie aber auch die gemeinsame Aufrechterhaltung ihrer Privilegien.

 

Gemeinschaftlichkeit findet zudem in den städtischen Klöstern statt und in der hohen Domkurie, in der Vertreter des Hochadels versammelt sind, auch wenn dort gegen alle früheren Bestimmungen oft kein gemeinschaftliches Leben stattfindet, sondern Verwaltung von Reichtümern und Macht.

 

 

Das Eigenschaftswort communis geht dem Substantiv als "politische" Bezeichnung von Städten lange voraus. In unserem 11. Jahrhundert taucht es für italienische Städte noch kaum auf. Das im Wort, ob Adjektiv oder Substantiv,  gemeinte Gemeinsame bleibt vage, grenzt aber einen öffentlichen Raum, die res publica, von den res privata ab.

 

Gemeindebildung besteht in der Partizipation einer großbürgerlich-ministerialen Oberschicht an den Rechten und der Masse der Menschen an den Pflichten. Je komplexer die städtischen Strukturen werden, desto mehr wandelt sich dann langsam Herrschaft in Obrigkeit, Übungsfeld für neuartige Staatlichkeit.

 

Die entscheidenden beiden Gruppen sind Fernhändler und Ministeriale bzw. Valvassoren in Italien. Während letztere Exekutiv-Funktionen für den Stadtherrn ausüben und zugleich den Kern seiner Kriegsmannschaft bilden, emanzipieren sie sich des öfteren langsam von reiner Dienstbarkeit und steigen mit zunehmendem Vermögen in lukrative Handels-Sparten ein. Andererseits gelingt es auch reichen Kaufleute-Geschlechtern, in stadtherrliche Ämter einzudringen und daraus wird in der Folge eine nicht überall gleich stark vollzogene Tendenz zur Verschmelzung in einer gemeinsamen städtischen Oberschicht.

 

Die Stadt begreift sich zunächst als Gemeinde/ Kommune sowohl in ihrer Unterordnung unter den Bischof und seine hochadeligen Vasallen wie auch in der Volksversammlung mit ihren Aufgaben der Bischofswahl, des Mauerbaus usw..  Gemeint ist dabei oft die Lösung der Stadt aus ländlichen Zusammenhängen, was so in der Nordhälfte Italiens nicht geschieht, wiewohl die Mauern die Städte vom Land trennen, und zudem die Entwicklung zu einer alle Stände umfassenden gemeinschaftlichen Verwaltung als "Kommunalisierung".

Die Defragmentierung der Stadt soll aus an Geschlechtern hängenden Privilegien gemeinsam kontrollierte Institutionen macht. Die Verämterung soll das Privatinteresse Privilegierter in ein Gemeinschaftliches überführen, und dazu dient die Verrechtlichung, die sich des Wiederauflebens des antik-römischen Rechtes bedient: In Städten soll Staatlichkeit neuen Typs auf alten Fundamenten wachsen.

 

Die sich mit einer Mauer umgebenden und vom Umland derart abtrennenden Stadtgemeinden entstehen in der Regel aus der „Mitverwaltung“ (Pitz) derjenigen Angelegenheiten, die aus den Vorrechten des jeweiligen Stadtherrn abgeleitet sind. In der Regel entsteht die städtische Gemeinde also in Zusammenarbeit mit ihrem Herrn und nicht gegen ihn. Tatsächlich wird Herrschaft nun dadurch erleichtert, dass das entstehende "Bürgertum" sich tatkräftig in sie einordnet. Wenn sich der Bischof von Lüttich vor 1066 in Huy finanziell durch Mauer- und Kirchbau übernimmt, und ihm die Kaufleute der Stadt anbieten, dafür seine Schulden zu übernehmen, dass er ihrer Schwurgemeinschaft dafür Teile der städtischen Verwaltung überlässt, muss er notgedrungen darauf eingehen. Indem Stadtherren, Fürsten und Könige dann in Urkunden Bürgern als Gemeinschaft gegenübertreten, beginnen sie diese auch anzuerkennen, und zwar über die Verleihung einzelner Rechte hinaus, - was Hergemöller als "epochalen Wandel" bezeichnet (S.10).

 

Lokalpatriotismus mit der Stadt als patria war schon vorgegeben durch ein Gemeinschaftsgefühl gegen Bedrohungen von außen in den unsicheren Zeiten vor der Entstehung der Kommunen. Symbolisch dafür standen Heilige wie Ambrosius in Mailand, mit dem die Eigenständigkeit der Mailänder Kirche begründet wurde, Gimignano in Modena oder Zeno in Verona.

Erhalten sind drei lateinische Lobgedichte aus Spätantike und Frühmittelalter, in denen Geistliche die große Vergangenheit ihrer Städte feiern: der Versum de Mediolano civitate, der Versus de Verona und De situ urbis Mediolani. Dazu kommt nun von Mosè del Brolo ein Loblied auf Bergamo, von einem Laien geschrieben.

 

 

Reform und Gemeindebildung in Italien

 

***Mailand und die Lombardei in der ersten Hälfte des Jahrhunderts***

 

Mailand ist von den so wichtigen Wasserwegen, vor allem dem Po, aber auch Ticino (Tessin) und Adda recht weit entfernt. Bis zu seiner Zerstörung durch Mailand 1111 wird darüber hinaus Lodi die Nutzung der Nebenflüsse erschweren. Aggressive Expansion ist für den Aufstieg der Stadt vonnöten.

 

Im quellenarmen Dunkel früher städtischer Entwicklungen wird im Rückblick der Chroniken deutlicher, dass Bischöfe immer mehr Macht gewinnen. In der Geschichte Mailands des Landulf Senior erscheint ein Erzbischof Ambrosius Bonizo, der unter den ersten Ottonen velut dux castra regiert haben soll (KellerOberitalien, S. 222). Von ihm übernimmt Sohn Landulf 979 das Amt und regiert es offensichtlich genauso autokratisch zusammen mit seinen Brüdern, was 980 zum Aufstand gegen ihn führt, wiewohl er bis 998 als Erzbischof bezeugt bleibt. Quellen beschreiben, dass er dann in großem Stil "Vorrechte und Einkünfte als bischöfliche Lehen" ausgeben muss (Zumhagen, S.22)

 

In derselben Zeit kommt es in der Handelsstadt Cremona offenbar immer wieder zu Konflikten zwischen dem Bischof und Gewerbe betreibenden cives, wobei letztere sich an den bischöflichen Zollrechten, insbesondere dem Hafenzoll, und seinen Handels- und Gewerberechten reiben. Um 1030 vertreiben sie ihren Bischof, zerstören Häuser der familia ecclesiae und die alte Stadtbefestigung. Offensichtlich gibt es eine eigenständige städtische Miliz und die Kraft, schnell eine neue Stadtmauer zu errichten, die die Händler- und Handwerkervorstädte einschließt. Der nächste Bischof hat es dann schwer, sich in der Stadt durchzusetzen.

 

Stoob fasst die wirtschaftliche Bedeutung der um Mailand zentrierten Lombardei so zusammen: " Sie beruhte (...) auf der Zusammenführung von über die Seestädte Genua und Venedig einströmenden Warengütern des Orients, vor allem der Seide, der levantinischen Farben und Spezereien, der pontisch - kleinasiatischen Weine und Wolle, mit den an der Alpenrampe und auf dem Apennin erzeugten, hohen und verfeinerten Textilqualitäten auf der Basis zielbewusster Schafzucht, ferner auf dem von Bergamasker Erzen gespeisten Mailänder Metallgewerbe, auch der Eisenverarbeitung, und nicht zuletzt dem Salz- Korn- und (später auch) Reishandel der Brescianer und der Cremonesen. (in: Frühgeschichte, S.8)

 

Der Anteil der weltlichen Führungsgruppe der Stadt an Handel (und Produktion) ist nur noch schwer zu erkennen. Deutlicher ist ihre wichtige landwirtschaftliche Basis, aber auch das ist nicht ganz einfach, denn neben Allodialbesitz verfügen die Großen vor allem über Lehen von Kaisern und Bischöfen, die oft nicht in Dokumenten überliefert sind, oder auch gar nicht schriftlich fixiert wurden, anders als Verpachtungen.

 

Mit dem Ausbau des Marktwesens auch auf dem Lande können Kapitane und Valvassoren "eine für sie günstige Ausgestaltung der Leiheverhältnisse durchsetzen", und negociantes, monetarii, iudices und notarii samt gehobenen Handwerkern der Eisenschmiede-Kunst können Land erwerben oder pachten. Zugleich kaufen sie in der Stadt Häuser oder Grundstücke. Damit wird die Landbewirtschaftung weiter kommerzialisiert. (Haverkamp(2), S.216)

 

Letzter starker Bischof in Mailand ist Aribert, den laut Arnulf 1018 die maiores der Stadt einsetzen. 1025 überlässt Konrad II. ihm die Investitur des Bischofs von Lodi. Konkurrenten bzw. zu überwältigende Gegner beim territorialen Aufstieg sind auch Pavia, Durchgangsstation zum großen Bernhard und nach Genua, Como für die nördlichen Alpenpässe, und Cremona, welches für den Zugang zur östlichen Poebene wichtig ist. (Haverkamp(2), S.189ff)

 

Eine Zwischenetappe im Abstieg bischöflicher Macht ist für ihn der Valvassorenaufstand von 1035/37 samt dem Eingreifen Konrads. (siehe Land 2)

Schon im Valvassorenaufstand werden Mailänder cives beteiligt, vermutlich eben auch nichtadelige, die sich laut den St.Gallener Annalen für 1035 als Schwureinung konstituiert haben sollen.

 

Für Elke Goez führt unter anderem auch die Verschuldung der Bischöfe bei ihren Domkapiteln und Bürgern zum Niedergang ihrer Macht (Goez, S.123). Wichtiger ist aber wohl die zunehmende Partizipation des Adels an seiner Herrschaft und punktuell die des "Volkes" darunter, wie sie besonders in Konflikten, Kriegen und bürgerkriegsähnlichen Zuständen deutlich wird.

1038 muss der Bischof von Brescia der Stadtgemeinde zugestehen, im Stadtbereich keine Kastelle und Befestigungen mehr ohne ihre Zustimmung zu errichten. (Zumhagen, S.137 mit Quellenzitat).

 

In der Auseinandersetzung mit Konrad II. mobilisiert Erzbischof Aribert in größerem Maßstab die urbani. Um das Gemeinschaftsgefühl über die Standesgrenzen hinweg zu steigern, stiftet er den Fahnenwagen, carroccio, wie er später u.a. auch in Florenz auftaucht. Es ist von Ochsen gezogener reich geschmückter Karren, mit dem das städtische Militär von nun an in die Schlacht zieht.

In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts wird sich dann erweisen, dass Krieg und popularer Aufstieg einerseits zusammengehören und zum anderen aber auch überständisch gemeinschaftsbildend wirken.

Diejenige Gemeinschaftlichkeit, aus der heraus sich eine neue kommunale Bewegung entwickeln wird, findet aber vor allem in der althergebrachten Volksversammlung, concio, und der Veränderung von Funktion und Bedeutung statt - bis hin zur concio militum et civium 1118.

 

1042 verteidigt der populus (bzw. die cives) unter Führung des adeligen Lanzo (nobilis et captaneus altus) in Mailand einen der Seinen gegen einen Adeligen. Offenbar kommt es zu aufstands-artigen Unruhen. Der Adel (capitanei und valvassores) zieht darauf aus der Stadt aus und begibt sich auf seine Landgüter. Der kranke Bischof folgt ihnen nach wenigen Tagen. Beide Seiten bilden eine Schwureinung (iuramentum). Die milites-Gruppe aus "Rentiers, Kommerz und Richtern" (Wickham(1), S.23) wendet sich gegen zunehmende adelige Willkür im Zusammenhang mit der verstärkten Beteiligung des Adels an der Stadtherrschaft.

 

Unter dem Eindruck des herannahenden Heinrichs III., dem Lanzo möglicherweise mit der Bitte um Vermittlung entgegen geht, und nachdem derselbe Lanzo die Adeligen bittet, zurückzukehren, um Schaden von der Stadt abzuwenden, kommt es "erst zu gegenseitigem Verzeihen, zur Vereinbarung einer allgemeinen Amnestie  und schließlich zu einem von allen beschworenen Friedensbund." (Zumhagen, S.79, nach Landulf Senior und Arnulf). Schließlich vermittelt Heinrich III. 1044 einen auf Konrads Konstitutionen basierenden Frieden, und die Oberschicht kehrt zurück. Kurz darauf stirbt Aribert 1045. Ein längst zunehmend bedeutungsloser Graf wird für  Mailand im selben Jahr zum letzten Mal erwähnt.

 

Es folgen in den nächsten Jahren weitere Konflikte und Friedensschlüsse. 1045 reist eine Mailänder Abordnung aus Adel und Volk zu Heinrich III., um die Bestellung eines neuen Bischofs zu erbitten. Der setzt unter Mitwirkung der collectio der cives (Landulf Senior) seinen Hofkapellanen Wido von Velate ein, den das Domkapitel nur widerwillig akzeptiert, dessen große Kapitanenfamilien der Kaiser damit übergangen hat. Spätestens nun beginnen die Machtkonflikte in der Stadt sich mit kirchlich-religiösen Fragen zu verbinden, denn bald wird Wido/Guido als simonistisch denunziert werden, da er vom Kaiser gegen erklärten Willen in der Stadt in sein Amt gehievt worden ist.

 

***Reform***

 

Die entscheidenden ersten Schritte hin zu einer Kommune haben als Rahmenbedingung die Kirchenreform und den Konflikt zwischen Kaisern und Päpsten. In der Nordhälfte Italiens geht es dabei zunächst vor allem um den Simonie-Vorwurf, also die übliche Praxis, handfeste Gegenleistungen bis zu Geldzahlungen für den Eintritt in ein kirchliches Amt zu leisten. Von dort ist es nur ein kleiner Schritt bis zur Kritik an der "aristokratischen" Lebensführung vor allem des höheren Klerus, an seinem Luxus und seiner Verweltlichung.

 

Während die Kritik soweit eine ständische und fast schon "machtpolitisch" nutzbare Komponente hat, trifft der zweite Vorwurf der Unkeuschheit nicht zuletzt auch die niedere Geistlichkeit, die in direkterer Nachbarschaft zu den einfachen Laien lebt und dort oft offen als Ehe und sogar Familie oder wenigstens als Konkubinat stattfindet. Dies war über lange Zeiten zumindest geduldet worden, sei es, weil Sexualität im allgemeinen Bewusstsein noch nicht so durchdringend christianisiert/diabolisiert war, sei es, weil die Geistlichen der Pfarreien ganz praktisch der Familie als wirtschaftlichem Rückhalt in ihrer relativen Armut bedurften.

 

Dass unterhalb der Kirchenorganisation nun zumindest einzelne Laien besorgt sind darüber, ob die Magie der Sakramente bei verheirateten bzw. sexuell aktiven Priestern Schaden leiden könnte, könnte als fortschreitende Christianisierung gedeutet werden, aber auch als Verstärkung des "heidnisch"-magischen Elementes im Christentum der Leute. Auf jeden Fall wird anders als bei den (wenigen) evangelisch-jesuanisch orientierten und auf größeren Abstand zur Kirche gehenden Leuten nun Religion zu einem mobilisierenden Faktor.

In dem Ruf nach Reformen verbinden sich geistliche Kirchenkritik mit solcher aus den unteradeligen Schichten, die bislang kaum überliefert ist. In den Konflikten wird dann in bisher wohl nicht dagewesener Weise der plebs bzw populus mobilisiert und auf die Straße gebracht. Er erhält dabei eine Wichtigkeit, die sein Selbstbewusstsein steigert.

 

Die bisherigen Gewohnheiten, consuetudines, die sich ganz praktisch gegen kirchenchristliche Normen durchgesetzt hatten, geraten in Verruf genau mit den letztlich wirtschaftlichen Veränderungen auf dem Lande und in den Städten, die in ständische Schichtungen und das steigende Selbstbewusstsein eines frühen unteradligen Unternehmertums münden. Einzelne Fromme erst in Burgund und Lothringen, dann auch in der Nordhälfte Italiens reformieren Klöster auf dem Lande und gründen neue Gemeinschaften, die auf Armut und gemeinschaftlichem Leben basieren. Fromme Eremiten in Höhlen und Wäldern gewinnen an Prominenz und schließen sich mit anderen zusammen. Sogar mitten in größeren Städten hausen Einsiedler von zunehmender Popularität.

 

Während dieser neue religiöse Aufbruch mit seiner Unruhe, die er in die Städte bringt, dadurch in die Spitzen der Kirche integriert werden kann, dass diese nach und nach solche Positionen übernimmt, was zunächst auch von Herrschern wie Heinrich III. unterstützt wird, beginnt zugleich nach der ersten Jahrtausendwende eine zweite Entwicklung, die sich von der Kirche zunehmend löst und als häretisch verfolgt wird. Die ersten Abweichler werden nun verbrannt. Dann wird auf dem Weg zu Papst Gregor VII. dieser Häresiebegriff immer stärker ausgeweitet: Wer sich der Reformbewegung widersetzt und dann auch nicht unterordnet, wird zum Häretiker.

 

Deutlich wird auf dem Weg von den vielfältigen Gebräuchen, Traditionen, consuetudines zu einer dogmatisch sich verengenden Welt der "Wahrheit", veritas, wie Gregor VII. das formuliert, eine neue Unduldsamkeit, die die Freiheit (libertas) der Kirche als Unterordnung in der Hierarchie und solche der Laien gegenüber ihr begreift. Dabei kommt es auch parallel zu immer mehr Neigung zu  Regulierungen, die nicht nur ein reguliertes Lehnswesen und dann neuartige Gesetzgebung, sondern immer detaillierter auch die Städte betreffen wird. Dort beginnt diese Entwicklung auch als Veränderung der Einwohnerversammlung, die nicht mehr nur Entscheidungen "von oben" abnicken möchte, sondern vermittels von Wortführern beginnt, selbst welche zu treffen.

 

Was sich dabei als Zunahme von Konflikten darstellt, trifft aber auf den neuartigen, christlich unterfütterten Friedensgedanken, wie er den nördlichen Mittelmeerraum von Katalonien bis in die Poebene erfüllt, und der den Wunsch nach einer Friedensordnung in der Stadt christianisieren hilft. An vielen norditalienischen Städten im Aufbruch wird dann deutlich, wie immer wieder Konflikte bewusst zugespitzt und gewalttätig werden, um dann in neue Friedenssehnsucht zu münden.

 

***Pataria und Partizipation***

 

Seit der Mitte des 11. Jahrhunderts wird Mailand in die Konflikte um Kirchenreform und die zwischen Kaiser und Papst besonders augenfällig hineingezogen. Gegenüber bischöflicher Stadtherrschaft und der Macht des Kriegeradels aus Capitanen und unter ihnen stehenden Valvassoren, die der erste salische Herrscher fast rechtlich gleichgestellt hatte, wird ein durch Handel und Gewerbe reicher werdendes neues Bürgertum erkennbar, welches zunehmend Mitsprache in der Stadt erlangt. In Konfliktsituationen treten dabei auch kleine Händler, Handwerker, Lohnarbeiter und immer einmal wieder auch Frauen auf.

 

In Mailand ist die Priesterschaft gespalten in ihre vornehmlich dem Domkapitel angehörende Oberschicht auf Kapitanen-Niveau, und jene vielen decumani, die als officiales die tatsächlichen priesterlichen Betätigungen wie den Gottesdienst in den Hauptkirchen ausführen und darüber hinaus die Güterverwaltung betreiben. Sie entstammen in der Regel Valvassoren-Familien und seltener denen wohlhabender negotiatiores, also reicher Kaufleute. (*34)

Auch die Dekumanen leben nicht gemeinschaftlich, sondern in gelegentlich bereits zweistöckigen besser gebauten Häusern, und betreiben laut den Vorwürfen der Pataria einen adeligen Lebensstil mit Jagdhunden und Falknerei, operieren als Güterverwalter, in Darlehensgeschäften (als "Wucherer") oder als Gastwirte.

 

Die überlieferte Kritik am Klerus beginnt mit einem Diakon Ariald, und sie schließt auch nicht die Klöster ein, die auffallend still bleiben. Um 1055 predigt er in Varese gegen die Unkeuschheit Mailänder Priester, dann in Mailand bald auch gegen die Simonie. Ihm schließt sich als Mitglied des Domklerus der aus einer Kapitanenfamilie stammende Landulf an. Unterstützung erhalten sie aus allen Schichten, so auch zumindest von einem Münzer. Diese Leute sind nicht nur in Mailand "durch ihre Transaktionen mit Grundbesitz geschäftlich eng mit dem hohen (...) Klerus verbunden, sie wickelten Investitionen und Geschäfte der hohen kirchlichen Institutionen Mailands ab." (Zumhagen, S.47)  Zudem sind sie selbst große Grundbesitzer.

Mehr noch werden sie von einigen niederen Priestern unterstützt, was die Hierarchie des Klerus aus ordines des hohen Domklerus und Dekumanen zu untergraben droht, und vor allem dann aus dem unteradligen "Volk" (pauperes bei Bonizo) und seinen wirtschaftlich erfolgreichen Reihen (Zumhagen). Sie bleiben allerdings genauso wie die explizit bischöfliche Partei eine deutliche Minderheit in der Stadt.

 

Um Massen zu mobilisieren, muss auf Straßen und Plätzen Öffentlichkeit hergestellt werden. Am 10. Mai 1057 nutzen die Patarener die religiös aufgeheizte Stimmung der Bevölkerung bei der Translation (Umbettung) des heiligen Nazarius dazu, den Klerus in einer Volksversammlung zur Unterschreibung eines Dekretes 'de castitate servanda' zu zwingen. "Die Kleriker wurden damit verpflichtet, sich von ihren Frauen zu trennen und keusch zu leben oder aber ihre Priesterwürde, ihre Kirchengüter und auch ihren Eigenbesitz zu verlieren." (Zumhagen, S.94) Das ist deutlich härter, als es das kanonische Recht vorschreibt, und war zudem noch durch spontane Angriffe der Straße verstärkt.

 

Vorausgegangen war folgendes: Laut Landulf Senior schlägt ein Angehöriger des Mailänder Domklerus Ariald wegen dessen beleidigenden Äußerungen über die ambrosianische Geistlichkeit. Darauf laufen Landulf und mehrere andere Patarener unter lautem Geschrei zum Theater, dem Ort der Volksversammlung. Man läutet die Glocken und schickt von dort dann die Boten, um alle zu versammeln. (*35) Als alle da sind, hält Ariald eine Rede. (Landulf Senior III, Keller in: Investiturstreit, S.338)

 

Durch das laute Schreien des Opfers wird nicht nur vor den Augen aller Anklage erhoben, sondern die städtische Gemeinschaft wird um Schutz und Bestrafung angerufen und das dafür notwendige sofortige Zusammenfinden der städtischen Gemeinschaft betrieben. Landulf betont dabei in seinem Text die teilweise fragwürdige Kompetenz der versammelten Bevölkerung zur Urteilsbildung.

Offensichtlich ist inzwischen so aus einer Versammlung, in der Beschlüsse von oben abgenickt werden, eine geworden, in der vielerseits Anliegen vorgetragen und Streitfragen geklärt werden können - und zwar mit dem vorrangigen Ziel der Friedenssicherung.

 

Bischof Wido bittet den Papst um Hilfe, und Stephan IX. lädt zur Synode von Fontaneto bei Novara ein. Wido sorgt dort dafür, dass Ariald und Landulf exkommuniziert werden. Als er im Spätherbst 1057 zurückkehrt, wird er "vom Volk" gezwungen, mit beiden öffentlich darüber zu diskutieren. Am Ende wird er vor die Alternative gestellt, die Exkommunikation zurückzunehmen, oder aber die Stadt zu verlassen. 

Die papstkirchlich römischen Reformer, nach Bundesgenossen auch militärischer Art suchend, veranlassen durch die Legaten Damiani und Anselm von Lucca darauf ein iuramentum commune, welches den Bischof und Domklerus mit den Laien in eine Schwur-Einung gegen Simonie und Priesterehe zwingt. Während Damiani und der spätere Reformpapst zum Dämpfen der teils brutalen Gewalttätigkeiten in der Stadt zu vermitteln versuchen, scheint der zukünftige Papst Hildebrand sich einseitig auf die Seite der Pataria-Laien zu stellen und diese womöglich gegen die sündige Priesterschaft sogar aufgewiegelt zu haben. Das Mailänder placitum Dei wird bald als Pataria bekannt, wobei der Ursprung des Namens nicht klar ist.

 

Während so eine im Kern kleine Gruppe versucht, die Bevölkerung gegen Priester-Konkubinat und Simonie in Bewegung zu setzen, findet parallel 1057-61 ein Krieg gegen Pavia statt, in dem die städtischen Milizen unter Beteiligung des Populus Einheit demonstrieren, und der mit dem Sieg in der Schlacht von Campo Morto endet.

 

Städtische Autonomie, von Bischof, Domklerus und Stadt stark über den eigenen "ambrosianischen" Ritus lokal-kirchlich definiert, und durch Nicht-Teilnahme an päpstlichen Synoden demonstriert, trifft derweil auf ein Autonomie-Begehren, welches auf neuen Formen von Öffentlichkeit beruht, die in der Volksversammlung konzentriert sind.

 

Nach und nach kommt es zu mehr öffentlichen Akten der Aggression. Ausgangspunkt ist wohl oft das patarenische Auftreten gegen "unwürdige" Priester. Berichtet wird von Andreas von Strumi, wie Ariald mit seinen Anhängern in den Gottesdienst eines solchen eindringt, vom Priester verlangt, den Altar zu verlassen und ihm das Messgewand zerreißt, als dieser sich weigert. Vor der Kirche erhebt der so Misshandelte laute Klage, und Volk dringt in die Kirche ein und bedroht wiederum Ariald, der die Leute nur mühsam beruhigen kann. (Vita Sancti Arialdi, in Zumhagen, S.65 nacherzählt.) Im Theater, dem Ort der Volksversammlung, wird andererseits einem unwürdigen Priester "ein Schandmal auf die Stirn gebrannt." (Zumhagen S.71)

 

Eine päpstliche Legation unter Petrus Damiani und Anselm da Baggio, inzwischen Bischof von Lucca aus einer Mailänder Capitanenfamilie, soll 1059 die Wogen glätten. "Bei der öffentlichen Schlussverhandlung ließ Petrus Damiani nicht den Erzbischof, sondern seinen Mitlegaten Anselm da Baggio zu seiner Rechten sitzen. Der Erzbischof war dazu bereit; wie Petrus an Hildebrand schreibt, hätte Wido auch zu seinen Füßen auf einem Schemel Platz genommen. Doch die Mailänder sahen darin eine Minderung der honor sancti Ambrosii: mit Kirchenglocken und Tuben rief man die Einwohnerschaft zusammen. Die Menge strömte so drohend zum Bischofspalast, dass Petrus schon glaubte, seine letzte Stunde hätte geschlagen." (H.Keller in: Investiturstreit, S.342)

 

Die lauthalse und tumultuarische Empörung der Mailänder "Lokalpatrioten"  wendet sich gegen die Pataria. Landulf wird verletzt. Im Ergebnis wird die reformunwillige Mailänder Geistlichkeit nur milde bestraft. Für die Mailänder Orthodoxie ist das aber schon zuviel.

Die Mailänder halten aber ungeachtet dieser ganzen Entwicklung an der königlichen Investitur der Bischöfe fest, auch wenn sie zunehmend Wert darauf legen, ihn selbst auszuwählen.

 

Im selben Jahr wird Bischof Adelmann von Brescia von empörten Klerikern verprügelt, als er die Beschlüsse der Lateransynode gegen Simonie und Klerikerkonkubinat verkündet. In dieser Zeit zeichnet sich laut Bonizo von Sutri dort eine stärker auftretende Pataria ab. Andererseits beginnt nach ihm die Reihe reformfeindlicher Bischöfe in der Stadt. In derselben Zeit taucht auch in Cremona eine Pataria auf.

 

1061 wird Anselm da Baggio mit Erzdiakon Hildebrands Unterstützung Papst gegen den Widerstand eines Teils der Römer, die Cadalus bevorzugen.

 

In Mailand stirbt 1062 Landulf an den Folgen seiner Misshandlungen und wohl spätestens 1064 übernimmt sein Bruder, der Kapitan Erlembald, mit seinem Gefolge von Vasallen und Lehnsleuten und seinem Verwandtschaftsverband die Führung der Pataria, die nun zunehmend auch eine militärische Unternehmung und zugleich "politischer" wird. Kritik an der Vergabe kirchlicher Lehen an Laien wird lauter und Ariald und Erlembald durchbrechen das Vergabemonopol des Erzbischofs auf wichtige Abtsstellen, die oft teuer zu erkaufen waren und mit ihren großen Besitzungen Machtpositionen darstellen.

 

Im selben Jahr 1064 schickt Erlembald, einem Laien, Papst Alexander II. das sogenannte vexillum sancti Petri, die päpstliche Fahne. Ihm gelingt es 1066 in Rom, die Exkommunikation des von Heinrich III. 1045 eingesetzten Mailänder Erzbischofs Wido zu erreichen. Wido rechtfertigt sich im Pfingstgottesdienst darauf gegenüber den Führern der Pataria, die ebenfalls anwesend sind und das Streitgespräch suchen. Die Bevölkerung empfindet das päpstliche Verhalten als Beleidigung ihrer Stadt. Als der Erzbischof sie auffordert, mit ihm den Dom zu verlassen, gehen fast alle mit. Die Stimmung schlägt gegen die Pataria um, man dringt erneut in die Kirche ein, Laien gehen auf Erlembald los, Kleriker schlagen Ariald, den man dann für tot hält.

"Das Gerücht von Arialds Tod verbreitete sich rasch. Der militante Anhang der Patarener griff zu den Waffen, brach in den Bischofspalast ein, um von dort her in den Dom zu gelangen. Der Erzbischof, den man hierbei außerhalb der Kirche ohne jeden Schutz antraf, wurde misshandelt, dann wurden in der Kirche Erlembald und Ariald den Händen ihrer Gegner entrissen und im Triumph zur ecclesia Rozonis, dem Zentrum der Patarener westlich des Doms, geführt. In der folgenden Nacht organisierte sich die Gegenpartei. Empört über die unerhörte Tat schwor man sich gegenseitig, lieber zu sterben, als diese Vorgänge ungerächt hinzunehmen. Arnulf schildert den Vorgang so, als hätten sich die Mailänder wiederum in einem iuramentum commune zum Kampf gegen die Urheber der Vorfälle zusammengeschlossen." (H.Keller in: Investiturstreit, S.341)

 

In den nächsten Wochen finden getrennte Volksversammlungen statt, und der Anhang der Pataria schmilzt dahin. Darauf sieht sich Wido stark genug, über die Stadt solange das Interdikt zu verhängen, bis die Anführer der Pataria sie verlassen haben. Der Herr von Sta Maria fuori Porta nuova nimmt den Patarenern nun die Kirche weg, in der sie bislang hausten. Ariald flieht heimlich und Wido verfolgt ihn persönlich. Eine Nichte Widos bekommt Ariald zu fassen, steckt ihn in eins ihrer Kastelle und lässt ihn dort umbringen.

 

Darauf kann Erlembald wieder viele hinter sich vereinen, und sie verhindern die Rückkehr des Erzbischofs und seines Gefolges. Als Arialds Leiche gefunden wird, wird sie zuerst nach San Ambrogio und dann nach San Celso gebracht, wo er als Märtyrer triumphal empfangen und verehrt wird, was der Pataria neuen Aufschwung gibt. Papst Alexander II. bestätigt Arialds Martyrium. Mangels eines religiösen Führers und hinreichend vieler patarenischer Geistlicher knüpft die Pataria nun im Sommer Beziehungen zu den Florentiner Vallombrosanern. Im Jahr darauf schickt Erlembald patarenische Kleriker zur Weihe zu Johannes Gualbertus.

 

Für dies Jahr 1067 gibt es ein erstes Mailänder Dokument, in dem Popolo, Valvassoren und Capitane als Stände säuberlich getrennt auftauchen. In diesem Sommer wendet sich eine päpstliche Legation aber deutlich gegen die Tendenz von Laien, über Kleriker zu richten, was auf Zufriedenheit beim bischöflichen Establishment trifft.

 

Anfang 1071 übergibt Wido im Einverständnis mit Heinrich IV. das Amt des Erzbischofs an seinen Subdiakon Gottfried, der von den Patarenern und einem Großteil der Mailänder Bevölkerung abgelehnt wird. Er wird aus der Stadt und der Diözese ausgesperrt und dort von einem städtischen Aufgebot bekämpft.

Nach Widos Tod beschließen die Mailänder in einem iuramentum commune, gemeinsam einen Bischof aus dem Domkapitel zu wählen. Sie wenden sich gegen Erlembalds Versuch, einen papsttreuen Bischof durchzusetzen und bestehen darauf, ihren vom König investieren zu lassen.

Nun versucht Erlembald gegen diesen Beschluss mit Hilfe von Patarern aus Cremona und Piacenza seinen Kandidaten Atto durchzusetzen. Das wird von der Bevölkerung nicht hingenommen, die sich keinen Erzbischof mehr aufdrängen lassen möchte. Der Bischofspalast wird gestürmt, Atto wird von ihnen misshandelt, zum Dom gezerrt, wo er seine Abdankung beschwören muss. Dass der Papst ihn anerkennt und Erlembald weiter für ihn eintritt, hilft ihm nicht. Er kommt nicht einmal mehr in die Stadt hinein.

Gottfried wiederum wird von Heinrich IV. investiert und 1073 in Novara von lombardischen Bischöfen geweiht. Wohl im Gegenzug exkommuniziert Papst Alexander II. fünf königliche Räte.

Gestützt auf seine Verwandtschaft und Gefolgschaft in Stadt und Land, übernimmt Erlembald mit militärischen Mitteln die Führung in Mailand, während sich Gottfried zunehmend auf Besitzungen am Lago Varese (Castiglione) zurückzieht, wo er von einem städtischen Aufgebot angegriffen wird, in dem Patarer und ihre Gegner offenbar einträchtig kämpfen.

 

Als 1075 die Stadt brennt, greift eine wohl im Kern adelige Mailänder Schwurgemeinschaft Erlembald an und vermutlich ist es der Capitan Arnaldo da Rhò, der ihn tötet, zusammen mit vielen seiner Anhänger im Straßenkampf. Viele Mailänder Patarener fliehen nach Cremona, wo die Bewegung stark bleibt. In Mailand haben die Capitanen nun die Oberhand und stellen die Erzbischöfe.

 

***Florenz und die Vallombrosaner***

 

Die Rahmenbedingungen für die Reformbewegung in Florenz unterscheiden sich etwas von denen von Mailand. Mit dem Gewinn der Markgrafschaft Toskana versucht sich das Haus Canossa, welches dort kaum Eigenbesitz hat, stärker zu verankern. Dagegen stellt sich der Selbstständigkeitsdrang der großen gräflichen Adelshäuser wie der Guidi und der Cadolinger, die im 11. Jahrhundert kaum noch in der markgräflichen Curia auftauchen, die sich auf die Städte und ihre Bischöfe und den niederen Adel stützen muss.

 

Wie ein halbes Jahrhundert später im Südwesten Deutschlands beginnt der Adel über reformierte Klöster Macht zu gewinnen. Dabei versucht er den Einfluss auf sie dadurch zu gewinnen, dass sie durch päpstliche oder kaiserliche Schutzbestimmungen markgräflichen, bischöflichen bzw.städtischen Zugriffen entzogen werden. Zu diesem Zweck schließt er sich Vorstellungen von Klosterreform an.

Ein ganz frühes Beispiel ist die Gründung der heute noch erhaltenen Badia a Isola südlich von Poggibonsi durch die Grafentochter Ava 1001. In der Gründungsurkunde heißt es:

...wir setzen vor allem fest und bestimmen, dass kein Abt dort anders denn kanonisch und gemäß der Regel eingesetzt werde. Wenn aber zufällig einer mit Hilfe von Geld oder durch simonistische Ketzerei zum Abt gemacht wird, so soll er ohne Zaudern hinausgeworfen werden, und ein anderer, der würdig ist, soll seine Stelle einnehmen. (bei W.Goez in: Investiturstreit, S.222)

 

Noch früher, 998, gründen die Cadolinger San Salvatore in Settimo. Der erste Abt Guarino kämpft bereits gegen Simonie und Proiesterehe im Bistum Florenz. Kirchenreform und hochadelige Interessen finden wie bald auch im römisch-deutschen Reich zueinander, während die Bischöfe von Florenz versuchen, einen größeren und intensiver durchdrungenen Machtbereich zu schaffen.

 

Ein besonders extremes Beispiel für die Einheit weltlich-aristokratischer und geistlicher Herrschaft und Lebensführung ist der 1025 gestorbenen Florentiner Bischof Hildebrand, der gemeinsam mit seiner Geliebten, der domina episcopa Alberga und vier Söhnen wie ein weltlicher Hocharistokrat Hof hält, und sie auch in seine Ratssitzungen mitnimmt (Martines, S.14). Mit ihm stößt im 2. Jahrzehnt des 11. Jahrhunderts Abt Guarino von San Settimo vor allem wegen des fehlenden Zölibats zusammen. (Vita S.Gualberti)

 

Der Bischof sieht sein Ansehen bei "Volk" und milites bedroht und fördert nun deshalb den Kult des Soldaten und Mäyrtrers S.Minias, für den er 1014 ein Kloster samt Basilika gründet. Er gewinnt Kaiser Heinrich II. für die Unterstützung des Klosters, dem er auch Landgüter im ganzen Bistum schenkt.

 

Als der fromme Johannes Gualbertus um 1035 San Miniato verlässt und mit Unterstützung der Cadolinger auf dem Florentiner Wochenmarkt von einem Verkaufsstand herab gegen den simonistischen Abt und den Bischof predigt, wird er noch von einer empörten Menge verjagt. (siehe Anhang 24). 1036 gründet er am Pratomagno das nicht mehr dem Bischof unterstehende Kloster Vallombrosa mit betont antisimonistischer Einstellung. Rund um Florenz lässt der Adel darauf seine Klöster von den Vallombrosanern reformieren.

 

Mitte des Jahrhunderts macht der Bischof, der auch Papst ist (Nikolaus II.), ein neues Baptisterium zu seinem zentralen Bauprojekt, während die Kathedrale Santa Reparata bestehen bleibt. Aber nicht sie, sondern der Täufer Johannes des Baptisteriums wird zum Stadtpatron. Vielleicht wegen der Nähe zum Bischofspalast auch dessen Palastkapelle, wird diese Taufkapelle überreich mit Bronzetüren und Mosaiken geschmückt. Erst im 13. Jahrhundert werden dann neue große Bauprojekte hinzu kommen.

 

Seit 1062 macht sich in Florenz der Verdacht breit, Bischof Petrus Mezzabarba sei durch Simonie ins Amt gekommen. Die Vallombrosaner rufen dazu auf, an der Messe an Altären, die Simonisten geweiht hatten, nicht mehr teilzunehmen; zunächst noch mit wenig Erfolg. Als sich dieser dann in den nächsten Jahren einstellt, verbietet Papst Alexander II. ihnen, dazu ihre Klöster zu verlassen und zum Volk öffentlich zu predigen. Aber sie machen weiter.

 

1067 versucht Petrus Damiani erfolglos, zwischen Mönchen und Bischof zu vermitteln. Kurz darauf lässt Gottfried von Canossa das vallombrosanische Kloster San Salvi überfallen. Als man Johannes dort nicht festnehmen kann, kommt es dort zu Misshandlungen der Mönche und zu Plünderungen. Die Mönche zeigen sich in diesem elenden Zustand öffentlich, was bei den Menschen Empörung auslöst. Sie ziehen dann in das Cadolingerkloster San Salvatore auf dem Settimo um. Als sie aber zur römischen Synode im Frühjahr aufbrechen, treffen sie auf die unverhohlene Feindseligkeit der dortigen Bischöfe und auch von Damiani. Es ist dann Hildebrand, der sich für sie einsetzt, so dass sie wieder heimkehren können

Doch die Florentiner Geistlichkeit wendet sich nun auch gegen ihren Bischof. Als der Markgraf sie auffordert, sich unterzuordnen, lehnen sie das ab. Darauf treibt sie sein Militär bei der Feier der Osternacht in San Piero auseinander. Damit gewinnt die Forderung der Vallombrosaner nach einer Feuerprobe ihrer Position weiter an Zustimmung.

Im Februar 1068 findet sie vor einer großen Menschenmenge statt, und ein Vallombrosanermönch namens Petrus (seitdem Igneus) durchschreitet unversehrt die Kohlen. Bischof Petrus Mezzabarba, der vom Markgrafen von Canossa gedeckt war, wird nun vom Reformpapst Alexander II. fallen gelassen und flieht in das Kloster Pomposa im Podelta. Petrus Igneus macht eine steile Karriere in der Papstkirche.

 

Die Städte nutzen so zunehmend die Reformbewegung, um sich von den alten "feudalen" Mächten zu lösen. Als sich die Nachricht vom Tode Mathildes von Canossa 1114 verbreitet, versucht sich umgehend Mantua mit der Zerstörung der markgräflichen Burg zu befreien, was dann aber unter dem Druck Heinrichs V. erst einmal wieder zurückgenommen werden muss. (GoezMathilde, S. 74/193)

 

Der Weg ins Mailänder Konsulat (1075-1125)

 

Es sind Zufälle der Überlieferung, über die wir von Ausschüssen aus der "Bürgerschaft" erfahren, wie einem 30-Männer-Gremium zwischen 1066 und 1075 in Mailand, dass Vorwürfe gegen Kleriker untersuchen soll, oder von einem 12-Männer-Ausschuss in Cremona um dieselbe Zeit. 1081 nennt Heinrich IV. einen solchen für Pisa, der in der Volksversammlung gewählt werden soll. (Alles nach Keller in: Frühgeschichte, S.97). Um 1085 deutet sich dort eine Ratsverfassung an.

 

Mit dem Tod Erlembalds verringert sich der Einfluss der Mailänder Pataria deutlich, und mit der Wahl Tedalds durch Klerus und Volk nach Beratung in der Volksversammlung kehrt der innere Frieden zurück. Indem ihn Heinrich IV. investiert, eskaliert sein Konflikt mit Gregor VII. Gegen dessen Willen wird er in Piacenza geweiht, und bald vom Papst wie die anderen lombardischen Bischöfe gebannt.

Nach Canossa kippt dann die Stimmung gegen ihn. Tedald flüchtet an den königlichen Hof, wo er erheblichen Einfluss gewinnt. Bis zu seinem Tod 1085 kommen die Mailänder dann ohne Bischof aus. Inzwischen scheint die Pataria auch in Piemont verankert zu sein: Bischof Benzo von Alba wird vertrieben.

 

1081 kommt Heinrich IV. nach Mailand und laut der viel später zusammengestellten Pegauer Annalen wird er dort von consules und primores empfangen, die laut Zumhagen von der Volksversammlung gewählte Repräsentanten der Stadt sind und den abwesenden Bischof vertreten, wobei "Konsuln" auch ein aus späteren Verhältnissen rückdatierter Begriff sein könnte (S.106ff). In Cremona setzt der König Bischof Arnulf wieder ein und lässt die Pataria unterdrücken, die aber einige Zeit nach seiner Abreise wieder auflebt.

 

Ein Jahr nach Tedalds Tod wird dann 1086 in Mailand der eher kaiserlich gesinnte, aus der patariafeindlichen Kapitanenfamilie der da Rhò stammende Anselm III. gewählt (bis 1093). Urban II. setzt ihn ab, worauf er sich ins Kloster zurückzieht, um dann zwei Jahre später vom Papst wieder eingesetzt zu werden.

Mächtiger Hochadel (Visconti, da Rhò, da Baggio u.a.) und einige iudices und missi beherrschen das städtische Geschehen meist. (Wickham(1))

 

1090 kommt es zu schweren Konflikten zwischen populus et milites in Piacenza. Zunächst wird von der reformfeindlichen Seite der Partaria-nahe Bischof Bonizo (von Sutri) verstümmelt und vertrieben, dann ziehen die Milites wie einst in Mailand vor der popularen Gewalt aus der Stadt aus, können aber dann bei einem Ausfall des populus die nun verteidigungslose Stadt wieder einnehmen. Alles endet in einer neuen Friedenseinung. (Zumhagen, S.165ff).

 

1093 bildet Mailand mit Cremona, Piacenza und Lodi einen frühen Städtebund gegen den Kaiser. Heinrichs Sohn Konrad wird nun in San Ambrogio auch die italienische Krone aufgesetzt. Mit Arnulf III. wird im selben Jahr der nächste Erzbischof eingesetzt. Erlembald wird derweil für die längst offen militante Papstkirche zum Idealbild eines christlichen Kriegers.

 

Um die immer noch aktive Pataria ins Machtgefüge zu integrieren, wird vom Erzbischof zusammen mit Urban II. die Translation der Gebeine von Erlembald in die Basilika von San Dionigi durchgeführt (und 1099 die Überführung der Überreste von Ariald in dieselbe Kirche). 1096 predigt Urban II. vor einem Mailänder Massenpublikum dann auch darüber, quod minimus clericulus de ecclesia Dei est maior quolibet rege mortali, der niedrigste Geistliche, üblicherweise kein Adeliger, sei also größer als jeder sterbliche König. Derweil hat sich die Pataria in zwei Flügel gespalten, die sich vor allem auch schichtspezifisch unterscheiden. Die Gruppe der Illiteraten und Besitzlosen, wie sie ihre Gegner nennen, schließt sich enger an diesen radikal tönenden Papst Urban an und gewinnt so das Misstrauen der anderen, die ihnen Verlust der Eigenständigkeit Mailands vorwerfen.

 

Am Ende wird so die Bewegung von Kirche, Adel und bürgerlicher Oberschicht, denen Reformradikalismus und Partizipation städtischer Massen zu weit gehen, auch durch Integration abgewürgt. Was davon bleibt ist auch hier die Entwicklung einer neuartigen Vorstellung von Gemeinde, die das Stadtregiment als ein Gemeinschaftsprojekt (von Adel und schwerreichen Geschäftsleuten vor allem) betrachten möchte.

 

1093 bzw. 1097 erscheint in den kleinen lombardischen Orten Biandrate und Chiavenna consules. 1097 taucht dann eine Urkunde auf, die in civitate Mediolani in consulatu civium ausgestellt ist (Zumhagen, S.117), wobei allerdings nicht recht klar wird, was damit gemeint ist. Zeugen sind vor allem capitanei und drei iudices, aber jetzt auch eine nichtadelige cives-Familie. (Wickham(1), S.26) Konsul bezeichnet ursprünglich wohl mächtige und einflussreiche Honoratioren, und es fehlen Dokumente, um genauer zu sagen, wann daraus ein klar definiertes Amt wird.

 

 Ebenfalls 1097 sind nobilis multitudo und populus an der Bischofswahl beteiligt (Landulf Junior). 1098 und 1100 verfügt der Erzbischof Anselm da Bovisio die Einrichtung zweier Märkte mit Zollfreiheiten, wobei ausdrücklich vermerkt wird, dass dies im Zusammenwirken mit der ganzen Gemeinde geschieht (communi consilio tocius civitatis). Das Consilium wird 1100 in einem conventus gegeben, einer Versammlung, die bald auch concio oder arengo heißen wird und die alten (königlichen) placita ablöst.

 

Die Integration des Laien und hochadeligen Kriegers Erlembald in den Raum der Heiligkeit steht im Zusammenhang mit Urbans Kreuzzugsaufruf und mündet  1100 in einen von Mailand angeführten lombardischen Kreuzzug, der scheitert, und in welchem Erzbischof Anselm IV. den Tod findet.

 

1102 wird der Vallombrosaner Grossolan offenbar durch geschickte Manipulation der Volksversammlung von nobiles, viri vor dem populus zum Erzbischof gewählt (Landulf Junior). Auf eine königliche Investitur wird nun auch förmlich verzichtet. Als er allerdings dann die vom Vorgänger Anselm von Rhò vollzogenen Priesterweihen annullieren möchte, weil der königlich investiert worden war, stellt sich die Bevölkerung gegen ihn. Der alte Patarenerführer Liprand wirft ihm Simonie vor und überzeugt das versammelte Volk, den concio populi, von der Notwendigkeit einer Feuerprobe. Liprand besteht sie 1103 nach Ansicht der Anwesenden zunächst, worauf der Erzbischof flieht. Als sich dann die Wunden Liprands doch entzünden, wird auch er vertrieben. In den folgenden erfolgreichen Kriegen gegen Lodi (1107-11), welches am Ende zerstört und die Bevölkerung vertrieben wird, und Cremona (1110) kommt die Stadt ganz gut ohne erzbischöflichen Herrn aus, auch wenn Grossolan es offiziell in Abwesenheit bleibt. Zuletzt ist er in Jerusalem, als 1111 eine Flut die Stadt bedroht und man ihm die Schuld gibt. Eine Gruppe von achtzehn im wesentlichen adeligen  Geistlichen und Laien entscheidet, dass Grossolan zu Recht kein Erzbischof sei, da er sein Bistum Savona nie aufgegeben habe.

 

 

Der Sonderfall Venedig

 

Nicht überall in Italien entsteht ein Konsulat. Eine Sonderrolle spielt zum Beispiel neben Venedig das ebenfalls Byzanz untergebene Amalfi, welches sich aber aufgrund seiner geographischen Lage früher davon löst.

 

Venedig ist längst ganz vom Handel und im wesentlichen vom Fernhandel abhängig. Als Eigenproduktion zum Verkauf außerhalb der Stadt gibt es zunächst nur Fisch und Salz.

Handel ist dabei zunächst einmal nötig, um die Versorgung der Stadt zu decken: mit Lebensmitteln aller Art, mit Holz für die Bauten und die Schiffe und Holzkohle für die Heizung. Zugeführt werden muss auch der Nachschub an Lohnarbeit, insbesondere auch für die Schiffsbesatzungen.

 

Die besondere Geschichte Venedigs beruht auf ihrer Situation zwischen Ost und West, und sein Aufstieg ist zudem zeitweilig begründet in seiner Situation während des Ausgreifens der süditalienischen Normannen nach Norden und nach Byzanz.

1071 erobern die Truppen Robert Guiskards Bari nach dreijähriger Belagerung und kurz darauf Palermo. Die als Seefahrer erfahrenen Normannen ziehen 1081 sogar auf den Balkan, worauf der Ostkaiser Venedig um Unterstützung bittet. Vor Dyrrhachion (Durazzo) wird die venezianische Flotte besiegt, kurz darauf auch das byzantinische Heer, und die Normannen schaffen es bis nach Thessaloniki, worauf sie allerdings umkehren müssen, als es heißt, Kaiser Heinrich IV. würde nach Süditalien marschieren. Zudem gibt es Aufstände in Sizilien.

1082 gewährt Kaiser Alexios Komnenos Venedig für seine Unterstützung gegen die Normannen erneut mit einer goldenen bulla verzierte generelle Zollfreiheit im ganzen oströmischen Machtbereich, die es auch gegenüber dem heimischen Handel privilegiert. Nur vom Schwarzen Meer bleiben sie weiter ausgeschlossen, von wo Konstantinopel sein Getreide bezieht.

Venezianische Kaufleute lassen sich nun in Konstantinopel in einem eigenen Viertel nieder. Neben mehreren Kais gibt es dort auch eine eigene Kirche, eine Bäckerei und eigene Läden und Lagerhäuser.

1084 macht Robert ("Guiskard") einen erneuten Vorstoß nach dem Balkan, besiegt nach zwei Niederlagen auch die Venezianische Flotte,, stirbt dann aber 1085 an einer Krankheit. Damit ist die normannische Bedrohung auf byzantinisches Gebiet erst einmal zu Ende.

 

Inzwischen wird ein Imperium an Handelsstützpunkten im östlichen Mittelmeer aufgebaut, während die Stadt darauf verzichtet, sich territorial zu einer Festlandsmacht auszubauen. Danach kontrolliert sie fast alleine den Handel im östlichen Mittelmeer. Im Verlauf des 11. Jahrhunderts werden also nicht nur muslimische Piraten, sondern auch die italienischen Konkurrenten tendentiell aus dem östlichen Mittelmeer abgedrängt.

 

Venedig versorgt die dicht besiedelte Poebene mit ihren schnell wachsenden Städten besonders mit Getreide, welches dort nicht mehr in ausreichender Menge angebaut werden kann. Die Monopolstellung im Handel der Großregion hatte bereits Heinrich IV. für die Stadt garantiert: Venezianische Händler dürfen überall reisen und handeln in seinem Reich (et licentia habeant ...ambulandi), aber aus Venedigs Nachbarstädten darf man nur bis Venedig ziehen (usque ad vos et non amplius). Dieses weitreichende Stapelrecht für deutsche und italienische Handelswaren macht die Stadt zur Drehscheibe des Handels von Ost nach West und Nord nach Süd, und bei Salimbene von Parma heißt das:

Wenn ein Kaufmann dorthin seine Waren zum Verkauf bringt, kann er sie nicht wieder mit sich nehmen, sondern er muss sie ihnen verkaufen, ob er will oder nicht (velit nolit). Und wenn ein Schiff durch Unwetter des Meeres zu ihnen abgetrieben wird, kann es nicht wieder auslaufen, bevor es ihnen nicht seine Waren verkauft hat. (in: Hartmann (Hrsg), S.319f)

 

Gehandelt wird mit allem, was Geld bringt, auch mit Waffen und Sklaven an die Feinde der Christenheit. Märkte werden mit Verträgen und Gewalt geöffnet. Dabei entwickeln sich zwei Arten von Unternehmertum als Bürgertum: Die untere Schicht der Kaufleute in der Stadt und die Oberschicht der Fernhändler. Beide vermischen sich mit einer alten noblen Grundbesitzerschicht.

 

Der einst von Byzanz eingesetzte Dux ist längst zum auf Lebenszeit gewählten Dogen des Popolo geworden, der dann nach und nach nur noch den Räten einer kleinen Elite verantwortlich ist. Damit er nicht zum Despoten wird, oder sein Amt einer Familiendynastie anheim fällt, wird von dieser Elite zur Not auch Gewalt eingesetzt. Auf jeden Fall versucht man zu verhindern, dass der Sohn dem Vater im Amt folgt.

 

Zwischen West- und Ostreich angesiedelt, scheint Venedig weniger von den Konflikten der Kirchenreform und des folgenden Krieges zwischen Papsttum und Kaisertum betroffen zu sein.

 

Stadt, Handel und Schiffahrt bilden eine Einheit. Der Staat Venedig selbst ist Eigentümer der Galeeren der Handels- und Kriegsflotte, reguliert den Schiffsbau, Ausstattung und Fracht, plant die Seereisen. Bürger von Venedig müssen Militärdienst als Ruderer leisten. Auch der Handel ist hochgradig reguliert, um Konflikte innerhalb der Oberschicht zu vermeiden.

 

Was die inzwischen fertiggestellte Kathedrale für Pisa ist, wird die Palastkapelle San Marco für Venedig, dessen zuständige Kathedrale weit entfernt sich in Grado befindet. Aus dieser besonderen Funktion heraus erhält San Marco auch kein Baptisterium beigefügt.

Der Markuskult ist Staatskult. 1071 berichtet Domenico Tino von der Wahl des Dogen auf dem Lido, der folgenden Bootsfahrt nach San Marco, und wie der zukünftige Doge dann von der hohen Geistlichkeit in die Kirche geführt wird. Dort wird ihm ein auf dem Markusaltar liegender Stab übergeben, der wenig später als Fahne ausgestaltet werden wird. Der "Heilige" beauftragt den Dogen mit der Vertretung der Kapitalinteressen durch den Stadtstaat. (Rösch, S.18f)

Umso schlimmer, als man 1094 die angeblichen Reste dieses Staatsheiligen in die halbwegs fertiggestellte neue Markuskirche überführen will, und sie nicht mehr findet. Nach der Legende fastet "das Volk" darauf drei Tage, man versammelt sich dann in der Kirche und der Heilige offenbart in einer Säule den Reliquienschrein. Dass das für nüchternere Gemüter nur bewusst inszenierter Betrug sein kann, hindert nicht daran, das Ganze durch die Jahrhunderte als historische Wahrheit in Mosaiken und Gemälden darzustellen.

 

 

Übriges Italien

 

In Genua vereinigen sich 1099 die sieben Nachbarschaften (compagne) zu einer einzigen compagna communis, die sich als Kommune versteht und deren Häuser aus Adel und bürgerlichem Reichtum nun gemeinsam mit dem Bischof die Stadt regieren.

Diese Kommune ist eine Schwurgemeinschaft für mehrere Jahre, die auf Einhaltung des inneren Friedens (der öffentlichen Ordnung) und gegenseitige Unterstützung wie auch auf gemeinsame Kriegszüge ausgelegt ist. Wer (See)Handel treiben will, ist zum Eintritt verpflichtet. Gelegentlich wird eine Versammlung des populus als parlamentum in die Kathedrale einberufen. Konsuln beraten im Bischofspalast.

 

Pisa löst sich um 1070 aus der Markgrafschaft. Es schließt sich nach und nach eine kleine städtische Elite zur Verwaltung einer Kommune zusammen, die gegen Ende des 11. Jahrhunderts unter dem Bischof Konsuln einsetzt, ohen dessen Stadtherrschaft zu beseitigen.

 

 

Deutsche Städte im Investiturstreit

 

***Köln***

 

Unter den erzbischöflichen Stadtherren ragt Anno (1056-75) heraus, der den Ausbau eines fürstlichen Territoriums mehr als seine Vorgänger betreibt. Seine herrschaftlichen Ansprüche demonstriert er auch mit der Veranlassung von Kirchenbauten, 1057 dem Herrenstift St.Maria ad Gradus, 1059 mit St.Georg, in das als Neuerung neben Adeligen auch Söhne sehr reicher Bürger aufgenommen werden; die Kirchen St.Gereon und Groß St.Martin lässt er renovieren. Nahe bei Köln gründet er 1064 die Abtei von Siegburg und weiter weg zwei weitere.

 

Ein großer Teil der Einwohnerschaft sind Mitglieder der kirchlichen familia, wobei zwei Gruppen in einem besonderen Verhältnis zur Bischofskirche stehen und in ihrer Nähe wohnen: Einmal die unfreien Dienstleute, Ministerialen, und zum anderen die unter besonderem Schutz des Bischofs stehenden ebenfalls unfreien Juden, die im 11. Jahrhundert das Ruinenareal des antiken Praetoriums einnehmen. Die Unfreiheit beider äußert sich darin, dass sie dem Bischof keinen Hofzins auf ihr Wohngebäude zahlen müssen. Einen solchen wiederum müssen, wenn auch in erträglichem Umfang, die Kaufleute der Rheinvorstadt und die sich aus dem Hofrecht der kirchlichen Herren emanzipierenden Handwerker zahlen: Er ist Ausweis einer gewissen Gewerbefreiheit (Erkens in: Frühgeschichte, S.176)

 

Die Stadt teilt sich im 11. Jahrhundert grob in drei Bezirke, die vom hohen Domstift, der Kaiserpfalz und dem Bischofssitz dominiert werden.

Der Bischof ist wie auch anderswo Gerichtsherr, erhält Bann - und Zollabgaben und besitzt das Münzrecht. Neben diesen Regalien ist im 11. Jahrhundert die bischöfliche Marktaufsicht wichtig, die der Herr natürlich delegiert. Immerhin hat der wichtige Handelsort Köln im 11. Jahrhundert bereits zu Ostern, im Sommer und im Herbst jeweils eine große Messe.

Die inzwischen wohl größte deutsche Stadt ist einmal ein Produktionszentrum für Tuche geworden, für Glas, Töpferwaren und Goldschmiedearbeiten, die auch exportiert werden, nicht zuletzt auch für Waffen, aber vor allem ist es ein Handelszentrum für Salz, Metalle und Gewürze, Wein, Getreide, Sklaven und manches andere. Wolle kommt aus England, aus vielen Quellen kommen Lebensmittel (Getreide, Käse, Fisch).

 

Zusammengehalten wird die Stadt durch die erzbischöfliche hohe geistliche und weltliche Gerichtsbarkeit, die von einem edelfreien Burggrafen und seinem Stellvertreter, dem Greven ausgeübt wird, neben dem ein der Ministerialität entstammender Stadtvogt steht. Sie richten zu zweit und manchmal auch zusammen mit ihren Stellvertretern. 1103 wird dann für die Gesamtgemeinde ein Schöffenkollegium zum ersten Mal erwähnt, welches vermutlich schon viel früher entstanden ist.

Alleine sitzt der Burggraf nur dreimal im Jahr dem echten Ding (in Köln: Wizzigding) vor, welches nach dem Verlust der Kriminaljustiz an die gebotenen Dinge zur "Bürgerschaftsversammlung für kommunale Angelegenheiten" wird (U.Lewald in: Investiturstreit, S.376).

Die Zölle lässt der Stadtherr von Ministerialen einziehen, ebenso von ihnen die Markt- und Gewerbeaufsicht durchführen und die Einkünfte beaufsichtigen. Eine Elite unter ihnen sind die Münzerhausgenossen.

 

In Köln werden vier Pfarreien ab 1080 in den Quellen dokumentiert und wohl teilweise aus ihnen gehen dann Anfang des 12. Jahrhunderts die Kölner "Sondergemeinden" hervor. St. Martin ist die Kaufmannspfarrei, deren Mitglieder weitgehend mit denen der Kaufmannsgilde identisch sind.

Bei dem starken Wachstum von Stadt und Einwohnerschaft verlagert sich die  Aufgabe der Kriminaljustiz auf die entstehenden Sondergemeinden. Zu sieben von ihnen in der Altstadt im 12. Jahrhundert kommen die der Immunitäten der großen Kölner Stifter sowie die Vorstädte Oversburg und Niederich, die erst 1106 in die Mauererweiterung einbezogen werden.

In den beiden letzteren gibt es dann dreimal im Jahr das echte Ding mit eigenem Grafen und Vogt (ein Doppelrichtertum von comes et advocatus nostrum, wie es um 1110 im Niedericher Wiestum heißt), und als Besonderheit mit zwölf Schöffen, Geburen, die auf Lebenszeit eingesetzt werden und Senatoren heißen. Geburen (d.h. cives) besitzen zumindest in Niederich ein Haus (domus) und das Erbrecht darauf. Sie sind verpflichtet, beim Bur-Gericht anzutreten und verlieren das Recht, in der communio als cives verzeichnet zu sein, wenn sie vor die curia des Erzbischofs gehen. (Dilcher in: Schwineköper, S.84)

 

Dort wählen die bald in Bruderschaften bzw. Korporationen organisierten Honoratioren in Geburshäusern auf ein Jahr Vorsteher, „Meister“, die nach ihrem Rücktritt in einem Gremium erfahrener Honoratioren aufgehen. Für Niederich sind solche magistri civium um 1100 erwähnt, in den übrigen Pfarreien erst nach 1130. Nach Ablauf ihrer Amtszeit schließen sie sich zu einem Gremium von officiati zusammen, einer Art Hororatioren-Vorstand der Sondergemeinden.

 

In Köln tauchen denn auch früher als anderswo im deutschen Raum schriftliche Dokumente bürgerlichen Ursprungs auf, denn auf den echten Dingen werden nicht zuletzt Liegenschaftsangelegenheiten verhandelt: Es sind Grundbücher und damit Bürgerlisten der Kirchspiele, Urkunden über Immobiliengeschäfte und bald auch Erbangelegenheiten. Diese Dokumente werden in Truhen aufbewahrt und heißen darum Schreinskarten. Die erste überlieferte stammt wohl aus dem 2. Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts. Anzunehmen ist, dass hier eben der Wert von Immobilien so hoch ist, dass man sich der Eigentumsverhältnisse schriftlich versichern möchte.

Vermutet wird, dass diese ganze Entwicklung in St. Martin zwischen Römermauer und Rhein einsetzt, weil hier in der Nähe des Heumarktes ein Großteil der Kaufleute  wohnt.

 

 

Außer durch den Stadtherrn, seine Machtvollkommenheiten und seine Hochgerichtsbarkeit ist die Gesamt-Stadt noch nicht als Gemeinde verbunden, und die Bürger verstehen sich offenbar auch noch nicht als "politische" Gemeinschaft. Das ändert sich wohl auch nicht durch einen Aufruhr, der aus gegebenem Anlass gegen den Bischof ausbricht, der offenbar zur Zeit der Ostermesse den Marktfrieden stört. "Informiert" sind wir darüber dank Lampert von Hersfeld, der deutlich mit dem Erzbischof sympathisiert. Zur Vorgeschichte gehört wohl, dass die Kaufleute auf ihren Erzbischof nicht sonderlich gut zu sprechen sind.

 

1074 ist der Bischof von Münster zur Feier des Osterfestes Gast beim Erzbischof Anno von Köln. Für die Rückreise seines Gastes beschlagnahmt er durch seine Dienstleute (Ministerialen, bei Lampert, der einzigen Quelle: qui archiepiscopi domestica negocia curabant) ein bereits zu einer Handelsreise ausgerüstetes Schiff eines reichen Kaufmanns für eigene Zwecke und beginnt, sämtliche Waren ausladen zu lassen. Das wird, vielleicht nicht aufgrund von Widerrechtlichkeit, sondern wegen der Art des Auftretens der Ministerialen, als Willkürakt aufgefasst. Laut Lampert von Hersfeld findet der Sohn des betroffenen, der bürgerlichen Oberschicht (den primores civitatis) angehörenden Kaufmanns genug Unterstützung bei seinen Knechten und jungen Leuten der Stadt, um den Übergriff mit Gewalt zu verhindern. Nun kommt der Vogt mit seiner Mannschaft, um die Anordnung seines geistlichen Herrn durchzusetzen. Es kommt zum Handgemenge. Schließlich kehrt erst einmal Ruhe ein, und das Schiff bleibt in der Hand seines Eigners.

 

Es gelingt dem jungen Bürgersmann, seine Freunde zum Aufstand, vielleicht auch nach dem Wormser Vorbild (s.u.) aufzurufen, an den sich weite Kreise der Bevölkerung, der vulgus intemperans anschließen. Lampert, für den Bischof Partei ergreifend, schreibt:

Die Vornehmen schmieden läppische Pläne; unbeherrscht und umsturzlüstern tobt das Volk. Als wäre man vom Teufel besessen, ruft man in der ganzen Stadt nach den Waffen.

 

Der Erzbischof und sein Gast sind beim Essen, als die Aufständischen anrücken.

Als nun nach dem Mittag, als sich der Tag schon zum Abend wendete, zum Zorn - wie Öl zum Feuer - die Trunkenheit hinzukam, stürzten sie aus allen Teilen der Stadt zum Hof des Bischofs und greifen ihn, der an einem belebten Platz mit dem Bischof von Münster speist, an, schleudern Geschosse, werfen Steine, töten einige, die ihm beistehen, schlagen und verwunden die übrigen und treiben sie in die Flucht. (Lampert)

 

Beide Bischöfe retten sich in den Dom. Die ersten erzbischöflichen Bediensteten, die sich wohl in den Weg stellen, werden erschlagen. Der Palast, die Schatzkammer und der Weinkeller werden geplündert, dann wird der Dom belagert. Die Bischöfe fliehen durch einen Geheimgang aus der Stadt, als die Türen eingeschlagen werden. Die offenbar inzwischen gut bewaffneten Aufständischen besetzen die Mauern, es kommt erneut zu Toten, und sie schicken dann Boten zum König um Hilfe.

Von Neuß aus, wohin der Erzbischof geflohen ist, organisiert er seine bewaffnete Rückkehr. Das bäuerliche Umland ist über die städtischen Untaten entsetzt. Als der Bischof dann nach vier Tagen mit einem Heer aus seinem Machtbereich gegen die Stadt marschiert, müssen die Kölner Bürger sich vor der Übermacht ergeben. Barfuß und im Büßerhemd ziehen sie dem geistlichen Machthaber entgegen. Danach entlässt der Erzbischof sein aus dem erzbischöflichen Terrritorium rekrutiertes Heer und fühlt sich wieder mit seiner städtischen Hausmacht sicher.

 

Laut Lampert fliehen 600 Kaufleuten (mercatores opulentissimi) aus der Stadt, eine sicher zu hoch gegriffene Zahl. Einige Anführer werden geblendet, andere gestäupt und kahl geschoren, einige zu Stockschlägen verurteilt, andere zu hohen Geldstrafen.

Der Besitz der Kaufleute wird nun geplündert, wer sich wehrt, brutal bestraft:

So wurde die Stadt, noch vor kurzem die volksreichste und nächst Mainz der Haupt- und Vorort aller rheinischen Städte, plötzlich fast völlig verödet. Wo bisher die Straßen die dichten Scharen von Fußgängern kaum fassen konnten, zeigt sich jetzt nur selten ein Mensch, und schauriges Schweigen herrscht an all den Stätten der Lust und des Genusses. (Lampert zu 1074)

 

Die Härte des Bischofs rührt daher, dass er sich seine Rechte, so wie er sie in seiner Willkür sieht, nicht gewaltsam nehmen lässt, schon gar nicht beim Besuch eines Standesgenossen. Vielmehr wird die Übertragung von Aufgaben und Rechten an Bürger weiter seiner Gnade unterliegen und von seinen Interessen bestimmt bleiben.

Immerhin scheinen die Kölner Bürger sich unterwürfig genug erwiesen zu haben, denn im folgenden Jahr erlaubt ihr Oberhaupt den Geflohenen die Rückkehr, Rücknahme in die kirchliche Gemeinschaft und Rückgabe sämtlicher Güter. Als er kurz darauf in seinem Lieblingskloster Siegburg stirbt, kommt es zu einer achttägigen Stationsprozession von Kirche zu Kirche, es sind mindestens zwölf, und zwar offenbar unter großer Beteiligung der Bevölkerung. (Goez, S.131)

 

Klar ist, dass der Aufruhr situativ bedingt war und ohne darüber hinaus gehendes Konzept bleibt. Zudem haben sich offenbar die Ministerialen noch nicht hinreichend aus den hof- und dienstrechtlichen Bindungen an den Erzbischof gelöst, um zu Bündnispartnern der Bürger werden zu können. Ein großes Manko für uns heute ist allerdings, dass es nur die eine bürgerfeindliche Quelle gibt.

 

Für das frühe Kaufmannskapital ist die Lage schwierig. Ein großer Teil der gehandelten Waren sind Luxusgüter, die den wohlhabenderen Teil der Geistlichkeit wie der weltlichen Ministerialität bedienen. Die sehr weltliche aggressive Machtpolitik der Kölner Bischöfe zwischen Brun und dem zweiten Anno zieht Wohlstand in die Spitzen der Stadt, der dem Handel förderlich ist. Andererseits sind die Grenzen zwischen dem Recht der Herren und dem des Kapitals und des Handwerks, wie man oben sehen kann, nicht hinreichend klar und akzeptabel gezogen. Was der eine für sein Vorrecht hält, ist dem anderen Willkür. Der Kaufmannssohn beklagt, Anno habe oft ungerechte Befehle gegeben, Unschuldigen oft das Ihre weggenommen und noch angesehene Bürger mit den unverschämtesten Worten angegangen (Lampert). Aber zumindest in Lamperts Bericht taucht noch keine Vorstellung klarerer Verrechtlichung auf, wie sie im nächsten Jahrhundert Thema werden wird.

Das Problem ist, dass Handel und Handwerk eine Situation finden müssen, in der sie sich immer besser entfalten können. Letztlich brauchen sie dafür ein neues Einvernehmen mit dem Herrn der Stadt und seiner Entourage und das wird etwas bisher nicht Dagewesenes sein müssen. Mit dem sehr machtbewussten Anno II. wird das nicht gelingen. Aber die Bischöfe deutscher Städte werden dazulernen.

 

 

Über dreißig Jahre später regiert Erzbischof Friedrich (1100-31) und die Lage sieht bereits anders aus. Die Kölner Bürger weigern sich, Heinrich V. zu empfangen. Im Frühjahr 1106 ergreifen sie dann Partei für den flüchtigen Heinrich IV., lassen ihn in die Stadt und schwören ihm Treue. Er fordert sie auf, eine größere Stadtmauer zu bauen, spricht ihnen also ein Befestigungs-Recht zu, welches bislang nur der Erzbischof hat..

Als der vierte Heinrich Richtung Lüttich weiterflieht, scheitert die Verfolgung durch seinen Sohn, der muss umkehren und die Kölner lassen ihn nun nicht in die Stadt, worauf er sich nach Mainz zurückziehen muss. Dann kommt sein Vater zurück nach Köln, der Bischof wird vertrieben und der Kaiser leitet möglicherweise die verbesserte Befestigung der Stadt, wobei die Vorstädte Oversburg, Niederich und St.Apostoln in den Mauerring einbezogen werden.

Zudem sperren die Bürger den Rhein mit ihren Schiffen und schließen laut einer Quelle eine coniurata conspiratio mit den Lütticher Bürgern ('Translatio trium virginum')

 

Als Heinrich V. im Juli mit einem großen Heer anrückt, muss er zur Belagerung übergehen, die er nach gut drei Wochen aufzugeben gezwungen ist. Erst nach dem Tode Heinrichs IV. gibt Köln nach, lässt den Erzbischof wieder in die Stadt, und bezahlt an den fünften Heinrich eine Art Strafe von 5.000 Mark. Der bestätigt ihnen aber ihren Mauerbau.

 

1114 fallen die Bürger dann wieder von Heinrich V. ab und verschwören sich mit dem Erzbischof und einigen niederrheinischen Großen gegen ihn. Der belagert Köln erneut, scheitert dann aber an einer Truppe Kölner Bogenschützen. 1119 wiederum öffnen sie ihm die Tore gegen den Willen des Erzbischofs und werden dafür mit dem Interdikt belegt.

In etwa dieser Zeit wohl (um 1115/20) benutzen sie mit stadtherrlicher Genehmigung das erste Siegel für eine deutsche Stadt, welches wohl das Schöffenkollegium aufbewahrt, und erweisen sich damit als eine Gemeinde, die eigene rechtlich relevante Dokumente aufsetzen und besiegeln kann, wenn auch wohl erst einmal nur im Auftrag des Stadtherrn.

Auf ihrem Siegel bezeichnet die stadtbürgerliche Oberschicht ihre Stadt als das "heilige Köln", womit sie wohl auf die Menge an Kirchen und darin aufgehobener Reliquien anspielt.

 

***Mainz***

 

Unter den Saliern halten sich die Könige nirgendwo mehr als in Mainz auf. Der dortige Erzbischof behält das Erststimmrecht bei dern Königswahl.

Willigis lässt bis 1009 einen neuen Dom bauen, der aber kurz darauf in Flammen aufgeht. Kurz darauf beginnt ein Neubau. 1036 wird der Dom geweiht.

Bedeutende Leiter der Domschule werden Ekkehard von St.Gallen und der Lütticher Goswin.

 

In lateinischen Quellen heißt der Stadtvogt von Mainz selten advocatus, sondern meist comes (Graf). 1213 taucht er zum ersten Mal als burgravius (Burggraf) auf, wobei Burg Stadt meint. In der Vita des Erzbischofs Bardo ist von einem comes Erkenbald die Rede, der offenbar seine Macht zum Quälen eines städtischen Richters (iudex), eines weiteren (tribunus plebis) und eines Bürgers (civis)  missbraucht, was sein Amtslehen gefährdet. Solche Amtslehen aber tendieren dazu, die Erblichkeit dieser hohen Vögte zu befördern. Seine Nachfolger entstammen dann auch alle derselben vornehmen Verwandtschaft.

Dem Stiftsvogt werden aber zunehmend innere Immunitäten, Muntate, wie sie später heißen, entzogen, die die internen Bereiche von zahlreichen städtischen Stiften mit ihren Dienstleuten umfassen. was die Stellung des Burggrafen im 12. Jahrhundert beschädigen wird.

Neben den Vögten tauchen seit dem späten 10. Jahrhundert Kämmerer auf (magistri camerae) als primas civitatis, welche die erzbischöfliche Verwaltung in der Stadt leiten.

 

Das Handelszentrum Mainz ist weiter schlecht dokumentiert. So wird das Mainzer Marktrecht zwar Vorbild für Städte von Sachsen bis an den Oberrhein, aber inhaltlich ist von ihm nichts bekannt. Der Markt in der Stadt liegt wohl zwischen Dom und Rhein. Kaufleute steigen in richterliche Funktionen auf. Der Mainzer Pfennig gilt in enger begrenztem Umfeld, wobei der Erzbischof dafür sorgt, dass in Bingen, am unteren Main und der Wetterau keine eigenen Münzen mehr geschlagen werden.

 

Ende 1076 wird Erzbischof Siegfried von Mainz Gegner Heinrichs IV. Im März 1077 krönt er Rudolf von Rheinfelden.

Bei darauf stattfindenden Spielen empören sich laut Brunos 'Sachsenkrieg' die Bürger (urbani) und einer provoziert Streit mit einem der Höflinge und eine Ohrfeige.

Da aber stürzten sich die Bürger, die sich zu diesem Zweck schon in einem Hinterhalt gesammelt hatten, auf die unbewaffneten Höflinge (curiales) , verwundeten viele von ihnen schwer und töteten sogar einige. (...) Die Höflinge und das ganze Heer zogen sich im Martinsdom zusammen, berieten und bewaffneten sich, machten dann plötzlich einen Ausfall und töteten oder fingen alle Bürger, außer jenen (...) die flohen. Am nächsten Morgen aber kamen alle Vornehmen der Stadt zum König, boten ihm (...) jede Genugtuung an (...) und schworen ihm unverbrüchliche Treue. (cap.92 in: QuellenHeinrich, S.335f) Bischof und Gegenkönig verlassen dennoch die Stadt und kehren nicht mehr zurück.

 

Kaiser Heinrich IV. hält sich unter den ihm treuen Nachfolgern Siegfrieds dann oft in Mainz auf.

Seit dem 10. Jahrhundert dürfte es eine größere jüdische Kolonie geben, die offenbar ein religiös-gelehrtes Zentrum wird. Mainzer Juden treiben Handel mit Ungarn und Köln.

1096 gelingt es Kreuzfahrern, in die verschlossene Stadt einzudringen und ein Gemetzel unter den Juden anzurichten. Neue wandern aber bald wieder ein. Um 1100, einige Jahre nach dem schlimmen Pogrom, soll es mehr als 550 Juden in der Stadt geben (Falck, S.118) Als Heinrich IV. die Rolle des Erzbischofs Ruthard untersuchen lässt, verlässt dieser 1098 die Stadt, und der Kaiser übt nun die direkte Stadtherrschaft aus.

 

1105 gelingt es Heinrich V., die Stadt zu übernehmen und Bischof Ruthard kann zurückkehren. 1111 setzt er seinen Kanzler Adalbert als Erzbischof ein, der sich bald im Bündnis mit Sachsen gegen den Kaiser wendet. 1112 fällt er in die Hände Heinrichs und wird drei Jahre gefangen gehalten. Als der Kaiser sich dann 1115 in der Stadt aufhält, setzen die "Bürger" seine Rückkehr durch.  Zum Dank privilegiert Adalbert die Bürger 1118 mit dem Recht, nur noch das städtische Gericht besuchen zu müssen. Er wird sich bald wieder gegen Heinrich wenden und es kommt zu neuen Kämpfen um die Stadt, die erst 1122 zu Ende gehen.

 

***Worms, Bischof und Kaiser***

 

Zwischen 979 (Otto II.) und und 1014 (Heinrich II.) verfügen die Kaiser mehrmals die Abschaffung der gerichtlichen und militärischen Präsenz der Konradiner-Grafen aus der Stadt. Mit der Hochgerichtsbarkeit erhält der bischöfliche Stadtherr Kompetenz über alle Einwohner. In der Gerichtsgemeinde, in der alle concives zusammentreten, versammeln sich diejenigen, die ein Stück Grund in der Stadt vom Bischof in Erbzinsleihe haben. Damit tritt eine Gemeinschaft von „Bürgern“ hervor, in der die familia bzw. societas der dem Bischof persönlich untergebenen Leute nur einen (großen) Teil darstellen.

 

In der 'Lex familie Wormatiensis ecclesie', offiziell von clerus, milites und totius familiae beschlossen, wird eine bischöfliche "Familie" dargestellt. Sie umfasst die Städter und die ländlichen gebure, wobei beide noch concives sind. Von Geburt sind sie entweder Fiskalinen oder Dagewarden. Die Fiskalinen setzen sich wohl aus ehemaligen Königsleuten und Zensualen zusammen, die miteinander verschmelzen. Sie können ihr Land vererben und mit Sklaven (mancipia) bewirtschaften. Aus ihnen kommen auch die ministri oder ministeriali und die Vertreter der Hofämter. Sie können sich aber von solchen Diensten freikaufen, müssen aber auf jeden Fall am Schöffengericht des placitum teilnehmen.

Daneben gibt es die Dagewarden, die zu Arbeitsdiensten verpflichtet sind.

 

Die Stadt ist "ein lokal hervorgehobener Rechtsbereich: Der erhöhte Stadtfriede fordert bei Totschlag, Verletzung, Waffenzücken höhere Bußen (...) Der Besitz eines Hausgrundstückes in der Stadt verleiht dem Inhaber überdies eine starke Absicherung gegen überfällige Zins- und Abgabenforderungen des Bischofs. Sicher ist es nicht nur Zufall, dass in dieser Bestimmung statt des sonstigen lex erit familie steht: lex erit concivibus; hier deutet sich schon die Bedeutung civis = Stadtbewohner, Bürger an. (Dilcher in: Schwineköper, S.82)

 

Die Ansätze zur Entstehung einer Stadtgemeinde ergeben sich meist einvernehmlich zwischen Stadtherr und Bürgern. Ausnahmen gibt es in Sonderfällen wie der übermäßigen Bedrückung des Stadtvolkes mit Abgaben oder jener Wechselfälle der Geschichte, wie sie 1073 zur Vertreibung des Wormser Bischofs und seines kriegerischen Gefolges aus der Stadt führen. Im Sommer hatte Heinrich IV. eine Niederlage gegen die Sachsen erlitten. Die rheinischen Bischöfe wollen einen Gegenkönig wählen, und die Wormser benutzen offenbar die Gelegenheit, mit ihrem Bischof Adalbert abzurechnen. Dabei geht es allerdings um seine Person und seine Position im Kampf zwischen Kaiser und Papst, und nicht um das Wesen der Stadtherrschaft als solcher, die zunächst unangetastet bleiben wird.

Der Wormser Bischof hatte zuvor die von der Familie der Salier gehaltenen gräflichen Rechte an sich gerissen, und so bereits Partei in den großen Konflikten im Reich ergriffen. Die Stadt ist allerdings, weiter in die familiae mehrerer Herren geteilt, noch weit von einer rechtlichen Gemeindebildung entfernt besitzt aber offenbar eine auch in Fernhandel engagierte Kaufmannschaft

 

Der konservative Kleriker Lamprecht von Hersfeld, der Heinrich III. im Unterschied zu seinem Nachfolger als vorbildlichen König schätzt und später von dem Kölner Aufstand gegen den von ihm verehrten Erzbischof Anno zurückblickt, ist über den Wormser Aufstand so empört wie Guibert von Nogent gegenüber dem von Laon.

Laut Lampert bildeten die Bürger eine Schwurgemeinschaft (coniuratio) und vertreiben die Krieger des Bischofs (milites episcopi) mit Waffengewalt aus der Stadt. Bischof Adalbert muss fliehen. Als der König  cum magna pompa in die Stadt einziehen kann, kommen ihm die nicht näher bezeichneten Bürger mit ihren Waffen entgegen:

...Sie kommen ihm bewaffnet und gerüstet entgegen, nicht um Gewalt zu gebrauchen, sondern damit er beim Anblick ihrer Menge, ihrer Rüstung (armorum apparatu) der großen Zahl kampfbereiter junger Männer in seiner Not erkenne, wie große Hoffnung er auf sie setzen könne. Bereitwillig geloben sie ihm Beistand, schwören ihm Treue, erbieten sich, jeder nach bestem Vermögen (ex sua re familiari) zu den Kosten der Kriegsführung beizutragen, und versichern ihm, Zeit ihres Lebens treu ergeben für seine Ehre (pro honore eius) kämpfen zu wollen (se militaturos). So hatte nun der König eine sehr stark befestigte Stadt (civitate munitissima potitus) in Händen, und sie war seitdem sein Hauptquartier, sie war die Schutzwehr seines Thrones, sie war für ihn, wie auch die Entscheidung fallen würde, ein sicherer Zufluchtsort, denn sie war stark bevölkert, sie war wegen der Stärke ihrer Mauern (murorum firmitate) uneinnehmbar, sie war infolge der Fruchtbarkeit der Umgebung außerordentlich reich und aufs Beste mit allen für einen Krieg notwendigen Vorräten versorgt. (Annales 1073)

 

An der Spitze steht wohl die reiche Oberschicht der Kaufleute, die beginnt, sich von der übrigen Bevölkerung noch stärker abzugrenzen, und die aus ihrem wirtschaftlichen Erfolg ein neues Selbstbewusstsein gewinnt. Interessant ist dabei das Phänomen einer durch Ummauerung zur Festung gewordenen Stadt, aber mehr noch die offensichtlich vorhandene massive Bewaffnung der Bürger. Unübersehbar ist die wirtschaftliche und militärische Bedeutung, die Lamprecht einer solchen Stadt bereits beimisst, - und man ist geneigt, auch von ihrer machtpolitischen Bedeutung und der ihrer Bürgerschaft, was immer damit auch genau benannt sein mag.

 

Für die Unterstützung bedankt sich Heinrich IV. mit Zollprivilegien (auch für die Juden)  an den königlichen Zollstationen Frankfurt, Boppard, Hammerstein, Dortmund, Goslar und Enger:

...sie, von denen wir wissen, dass sie in der ganz großen Erschütterung des Reiches mit ganz großer und besonderer Treue zu uns gehalten haben, obgleich wir sie weder durch ein mündliches, noch durch ein in einem Brief von uns selbst oder einem Boten vermerktes, noch überhaupt irgendein Wort zu dieser so hervorragenden Treue gewonnen hatten. … Denn die Abgaben, die man in deutscher Sprache als „Zoll“ bezeichnet, welche die Juden und die anderen Wormser in allen Zollstätten,die der königlichen Gewalt zugehören (…), bei der Durchreise zu zahlen verpflichtet waren, haben wir den Wormsern erlassen. (in: Engel/Jacob, S. 19ff)

 

Das ist eine erhebliche Neuheit in der deutschen Stadtgeschichte.

 

Die Stadt wiederum bedankt sich damit, dass sie den Bischof weitgehend aus der Stadt ausgeschlossen hält, wodurch der König und danach auch sein Sohn die meiste Zeit (bis 1115) direkte Stadtherren sind. Die Abwesenheit eines Bischofs oder auch Erzbischofs scheint wie in Norditalien für das geistliche wie weltliche Leben in der Stadt problemlos zu sein.

 

1114 bestimmt Heinrich V. auf Bitten der Bürger, "dass künftig kein Vogt ihre Ehen scheiden oder eine Todfallabgabe erheben durfte und selbst beim Fehlen unmittelbarer Nachkommen die nächsten Erben ihr Vermögen erhalten sollten." (Esders, S.107)

 

***Augsburg und die Konflikte um Kaiser und Papst***

 

Das antike Augsburg lebt als nachantiker und frühmittelalterlicher Bischofsort fort. Nach der Schlacht auf dem Lechfeld 955 wird Bischof Ulrich unter anderem mit dem Recht der Münzprägung belohnt. Die zunehmend bedeutendere Handelsstadt ist wie andere Bischofsstädte Teil jener Adelsfraktionen und Herrschaftsverbände, von denen königliche Macht abhängt.

1025 während des Italienzuges von König Konrad II. schließt sich der Welfe dem Aufstand des Schwabenherzoges Ernst an. Dazu heißt es bei Wipo in dem Tatenbericht über den König:

Ein gewisser Graf Welf in Schwaben, reich an Gütern und waffenstark, und Bischof Bruno von Augsburg hatten sich gegenseitig bekämpft und viel Übles durch Plündern und Brandschatzen im Reich angerichtet. Endlich drang der Graf in Augsburg ein, plünderte das Schatzhaus des Bischofs und verwüstete die ganze Stadt. Auf Druck des Kaisers erstattete er dem Bischof später alles zurück und entschädigte ihn. (in Schneidmüller, S.122)

 

Das aber ist harmlos im Vergleich zu dem, was die Zeit seit 1075 mit ihren Konflikten für eine Stadt wie Augsburg bedeutet. Ende 1074 fordert Papst Gregor Erzbischof Siegfried von Mainz auf, mit einigen seiner womöglich kritikwürdigen Bischöfe, über die er Untersuchungen anzustellen hatte, nach Rom zum Rapport antreten. Darunter ist Bischof Embriko von Augsburg. Der Rombesuch wird wohl nicht angetreten, und Embriko bleibt treu an der Seite König Heinrichs.

 

Alles beginnt dann mit dem Einzug von Rudolf von Rheinfelden samt progregorianischen Bischöfen und Kardinallegaten im Sommer 1077. Bischof Embriko muss die Schuld seiner Kaisertreue bekennen, wird kurzerhand abgesetzt und darf nur provisorisch sein Amt weiter ausüben. Direkt danach stirbt er und es kommt zu einer Doppelwahl: Ein Wigolt wird von Teilen des Klerus und der bischöflichen militia zum Bischof gemacht, kurz darauf dann ein "schismatischer" Siegfried (II.), ein königlicher Kapellan.

1083 gelingt es dem Stauferherzog Friedrich von Schwaben mit Siegfried und dem Grafen die Welfenburg Siebnach zu zerstören. Wigolt kann sich gegenüber dem populus nicht durchsetzen und muss nach Füssen fliehen, wo er herstammt.

 

Anfang 1084 gelingt es dem bayrischen Herzog Welf IV. von der gregorianischen Partei, die Stadt unter Begleitung Wigolts mit einer List einzunehmen, die Stadt auszuplündern und zu verwüsten, wovon auch die Domkanoniker nicht ausgenommen werden, während Wigolt, nun im Amt, im Schutz des welfischen Heeres laut 'Annales Augustani' den Domschatz beraubt und unter seinen Anhängern verteilt. Siegfried kann fliehen. Erst als Heinrich IV. aus Italien zurückkehrt und sich auf dem anderen Lechufer niederlässt, flüchten die Besatzer. Bischof Siegfried wird wieder eingesetzt.

April 1088 gelingt es Welf IV. erneut, die Stadt einzunehmen, und nicht nur ihre (Stadt)Mauern zu zerstören, zu plündern und zu rauben. Wigolt taucht erneut dort auf und verschwindet dann wieder, um im selben Jahr zu sterben, während Bischof Siegfried von Welf in Ravensburg gefangengesetzt wird. Nachdem mehrere Versuche vom Welfen, vom Schwaben und vom Zähringer scheitern, antikaiserliche Bischöfe einzusetzen, die bald sterben, kann sich Siegfried 1090 mit Zahlung eines großen Lösegeldes freikaufen und nach Augsburg zurückkehren. 1092 gelingt es einer Bürgermiliz, einen weiteren bayrischen Angriff auf die Stadt zurückzuschlagen. 1094 versucht ein Abt von Kempten beim vom Vater abgefallenen Sohn Konrad in Italien das Bistum zu erlangen, stirbt aber dann.

Ende 1096 stirbt Siegfried und Heinrich IV. setzt den hochadeligen Herrmann aus dem Haus Cham-Vohburg ein, der offenbar mit der Waffengewalt seines Bruders der Stadt aufgedrängt wird. Ab 1100 schafft dieser Bischof Hermann die Aussöhnung mit Papst Paschalis II. und mit seinem Komkapitel. Ab 1106 gibt es neue Konflikte mit dem Papst, und dann besonders mit Gelasius II., der ihn bannt, weil er den Gegenpapst Gregor VIII. unterstützt. Erst nach der Anerkennung des Wormser "Konkordates" auf dem Laterankonzil kommt es zur Aussöhnung mit Calixtus II. (Alles nach Kreizer in: Kaufhold, S.7ff)

 

 

Kommunale Bewegung in Westfranzien

 

Communis ist zunächst der gemeinsame Besitz, dann werden es die gemeinsamen Angelegenheiten, gemeinsame Aktivitäten wie Bau und Erhalt der Stadtmauer und die Verteidigung der Stadt. Dazu kommen in Frankreich die Aufsicht über den Markt und die Gewerbe, die von den Stadtherren immer weniger wahrgenommen werden. Dazu gehören dann auch die Abgaben, die die Versammlung der Bürger für die Verwaltung ihrer Stadt erhebt. In Frankreich entstehen solche Bürgergemeinden manchmal aus den Konflikten zwischen bischöflichen Stadtherren, einer städtischen Oberschicht, mächtigen Adeligen auf dem Lande und den königlichen Interessen, die außerhalb seines engen Machtbereichs das Bündnis mit den Städten suchten.

 

Ziel der französischen Kommunalbewegung war es von Anfang an, den Frieden einer öffentlichen Ordnung herzustellen, der anders nicht zu haben war, nachdem der Bischof, sein Vogt, Äbte, Graf. feudaler Adel und entstehendes Bürgertum um die Macht konkurrieren. Schon 1027 verbünden sich Einwohner von Noyon mit dem Bischof gegen den königlichen Vogt und vertreiben ihn. Städtischer Adel verbündet sich besonders im Süden mit den Bürgern. Aus grundherrlichen städtischen Gerichten mit stadtbürgerlichen Schöffen wird bürgerliches Selbstbewusstsein gezogen. 1050 gelingt es solchen Leuten, in Saint-Jean-d'Angely Steuerbefreiungen und Handelsvergünstigungen zu bekommen.

 

1070 verschwören sich die cives von Le Mans mit Unterstützung des Bischofs, der Kleriker und der Bauern des Umlandes gegen neue Steuern des normannischen Herzogs. Man unternimmt einen erfolglosen Feldzug gegen benachbarten Feudaladel und gewinnt nach einer Quelle Anteil an der Gerichtsbarkeit. Es handelt sich um kleine Leute, Handwerker, die ihre eigenen Produkte verkaufen "plus riches de leur travail que de leur capital, incapables de soutenir une action de quelque durée" (Chédeville in: Frühgeschichte, S.122) 1073 unterwerfen sich die Großen der Stadt. 1092 und 1116 kommt es dann dort zu Revolten gegen den Bischof.

 

In Cambrai geht dem Aufstand gegen den Stadtherrn im Frühjahr 1077 ein vielleicht damit verbundener Konflikt voraus. Ein Priester namens Ramihrdus predigt im Umland so, dass er eine große Anhängerschaft erhält. Das erregt das Misstrauen des Bischofs, der eine Untersuchung anberaumt, die nichts Inkriminierendes ergibt. Endgültige Klarheit soll der Empfang der Hostie erbringen. Den verweigert der Priester aus der Hand eines Habgierigen, eines Simonisten vielleicht sogar. Das erregt die anwesende Geistlichkeit so sehr, dass sie ihn zum Lehrer für Ketzerei erklärt, aus der Kirche herausschleppt und dann verbrenn,t. (Chronicon Sancti Andreae Castri Cameracesii. III,3) Gregor VII. exkommuniziert den Bischof darauf zunächst.

 

Zu etwa dieser Zeit, wohl kurz darauf, bilden die Bürger in Abwesenheit ihres Bischofs, ihres geistlichen wie weltlichen Oberhauptes, eine conspiratio, die ihrem Stadtherrn die Rückkehr nur erlaubt, wenn er ihnen erlaubt, sich als communia zu formieren. In ihr soll das städtische Gewohnheitsrecht fixiert und die Steuerlast reduziert werden. Die Geistlichkeit macht mit, weil sie den Bischof für zu anhänglich an den Kaiser hält. (Favier) Sie scheitern nach kurzem Nachgeben des Stadtherrn an der Unterstützung, die der Graf des Hennegaus dem Bischof bietet. Der wiederum billigt Valenciennes eine Kommune zu. 30 Jahre später macht Kaiser Heinrich V. einen zweiten Anlauf der Bürger von Cambrai zugunsten des Bischofs zunichte.

 

1099 kommt es zu einer Verschwörung in Beauvais, in der die Bürger den Bischof zwingen, ihre Gewohnheiten anzuerkennen und ihnen Rechtsstatus zu verleihen. Im selben Jahr kommt es zum Friedensschwur in Rouen. 1109 bewilligt Bischof Baudry für Noyon eine Charta städtischer Rechte und legt sie König Ludwig VI. zur Bestätigung vor.

 

Insgesamt aber entstehen die bürgerlichen Stadtgemeinden auch hier nicht aus dem Konflikt mit dem Institut des Stadtherrn, sondern überwiegend einvernehmlich mit diesem. Er gewährt ihnen die Freiheiten, die aus eigenem Interesse zur Gemeindebildung führen.

 

Die französischen Könige unterstützen das Bürgertum wirtschaftlich sehr bewusst, bis sie sich auf dieses stützen können. In ihrem unmittelbaren Machtbereich aber vermeiden sie von vorneherein, dass Bürger dabei allzu viel politischen Einfluss gewinnen. Dagegen unterstützen sie die Kommunalbewegung außerhalb der Krondomäne, um fürstliche Konkurrenten zu schwächen.

 

***Guibert und die Kommune von Laon***

 

Laon als königlich-französische Stadt entwickelt sich ganz anders als Paris: Die Macht teilt sich in den König (Turmburg) und den Bischof (Palast und Kathedrale). Burgherren und Amtsträger bilden Umfeld und Spitzen der Verteidigung der Stadt.

Dann gibt es mehr oder weniger „bürgerliche“ Honoratioren (proceres), die mit Tauschhandel und Grundbesitz zu Reichtum gelangt sind. Um 1100 gilt die Stadt als reich. Darunter sind die meisten Leute Zensuale (capite censi) oder stärker Unfreie (servi).

Praepositi (prévôts) verwalten die Grafschaft und die Gerichtsbarkeit in der civitas regalis (Guibert). Manche Regalien hat aber inzwischen der Bischof. Mächtige Familien der proceres sind mit den Marle, Coucy, Montaigu und Quierzy der Umgebung verbündet und kämpfen auch gegeneinander.

 

Für Guibert ist die perversitas der Bischöfe Ursache der Tragödie von Laon. Das beginnt für ihn schon mit Ascelin/Adalbero, der den letzten Karolingerkönig zugunsten des ersten Kapetingers verrät. Hundert Jahre später sammelt ein Helinand Unsummen Geldes an und kann so den König bestechen, ihm das Bistum Laon zu geben. Wenige Jahre nach ihm folgt 1104 ein Enguerrand, der jede Religion verachtet und schlimmer als ein Spaßmacher oder ein Tanzmusikant ist. Multa super episcopi moribus referri possent prorsus digna taceri, man sollte also besser über die Sittlichkeit dieses Bischofs schweigen (III,3).

 

1106 setzt der Herr Enguerrand von Coucy nach zweijähriger Vakanz des Bischofstuhls seinen Verwandten Gaudericus gegen den Kandidaten des Königs durch, wobei man in der Stadt vermutet, Geld der englischen Krone habe nachgeholfen. Gaudericus/Gaudry war bislang Militär gewesen und muss nun erst einmal zum Subdiakon erhoben werden, um ihn darauf zum Bischof zu machen.

1110 wird mit Gerard von Crecy, dem Vogt des Nonnenklosters St.Jean ein Gegner des gerade verreisten Bischofs von dessen Leuten in der Kirche beim Gebet erschlagen. Darauf wenden sich königliche Truppen und solche des Klosters gegen diejenigen Bürger, die an der Verschwörung beteiligt sein sollen, vertreiben sie, plündern ihre Häuser und brennen sie nieder. (III,5)

Der Bischof kommt zurück und schützt die Mörder zunächst, wird dann aber genötigt, sie zu exkommunizieren.

 

Es gibt Koalitionen zwischen ritterlichen Herren wie den Coucy und der Stadt mit ihren nicht adeligen burgenses gegen den dortigen Bischof und dem Landadel, den proceres urbi. Erstere leben in der bourg außerhalb der Mauern der Kathedralstadt, letztere drinnen. Guibert, Abt von Nogent-sur-Coucy, beschreibt zeitnah in 'De Vita sua' die coniuratio in Laon 1112 als eine Zeit der Gewalttätigkeit und Gesetzlosigkeit: Klerus und Vornehme ließen

durch Unterhändler folgenden Vorschlag vermitteln: Wenn ihnen ein überzeugendes finanzielles Angebot gemacht werden würde, könne man über die Einführung der Kommune reden. Kommune, dieses neue und ganz schlimme Wort heißt, dass Zensualen den geschuldeten üblichen Kopfzins einmal im Jahr entrichten und bei Rechtsverletzungen die gesetzliche Strafe bezahlen, aber von sonstigen Zinsleistungen, wie man sie Knechten (Hörigen) auferlegt, gänzlich frei sind. So ergriff das Volk die Chance sich freizukaufen und trug große Mengen von Silber zusammen, um die gierigen Schlünde zu stopfen. Diese Herren waren über einen derartigen Geldregen so beglückt, dass sie die Einhaltung des vereinbarten Handels durch Eidesleistung bekräftigten. Somit war also zwischen Klerus, Großen und Volk eine auf gegenseitige Hilfe lautende Schwureinung (coniuratio) abgeschlossen worden. Als der Bischof dann mit großen Mitteln aus England zurückkam, war er entsetzt über die Neuerung und ihre Verursacher. Für einige Zeit blieb er der Stadt fern.

 

Schließlich wird der bischöfliche Hass auf alle Verschwörer besänftigt durch einen großen Haufen Silber und Gold: voces tandem grandisonas oblata repente sedavit auri argentique congeries. Er behauptet nun, die Kommune gemäß den Rechten (ordines) von Noyon und St.Quentin anzuerkennen, und der König wird laut Guibert ähnlich bestochen. Tatsächlich hasst er sie aber so wie der Adel.

(III,7)

 

Schließlich suspendiert der Papst den Bischof wegen neuer Grausamkeiten, nimmt das dann aber wieder zurück. In der Osterzeit wiegelt der Bischof Adel und Teile des Klerus auf, sich gegen die Kommune zu wenden. Schließlich intrigiert er beim König in dieser Sache.

Die Bürger, die die Gefahr des Umsturzes erkannten, boten dem König und seinen Leuten 400 Pfund (...) Der Bischof ging jedoch zum Gegenangriff über, zog mit den Großen zum König, und machte ihm ein Angebot von 700 Pfund. König Ludwig, der Sohn Philipps (...) in vielem anderem hervorragend, ließ hier kein angemessenes Urteilsvermögen erkennen, wenn er üblen, durch Habgier verdorbenen Menschen allzu sehr sein Ohr und Herz öffnete. (*36)

 

Der ansonsten ehrenwerte Königssohn geht nach dem Geld, dass heißt, er entlässt die Höherbietenden aus ihrem Eid. Die Bürger verstecken nun ihr Eigentum aus Furcht und bieten auch nichts mehr zum Kauf an. Bischof und Adel wollen die Bürger ausplündern, was ihren Ärger in Hass verwandelt. Vierhundert sollen einen Eid geschworen haben, den Bischof und seinen Anhang umzubringen.

 

Am nächsten Tag schreit ein Verschwörer „communiam, communiam!“ , als er glaubt, es ginge los, aber es war ein Feiertag, und nichts geschah, jedoch bringt es den Bischof dazu, seinen Palast bewachen zu lassen.

Am nächsten Tag, (...) als der Bischof und Erzdiakon Gautier nach der Mittagsmesse dabei waren, Geld zu sammeln, kam es plötzlich in der ganzen Stadt zu einem Tumult, Männer riefen "Kommune" . (...) Dann … traten eine große Menge von Bürgern in den bischöflichen Palast, bewaffnet mit Rapieren, zweiseitigen Schwertern, Bögen und Äxten, dabei Knüppel und Lanzen tragend. Sobald diese plötzliche Attacke entdeckt war, sammelten sich die Adeligen von allen Seiten um den Bischof, hatten sie doch geschworen, ihm gegen einen solchen Angriff Hilfe zu leisten, wenn es denn dazu käme. (III,8)

Der Bischof muss nach Kämpfen fliehen und versteckt sich in einer Tonne. Dort wird er entdeckt, eine Kampfaxt spaltet seinen Kopf, seine Beine werden ihm abgeschlagen, der Ringfinger, er wird nackt und verstümmelt dann vor das Haus seines Kaplans geworfen.

 

Vom Haus des Erzdiakons und Schatzmeister verbreitet sich das Feuer auf die Kathedrale und mehrere weitere Kirchen. In welchem Umfang es dabei auch Guibert um Reichtümer geht, belegt folgende Stelle:

Crucifixi Domini imago decentissime obaurata, gemmisque distincta, cum vase saphyretico pro pedibus illius imaginis appenso, in terram fusa delabitur, nec sine plurima jactura recipitur. Gold, Juwelen, Lapislazuli schmelzen und werden zerstört, und beim Retten der Sachen nachher geht viel Gold verloren. (III,9)

 

Die Häuser der Reichen und deren Frauen werden ausgeplündert und brennen teilweise ebenfalls ab. Danach bitten die Bürger Thomas von Coucy, Herr von Marle, um Unterstützung gegen die erwarteten Truppen des Königs. Der meint, er sei zu schwach, um eine Königsstadt gegen den König zu halten und und lädt die Bürger ein, mit ihm zu kommen, was ein Teil auch macht. Darauf wird die Stadt auch von außen ausgeplündert.

 

Danach setzt der König einen Seneschall zur Unterdrückung des Aufstandes ein  und der Bischof von Reims sermonem habuit de exsecrabilibus communiis illis (III,10), hält also eine Predigt über die verfluchte Kommune, wegen der die Knechte (servi) sich den gerechten Ansprüchen ihrer Herren entzogen hatten, und schließlich bestellt der König einen neuen Bischof. Nach vier Jahren Unruhen ist die in den Kämpfen ausgebrannte Kathedrale wiederhergestellt und der Erzbischof konstatiert die Wiederherstellung des „Gehorsams“.

 

Aber 1128 lesen wir, dass der König der Stadt gewisse Freiheiten verliehen hat. Fronarbeiten werden in der 'Institutio Pacis' abgemildert, die Todfallabgabe wird abgeschafft:

Wir setzen fest, dass die Zensualen ihren Herren lediglich den Kopfzins zahlen sollen. Wenn sie ihn zu dem feststehenden Termin nicht entrichten, sollen sie dies gemäß dem Recht, nach dem sie leben, später ausgleichen, damit sie nicht - es sei denn freiwillig - auf Verlangen ihrer Herren verpflichtet werden, irgendetwas anderes zu leisten. Hingegen steht es ihren Herren zu, sie wegen Rechtsbrüchen vor ihre Gerichtsbarkeit zu ziehen und das, was entschieden wird, ihnen abzuverlangen. (in: Borgolte, S.111)

 

Es geht um die Aufrechterhaltung des Friedens, der Ordnung des Marktes und des bürgerlichen Grundbesitzes vor allem außerhalb der Stadt, Basis des Reichtums dieser „bürgerlichen“ Elite. Im weiteren 12. Jahrhundert ziehen sich der Adel wie zum Beispiel der Kastellan des Bischofs und die Burgherren aus der Stadt auf ihre Ländereien zurück.